Dritte Nacht

[372] Fortwährende Schlacht mit abwechselndem Glück. Doch füllen sich die vom Feind gemachten Lücken der deutschen Heerhaufen immer mit netten Ankömmlingen, während die Legionen, ohne Hülfe von außen, mehr und mehr zusammenschmelzen.


VARUS sprengt ins Gemetzel. Unser Leben wird hier feil, verkaufen wir es teurer an den Feind als es wert ist, tausend seiner unzähligen Köpfe für jeden der unsrigen!

EIN LEGAT. Mäßige dich, Prokonsul! So schrecklich wild warst du nie!

VARUS. Was? Hab ich mich seit dem Tage, wo wir von dem Harz zurückzogen, nicht genug gemäßigt, trotz des Unwetters, des Verrates, des Empörers, und des Unheils, welches er uns gestiftet hat. Du, weiser Ratgeber, würdest bei einem Nadelstich aufschreien, aber diese Dinge stoßen etwas tiefer in die Brust als Nadeln. – O! vergelt ichs ihnen, wie ich kann! – Wer mich lieb hat, kommt zu mir und haut mit mir ein! Wütendes Nachtgefecht.

HERMANN. Haltet sie ganz ruhig in dieser Bergklemme fest und laßt sie nicht entwischen!

VARUS. Auf die Stimme zu! Sie ist die des niederträchtigen Rädelsführers! Schießt zuvörderst all eure Pfeile nach der Gegend, woher sie kam. Wären die Fabeln von den Göttern, ihrer Gerechtigkeit und ihrer Macht wahr, so würden die Parzen einen Pfeil mitten durchs Dunkel auf sein schuldiges Haupt leiten.

HERMANN aufschreiend. Alle Hölle, was ist das? Meine Stirn!

VARUS. Trafs den glatten heuchlerischen Schandfleck?

DEUTSCHE mit Fackeln um Hermann. Herr, wie du blutest! Dein Antlitz ist rot überströmt.

HERMANN hat sich gefaßt, und sich selbst verbunden. Macht die Fackeln aus, oder wollt ihr den Römern zu einem zweiten Schuß leuchten?


[372] Sie löschen die Fackeln. Er springt vom Pferde.


Nun laßt sie schießen. Es wird über meinen Kopf weggehen. – Beruhigt euch, der Streifschuß ist nicht gefährlich. Wunden gehören zur Schlacht. Man muß darauf gefaßt sein.

VARUS. Faßt frischen Mut, Soldaten, der Verräter ist tot!

HERMANN. Wenn ich es bin, den er so schilt, so zweifl' ich, Kameraden. Der Morgen graut. Bei dessen Licht und dem des heutigen Tages wollen wir ihm beweisen, daß ich lebe, und daß er verdirbt.

VARUS für sich, überlegend. Es geht nicht anders. Ich muß über das Windfeld ins Freie. Hermann, der bald fechtend, bald lauernd, darauf sich lehnt, ist mein gefährlichster Gegner und er muß zuerst vernichtet oder weggetrieben werden. Denn, rück ich vorwärts auf die Chatten, so stürzt er mir rechts in die Flanke und zerreißt uns die Rippen, wende ich mich links auf seine Bundsgenossen, so stürmt er mir nach, vereint sich mit Ingomar, und faßt uns von hinten. Wie aber befeur ich meine müden Krieger zu dem neuen Sturm? Ei was, ich tue gleichgültig, als müßt es so sein. Es sind Legionare und sie kennen auch im Unglück Ordnung und Befehl.


Zu einem Kriegstribun.


Gebiete der Zwanzigsten, daß sie durch jenes Gestrüpp und Holz den Hermann umgeht, und von oben her seinen Leuten in die wüsten Haare fällt, indes ich mit aller Macht ihn hier hinauf und der Legion unter die Schwerter treibe. – – Er hat mich grad auf dieselbe Weise auch umstrickt, und ich merke, man lernt von niemand besser als vom Feinde. Er bringts einem ernstlicher und nachdrücklicher bei als ein Orbilius oder sonst ein Schulmeister.

DER KRIEGSTRIBUN. Aber Hermanns Bundsgenossen werden uns von allen Ecken folgen und beunruhigen.

VARUS. Das lose Gesindel ist ein Beutel ohne Knopf, sobald wir Ihn davon trennen.

