Nach dem Schützenfeste

[85] . . . . . . »Wißt ihr uns zu sagen,

Wann das Fest beginne? oder zu welchen Tagen

Wir erwartet werden?«

. . . . . . . . . . . .

»Soll ein Ding sich fügen, wer kann ihm widerstehn?«

Nibelungenlied.


Verödet ist der Festplatz längst; kein Fähnlein flaggt im Winde,

Von Ehrenpfort' und Säule sank die grüne Reisigbinde;

Er gleicht der erst so schmucken Maid am Morgen nach dem Tanze,

Mit welcken Locken, schlaffem Kleid, mit Staub auf Band und Kranze.


Verstummt ist Sang und Fidelklang, der Pulverrauch verzogen,

Die er verscheucht, der Vögel Schaar, kommt wieder angeflogen;

Das Rehlein auch lugt schon hervor am Saum der Eichen leise,

Die Krähe thront auf dem Gebälk', im Buschwerk hüpft die Meise.


Verödet ist's, doch einsam nicht; kein lustig Büchsenknallen,

Denn jetzt hanthiert der Werkmann hier und Axt und Hammer schallen;

Sie reißen ein, sie tragen ab, was einst gebaut die Andern,

Die jüngste Schützenstadt muß fort auch mit den Schützen wandern.


Ihr wucht'ger Tritt liegt aufgeprägt zerstampften Rasenfluren;

Wer das Gewirr der Stapfen löst, zu folgen ihren Spuren,

Der sieht im Strahlenkreis sie ziehn in alle deutschen Lande,

Zum Bodensee, zum Alpenjoch, zum Belt, zum Märkersande.
[86]

Wie hat noch jüngst der Redner Spruch geflammt hier und gezündet,

Der Kugelflug das rechte Ziel, die grade Bahn verkündet!

Wie hat das Männerlied im Kampf des Einklangs Preis erbeutet,

Der Becherklang mit Glockenton den Morgen eingeläutet!


Und Keiner jüngst von dannen zog, dem nicht ins Herz gesunken,

Was in der Seele haften will, ein Klang, ein Kern, ein Funken;

Er trägt es heim und pflegt noch sein an lieber Heimatstätte,

Im Sennerhaus, im Haidekrug, im Dorf, im Lärm der Städte.


Er senkt das Kernlein in den Grund; es keime, daß sich's mehre

Und einst mit kräft'gem deutschen Brod ihm Kind und Enkel nähre;

Er facht den Funken an zum Licht; sein heller Strahl vereine

Im stillsten Winterstübchen traut die deutsche Hausgemeine.


Er gibt dem Klang das rechte Wort, dran Ohr und Herz sich labe,

Auf Liedesschwingen wächst und reift zum deutschen Mann der Knabe;

»Wir waren Eins, wir bleiben Eins!« Erst singt es Einer leise,

Von Mund zu Mund dann schwillt und braust durchs Volk die stolze Weise.


O hütet jeden Halm, daß ihn kein schlimmer Wurm zerknicke,

Bewacht jed' Fünklein, daß es nie ein böser Hauch ersticke!

Einst kommt der Tag, da wird das Korn in volle Garben schießen

Und die zerstreuten Funken all' in Eine Flamme fließen. – –


Es herbstet schon; ich denke still der nimmer fernen Zeiten,

Da auf das kahle Stoppelfeld die weißen Flocken gleiten;

Die Tage werden trüber stets, die Nächte dunkler, länger,

Der wolkenschwere Himmel schmiegt ans Erdenherz sich enger.
[87]

Doch bringt die längste Winternacht die schönste Frühlingskunde,

Denn in so trüber Zeit erwacht die eine heil'ge Stunde! –

Tiefschweigend starrt auf aller Flur die eisig kalte Hülle,

In Finsterniß ruht die Natur und graunhaft eh'rner Stille.


Da plötzlich flammt ein Leuchten auf am Kirchlein dort im Thale,

Es quillt der Kerzen goldner Schein durch Fenster und Portale;

Und Glockenschall ertönt hinaus in mitternächt'ger Stunde,

Der ruft zur Mett' ins Gotteshaus die Gläub'gen in der Runde.


Da taucht's empor aus finstrer Nacht, hier, dort, wie einzle Sterne,

Ein Lichtlein da, ein Lichtlein dort, und Lichter in der Ferne;

Das glimmt vom Berg und flimmt durchs Thal, im Kirchlein sich zu einen,

Bis mit der großen Leuchte schmilzt in Eins das Licht der kleinen. –


So kommt der deutsche Christtag einst, die große Weihestunde,

Da klingt ein heilig Weihnachtlied aus aller Deutschen Munde:

Heil diesem Tag, da alles Korn in Garben aufgeschossen

Und alle Funken in Ein Licht, in Eine Glorie floßen!

Quelle:
Anastasius Grün: Gesammelte Werke, Band 1–4, Band 2, Berlin 1907, S. 85-88.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
In der Veranda
Sämtliche Werke 3: In der Veranda. Hg. von Anton Schlossar [Reprint der Originalausgabe von 1906]
In der Veranda
In Der Veranda: Eine Dichterische Nachlese (German Edition)

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Die Serapionsbrüder

Die Serapionsbrüder

Als Hoffmanns Verleger Reimer ihn 1818 zu einem dritten Erzählzyklus - nach den Fantasie- und den Nachtstücken - animiert, entscheidet sich der Autor, die Sammlung in eine Rahmenhandlung zu kleiden, die seiner Lebenswelt entlehnt ist. In den Jahren von 1814 bis 1818 traf sich E.T.A. Hoffmann regelmäßig mit literarischen Freunden, zu denen u.a. Fouqué und Chamisso gehörten, zu sogenannten Seraphinen-Abenden. Daraus entwickelt er die Serapionsbrüder, die sich gegenseitig als vermeintliche Autoren ihre Erzählungen vortragen und dabei dem serapiontischen Prinzip folgen, jede Form von Nachahmungspoetik und jeden sogenannten Realismus zu unterlassen, sondern allein das im Inneren des Künstlers geschaute Bild durch die Kunst der Poesie der Außenwelt zu zeigen. Der Zyklus enthält unter anderen diese Erzählungen: Rat Krespel, Die Fermate, Der Dichter und der Komponist, Ein Fragment aus dem Leben dreier Freunde, Der Artushof, Die Bergwerke zu Falun, Nußknacker und Mausekönig, Der Kampf der Sänger, Die Automate, Doge und Dogaresse, Meister Martin der Küfner und seine Gesellen, Das fremde Kind, Der unheimliche Gast, Das Fräulein von Scuderi, Spieler-Glück, Der Baron von B., Signor Formica

746 Seiten, 24.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon