Erste Szene

[49] Eine Halle im königlichen Schlosse zu Upsala. – Es ist noch früher Morgen.

Der Kanzler Friedrich von Gothland und der Graf von Arboga begegnen einander.


ARBOGA.

Herr Kanzler!

KANZLER.

Was soll ich?

ARBOGA.

Bin ich im Ernst

Verurteilt tausend Goldstück Strafe zu

Erlegen?

KANZLER.

Ja, im vollsten Ernste. Freut Euch,

Daß Ihr auch diesmal gut davongekommen!

ARBOGA.

Ei! gut davongekommen!

KANZLER.

Gnade ist für Recht

Ergangen! dankt es Euren milden Richtern!

ARBOGA.

Mein Dank soll sein wie ihr Geschenk!

KANZLER.

Sacht, Herr, sacht!

Tobt nicht zu laut; erweckt nicht das

Gedächtnis Eurer Taten!

ARBOGA.

Was wüßtet Ihr von meinen Taten?

KANZLER.

Neun Jahre sind es nun, daß der Graf Sture

Erschlagen ward im Föhrenwalde bei

Stockholm!

ARBOGA mit grinsendem Lächeln.

Ja, dort biß er ins Gras! – – Was soll

Der mir?

KANZLER.

Fluch seinem Mörder!

ARBOGA.

Kennt Ihr den?

KANZLER faßt ihn bei der Schulter.

Ja, Graf, wir kennen ihn!


Da Arboga ruhig stehen bleibt.
[49]

O deine Seele

Ist dumpf und dein Gewissen ist an Blut

Gewöhnt! – Zahl' ohne Murren deine Strafe,

Und freu dich, daß des Königs Gnade dir

Die Regimenter ließ!

ARBOGA.

Des Königs Gnade!

Des Königs Not! – Da sich der Herzog Gothland,

Eur Bruder nicht zu rühren scheint, so bin ich

Der Einzge, der die Finnen hemmen kann;

Das zwang Euch, mir den Feldherrnstab zu lassen;

Drum neckt mich nicht, sonst möcht ich ihn Euch vor

Die Füße werfen, und ich fürchte, daß

Sich niemand finden würde, der ihn aufnähm!

Bedenkt das!


Er geht ab.

Der Kanzler bleibt nachsinnend im Vordergrunde stehn; der Herzog Gothland tritt im Hintergrunde auf.


GOTHLAND.

Bruder!

DER KANZLER aufblickend.

Theodor! Sei mir

Willkommen!

GOTHLAND des Kanzlers Umarmung abwehrend; halblaut.

Schwerlich bin ich das. – – Warum

Erschrakest du, als du mich sahst? Scheu ist

Die Sünde!

KANZLER.

O es war der Freude Schrecken! –

Dich hatt ich nicht erwartet! – Sieh, noch ists

Nicht Tag; woher kommst du so früh?

GOTHLAND.

Ich komme – – – Still davon! – – Gedenkst du auch

Noch oft der feierlichen Stunde, als wir

Drei Brüder, Manfred, du und ich, auf

Der Morawiese, unter Denkmälern

Der Urzeit stehend, hochbegeistert,

Im Angesichte der gestirnten Nacht,

Uns Freundschaft schwuren für die Ewigkeit?

Wir streckten betend unsre Hände zu

Dem großen Vater aller Liebe aus,

Ihm dankend, daß er uns zu Brüdern schuf!


Er hält ihn fixiert.


KANZLER.

Es war 'ne schöne Stunde!

GOTHLAND.

'Ne schöne Stunde!

'Ne schöne Hure! Mehr war es[50]

Dir nicht? Also 'ne schöne Stunde nur?

Ha, wo ist Manfred?

KANZLER.

O frage nicht!

Er ist dahin!

GOTHLAND.

O Friedrich, Friedrich, wo

Ist Manfred, unser Bruder?

KANZLER.

Tröste dich;

Er harrt auf uns im beßren Lande.

GOTHLAND.

Sahst du

Ihn sterben?

KANZLER.

Leider sah ichs!

GOTHLAND.

Und du lebst?

KANZLER.

Im Trau'rgewande!

GOTHLAND.

Manfred hatte Geld;

Wo ist sein Geld geblieben?

