Zweite Szene

[149] Berdoas Zelt.

Musik. Großes wildes Gastgelag. Berdoa, Usbek, Irnak, Gustav, finnische Hauptleute, Dirnen, aufwartende Knechte usw.


BERDOA.

Toren meinen, Sünde wär es, froh zu sein!

Der Sonne roter Sohn soll leben,

Der edle, feuervolle Wein!

IRNAK.

Toren meinen, Sünde wär es, froh zu sein!

Es sollen alle Mädchen leben, –

Die sich dem Dienst der Freude weihn!

CHOR.

Wein und Mädchen sollen leben!

BERDOA zieht den Usbek auf die Seite.

Hast du das gestrige Gespräch erwogen?

USBEK.

Ja; Gothland hat mich schnöd belogen!

BERDOA.

Hab ich dir deinen Vater umgebracht?

USBEK.

Für stets verbann ich diesen schändlichen Verdacht!


Beide geben sich die Hand.


EINE DIRNE die neben Gustav sitzt.

Ach, Prinz! Ihr kitzelt mich auch gar zu sehr!

GUSTAV mit ihr schäkernd.

Wart nur! bald kitzl ich dich noch mehr!

FINNISCHE HAUPTLEUTE mit ihren Dirnen tanzend.

Mädchen, macht die Busen bloß,

Wieget uns in eurem Schoß!

ANDRE zechend.

Säuft man im Himmel keinen Wein,

So muß es dort sehr traurig sein!

BERDOA.

Recht! bravo, Freunde! tanzet! saufet! laßt

Die Gläser schäumen, als

Wenns tolle Hunde wären! An

Berdoas Gastmahl soll es fröhlich hergehn![149]

FINNISCHE HAUPTLEUTE.

Es lebe unser edler Wirt!

BERDOA.

Es leben meine edlen Gäste!

EINTRETENDE HAUPTLEUTE.

Hu, draußen ist es grimmig kalt!

BERDOA auf den Tisch im Hintergrunde deutend.

So wärmet euch! dort dampft ein Punschvulkan!

USBEK, IRNAK UND ANDERE.

Musik! Musik! wir wollen singen!


Musik. Die Anwesenden versammeln sich im Hintergrunde um den Tisch.


USBEK singt.

Unterm lauten Becherklang

Stimmet an den Schlachtgesang!


Schlachtlied.


MEHRERE STIMMEN.

Schon blutet am Himmel das Morgenrot!

Empor vom Schlafe, ihr Braven!

Erwachet Soldaten! nicht Schlafen tut not!

Gar mancher wird heut noch entschlafen!

EINE STIMME.

Dort steht der Feind im Sonnenglanze,

In blinkend Stahl gehüllt!

ALLE.

Halloh, halloh, zum Waffentanze

Auf dem erzitternden Gefild!

EINE STIMME.

Bruder, willst du mich ermorden?

Ich bin dein Bruder – schone, schone mich!

EINE ANDRE STIMME.

Stirb! mein Feind bist du geworden,

Denn du folgst jenen Fahnen, diesen ich!

ALLE.

In des Gefechtes Wut und Graus

Ist wahre Freiheit und Gleichheit zu Haus!

Dort darf man jede Pflicht verachten,

Dort darf man sich im Blute röten,

Dort darf der Knecht den König töten,

Dort hört man nicht aufs Gnadeflehn,

Denn Siegen ist das Los der Schlachten,

Oder glorreich untergehn!

Ja, Siegen ist das Los der Schlachten,

Oder glorreich untergehen!


Während sie so singen und jubeln, tritt Gothland, in einen Mantel gehüllt, mit Arboga ein.


GOTHLAND.

Ei! seht, hier ist es ja recht lustig!

GUSTAV.

Das Lied ist aus – wir wollen tanzen![150]

IRNAK.

Ne, tanzt nicht, reitet lieber!


Zu einer Dirne.


Nicht wahr, mein Kind?

GOTHLAND.

Nun seh ichs, wie

Man meinen Sohn verführt! –

BERDOA.

Das Gastmahl muß

'Nen König haben; wer am meisten säuft,

Der soll es sein!

GUSTAV.

So laßt uns denn drum saufen!


Sie fangen an wild zu zechen; Gothland tritt mit Arboga näher hinzu.


EIN FINNE die beiden bemerkend, mit Geschrei.

Da ist der Herzog!


Alle fahren auf.


GOTHLAND.

Wo ist hier

Ein Herzog?

BERDOA sich fassend.

König, hochwillkommen seid

Ihr mir bei meinem Gastgelage!


Gothland schweigt.


BERDOA ihm einen Becher Wein anbietend.

Beliebts Euch 'nen Pokal von meinem Wein

Zu trinken?

GOTHLAND.

