Vierte Szene

[160] Das Innere einer Hütte. – Auf dem Herde glüht ein Kohlenfeuer; eine brennende Lampe steht auf dem Tische.

Cäcilia und Skiold treten ein.


CÄCILIA.

Die Hütte scheint ganz unbewohnt;

Ein Wandrer muß das Feuer und

Die Lampe angezündet haben.

SKIOLD.

Wenn mich

Nicht alles trügt, so sind wir in

Der Hütte, welche da, wo die drei Heerstraßen

Von Dänmark, Schweden und von Norweg sich

Begegnen, für verlaßne Reisende

Errichtet ist.[160]

CÄCILIA tritt an den Tisch.

Hier find ich Brot und Wein!

Komm Vater! setz dich nieder und

Erquicke dich!

SKIOLD.

Weswegen geht dein Atem so

Entsetzlich schnell?

CÄCILIA.

Vor Freude, daß ich uns

Gerettet sehe!


Beiseit.


Weh mir!

SKIOLD.

Als wir aus

Dem Lager gingen, rötete

Ein heißes Fieber deine Wangen!

CÄCILIA.

Besorge nichts! Das Fieber hat

Sich unterwegs gelegt! Sieh, meine Wangen

Sind wieder weiß!

SKIOLD.

Ja! – weiß wie Leichen!

CÄCILIA.

Pah! Leichen! wer wird denn auch stets

Von Leichen sprechen! Heute nacht beginnt

Der erste Mai! bald ist es Frühling! bald

Verjüngt sich die Natur! bald wirst du

Die Blumen wieder sehn!

SKIOLD.

Wohl werde ich

Bald Blumen sehn, – auf deinem Grabe!

CÄCILIA scherzend.

Grabe! Hier

Ist goldner Wein! Erinnerst du dich noch

An deinen alten Trinkspruch?

»Pflücket die Rose, eh sie verblüht,

Genießet das Leben, bevor es entflieht!«


Wein einschenkend.


Ich trinke dir Gesundheit!

SKIOLD.

Du edle Trösterin! Weh, wehe, wenn

Ich dich verlöre!

CÄCILIA.

Da verlörst du auch

Was Rechtes! ein gebrechlich Weib, das dir

Und sich nicht nützet! Der Verlust

Wär zu verschmerzen!

SKIOLD.

Nimmer, nimmer würd

Ich ihn verschmerzen, teures Kind!

CÄCILIA beiseit.

Dann wehe dir!


Laut.


Du weinest? Weine nicht! Ich fühl mich stark,

Und lange hoff ich noch zu leben! –

– Du trinkst ja nichts! Genieß

Doch etwas! Speis und Trank stärkt wunderbar![161]

SKIOLD.

Ich will versuchen, ob ich vor Ermüdung

Und Tränen etwas essen kann!


Er setzt sich zu essen.


CÄCILIA tritt beiseit.

O! kaum

Vermag ich mich noch länger zu

Verstellen! – diese nächtge Wandrung ist

Mein Tod! – Beklemmung liegt

Gleich einem Leichenstein auf meiner Brust!

Die nächste Stunde sehe ich nicht mehr!

Wohl mir, daß ich beruhigt sterben kann:

Der Vater ist gerettet! – Zwar wird ihn

Mein Tod betrüben –


Skiold ist vor Ermüdung eingeschlafen; sie bemerkt es.


Sieh,

Er schlummert! – Gütges Schicksal, da ich doch

Den Morgen nicht erleben werde, so

Erspar dem Greis die Qual des Scheidens

Und laß mich jetzt, bevor

Er aufwacht, sterben!


Zu Skiold gewendet.


Schlummre süß, und ahn

Die namenlose Pein, die ich

Durchkämpfen muß, in deinen Träumen nicht!


An die Erde sinkend.


Ha, meine Kniee brechen! – brechet leise,

Ganz leise! – – Atem, rausche nicht! –

Leis, leis, so daß mein Vater es

Nicht merket, will ich sterben! – Hu, wie es

Mir da durchs Herz zuckt! jammernd möcht ich aufschrein!