KANZLER.

Geld?

GOTHLAND.

Wo blieb

Sein Geld?

KANZLER.

Ich weiß von keinem Gelde.

GOTHLAND.

Was

Geschieht mit seinen Schlössern? seinen Gütern?

KANZLER.

Vorläufig habe ich sie in Besitz

Genommen.

GOTHLAND.

Ei, da hast du sehr geeilt;

Du scheinst nach ihnen große Gier

Zu haben!

KANZLER.

Bruder!

GOTHLAND.

O verzeihe; – gib

Mir deine Hand!


Des Kanzlers Hand betrachtend.


Daß manche Wölfe

Doch so zarte Klauen haben!

KANZLER.

Ich versteh

Dich nicht!

GOTHLAND.

Ich frage dich, wo Manfred blieb;

Gib ihn mir wieder!

KANZLER.

Kann ich

Die Toten auferwecken?

GOTHLAND.

Nein! –

Das solltet ihr bedenken, wenn

Ihr mordet![51]

KANZLER.

Mordet?

GOTHLAND.

Fürchte mich,

Denn ich bin Manfreds Bruder!

KANZLER.

Und ich auch!

– – Ich habe stets gewähnt,

Der große Gothland, der die Völker all

Besiegte, könne auch sich selbst,

Das eigne Herz besiegen!

GOTHLAND.

Freilich, du hast

Das dein'ge bald besiegt! –

– – Wehrt' er sich lange?

KANZLER.

Wer?

GOTHLAND.

Ich hätt es wenigstens schnell abgemacht;

Doch langsam töten alle Katzen!

KANZLER.

Jetzt will ich wissen, was du meinst!

Wird endlich die Erklärung dir belieben?

GOTHLAND.

Fragst

Du mich? Du magst

Die Wände deiner Burg zu Northal fragen,

Wo du mit Manfreds Blute angeschrieben,

Daß Bruder durch den Bruder ward erschlagen!

KANZLER hochentrüstet.

Ein Bösewicht hat das gesagt,

Ein Bösewicht hats ihm geglaubt!

GOTHLAND.

Die Schmähungen verzeih ich;


Mit abgewandtem Gesicht.


nur rat ich dir,

Flieh fort, eh sich die Morgenwolken röten;

Besteig dein Roß – Mir grauet, dich zu töten!

KANZLER.

Mich töten?

GOTHLAND.

Flieh!

KANZLER.

Vor 'nem Verrückten?

GOTHLAND.

Flieh!

KANZLER.

Weshalb?

GOTHLAND.

Weil ich dich drum beschwöre!

– – Du weilst? –

Wohlan denn, hör mich, Schweden, höre!

Auf, Schwedenkönig, komm mit deinen Grafen!


Der König Olaf, Holm, Arboga, Skiold und andere treten auf.


KÖNIG.

Was gibts?

GOTHLAND.

Es gilt die schwärzste Untat

zu bestrafen![52]

KÖNIG.

Ihr, Gothland, seids? Willkommner ist mir

Niemand. Nehmt ein den Platz, der Euch gebührt,

Dem ersten Feldherrn meines Reiches.

GOTHLAND.

Nicht

Als Feldherr, – als ein Kläger steh ich jetzt

Vor dir. Der Kön'ge höchste Ehre

Ist die Gerechtigkeit; Gerechtigkeit

Ists, die ich von dir fodre!

KÖNIG.

Fodre sie.

GOTHLAND.

Im Namen Manfreds, des Ermordeten –

ALLE.

Ermordeten?

GOTHLAND.

Entsetzt euch nicht zu früh,

Denn das Entsetzliche ist noch zurück!


Auf den Kanzler deutend.


Der da, mein Bruder und der seinige,

Doch in der Tat

Ein Eingeweidewurm im Herzen der Natur,

Hat ihn um Mitternacht,

In Gier nach Ländern, Geld und Gütern

Auf seiner Burg zu Northal mit der Axt

Erschlagen!

KÖNIG.

Was? der Kanzler?

Er hätte –!

GOTHLAND.

Ich klag – – – Ich klag

Ihn an auf Brudermord!

KANZLER.

