Das Wiedersehen

[253] Auf eines Hügels Fläche, genannt der Wienerberg,

Steht eine graue Säule mit krausem Schnörkelwerk;

Die Spinnerin am Kreuze heißt sie seit alten Tagen,

Die heut noch sie umrauschen in alten, dumpfen Sagen.


Noch heut zu Tage fühlet der Wandrer, der hier steht,

Von süßen, heil'gen Schauern sich zaubervoll umweht,

Und wie ein goldner Adler mit klingendem Gefieder

Senkt sich vom hohen Aether Begeist'rung auf ihn nieder.


Denn herrlich, unermeßlich in Pracht und Größe lag

Die alte Stadt der Kaiser mit einem Zauberschlag,

Rings grüne Höhn und Wälder, Strom, Auen, Saatengold,

Wie Gottes Segensbulle vor ihm nun aufgerollt!


Rund um das Meer von Steinen, hier sanft durchs Thal gedehnt,

Auf Bergen, grünen Flächen, an Hügel dort gelehnt,

Kapellen, Dörfer, Schlösser, zerstreut im grünen Rasen,

Wie weiße Lämmer, die seitwärts der großen Heerde grasen
[253]

Und reges, frohes Murmeln, dumpf rasselnder Karren Klang

Und Glocken von hundert Thürmen, Gejauchz' und Jubelsang,

In tausendfält'gem Echo klingt's plötzlich auf zu dir,

Als rief ein einz'ger Hymnus: ein glücklich Volk lebt hier!


Leis' zitternd unter den Sohlen fühlst du die Erde beben,

So kräftig stampft den Boden dort unten Freud' und Leben!

In leiser Schwingung rieseln ums Haupt die Lüfte dir,

Zu deinem Herzen flüsternd: ein glücklich Volk lebt hier!


Nicht so zu Muth war's Maxen, als er auch hier einst stand

Und feuchten Auges blickte hinab auf Stadt und Land,

Mit ihm zu Fuß und Rosse ein hochgewaltig Heer,

Weit strahlend Helm und Panzer und Banner, Schild und Speer!


Wohl sieht er jetzo wieder den hohen Riesendom,

Die Mauerkoloss' und drüben den blauen Donaustrom,

Der um die Stadt der Treue die schimmernden Fluthen schmiegt,

Wie eines Magus Schlange zur Wacht vor'm Schatze liegt.


Fern sieht er jetzt auch wieder die graue Burg der Ahnen,

Wohl mocht' es, sie erschauend, ihn bessrer Zeiten mahnen,

Doch wo die Fahne Habsburgs dem Frieden einst geweht,

Das Kriegesbanner Ungarns wildflatternd nun sich bläht.


Und rings die weiten Felder, – jetzt stehn sie wüst und leer,

In vollen Saaten rollte sonst hier ein goldnes Meer;

Fand schnell noch Zeit der Schnitter, der Aehren Frucht zu schneiden?

Ha, oder ließ der Ungar sein stampfend Roß drauf weiden?


Sieh, Hügel grünt an Hügel, den blauen Strom entlang,

Sonst hängt dort Traub' an Traube, sonst hallt dort Sang und Klang:

Kein Winzer will jetzt lesen, und wenn er's heimlich thut,

Ist's still bei Nacht, denn stehlen muß er das eigne Gut.
[254]

Ringsum auf allen Hügeln stehn Kirchlein blank und weiß,

Geläut' und Lied verstummten, nur drinnen wimmert's leis;

Dank, Dank allein klang sonst hier zu lust'gem Glockenwehn,

Frei war das Volk und glücklich, es brauchte nichts zu erflehn.


Emporsteigt Jammer auf Jammer und rauchend Wolk' auf Wolke,

Als rief's hinan: O nahe, Erlöser, deinem Volke!

Und flammend klingt die Antwort aus Maxens Brust zurück:

»Bald soll Erlösung werden und Freiheit dir und Glück!


Mein Oestreich, herrlich Oestreich, wo gleicht dir noch ein Land?

Du trägst als Schild die Treue, – halt' fest den Schild von Demant!

Und Segen ist der Aether, der über'm Haupt dir rollt,

Und Silber deine Straßen, und deine Berge Gold!


Sei mir gegrüßt, mein Oestreich; doch ach, welch Wiedersehn!

In deinen Thälern Elend, und Elend auf den Höhn,

Der Dörfer Rauch dein Aether, und deine Ströme Blut,

Dein einzig Lied Verzweiflung, doch Treue dein einzig Gut!


Und du, Stadt meiner Väter, mein Wien, welch Wiedersehn!

Sieh blutgetränkte Banner von deinen Zinnen wehn!

Und ach, ich selbst, statt lächelnd des Friedens Kranz zu bringen,

Muß wild um deine Thürme den prasselnden Pechkranz schlingen.


Du littest und wirst viel leiden, doch fallen wirst du nicht,

Der Leiden Kerker wölbt sich zum Freudendom' einst licht.

O daß dich Lohn bald kränzen für Kraft und Treue mag,

Und aus der Nacht dir glänzen ein langer Frühlingstag!«

Fußnoten

1 Matthias Corvin hatte 1485 Wien erobert. Hier starb er den 6. April 1490.


Quelle:
Anastasius Grün: Gesammelte Werke,Band 1–4, Band 3, Berlin 1907, S. 253-255.
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Sämtliche Werke 5: Der letzte Ritter. Spaziergänge eines Wiener Poeten. Herausgegeben von Anton Schlossar [Reprint der Originalausgabe von 1906]

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