DER KRIEGSTRIBUN. Ich gehorche.

VARUS. Halt' einen Augenblick. Warum zittert deine Stimme?

DER KRIEGSTRIBUN. Feldherr, unter dem ich schon in Syrien und Parthien zwanzig Jahre diente, sehen wir uns wieder? Oder nimmer?

VARUS. Frage die Götter, welche uns in diesen Tagen so trefflich[373] beschützen. Vielleicht lassen sie uns heut abend von allen Lebensmühen ausruhn.

DER KRIEGSTRIBUN. Wie –?

VARUS. Geh.


Der Kriegstribun ab.


Legionen, ewige Schande wälzt ihr über eure früher so glorreichen Namen, wenn ihr jetzt nicht eure Fehler von gestern und vorgestern durch neuen, ungedämpfteren Mut verbessert. Bedenkt: es sind nur feige, betrügerische Barbaren, mit denen wir streiten, nur vierhundert Schritt Höhe sinds bis zu jenem Blachfeld, unser Weg dahinter ist weite, freie Ebene. Tirilili! Trallera! Ihr Tubabläser und Cymbelschläger, Kriegsmusik, fröhliche!

EIN SOLDAT. Wie lustig der Feldherr wird!

VARUS hat die Bemerkung gehört, für sich. Was lernt man nicht im Unglück? Gar Heiterkeit und Possenreißerei!

HERMANN auf dem Wind- oder wie er es benannt hat, Winfeld. Links schallt es in den Eichen und Buchen wie von heraufsteigenden Tritten und wie aneinander klirrende Panzer. Die Narren wollen uns mit der zwanzigsten Legion umgehen, und kennen unser an das leiseste Waldesrauschen gewöhntes Ohr nicht Zu einer Abteilung seines Heers. Wirf sie hinunter! Ingomar empfängt sie auf den Spießen!


Die zwanzigste Legion wird zurückgetrieben, und unten durch Ingomar und seine Truppen vernichtet.


INGOMAR einen römischen Adler in der Hand, ersteigt die Bergfläche. Ich wollte dir nur meine angebliche Schuld bezahlen, welche du mir vorgestern wegen meiner unregelmäßigen Angriffe vorwarfst. Hier ist die Summe in Gold, ein Adler mit der Inschrift: legio XX, als welche Legion nun nicht so mehr ist.

HERMANN. Oheim! Wie soll ich dir danken?

INGOMAR. Mit einem offnen Zweikampf nach dem Kriege wegen der bewußten Beleidigung.

HERMANN. So geh fürerst wieder zu deinem Volk, vereinige dich mit allen Bundsgenossen da drüben und reißt den Römern, welche hier gegen mich heraufsteigen, soviel ihr könnt überall hinten an den eisernen Kragen! –


Ingomar ab.


VARUS. Achtzehnte, Neunzehnte! Was Tod, was Leben? Firlefanzerei, von Philosophen als wichtig ausgeschrieen. Es ist[374] alles eins, nur meine Ehre nicht: folgt mir! Für sich. – Die Zwanzigste ist hin! –

HERMANN. Deutsche Reiterei, beweise den Römern, daß du das Lob verdienst, welches sie dir früher gaben. Schärfs ihnen ein mit Todeshieben. Fußvolk folg ihr und ahme sie nach.

VARUS. Die Lanzen vor! Laßt sie daran abblitzen. – Wer stürzt denn links und rechts wie toll?

EIN QUÄSTOR. Der Rest deines Heers.

DER SCHREIBER. Prokonsul, wolltest du nun diese Akte unterzeichnen – verzeihe – aber ganz unmaßgeblich ist es jetzt die höchste Zeit.

VARUS sehr ruhig. Lieber Freund, warte bis morgen. Dann will ichs tun, wenn ich kann. Für sich. Ich tat was ich konnte, ich bin besser als der Ruf, den mir die Nachwelt geben wird. Ich ward betrogen, – geschieht das nicht dem Besten oft am ersten?

HERMANN wieder zu Pferde. Ergib dich! Du sollst gut behandelt werden.

VARUS. Danke! Ich behandle mich lieber selbst.


Er stürzt sich in sein Schwert und stirbt.


HERMANN. Noch im Tod ein Phrasenmacher. Lassen wir ihn liegen für unsre Geier und Raben.