Er ist toll

Geworden! Sperrt ihn ein, damit er keinen

Beißt!

GOTHLAND.

Hört ihr seine kecke Zunge?

Erkennt ihr nicht die Frechheit des Verbrechers?

– Gebt mir Gericht!

KÖNIG nach kurzem Nachdenken.

Das weigre ich fürerst.

GOTHLAND.

Du weigerst es? Du weigerst mir, was man

Dem Bettler nicht versagt? Denk, Herrscher, denk

An deine Pflicht! Ihr Könige seid die

Gewaffneten Erklärer der Gesetze, –

Ihr habt das Schwert, um sie mit ihm zu schützen, –

Mißbraucht es nicht, um die Bedürftigen

Von ihnen abzuwehren!

SKIOLD.

O mein Sohn!

Gedenke deines Weibes, meiner Tochter;[53]

Du stürzest sie und dich in das Verderben!

GOTHLAND zu Skiold.

Gerechtigkeit, stürzt auch der Weltbau ein!

– Gebt mir Gericht!

KÖNIG.

Ich weigere dein Unglück!

GOTHLAND.

Unselges Schwedenland! sein König hat

Mit Brudermördern sich verbunden

Und schweigend stehen seine Großen da

Und dulden es!

HOLM zum Könige.

Herr, diesen Vorwurf

Kann ich nicht tragen, drum gewährt ihm sein

Begehr.

KÖNIG zum Kanzler.

Ihr schweigt?

KANZLER düster.

Ich fürchte kein Gericht.

Gebt ihm, was er verlangt.

KÖNIG zu Gothland.

Ihr wollt es noch?

GOTHLAND.

Ich kann nicht anders! ja!

KÖNIG.

So habt es denn!

– Doch nochmals warn ich Euch;

Denn ungeheur ist Eur Beginnen

Und meistens ist das Ungeheure

Zugleich auch sündlich!

GOTHLAND.

Nur nicht hier!

Er hat den Bruder mir erschlagen,

Damit hat er auf Bruderrecht verzichtet!

Wie ich jetzt handle, werde ich gerichtet!

KÖNIG.

Es ehrt der Mensch des Blutes heilge Bande!

GOTHLAND.

Die Freveltat zerreißt ein jedes Band!

KÖNIG.

Ihr stürmet aus dem Gleise der Natur!

GOTHLAND.

Dein Kanzler ging vorauf, ich folg ihm nur!

KÖNIG.

Genug!


Zu den schwedischen Großen.


Seid Richter! Schwört gerecht zu richten,

So weit es schwache Sterbliche vermögen!

Ich schwöre es bei meiner Königspflicht!

HOLM, ARBOGA, SKIOLD UND ANDERE.

Wir

schwören es!

KÖNIG.

Beginne, Kläger.

GOTHLAND.

Ihr kennt doch des Orestes traurig Los?

Es ist das meine! –

Laßt mich

Mein unglückseliges Geschäft so schnell[54]

Vollenden, als mir möglich ist; ich will

Die vielen Anzeigen verschweigen,

Die nach und nach in mir Verdacht erregten

Und gleich zu der Entscheidung eilen. –

– Der Kanzler war mit einem einzgen Knechte,

Mit Rolfen nur bei Manfreds Tod zugegen –

KÖNIG.

Ists so?

KANZLER.

Ja.

GOTHLAND.

Manfred muß also von ihnen

Ermordet sein, wenn er wirklich ermordet ist,

Und daß ers ist, hab ich gesehn.

Denn hört: als ich – –

KÖNIG.

Was zauderst du?

GOTHLAND.

O könnt ich hier doch ewig zaudern!

KÖNIG.

Jetzo kommt das zu spät; fahr fort!

GOTHLAND.

An den beeisten Nordpol stellt

Mich hin, wo nichts mehr grünet, nichts mehr lebt,

Wo Meer und Menschenherzen, welche sonst

Sich stets bewegen, aufgehört zu schlagen;

Dort, wo Erdteile von Eisfeldern

Jetzt allgewaltig ineinander wachsen,

Als wollten sie auf Ewigkeiten sich

Vereinen, und im nächsten Augenblicke

Sieh wieder voneinander donnernd trennen

Und wechselseitig sieh zermalmen, ganz

Wie Menschenherzen, dort nur möcht es sein, wo

Ich für die grause Mär, die ich erzählen

Soll, Glauben fände bei des Eismeers Schrecken!