Doch stille! stille! – nur ganz leise will

Ich mit den Lippen beben, nur

Ganz heimlich – will ich weinen, – nur

Ganz heimlich – heim –

O Gott! ich halte es

Nicht aus! die Pein wird allzu arg!


Laut jammernd.


O, meine Brust! o, meine Brust!

SKIOLD vom Schlafe aufspringend.

Was ist

Geschehn? Wer ruft so laut? – Wo bist

Du, Tochter?


Sie erblickend.


Was bedeutet das? Sie liegt

Am Boden! Ihr Gesicht ist kalt!

Weh, wehe mir, sie stirbt! sie stirbt!


[162] Cäcilia stirbt. Pause.


SKIOLD.

O,

Du falsches, falsches Kind! Wie hast

Du mich getäuscht! Als schon der Tod

Dein Mark durchwühlte, schienst du noch

Gesund und froh zu sein! –

– Nun blühe, Frühling, blüh nur! Eine Blume, schön

Und hold wie diese, treibst du nimmermehr

Hervor! –

O Tochter! Tochter! –

Gothland, du

Hast sie gemordet! hast des einzgen Kindes mich

Beraubt! Straf ihn, du allgewaltger Gott!

Gieß deines Zornes Schale auf sein Haupt!

Send deinen Racheengel –

DER ALTE HERZOG VON GOTHLAND vollständig geharnischt, tritt herein.

Wer ruft hier?

SKIOLD.

Ha!

Wer bist du, grausige Erscheinung? Hast

Du mich um Rache beten hören,

Und bist du nun deswegen aus

Dem Boden aufgestiegen?

DER ALTE GOTHLAND.

Wenigstens

Bin ich zur Rache hier!


Nähertretend.


Doch deine Stimme

Klingt mir bekannt – Was? bist du nicht der Graf

Skiold?

SKIOLD noch immer schaudernd.

Ein Geist wie du wird das von selbst

Schon wissen!

DER ALTE GOTHLAND.

Narr! ich bin kein Geist! ich bin

Der alte Herzog Gothland!

SKIOLD.

Wie? du bist

Der alte Herzog Gothland? – Ein

Bedeutungsvolles Schicksal führet dich

An diesen Ort! – Sieh diese Tote an!

Dein Sohn hat sie gemordet!

DER ALTE GOTHLAND.

Ist es nicht

Cäcilia?

SKIOLD.

Sie ists!

DER ALTE GOTHLAND.

Du Unglücksvater! Fast[163]

So unglücklich als ich! – Doch wenn dir die

Vergeltung Trost gewährt, so sei zufrieden;

Nicht bloßer Zufall führte mich

In diese Hütte; ich erwarte hier

Den König Olaf und den Grafen Holm

Samt ihren neugeworbnen Heeren;

Ich selber komme jetzt von Norweg, und

Mir folgt 'ne Schar von sechzehntausend Mann –

In einer Viertelstunde muß sie hier sein;

Mein Eifer jagte mich voraus.

Wahrscheinlich liefern wir

Schon morgen meinem Sohne eine Schlacht.

GOTHLAND hereintretend.

Endlich! – erreicht die Hütte! – wie zum Tod

Bin ich ermattet!

– Ihr Bewohner dieser Hütte,

Ich bitte euch um Speis und Obdach!

DER ALTE GOTHLAND zu Skiold.

Kennst

Du ihn?

SKIOLD.

Wohl kenn ich ihn!

DER ALTE GOTHLAND.

Es ist mein Sohn!

Es ist der Mörder deiner Tochter!

Du bist mein Rachgenoß!

Wirf schnell die Tür ins Schloß!

GOTHLAND für sich.

Ein grobes Volk scheint hier sich aufzuhalten –

Mich überläuft ein widriges Erkalten!

SKIOLD hat die Türe zugeworfen und kommt zu dem alten Gothland zurück.

Wir wollen meine Tochter jetzt begraben,

Doch erst muß sie ein Menschenopfer haben!

GOTHLAND für sich.

Von Menschenopfern hör ich sprechen!

DER ALTE GOTHLAND zu Skiold.

Und ich hab eines Sohnes Tod zu rächen!

GOTHLAND für sich.

Hei! dieser Graukopf redet fürchterlich

Und Flammen schießt sein Aug auf mich! –

– Wenn er nun losspränge und legte Hand

An mein Genick, – ich wär zu schwach zum Widerstand!