Ingomar, die Harzer, Ravensberger, Chatten und a.m. ersteigen das Winfeld.


Gebt mir die Hände! – Sie sind tot, die Unterdrücker; unsre Freiheit aber erhebt sich riesengroß über diese Berge und schaut freudetrunknen Blicks weithin auf künftige Zeiten und Enkel! Nie wird man uns und diesen Tag vergessen, so lang noch was von deutscher Sprache klingt.


Dietrich, Rammshagel und Erneste Klopp bringen den römischen Schreiber herauf.


DER SCHREIBER. Ich begehre Recht und Untersuchung!

DIETRICH UND RAMMSHAGEL. Dein Recht war Unrecht.

ERNESTE KLOPP schlägt ihm in den Nacken. Das wars!

DER SCHREIBER. Die wilde Katze muß mir immer im Heerlager nachgeschlichen sein.

DIE KLOPP. Das konntest du dir denken seit deinem schändlichen Richterspruch! Nageln wir den krummnasigen Bengel bei seinen Ohren an eine Eiche, und reißt ihm die Zunge aus, damit er nicht mehr krächzen kann!


[375] Es geschieht, und andre römische Schreiber und Advokaten werden von den übrigen Deutschen ebenso behandelt.


DAS VOLK. Nun, Nattern, zischt! – Hihi, sie können nicht mehr.

HERMANN sieht sich um. Ihr habt genug für eure Rachlust. Seid klug, nehmt die noch lebenden Gefangenen zu euren Leibeignen und statt sie ohne Nutzen zu quälen und zu töten, laßt durch sie eure verwüsteten Felder bearbeiten. – Und ihr Fürsten, Herzöge, und Völker, was meint ihr, wenn wir nun vorwärts gingen, die römischen Festungen am Rhein eroberten, und zuletzt in Rom selbst den Welttyrannen Gleiches mit Gleichem vergölten?

VIELE IM VOLK. Was geht uns Rom an. Wir haben seine Soldaten und Schreiber jetzt vom Halse. Wir können nun ruhig nach Hause gehen und da bleiben.

EIN HERZOG für sich. Ich müßt ein Narr sein, unter seinem Befehl einen weiteren Feldzug mitzumachen. Er reckt den Kopf doch schon zu hoch, und würde wohl uns alle nach der Eroberung Roms als Unterbediente behandeln.

MANCHE DER ÜBRIGEN GROSSEN. Die Unternehmung ist zu weit aussehend. – Nicht?

DER REST DER GROSSEN. Ja.

HERMANN. Gut. Ihr wollt euch lieber angreifen lassen, als angreifen. Rom wird mit erneueten Kräften wiederkommen, und ob es siegt, oder nicht, unser Boden bleibt die wüste Schlachtbank, welche wir wo anders hin verlegen könnten.

EIN BOTE kommt. Die Fürstin Thusnelda schickt mich: sie wünscht euch allen Glück zu eurem Sieg.

HERMANN. Sie wollte selbst hieher auf das Siegsfeld kommen.

BOTE. Sie sprach von dergleichen, murmelte aber: sie hätte einmal, wo es nötig gewesen, in der Schlacht Parade machen helfen, möcht's jetzt, wo es ohnehin gut gegangen wäre, nicht wieder tun, und sie erinnerte sich überhaupt eines solchen Versprechens nicht.

HERMANN. Weibergedächtnis!

BOTE. Sie lädt euch alle ein, bei ihr zu speisen und zu trinken. Auch ist schon für Hohe und Niedrige alles besorgt.

HERMANN. Da Varus und seine Römer tot sind, und ihr nicht Lust habt, den Sieg weiter zu verfolgen, so lad ich euch zum Schmaus in meinen Hünenringen ein.

ALLE. Es wird uns eine Ehre sein![376]

HERMANN beiseit. – Ach! – Wüßte das Palatium, daß diese sonst so tapfren Leute nur ein paar Meilen weit sehen, und lieber in der Nähe äßen und tränken, als es zu zertrümmern, so würd es bei der Nachricht meines Siegs nicht so erbeben, als es mit seinem zähneklappernden Herrn und Gestein tun wird.
[377]


Quelle:
Christian Dietrich Grabbe: Werke und Briefe. Band 3, Emsdetten 1960–1970, S. 372-378.
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