Gegen die Tür gewendet.


Erik!


Erik tritt ein.


GOTHLAND zum Könige.

Gewiegt von Zweifeln zwischen Höll und Himmel

Mach ich mich gestern abends auf

Und reite bei Kometenschein nach Northal,

Um selber Manfreds Leichnam anzuschaun.

Mich griff Entsetzen, als ich ihn erblickte!

Vom Mörderbeil sah ich sein Haupt zerschmettert!

Mein Zweifel schwand, der Brudermord ward mir

Gewiß, mein Glaube an das Heiligste

Verließ mich – und der Neger weinte![55]

HOLM.

Was für ein Neger?

GOTHLAND.

Der Berdoa.

HOLM.

Du bist betrogen; dieser Neger schwur

In meiner Gegenwart, dich zu verderben!

GOTHLAND.

Ich weiß! – Doch bin ich jetzt mit ihm versöhnt;

Er ist ein edler Mann. – – Hört weiter!

Im Dom zu Northal ward ein Kerl ertappt,

Verdächtig durch sein scheu Betragen.

Rolf wars, derselbe Diener, der

Bei Manfreds Tod mit gegenwärtig war.

Nachdem er kurze Zeit gezaudert, hob er

Die Felsen von dem Abgrund seines Herzens,

Und so wie aus der Hölle ihre Geister,

So stiegen furchtbare Geschichten daraus auf;

Da hörte ich,


Auf den Kanzler deutend.


daß dieser Schreckliche

'Ne ganze Nacht hindurch zum Brudermord

Die Axt gewetzt, daß er

– Ihr starrt euch an – Entscheidet


Leise Donner eines nahenden Gewitters.


KÖNIG zum Kanzler.

Ihr schweiget noch?

KANZLER.

Was soll ich sprechen? – Alles,

Von meinem Bruder bis zu meinem Knechte, selbst

Der Zufall ist verbündet wider mich,

Und die Beweise, welche mich verdammen, sind

So schlau und wunderbar gestellt, daß ich

Sie schwerlich werde widerlegen können –

Ich kann nur schwören, daß ich schuldlos bin!


Lautere Donner.


GOTHLAND.

Hört, hört! sogar der Donner straft ihn Lügen!

KANZLER.

Wer lehrte dich des Donners Laut erklären?

KÖNIG zu den Großen.

Was meint ihr von des Herzogs Klage?

HOLM.

Man muß die Leichenfrau vernehmen,

Von welcher Manfred in den Sarg gelegt ist;

Sie nur kann sicher wissen, ob er auch

Schon damals so verstümmelt war,

Wie ihn der Herzog jetzt gefunden hat.

Den andren, welche außer ihr ihn vor[56]

Der Grablegung gesehen haben, hätte man

Es leicht verbergen können.

KANZLER.

O ich erkenne immer deutlicher,

Daß mich ein wütendes Geschick verfolgt!

Die Leichenfrau – die einzige, die mich

Von der abscheulichen Beschuldigung

Erretten könnte – sie ist

Vergangne Nacht erdrosselt worden; vor

Zwei Stunden meldete es mir ein Bote!

GOTHLAND, HOLM UND SKIOLD.

Sie ist erdrosselt worden?

KÖNIG.

Ha! durch wen?

KANZLER.

Man kennt

Die Täter nicht!

KÖNIG.

O Kanzler! Kanzler! wenn

Ich glauben müßte –

KANZLER.

Glaubt, daß ich aus Furcht

Sie möchte mich verraten, sie

Erwürgen ließ! Zwar ist es das Unwahrste,

Allein es ist das Schlimmste, und das Schlimmste

Ist immer das Wahrscheinlichste! –

KÖNIG nach einer kurzen Pause, schnell zum Herzog.

Wo ist

Der Diener Rolf?

GOTHLAND.

Ja, der wird auch wohl tot

Sein!

KÖNIG.

Wie?

GOTHLAND.