Ich will nicht trinken.

BERDOA etwas verlegen.

Befehlet Ihr vielleicht ein wenig Speise?

GOTHLAND.

Ich will nicht speisen.

BERDOA einen Sessel rückend.

Tut mir die Ehre an und setzt Euch nieder.

GOTHLAND.

Ich setze mich nicht nieder.

BERDOA ärgerlich, halblaut.

So laßt es bleiben! –


Zu seinen Gästen.


Freunde, starrt nicht so!

Laßt euch durch Fremder Gegenwart nicht stören!

Auf, auf! laßt uns von neuem jauchzen!


Er ergreift ein Glas.


GOTHLAND.

Weswegen willst du jauchzen, Neger?

BERDOA.

Nu, weil ich fröhlich bin!

GOTHLAND.

Weswegen bist du fröhlich, Neger?

– Weswegen, frag ich, bist du fröhlich?

Etwa, weil

Ich traurig bin? –

Ha, deine Haut

Ist glänzend schwarz –

ein eisernes[151]

Geschmeide müßte ihr nicht übel stehen –

Arboga! kommt, wir wolln ihn damit schmücken


Er zieht die Ketten unter dem Mantel hervor, ergreift den Neger und fesselt ihn mit Hülfe Arbogas.


BERDOA sich heftig dagegen wehrend.

Los! los! – Die Fäuste weg! – Los! Finnen steht

Mir bei! Eur König Gothland ist

Ein Brudermörder, ein Rebell –

Gehorcht ihm nicht! – O wären meine Blicke Pfeile! –

Mein Eingeweide speie ich dir ins

Gesicht! – Mord! Mord! Mord!

DIE FINNISCHEN HAUPTLEUTE.

Laßt

Den Mohren los! los!

GOTHLAND zu Arboga.

Führe ihn hinweg!

BERDOA.

Was tue ich? Wen ruf ich an? Was denke ich?

O, Leoparden! Skorpione! – Nileidechsen! –

Hyänenrachen! – Giftbäum! – Wüstensand –

Harmattan – Aussatz – Afrika – – –


Er wird von Arboga mit Gewalt abgeführt.


DIE FINNENHAUPTLEUTE zu Gothland, fast drohend.

Laß

Den Neger wieder frei!

GUSTAV.

Ja, laß ihn frei,

Er ist mein Freund!

GOTHLAND.

Läßt du dich auch vernehmen?

Was machst du hier? Hab ich dir nicht

Den Umgang mit Berdoa streng verboten?

GUSTAV trotzig.

Erst laß ihn los! Nachher wird sich

Schon eine Stunde finden,

Wo ich dir Antwort gebe!

GOTHLAND zu den schwedischen Soldaten, die sich an der Zelttür sehen lassen.

Habt ihr

Den Rossan rufen lassen?

ROSSAN eintretend.

Da bin ich!

GOTHLAND.

Du bist der bravste aller Finnen! –

– Ein Tor, der glauben kann, daß man

Bei Jungen unter achtundzwanzig Jahren

Mit Überredung und Vernunft etwas

Bewirken könne; solche Buben haben ihr

Gehirn in ihren Rücken, und Prügel, mit

Gewalt darauf geführt, begreifen sie[152]

Am leichtesten. –

Rossan! nimm diesen Knaben in

Die Kur; er ist verliebt und ungehorsam; zähl

Ihm sechzig Rutenstreiche auf, – das wird

Ihn heilen!

GUSTAV.

Rutenstreiche? mir? Das leid'

Ich nicht; nein, eher bringe ich mich um!

GOTHLAND.

Fort! peitschet ihn, bis er geschmeidig wird!

GUSTAV.

Geschmeidig? Hohoho! Versuchts! versuchts!

Peitscht mich! Ich will doch sehn, ob euer Arm

Nicht eher müde werden wird als ich!

Geschmeidig? eher beiß ich mir die Zunge ab!

Verflucht, daß ich der Sohn von solch

'Nem Brudermörder, solch 'nem Usurpator,

Von so 'nem Gotteslästrer sein muß, den

Ich lieber töten, als lieben möchte!


Rossan führt ihn fort.


GOTHLAND zu den finnischen Hauptleuten.

Nun, ihr

Begehrtet ja vorhin etwas von mir, –

Was war es?

DIE FINNISCHEN HAUPTLEUTE.

Laß den Neger los!

GOTHLAND.

Ihr liebt ihn also?

DIE FINNISCHEN HAUPTLEUTE.

Wir lieben ihn!

GOTHLAND.

Soldaten!


Ein Haufe schwedischer Soldaten tritt ein; Gothland wendet sich wieder zu den Hauptleuten.


Mich

Liebt ihr doch auch?


Stillschweigen.


