Zwei Tage

[272] Vor Frastenz auf dem Felde, da stand ein deutsches Heer,

Im weitem Halbmondkreise, vorstreckend Speer an Speer,

Mit Schildern und mit Hochmuth die Busen kühn umballt,

Ein undurchdringlich Bollwerk, ein starrer Lanzenwald.


Ei, Schweizervolk, was steigst du von deiner Alpen Wand

Mit Aexten und mit Kolben hernieder in das Land?

»Den neuen Wald bei Frastenz, den woll'n wir niederhaun,

Um aus den Stämmen Hütten der Freiheit zu erbaun.«


Jetzt stürzt in die deutschen Lanzen der Eidgenossen Heer,

Ohnmächtig prallt's zurücke, allüb'rall Speer an Speer!

Der Schweizer knirscht die Zähne, der Deutsche spöttelnd spricht:

»Seht, wie sich des Windhunds Schnauze am Igelbalg zersticht!«
[272]

Da scholl ein Ruf urplötzlich, wie ein Auferstehungslied:

»Dank dir, verklärter Schatten, Arnold von Winkelried!1

Du winkst, ich hab's verstanden! Auf, Schweizervolk, mir nach!«

So klang die Stimme Wohllebs, der aus den Schaaren brach.


Vom Schaft reißt er sein Banner und windet's um die Brust,

Stürzt an der Ritter Speere, durchglüht von Todeslust,

Vorleuchten seine Augen, ein flammend Fackelpaar,

Voranweht statt des Banners im Wind sein weißes Haar.


Sechs Ritterspeere faßt er zusammen mit starker Hand,

Drein taucht er seinen Busen, gesprengt ist die Lanzenwand!

Einstürmt zur Bahn der Rache der Schweizer rüst'ge Schaar,

Doch Heinrich Wohlleb's Leiche dazu die Brücke war.


Da prasseln Schweizerhiebe, wie Hagel auf Saaten fährt,

Von Schildern sprühten Funken, wie von des Schmiedes Herd;

Der Schwerter Streiche sausten mit tosender Gewalt,

Wie's oft im Forst von tausend derb treffenden Aexten schallt.


Sonst wenn im Wald gehaun wird, schont man der jungen Bäume,

Daß mit der Zeit der Nachwuchs gesund und kräftig keime;

Nicht also thaten die Schweizer bei Frastenz im Lanzenwald,

Die schonten keines Stammes, gleich galt's, ob jung ob alt.


Knöring, der greise Eichbaum, sank hier durch Schwertesstreich,

Ilsing, die junge Ceder, so schön und hoffnungsreich!

Sieg! rief verröchelnd Wohlleb, Sieg! rief der Seinen Schaar

Inmitten der blut'gen Ebne, die erst ein Hochwald war.


Es deckt die weite Fläche ein Teppich von rothem Blut,

Gleichwie auf Königssärgen der Purpurmantel ruht,

Drauf lag statt welker Blumen verblichner Ritter Glanz,

Wohlleb, der greise Schweizer, als Lilie in dem Kranz.
[273]

Als Priester aber betend stand an der großen Bahr'

Mit hocherhobnen Händen der Sieger freie Schaar,

Drauf als sich All' im Illstrom vom Blute die Hände gereint,

Begruben sie mit Thränen im Feld so Freund als Feind.


Ihr saht wohl einst Schloß Dorneck, die Riesenlind' am Thor,

Im Schloß die frohen Leute, am Baum den Sängerchor;

Seht jetzt die öden Hallen, – kein Arm, der Becher schwingt!

Seht jetzt die stille Linde, – kein Sänger, der Lieder bringt!


Doch unten in dem Thale des Fürstenbergers Heer

Mit Schwertern und Hellebarden, wie Halme im Aehrenmeer!

Und drüben am Berg die Schweizer im Sichel- und Sensenglanz,

Und singend und jubelnd, als zögen die Schnitter zum Erntetanz!


Der deutsche Feldherr lächelnd dem Knappentroß gebot:

»Bringt doch den Schnittern drüben ihr Stückchen Morgenbrod!«

Ei doch, ihr stolzen Ritter, spart Müh' und Sendung euch,

Der Schweizer holt's wohl selber und bringt den Dank zugleich.


Seht, lang läßt er nicht warten und zahlt mit Erze blank,

Wohl rieft ihr jetzo gerne: O Schweizer, laß den Dank!

Zwar rauh ist das Gepräge der Münze, die er bringt,

Doch seht, wie blank sie glänzet, und hört, wie rein sie klingt!


Ha! Schwert, du bist die Münze, die für Tyrannen gilt,

Ein freies Volk der Wechsler, Zahltag das Schlachtgefild'!

Du Schweizervolk auch spartest die Münze heute nicht,

Manch deutscher Träger stürzte wohl unter des Erzes Gewicht.
[274]

Wer ist's, der dort vor Allen durchs Schlachtgedränge braust

Wie die gewalt'ge Windsbraut an stöhnende Fichten saust?

Es kämpft so kühn begeistert ein Freier nur! O nein!