Er hatte mich durch seine furchtbare

Erzählung auf das Äußerste gebracht;

Ich fühlte durch mein eignes Haupt

Des Beiles Schneide zucken –

Die Sanftmut selber hätte sich

Nicht länger zähmen können –

Ich schleuderte ihn in das Grab-

Gewölbe!

KÖNIG.

Dennoch war das eigenmächtig

Gehandelt!

GOTHLAND.

Eigenmächtig nicht!

Rolf war Leibeigner unsres Hauses,

Und ihn zu richten hatte ich das Recht!

KÖNIG.

Habt

Ihr andre Zeugen?[57]

GOTHLAND.

Ja; hier ist mein Burgvogt Erik;

Er war mit mir im Dome

Und kann beschwören, was ich sprach.

KÖNIG.

Dein Burgvogt kann für dich nicht zeugen.

GOTHLAND.

So zeuge denn mein Feind für mich! – Berdoa!


Berdoa tritt herein.


ALLE außer Arboga und dem Kanzler.

Der Mohr? Ergreift ihn!

GOTHLAND.

Als mein Zeuge, nicht

Als Oberhaupt der Finnen steht er hier.

Ich habe für sein Leben ihm gebürgt,

Mit meinem Leben werd ich ihn beschützen.

– Zeug mir!

BERDOA.

Ich kann bezeugen –

KÖNIG.

Was? Daß du

Ein Bube bist? Das weiß ich ohnedem!


Zum Herzoge.


Ho,

Ihr macht mit Euren Zeugen Eure Sache

Schlecht!

GOTHLAND.

Meine Zeugen gelten nicht? – Sei's denn!

Auch ohne sie bleibt meine Klage deutlich;

Entscheidet nur!

KÖNIG.

Sagt euer Urteil, Grafen!

HOLM.

Der Kanzler hat nichts leugnen können – schuldig scheint

Er mir zu sein.

ARBOGA.

Ich halte ihn für schuldig.

DIE ÜBRIGEN SCHWEDISCHEN GROßEN außer Skiold.

Er

Ist schuldig!

KÖNIG.

Schuldig? – Denkt Ihr ebenso,

Skiold?

SKIOLD.

O laßt mich lieber schweigen!

KÖNIG.

Ihr alle sprecht ihn schuldig;

Ich aber sprech ihn frei!

GOTHLAND.

Weswegen?

KÖNIG.

Weil

Der Mohr dein Zeuge ist!


Zeichen des Unwillens unter den Großen.


Was[58]

Begehret ihr, Vasallen?

GOTHLAND.

Also hier

Zu Land ist Brudermord erlaubt? Wohlan,

Ich nutze die Erlaubnis!


Er eilt auf seinen Bruder zu.


KÖNIG.

Fallt ihm in den Arm!


Man fällt dem Herzog in den Arm und hält ihn auf, aber.


DER KANZLER stürzt vor ihn hin und ruft.

Nein, laßt ihn, laßt ihn mich erwürgen! Hier

Ist meine nackte Brust! Durchbohr sie! reiß

Sie auf! saug ihre Wunden! Bruderblut

Ist Nektartrank! Schlürf es! Hier strömt es dir!

Mit Freuden geb ichs, wenn es dich

Beglückt! Berausche dich darin,

Bis daß du dich davon erbrichst!


Der Herzog tritt schaudernd zurück.


Weich nicht zurück; erschlag den Bruder, – wehrlos

Steht er da! töte ihn, du großer Held,

Vollende jetzt die größte deiner Taten:

Zerfleisch dies Herz, das seit der Kindheit Tagen,

So lang es fühlen kann, für dich geschlagen!

KÖNIG.

Mäßigt Euch!

KANZLER zum Könige.

Könnet Ihr die Qual erfassen,

Wenn die uns, die wir lieben, tödlich hassen?

GOTHLAND zu Berdoa.

Mohr! Mohr! er weinet! mich erschüttert Grausen!

BERDOA raunt ihm zu.

Sind Krokodilestränen!

GOTHLAND fährt empor.

Wie hieß das?

BERDOA.

Er weint nicht! macht sich bloß das Auge naß!

GOTHLAND.

Du meinst, wer mordet, heuchelt auch?

BERDOA.

Das meine ich!