Ha, Tod und Hölle! Mich

Liebt ihr doch auch?

DIE FINNISCHEN HAUPTLEUTE erbebend.

Wir lieben dich!

GOTHLAND.

Nun, so

Begebt euch wieder zu dem Trinktisch und beginnt

Das unterbrochne Gastgelag von neuem!


Sie gehorchen.


Die Gläser angefüllt!

Und wer mich liebet oder fürchtet,

(Denn beides ist mir einerlei, weil Furcht

Und Liebe gleiche Wirkung haben.)[153]

Der stoße mit mir an und leere den Pokal

Darauf:


Einen vollen Becher ergreifend.


Der König Gothland soll gedeihen!

DIE FINNISCHEN HAUPTLEUTE mit sichtbarem Widerwillen.

Der König Gothland soll gedeihen!


Sie leeren die Gläser.


GOTHLAND.

Der Neger soll verderben und verrecken!


Alle schweigen.


Ich sag euch, stoßet an und stimmet ein:

Der Neger soll verderben und verrecken!

DIE FINNISCHEN HAUPTLEUTE zögernd.

Der Neger soll verderben und verrecken!


Sie leeren die Gläser.


GOTHLAND.

Krepieren sollen alle, die ihn lieben!


Stille; Gothland wiederholt mit drohender Stimme.


Krepieren sollen alle, die ihn lieben!

DIE FINNISCHEN HAUPTLEUTE mit zauderndem Beben.

Krepieren – sollen alle – die ihn lie-ben!


Sie leeren die Gläser.


GOTHLAND.

Der Scharfrichter soll leben und florieren!


Alle schweigen.


Ich sage euch:

Der Scharfrichter soll leben!

DIE FINNISCHEN HAUPTLEUTE mit ungewisser Stimme.

Der Scharfrichter soll – leben!

GOTHLAND.

Leert

Die Gläser darauf aus!


Sie leeren die Gläser.


Und nun genug!

Euch brauch ich nicht zu fürchten!


Er wirft den Trinktisch um; die finnischen Hauptleute treten scheu zurück. – Tocke, schwer gefesselt, wird von einem schwedischen Unteroffizier hereingebracht.


UNTEROFFIZIER zu Gothland.

Herr, dieser feuerhaarge Kerl –

TOCKE.

Was gehn

Dich meine Haare an? Du Spitzbub!

GOTHLAND.

Still!

TOCKE.

Ei was! ich lasse mich von so 'nem Schlingel nicht

Beleidgen![154]

GOTHLAND.

Frecher Hund, sei still!


Zu dem Unteroffizier.


Sprich! Was

Hat dieser Kerl verbrochen?

UNTEROFFIZIER.

Er

Hat seine Schwester, welche ihm

Sein vieles Stehlen vorwarf, eigenhändig

Erwürgt, und seinen Vater, der

Den Schwestermord verwehren wollte, auf

Das unbarmherzigste zu Tod

Geprügelt!

TOCKE.

Pah! mein Vater war

Ein Esel!

GOTHLAND für sich; auf Tocke deutend.

Dieser Schurke kommt mir vor

Wie eine Parodie auf mich!

Er tötete die Schwester,

Ich tötete den Bruder, –

Doch eben wegen dieser Ähnlichkeit

Will ich ihm nicht verzeihen!


Laut.


Dieser Elende

Verdienet keine Schonung, Schleift

Ihn morgen mit der ersten Frühe zur

Richtstätte!

TOCKE.

Gnade, großer König, Gnade!

Ich küsse deine Füße!

GOTHLAND.

Fort mit ihm!

TOCKE indem man ihn wegführt, zu Gothland.

Na, Man sagt, Ihr wärt der Beste auch nicht!

EIN SCHWEDISCHER HAUPTMANN tritt ein.

Herr,

Im Kiölgebirge hat man fremde Truppen

Gesehn.

GOTHLAND.

Führt meinen Schweißfuchs vor; ich will

Rekognoszieren.

DER SCHWEDISCHE HAUPTMANN.

In der Nacht?

GOTHLAND.

Ich kann

Ja doch nicht schlafen!

DER SCHWEDISCHE HAUPTMANN.

Vor dem Kerker

Des Negers ist ein großer Auflauf.[155]

GOTHLAND.

In

Zwei Stunden komme ich zurück, – das Volk

Wird sich indes zerstreuen; – dann

Wollen wir ihn hinrichten


Zu den finnischen Hauptleuten.


Euch aber,

Ihr Herren! rat ich als ein guter Freund:

Es ist jetzt kaltes Wetter – Hütet euch

Vor Halsweh!


Er geht ab.


Quelle:
Christian Dietrich Grabbe: Werke und Briefe. Band 1, Emsdetten 1960–1970, S. 149-156.
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