Dritte Szene

[156] Wilde Gegend des Kiölgebirges.

Cäcilia und Graf Skiold, von ihr geführt, treten auf.


SKIOLD.

Das Kiölgebirg wird immer grausger – ich

Verzweifle!

CÄCILIA.

Nordstern! Sirius! wo seid ihr?

Tauch aus den Wolken, Mond, du Silberschwan

Der Nacht!

SKIOLD.

Vergebens rufst du ihm!

Er schwebt vielleicht

Jetzt über Gräcias Blumenhügeln, sieht

Die Liebenden im Myrtenhaine wallen, und

Vergißt uns Wanderer der Eisflur! – Was

Bewegt dich so?

CÄCILIA.

Ich weiß nicht, wie's

Mir grade hier, im kalten Kiöl-

Gebirge einfällt; ich denke an

Die schönen Sommerabende auf deiner Burg

Zu Lund!

SKIOLD.

Wo du als hochbeglückte Braut

Mit Gothland auf der Berghöh standest?

CÄCILIA.

Damals

Bedurfte unsre Seligkeit

Des Mondes nicht; doch ungerufen stieg

Er aus der Meerflut auf und schmückte Wald

Und Au mit zauberischem Schimmer!

SKIOLD.

Damals[156]

War Gothland noch der Herrliche;

Mit Freuden segnete ich euren Bund!

Und heute möcht ich ihn ver –

CÄCILIA.

O, verfluche ihn

Auch heute nicht! Ich war die glücklichste

Der Frauen!

SKIOLD.

Ja, du warest es!

CÄCILIA.

Ich bin

Es noch! Die Wirklichkeit, und wäre sie

Die glücklichste, ist rauh! Erst das vergangne ist

Das wahre Glück!

– – Hu, es beginnt

Zu schneien! Hüll dich fest in deinen Mantel.

Bald, hoff ich, sind wir in bewohnten Hütten

Und sitzen froh am wärmenden Kamine!

SKIOLD.

Du kannst noch hoffen?

CÄCILIA.

Wehe dem,

Der nicht mehr hoffen könnte! Hoffnung

Ist ja die einzge Seligkeit des Lebens! Denn

Von allem Großen und Erhabenen,

Von Gott, Unsterblichkeit und Tugend, weiß

Der Mensch nicht, daß es ist, – er hat

Es nie gesehn, er hat es nie erlebt –

Er kann nur hoffen, daß es da ist;

Drum laß uns hoffen in

Des Lebens Finsternissen, laß

Uns hoffen in den Wüsteneien!

SKIOLD.

Du

Bejammernswürdige! – du willst mich täuschen!

In deinem dünnen, seidenen Gewande rauscht

Die Nachtluft rauh und schneidend kalt –

Ist dir auch wirklich wohl?

CÄCILIA mit unterdrücktem Seufzer.

Gewiß – ja – mir

Ist wohl! – – Komm! laß uns weiter eilen!

SKIOLD.

Ja,

Wir wollen eilen!


Sie gehen, aber er steht plötzlich still.


Gott!

CÄCILIA.

Was ist dir, Vater?

SKIOLD bitterlich weinend.

Ach,[157]

Mich hungert sehr!


Sinkt auf die Erde.


CÄCILIA stürzt in die Kniee und beugt sich jammernd über ihn.

Es ist

Doch grausam, daß ich hier nicht helfen kann!

– Hätt ich nur Milch in dieser Brust,

Doch statt der Milch brennt Fieberglut

In ihren innern, qualdurchzuckten Räumen! –

Steh auf, mein Vater! stehe auf! du mußt

Hier ja erfrieren! Vater! ich

Beschwöre dich! steh auf! –

Umsonst! er hört

Mich nicht!

Und immer dichter fällt der Schnee,

Und immer kälter wird die Nacht, und niemand

Hört unsren Hülferuf!


Betend.