Drum fort! noch ist es Zeit, daß ich entwische!


Indem er zur Tür gehen will und sich aller Anstrengung[164] ohngeachtet nicht fortbewegen kann.


Herr Gott! das ist 'ne Angst der Hölle!

Ich will entfliehn und kann nicht von der Stelle,

Denn meine Füße werden mir zu schwer!

DER ALTE GOTHLAND zu Skiold.

Dort liegt ein Messer auf dem Tische,

Geh hin und hole es mir her!

SKIOLD hat das Messer geholt.

Was sollen wir nun tun?

DER ALTE GOTHLAND.

Nun wollen wir ihn schlachten wie ein Huhn!

GOTHLAND hat alle seine Kraft zusammengenommen und ist bis an die Türe gesprungen.

Ha, jetzt bin ich gerettet!


Er will die Tür aufreißen und findet sie verschlossen.


Was? bin ich denn hier angekettet?


Nachdem er es versucht hat, sie mit Gewalt aufzustoßen.


Umsonst!

– Schon fühle ich wie mich die beiden packen

Und wie ein Messer fährts mir durch den Nacken!


Skiold ist auf ihn zugegangen und ergreift ihn hinterrücks an der Schulter.


GOTHLAND.

Hu!

SKIOLD auf Cäcilias Leichnam deutend.

Mörder! kennst du diese da?

GOTHLAND.

Was? – Höllengraus! Es ist mein Weib Cäcilia!

SKIOLD.

Und kennst du mich?

GOTHLAND.

Du bist – Weh mir!

SKIOLD.

Ja ja!

Ich bin Skiold!

DER ALTE GOTHLAND.

Und wer bin ich?

GOTHLAND.

Entsetzen! das ist meines Vaters Stimme!

DER ALTE GOTHLAND.

Er steht vor dir mit seinem Grimme!

GOTHLAND erstarrt zusammenstürzend.

Zermalmet mich, ihr Donner!

SKIOLD zu dem alten Gothland.

Nun töte ihn mit deinem Messer!

DER ALTE GOTHLAND.

Erst muß ich mir die Rockärmel aufstreifen![165]

SKIOLD.

Ich will dir dabei helfen! –

GOTHLAND sich wieder etwas emporrichtend.

– Mir schauderte!

Sie wollen mir ans Leben! – Könnt

Ich nur um Hülfe schreien, – doch die Kehle

Ist mir wie zugeschnürt! –

Ich denke, daß

Dies alles nur ein Traum ist –


Sich vor den Kopf schlagend.


Aufwachen will ich! – Ach! der Schlaf will

Nicht weichen! –

Meine Glieder sind ganz steif

Geworden – – kaum reg ich einen Finger! –

– Mir fröstelt! meine Haut schrumpft ein

Und meine Zähne klappern –

– Dort in der dunklen Ecke will ich mich

Verkriechen! –


Er kriecht in eine Stubenecke.


DER ALTE GOTHLAND dem unterdessen Skiold die Armschienen abgenommen und die Rockärmel aufgestreift hat.

Jetzt ans Werk! Doch – wo

Ist er auf einmal denn geblieben?

GOTHLAND.

Uh!

SKIOLD.

Horch, ächzte er da nicht?

DER ALTE GOTHLAND.

Ich hörte nichts!

SKIOLD.

Sieh, sieh! dort blickt was Bleiches aus dem Winkel!

Es ist ein Menschenantlitz!

DER ALTE GOTHLAND.

Narr, es

Ist ja der Wandkalk!

SKIOLD.

Nein, der Wandkalk nicht!

Es ist dein Sohn!

DER ALTE GOTHLAND näher hinzutretend.

Fürwahr, er scheints

Zu sein!

SKIOLD.

Er rührt sieh nicht!

DER ALTE GOTHLAND.

Der Schrecken hat

In einen Klumpen ihn gerollt!

SKIOLD.

Sieh, er will sprechen und vermag es nicht!

DER ALTE GOTHLAND.

Ei! desto besser! er wird also auch

Nicht kreischen können, wenn ich ihm

Das Eisen in die Gurgel stoße![166]

SKIOLD.