GOTHLAND wendet sich wieder zu den Umstehenden und zeigt auf den Kanzler.

Seht diese Memme an!

Sie tötet andre, wenn sie schlafen,

Doch soll sie selbst nun sterben,

Dann greint sie wie 'ne Metze um ihr Leben!

KANZLER.

Das wird zuviel! ich kanns nicht länger dulden!


Er greift an das Schwert.
[59]

GOTHLAND ihn starr betrachtend.

Die Larve fällt, sein Herz wird sein Gesicht!

SKIOLD.

Hemmt sie! die Schwerter stürzen aus den Scheiden!


Donner und Blitz; das Gewitter kommt näher.


KANZLER.

Wildzürnend klopft mein Busen dir entgegen!

GOTHLAND.

Nach einem Aderlaß wird das sich legen!


Sie dringen aufeinander ein.


KÖNIG.

Arboga! jetzt seid Ihr der rechte Mann!

Haut beide nieder! das ist besser,

Als wenn der eine durch den andren fällt,

Denn Ihr spart ihnen Bruderwechselmord!


Arboga greift nach dem Schwerte; aber Holm, Skiold und andere haben die Brüder schon auseinandergerissen.


GOTHLAND.

Du bist es, Holm, der mich von ihm zurückhält?

Du warest der ja, der ihn schuldig sprach!

HOLM.

Wenn er auch schuldig sein mag, so geziemts

Doch dir nicht, ihn zu strafen; ewig würd

Ich dich verfolgen, wenn durch deine Hand

Dein Bruder fiele.

GOTHLAND.

Ihn zu strafen ziemt

Dem Könige; allein wenn der nicht will,

So ziemt es meinem Vater oder mir!

– Noch einmal König! fodre ich sein Haupt!

Verweigere es dem Gesetze nicht,

Dem es verfallen!

KÖNIG.

Ketten, Ketten sollst

Du haben!

KANZLER.

Ja ja! kettets, kettets an

Das Ungetüm, das seine Brüder frißt!

GOTHLAND.

Die giftge Schlange! Wie sie hohnlächelt!

KANZLER.

Du hast

Mich eben, als ich weinte, ausgelacht,


Laut lachend.


Jetzt lache ich!

GOTHLAND.

O seht ihn, seht ihn, wie

Er triumphieret, daß sein König seine

Mordtat schützt! – Triumphiere nicht zu früh! –

Ein Wort noch König! eh du gehst! Du nimmst

Partei, denn deinen Kanzler willst du nicht

Verlieren, – deshalben zürne ich dir nicht;[60]

Ich kann euch Erdenkön'ge nur bedauern;

Ihr sollt der Götter Rolle spielen und

Seid Menschen! – Aber Eins ist da, was ihr

Stets üben könnt und sollt: Gerechtigkeit!

Sie ist es ja, die euren Thron erbaute, –

Hat sie im Lande aufgehört, so hat auch

Der König aufgehört, und jeder sucht

Auf eignem Weg sein eignes Recht!

Ich hab es dir gesagt!

KÖNIG.

Bringt Ketten!


Ein Soldat tritt mit denselben auf.


Ha, da kommen sie! – ihn und

Den Neger schlagt an Eine; beide sind

Einander würdige Gesellen!

KANZLER.

Gerechtigkeit, die du verlangtest, sollst

Du haben: Morgen werf ich deine Klage

Dir auf das Haupt zurück und klag dich an

Auf Brudermord, weil du mir unterm Schein

Des Rechtes nach dem Leben hast getrachtet!

KÖNIG.

Und ich verklage dich auf Hochverrat,

Weil du dich mit dem größten Feind

Des Schwedenreichs, dem Mohren, hast verbunden!


Der König gibt dem Kanzler die Hand und geht mit ihm ab; die andren folgen; der Herzog Gothland,

Berdoa, Erik und ein Hauptmann, der mit Soldaten im Hintergrunde verweilt, bleiben zurück.


SKIOLD tritt noch einmal vor Gothland hin.

Was du auch tun wirst, – meine Tochter mach

Nicht unglücklich! sie ist mein einzges Kind!


Geht ab.


GOTHLAND zu Erik.