Zwei müde Wanderer,

Ein alter Vater und sein krankes Kind,

Flehn aus der Wildnis und dem Schneegestöber zu

Euch auf, ihr schützenden Gewalten in

Den Himmelshöhen! – Menschen und Natur

Verfolgen uns mit allen ihren Schrecken, –

Ihr laßt den Nordstern durch

Die Wolken brechen, wenn der Schiffer auf

Der sturmdurchtobten See verzagen will, –

Wir sind zu schwach, um uns zu schirmen, –

Wir haben nie an euch

Gezweifelt – Rettet! rettet uns!


Sie blickt spähend umher; auf einmal entzückt in die Ferne deutend.


Ha!

Ich seh ein Licht! ich höre Hunde bellen!

SKIOLD sich aufrichtend.

Ein Licht?

CÄCILIA.

Ja, hell und freundlich, wie

Ein Genius des Trostes, strahlt

Es aus dem Fenster einer Hütte!

SKIOLD.

Gott

Hat sich erbarmet!

CÄCILIA.

Sagte ich nicht, daß

Du hoffen solltest?


Sie gehen ab. Pause.
[158]

GOTHLAND tritt verstört auf.

Hab mich verirrt! – mein Pferd hat unter mir

Den Hals gebrochen! – Schneebedeckt

Und pfadlos, wie ein Abbild meines Lebens, starrt

Mich das Gebirge an! Wildkrächzend, als

Wenn ich schon eine Leiche wäre,

Umflattern mich die Raben,

Wolfsherden jammern aus der Ferne,

Dumpfschallend kracht das Eis

Der stehenden Gewässer,

Des Kiölen Täler widerhallen – laut

Sind alle Stimmen der Natur!

Huhu!

Da rieselt Blut! – Nein, nein! es ist

Des Waldstroms Brausen! tobend stäubt

Er durch den Bergforst!


Er geht einige Schritte; dann steht er still und blickt um sich her.


Sieh,

Der Südwind hat die Wolken fort-

Getrieben, und der nächtge Himmel schaut

Mit seinen tausend Augen wieder auf

Die Erde; – Einen anderen

Als ich bin, könnte das erfreuen;

Mir aber frommt es nichts,

In meinem Innern bleibt es trübe wie

Zuvor!


Pause. Sternschnuppen fallen; Gothland bemerkt es.


Ha, was erblicke ich?

Wo berge ich mein banges Haupt? Weh, Weh,

Dort oben unter den Gestirnen ist

Es Herbst geworden!

Des Firmamentes leuchtendes

Gewölbe schüttelt sich wie eine sturm-

Durchsauste Eiche und die Sonnen fallen ab

Wie gelbe Blätter! Ei, Arktur!

Orion! Abendstern! ihr welket also auch?

Ho, das hat mir geahnet! immer, wenn

Ich euren falben Glanz sah, dachte ich

An welkes Laub!

Nun, Sirius? Herunter![159]

Was zauderst du?


Nach einer kurzen Pause.


Wie? er fällt nicht? – Hätten

Sternschnuppen mich getäuscht? –


Er will weiter; ein Nordlicht steigt flammend empor; er springt zurück.


Doch – was ist das?

Ist schon die Stunde kommen? Ist

Es schon so weit gediehn? Die Zinnen

Der Himmelsveste lodern! Weltbrand! Weltbrand!

Der jüngste Tag ist da! schon heulen die

Posaunen! Gott, der Rächende,

Setzt sich auf seinen Thron, sein Antlitz rot

Vor Grimm! O wär ich nur ein Wurm, daß ich

Mich in der Erde Schoß verkriechen könnte! –


Pause.


Narr, der

Ich bin! Des Nordlichts freundliche

Erscheinung für die Schrecknisse

Des jüngsten Tags zu halten! –

Ich will sehn,

Ob ich hier in der Nähe nicht

'Ne Hütte finden kann, – Erholung tut

Mir not!


Geht ab.


Quelle:
Christian Dietrich Grabbe: Werke und Briefe. Band 1, Emsdetten 1960–1970, S. 156-160.
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