14.

[69] Wie seid ihr schön, ihr lieben, grünen Ranken,

Die jener Zelle Fensterlein umschwanken,

Ihr steigt empor wie Stufen luft'ger Stiegen,

Drauf grüne Teppiche gebreitet liegen!


Wie lieb' ich euch, ihr Ranken, schön und heiter,

Ihr grünen Sprossen einer Frühlingsleiter!

An euch empor ziehn kletternd meine Träume,

Neugierig blickend in des Innern Räume.


Den letzten Mönch seh' drin auf Knie'n ich liegen,

Die andern All' sind längst zur Gruft gestiegen,

Den andern Allen drückt' er zu das Auge,

Und Keiner blieb, der sein's zu schließen tauge.


Da fließt ums greise Haupt in ernster Mahnung

Wie leiser Flügelschlag ihm Todesahnung,

Als fühlt' er säuselnd drauf im Windeswallen

Sanft einen Kranz von dürrem Herbstlaub fallen.


Er rafft sich auf; mit dumpfem Nachhall gleiten

Des Mönchs Sandalen durch der Gänge Weiten,

Ihm dünkt es, wie er hört die Doppeltritte,

Als ob mit ihm der Geist des Hauses schritte!


Den Dom entlang bis zu des Chores Bogen!

Da greift er mächtig in der Orgel Wogen

Und läßt aus voller Brust laut durch die Hallen

Sein: »Großer Gott, wir loben dich!« erschallen.
[70]

Und wie die Tön' im leeren Dom mit Dröhnen

Ringsum, gewalt'gen Brausens, widertönen,

Ist's, als ob Antwort ihm aus Grüften klänge,

Und mit der Chor der todten Brüder sänge.


Jetzt ist es still, und Lied und Klang zerstoben!

Des Mönches offnes Aug' starrt kalt nach oben,

Als spräch's: Seht hier den letzten Mönch, ihr Frommen!

Denn mich zu schließen will kein Bruder kommen!


Und eine Weile drauf mit leisem Flimmern

Erlosch im Dom der ew'gen Lampe Schimmern;

Doch mir schien's, da ihr letztes Flackern bebte,

Als ob des Domes Seele still entschwebte.


Und eine Weile drauf, da stürzen fallend

Die Engelchöre, jenes Kreuz umwallend,

Wie wenn ein Baum am Grabe, sturmgerüttelt,

Drauf seine weißen Blüthenflocken schüttelt.


Und eine Weile drauf, den Dom erschütternd,

Stürzt selbst der Baum, im Fall zu Moder splitternd!

Ihm nach Gewölbe, Kuppeln, Säulen rollen,

Wie Särgen eine Schaufel Erdenschollen!


Und eine Weile drauf wallt diesen Steinen

Die Zeit vorbei, wie morschen Todtenbeinen;

Streut fromm darüber eine Handvoll Erde,

Daß ihnen christliche Bestattung werde.


Und eine Weile drauf, der Erd' entsprießend,

Wehn grüne Saaten drüber, lichtbegrüßend,

Stehn volle Rosen drauf, so duft'ge, helle!

Das ist wohl eine schöne Grabesstelle.
[71]

Und durch die Saatengänge, Rosenhallen

Seh' einen Dichter ferner Tag' ich wallen,

Sein Lied, auf lust'gen Saaten leis geschaukelt,

Sein Lied, von frischen Rosen hell umgaukelt!


Sie aber wollen ihm nicht anvertrauen,

Was ihnen in der Tiefe ward zu schauen,

Wie einst in meinem Herzen schon sie keimten

Und drin den Traum der Auferstehung träumten!


Nur eine Lerche sonn'gen Aethers trunken,

Als Geist der Glocke, die dort tief versunken,

In Thurmeshöhe schwebend über ihnen,

Läßt tönen ihre schönen Matutinen.


So hielt mein Herz des letzten Mönchs Begängniß,

Schon bricht herein mit Grausen das Verhängniß,

Die Kuppeln bersten, und die Pfeiler wanken! –

Wie schad' um meine lieben, schönen Ranken!

Quelle:
Anastasius Grün: Gesammelte Werke,Band 1–4, Band 3, Berlin 1907, S. 69-72.
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