Geh zu dem alten, großen Herzoge

Von Gothland, meinem Vater; sage ihm,

Er würde schon vernommen haben,

Was sich ereignet; statt des Königs, welcher schlecht

Geurteilt, möge er das Richtschwert nehmen, und

Dann handeln, wie es ihm als Stammeshaupt

Gezieme!


Erik geht.


DER HAUPTMANN tritt vor.

Herr, gefangen Euch

Zu nehmen, hat der König mir geboten.[61]

GOTHLAND.

Den Herzog Theodor von Gothland willst

Du fesseln?


Den Arm ausstreckend.


Feßle ihn!


Der Hauptmann weicht scheu aus. – Erik kommt wieder.


GOTHLAND.

Was spricht mein Vater?

ERIK.

Wenn er das Richtschwert nähm, so würd es sein,

Um Euch zu züchtgen, wie Ihr es verdientet!

GOTHLAND.

Mein Vater ist der vorge Held nicht mehr,

Sonst hätt er also nicht gesprochen. –

Geh,

Ruf meinen Sohn mir her!


Erik geht ab.


BERDOA.

Was tut man nun?

GOTHLAND ohne auf Berdoa zu achten.

Es ist

Der fürchterlichste Brudermord geschehn, –

Der König hat ihn wider sein Gewissen

Und wider das Gesetz verziehn, vor ihm

Und seinem Richterstuhl find ich kein Recht, –

So appellier ich laut und feierlich

An euch, ihr ewigen Gesetze,

Auf die die Welt gegründet ist, die ihr

Mit Feuerzügen flammet, welche kein

Vorübersausendes Jahrtausend ausweht,

Die selbst das Raubtier schaudernd ahnt,

Wenn es im Blute seinen Hunger stillt, die ihr

Der unterdrückten Menschheit Zuflucht botet

Für und für! – Zeuge eurer Wahrheit ist

Die Himmelsscheibe, die euch widerspiegelt,

Der Ozean ist euer Spiegel, in

Des Heklas Flammen leuchtet ihr, und wo

Ein Herz schlägt, zittert man vor euch!

Die menschlichen Geschlechter sterben; sie

Sind Flocken, ausgesäet in den Sturm;

Spurlos, wie Schatten über eine Wand,

Ziehn ihre Scharen über diese Erde;

Ihr aber werdet rastlos mit den neu

Entstehenden Geschlechtern neu geboren!

– Die Blutsfreundschaft ist irdisch und vergänglich,

Drum greif ich kühn zu euch, Unsterbliche!

– Ich habe keinen irdschen König mehr; ihr[62]

Gesetze! seid mein König! –

»Blut sühnt Blut

Und die Vergeltung ist das Recht!« so heißt

Eur Ausspruch; – der Hebräer las ihn schon

Am Sinai und heut noch les ich ihn

In meiner Brust; er soll mich leiten!


Will abgehn.


DER HAUPTMANN tritt ihm in den Weg.

Bleibt!

GOTHLAND wirft ihn auf die Seite.

Mach Platz für die Vergeltung!


Er geht mit Berdoa ab.


HAUPTMANN.

Greifet! haltet ihn!


Skiold und Holm treten auf.


SKIOLD.

Was fällt hier vor?

HOLM.

Wo ist der Herzog?

HAUPTMANN.

Fort! – Mit

Gewalt brach er sich Bahn!

SKIOLD.

Folgt, folgt

Ihm eilends nach! Er sucht den Kanzler auf!

HOLM.

Er wird doch nicht –? –

SKIOLD.

Er wird, er wird!

HOLM schreit.

Dann rufet Mord und alarmiert das Schloß!

KÖNIG stürzt herein.

Welch ein Tumult! Was gibts?

SKIOLD unter den Donnern des jetzt völlig heraufgestiegenen Gewitters.

Hört ihrs denn nicht?

Die finstren Mächte läuten hoch im Dom der Welt,

In seiner düstren wolkumflorten Runde,

Mit Donnerschlägen ein die Schreckensstunde,

In der der Bruder durch den Bruder fällt!


Er eilt fort, dem Herzoge nach; alle folgen ihm.


Quelle:
Christian Dietrich Grabbe: Werke und Briefe. Band 1, Emsdetten 1960–1970, S. 49-63.
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