Das ist der Fürstenberger, der ficht vor seinen Reihn.


Im flatternden schwarzen Mantel, mit einem Kreuze weiß

Stürmt wie ein wandelnd Sargtuch ein Mann aus der Schweizer Kreis;

Das ist von Zug der Dechant. »Gelobt sei Jesus Christ!

Willkommen, Ihro Hochwürden, willkommen zu dieser Frist!«


Sonst schwang er nur den Wedel, geweihten Wassers voll,

Daß jedes Haupt der Gläub'gen im Dom von Weihbronn quoll.

Ha, wie er's Schwert jetzt schwinget, wie's Blut dran niederlauft,

Das ist der Wedel und Weihbronn, womit die Freiheit tauft.


Dort steht ein blutender Krieger auf Leichenhügeln muthig,

Wie auf dem Fels die Eiche, vom Morgenrothe blutig!

Ein Schweizer nur kämpft also, ein Schweizer ist es nicht!

Das ist der Fürstenberger; hei, wie so gut er ficht!


Horch, wie das Horn so gräßlich des Zuger Hirten schallt!

Sturm, Sturm! ruft wilden Tones der Schiffer aus Unterwald.

Ha, Schützenvolk aus Uri, du zielest weit und gut!

Ei, Solothurner Winzer, die Traube gibt schon Blut!


Was weht da für ein Banner vor Allen hoch daher?

Im purpurrothen Felde ein grimmer schwarzer Bär!

Ja, biedres Bern, du wähltest dein Banner klug und gut,

Dein grimmer Bär, der watet jetzt tief im rothen Blut.


Dort mit gespaltnem Haupte sinkt Einer auf den Grund,

Seht, selbst im Tod schwebt Lächeln noch um des Helden Mund;

Nur Freie lächeln sterbend: ein Schweizer ist's! O nein!

Der Fürstenberg ist's, lachend in Schmerz und Todespein.
[275]

»Ihr schweizerischen Schnitter, ihr schneidet bis aufs Blut!

Ihr schweizerischen Drescher, ihr dreschet derb und gut!«

Er stöhnt's und stirbt inmitten der Leichen seiner Schaar,

Im Tod noch treu ihr Herzschild, wie er's im Leben war.


Wie Garbenbünde liegen gefällt die Ritter schon,

Ihr Führer in der Mitte als purpurrother Mohn;

Aufs öde wüste Saatfeld blickt still das Abendroth,

Die Schnitter aber schweigend verzehren ihr Vesperbrod.


Seht dort das graue Beinhaus, das ist der Freiheit Scheune,

Da häufte sie als Aehren die bleichenden Gebeine;

Wenn einst der erste Morgen des ew'gen Lenzes naht,

Ersteht in Füll' auch wieder, o Freiheit, deine Saat!


O Dorneck, schönes Dorneck, wie bist du mir so werth!

Der Sänger ist nun wieder so gern zu dir gekehrt.

Du selig Pärchen unter der schattigen Lindenwand,

O sieh noch lang so selig aufs schöne, freie Land!


Fußnoten

1 Heinrich Wohlleb aus Uri hob in der Schlacht bei Frastenz, ohnweit Feldkirch (20. April 1499), wie Winkelried am Tage von Sempach, mit seiner ungeheuren Hellebarde sechs bis acht feindliche Spieße mit gewaltiger Kraft in die Höhe und bahnte so seinen Waffengenossen den Weg, die feindliche Ordnung zu brechen. Wohllebs anderes Vorbild aus derselben Schlacht bei Sempach, der Zofinger Schultheiß Nikolaus Gutt, hatte das ihm anvertraute Banner, damit es nicht in Feindeshände falle, in Stücke gerissen und ward auf dem Schlachtfelde unter den Todten gefunden, den Stock des Banners zwischen seinen Zähnen festhaltend. Seitdem ließen seine Mitbürger die Schultheißen schwören, das Stadtbanner von Zofingen so gut zu hüten wie der Schultheiß Nikolaus Gutt. Vergl. J.v. Müller, Gesch. schweiz. Eidgenossenschaft 2. Buch.


Quelle:
Anastasius Grün: Gesammelte Werke,Band 1–4, Band 3, Berlin 1907, S. 272-276.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der letzte Ritter
Sämtliche Werke 5: Der letzte Ritter. Spaziergänge eines Wiener Poeten. Herausgegeben von Anton Schlossar [Reprint der Originalausgabe von 1906]

Buchempfehlung

Jean Paul

Flegeljahre. Eine Biographie

Flegeljahre. Eine Biographie

Ein reicher Mann aus Haßlau hat sein verklausuliertes Testament mit aberwitzigen Auflagen für die Erben versehen. Mindestens eine Träne muss dem Verstorbenen nachgeweint werden, gemeinsame Wohnung soll bezogen werden und so unterschiedliche Berufe wie der des Klavierstimmers, Gärtner und Pfarrers müssen erfolgreich ausgeübt werden, bevor die Erben an den begehrten Nachlass kommen.

386 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon