Die Wallfahrt

[300] Nicht fern von Terouanne hebt sich ein stattlich Schloß,

Da saß nun Max beim Mahle, mit ihm manch treuer Genoß,

Von Dendermond' der Abbas, des Kaisers alter Freund,

Und Hofmann, Narr und Krieger saß da gar froh vereint.


Die waren just gekommen vom heitren Jagen heim,

Da ward erzählt manch Waidstück, da klang manch Waidmannsreim,

Mit lust'gen Jägerschwänken ward reich das Mahl gespickt,

Auf längst verdautes Wildpret aufs Neu' der Spieß gezückt.


Horch! horch! da tönt ein Liedlein vom Grund des Thalesstegs,

Wie Wallfahrtspilger pflegen zu singen unterwegs,

Dazwischen klingt ein Glöckchen zum Schlosse sanft herauf,

Daß Max von seinem Sitze fuhr leise horchend auf.


Da stieß Herr Kunze ängstlich am Arm den Nebenmann:

»Stoßt schnell, um Gotteswillen, die Gläser zum Vivat an,

Damit es übertäube dieß Teufelspsalmodein,

Denn hört Herr Max solch Glöcklein, gleich treibt's ihn hinterdrein.«


Da klangen die Becher zusammen so hell und grell mit Macht:

»Hoch lebe der tapfere Sieger in Guinegate's Schlacht!«

Den drohenden Finger lächelnd hebt Max gen Kunz empor,

Sein Antlitz still verneigend dankt er dem Jubelchor:
[300]

»Ihr ehrt den Sieg im Sieger, jedoch vergeßt drob nicht

Des Starken, der ihn spendet und für uns Schwache ficht:

Seht, Pilger ziehn fromm singend dort gegen Sankt Alban,

Drum meint' ich, Freund und Brüder, wir schließen dem Zug uns an.«


Da sprach Kunz von der Rosen: »Verzeiht, ich kann kaum gehn!

Als ich von jenem Hügel der Schlacht jüngst zugesehn,

Hab' ich vom langen Stehen das rechte Bein verstaucht,

Auch hat der Dampf des Pulvers mein Aug' fast blind geraucht.«


Stallmeister Emershofen hob nun halb grämlich an:

»Erlaubt nur, daß ich früher die Pferde satteln kann;

Denn wenn zu Fuß wir gehen in Jägerstiefeln und Sporn,

Verwickeln wir uns schmählich in Buschwerk, Gras und Dorn.«


Aus seiner rechten Tasche zog drauf der Abt ein Buch:

»Die Wallfahrt widerrath' ich! Les't hier den weisen Spruch;

Da heißt's: post prandium pausa: nach Mittag sollst du ruhn,

Nec sta, nec mea sine causa: und höchstens ein Schläfchen thun.«


»Ihr Herren,« sprach der Kaiser, »ei, laßt doch euren Schwank!

Hat man denn je vernommen, daß wer vom Beten krank?

Wer trabte je zu Rosse ins Gotteshaus hinein?

Dir, Kunz, frommt just die Wallfahrt, da heilt vielleicht dein Bein.«


Entblößten Hauptes wallte Max aus der Schlosses Thor,

Mit herbverzognen Mienen folgt der Genossen Chor

Und schließt den flatternden Fahnen der Prozession sich an

Und wandelt psalmodirend zum Dörfchen Sankt Alban.


Manch schönes Goldstück hatte dem Pfarrherrn Max verehrt,

Als aus der Kirche wieder er vom Gebet gekehrt,

Der Alte lallte dankend: »Bei Gott, nie ward gesehn

Solch hohes Fest, so lange Sankt Albans Mauern stehn.«
[301]

Schon glomm am Abendhimmel der Mond mit bleichem Strahl,

Da ging es in die Schenke zum würzigen Abendmahl,

Da drehte sich manch Pärchen im bunten Wirbelreihn

Bei Dudelsack und Fiedel, bei Zither und Schalmein.


Was gab's da schöne Mädchen, hei, hei, und dreimal hei!

Wie flogen da die Schürzen, wie guckten die Bursche dabei!

Trotz seiner Sporen tanzte der Emershof, daß es stob,

Ha, wie sein Arm der Dirnen geschlanke Hüften umwob!


Trotz lahmen Beinen poltert Kunz mit dem Fuß den Takt,

Trotz böser Augen schielt er nach mancher hübschen Magd

Und trinkt Bescheid dem Abbas: »Hui! Pater, trinkt doch aus!«

Der aber brummt sein Sprüchlein und schreitet aus dem Haus:


»Hm, hm, post coenam stabis: des Abends sollst du stehn,

Aut mille passus meabis: wohl auch dich sonnen gehn.«

Aus seiner linken Tasche zieht er den Rosenkranz

Und wackelt auf und nieder im fahlen Mondenglanz.


Max aber lehnt dort sinnend in einer Eck' allein,

Ins lustige Leben und Treiben sieht lächelnd er hinein

Und denkt in stiller Sehnsucht zurück, gar weit und fern,

Am klaren Jugendhimmel steht hell sein Liebesstern.

Quelle:
Anastasius Grün: Gesammelte Werke,Band 1–4, Band 3, Berlin 1907, S. 300-302.
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