Sieh, wie

Er das Gesicht verzieht!

Schon wieder will er sprechen!

DER ALTE GOTHLAND.

Fast scheu ich mich, ihn anzutasten!

– Allein, es muß geschehn! –

Ich weihe

Sein Blut den untren Mächten!


Er will ihn ergreifen, aber


GOTHLAND fährt, sowie er sich von der Hand seines Vaters berührt fühlt, schreiend in die Höhe.

Heidi! das

Wird doch zu arg!


Er wirft mit der Riesenstärke des Schreckens die beiden Alten auf die Seite, reißt die Tür auf und stürzt ins Freie.


DER ALTE GOTHLAND eilt bis an die Tür hinter ihm her und ruft ihm nach.

Steh still in deinem Lauf

Und hör erst meinen Fluch! Die Wölfe und

Die Bären sollen meilenweit dich wittren,

Ein Ungewitter hänge sich an deine Fersen

Und eine Windsbraut nestle sich

In deine Haare!

SKIOLD.

Er vernimmt dich nicht! Schau,

Er hat mit ungeheurer Schnelligkeit

Den höchsten Rücken des Gebirgs erklettert,

Und wild von seinem Haar umflogen,

Eilt er im Mondeslicht dahin,

Verwegener wie eine Gems von Felsen

Zu Felsen springend!

DER ALTE GOTHLAND.

Heut ist er uns noch

Entronnen, aber morgen soll

Er sicher nicht entwischen!

SKIOLD wirft sich weinend über seine Tochter.

O du Frühverwelkte! –

DER ALTE GOTHLAND an der Türe.

Wo meine Norwegskrieger bleiben?


Eine norwegische Marschmusik erschallt hinter der Szene.


Ha!

Das ist ihr Marsch! da kommen sie!


Mehrere norwegische Hauptleute treten ein.


DER ALTE GOTHLAND sie begrüßend.

Wir sind[167]

Die Ersten an der Stätte!


Wieder aus der Tür blickend.


Gleich

'Nem dunklen Wolkenzuge rückts heran

Aus Osten, – Pferdewiehern und Geklirr

Der Waffen hallet dumpf herüber – Heil!

Das ist der König Olaf mit den Russen! –

– Horch! Auch

Aus Süden tönt ein lauter Marsch! Glück auf!

Es ist die Schlachtmusik der Deutschen!

Es naht das Heer des Grafen Holm!


Der König Olaf tritt herein, begleitet von russischen Hauptleuten; dann kommt der Graf Holm; ihm folgen deutsche Heerführer; man hört hinter der Szene halt rufen und zum Absitzen blasen.


DER ALTE GOTHLAND.

Willkommen, König!

DER KÖNIG.

Du hast streng

Dein Wort gehalten!

HOLM.

Seid gegrüßet nach

So langer Trennung!


Alle drei umarmen sich.


KÖNIG.

Mutlos und

Verlassen schieden wir –

Mit Heeresmacht sehn wir uns wieder!

DER ALTE GOTHLAND.

Gott

Der Rächende hat uns geholfen!

KÖNIG.

Wer

Liegt dort lautjammernd an dem Boden?

DER ALTE GOTHLAND.

Es ist der Graf Skiold; wehklagend liegt

Er über seiner toten Tochter!

KÖNIG.

Wie?

Cäcilia ist tot?

DER ALTE GOTHLAND.

Sie starb durch meinen Sohn!

KÖNIG.

Als meine Mutter starb, da weint ich nicht,

Jetzt wird mein Auge feucht von Tränen!

DER ALTE GOTHLAND.

Ja, diese Tote war ein göttlich Weib,

Doch jetzo haben wir zum Klagen keine Muße!

– Befiehl den Aufbruch und laß uns

Nicht länger zaudern![168]

KÖNIG.

Wahrlich, ich

Gedenke nicht zu zaudern!

DER ALTE GOTHLAND.

Nun, so rührt die Trommeln!


Allgemeiner Aufbruch, das Orchester fällt mit einem kriegerischen Marsche ein.


Quelle:
Christian Dietrich Grabbe: Werke und Briefe. Band 1, Emsdetten 1960–1970, S. 160-169.
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