Dritte Szene

[439] Hohlweg vor dem Walde von Soignies. Mitten durch ihn die Straße nach Brüssel. Gebüsche auf beiden Seiten.

Diese, sowie die Ufer des Hohlwegs sind von Detachements englischer Linientruppen, englischer Jäger, und hannoverischer Scharfschützen besetzt. Hinter der Schlucht auf den Höhen von Mont Saint Jean, steht das Gros des Wellingtonschen Heeres, – rechts von ihr das Vorwerk Houguemont, – in einiger Entfernung vor ihr das Gehöft la Haye Sainte, etwas weiter hin das Haus la Belle Alliance, und noch entfernter die Meierei Caillou, – links die Dörfer Planchenoit, Papelotte, Frichemont p. p.


EIN ENGLISCHER JÄGER. Wie heißt diese Gegend?

EIN SERGEANT DER ENGLISCHEN JÄGER. Weiß nicht, James, – wir taufen sie bald mit Schlachtenblut.

JAMES. Ja, Sergeant. Schlacht gibts. Die Vorposten sind darnach gestellt.

SERGEANT. Gott verdamme, jedesmal, wenn man mit den Franzosen zu tun hat, regnets wie aus zerschlagenen Fässern. War's nicht auch in Spanien immer so?

JAMES. Immer. 's ist ja Suppenschlucker-Volk.[439]

SERGEANT. Siehe, wie da einige von ihnen über den Dreck hüpfen, jämmerlich leicht wie die Kibitze über den Sand.

JAMES. Warte, jenen naseweisen Leichtfuß, will ich mit einem schönen Stückchen Blei schwer machen.

SERGEANT. Prosit die Mahlzeit, James – er riecht Lunte und versteckt sich hinter einer Erdhöhe.

DER AM HOHLWEG KOMMANDIERENDE ENGLISCHE GENERAL sprengt vor. Was ist das da linker Hand? Nebel, Dampf oder Feind? – Der verhenkerte Gußregen wäscht mir vor Aug und Fernrohr alle Gegenstände durcheinander.

JAMES. Herr General, 's ist der gewöhnliche große Leichenqualm, der drei Tage lang vor der Schlacht auf den Feldern umherzieht.

SERGEANT. James, sei kein Narr – Es ist Nebel, General, aber sehr entfernt.

GENERAL. Hum – Der Nebel hält mir zu lange auf einem Fleck.

EIN HAUPTMANN DER HANNOVERISCHEN SCHARFSCHÜTZEN. Mein General –

GENERAL. Nun?

DER HAUPTMANN. Ich habe unter meiner Kompanie einen sechzehnjährigen Burschen von den Harzjägern – Er sieht und schießt unglaublich weit –

GENERAL. Rufen Sie ihn.

DER HAUPTMANN. Fritz! Fritz!


Fritz kommt.


Was dort links für Nebel?

FRITZ. Nebel? Nebel? – Herr Hauptmann, ich sehe keinen.


Er wischt sich die Augen.


SERGEANT. James, der ist scharfsichtig!

JAMES. Wie eine Nachteule.

DER HAUPTMANN. Was siehst du denn eigentlich?

FRITZ. Das ist ja ganz deutlich. – Dort hält, tief in graue Mäntel gehüllt, ein Regiment französischer Dragoner, und guckt mit lauernden Katzenaugen hieher.

GENERAL. Dacht ich's doch!

SERGEANT. Wenn der Junge nicht lügt, so ist –

JAMES. Er ist –

GENERAL. Das feindliche Gesindel will sich an uns nisten, um uns recht sicher, zur ungelegensten Zeit, mit den Krallen zu fassen.[440]

FRITZ. Soll ich ihm zeigen, daß wir es sehen? Schieß ich einen heraus?

SERGEANT. Der Bengel ist toll. Auf diese Entfernung treffen –

JAMES. Wie gesagt, der Junge ist ein Kobold aus Norddeutschland, und ein christlicher northumberländischer Jäger hütet sich ihn anzublicken.

GENERAL. Schieß, Junge.

FRITZ. Wie gern! Er zielt kurze Zeit und schießt. Hahaha! Da liegt des Königs Wildbret, sagt mein Vater, und erquickt treuer Untertanen Beutel und Magen, wenn wir am Blocksberge einen Sechzehnender wilddieben.

GENERAL. Wer fiel?

FRITZ. Der Obrist, und die übrigen galoppieren davon, wie ein Rudel Hirschkühe, wenn der Bock aus ihrer Mitte geschossen wird.

GENERAL. Gott verdamme, der vermeinte Nebel zerstiebt auch im Hui.

EIN ALTER HANNOVERISCHER SCHARFSCHUTZ tritt vor. Verfluchter Dachshund, infamer Köter, was belügst du mich, deinen Vater? Das Hirn schlag ich dir ein!


Zum General.


Gnädiger Herr, wenn ich je mein Gewehr auf ein königliches Wild abgedrückt habe, will ich nie den Hahn auf eins gespannt – – Ach, kurz und gut, der Bengel lügt!

DER SCHÜTZENHAUPTMANN. Alter Borstenkopf, »wer sich entschuldigt eh man klagt« –

GENERAL. Beruhige dich, – triff du die Franzosen so brav wie dein Junge, und ihr seid dem Könige die liebsten Schützen in Schlacht und Wald.

FRITZ. Hussa, hinter uns vom Berge kommt wieder eine Menge Leute – Schieß ich darein?

GENERAL. Bist du toll, Junge? – Das sind Linienbataillone von Mont Saint Jean, uns zur Hülfe geschickt.

FRITZ. O dürft ich nur immer schießen – Der Pulvergeruch ist mir nun einmal in der Nase.

GENERAL. Was saust?

SERGEANT. Eine bonapartische Paßkugel – Da schlägt sie in den Baum.

GENERAL. Fritz, nun schieß, schieß in die Franzosen, solang Atem und Pulver nicht ausgehn – Laut. Alles an die Ufer des Hohlwegs – Büchsen und Flinten frisch geladen, –[441] den Flinten die Bajonette aufgeschraubt! – Donner, da drängen sie sich schon herein – Feuer!

EIN FRANZÖSISCHER HAUPTMANN an der Spitze der sich in den Hohlweg stürzenden Kolonne. Laßt sie schießen, Kameraden! Hört ihr die Paßkugeln über uns, und seht ihr wie sie dem Feinde Pferd und Mann hinschmettern? Sie kommen aus französischen Geschützen und sind die gewaltigen, helfenden Begleiter, aus der Ferne uns nachgesandt von dem Kaiser!

EIN ANDERER FRANZÖSISCHER HAUPT MANN. Schurke der, welcher einen Schuß tut, bevor wir diesen Chausseerand erklettert haben.

EIN ENGLISCHER LINIENSOLDAT. Wächst das Volk aus dem Boden wie die Ameisen? – Einen der am Chausseerande emporgekletterten Franzosen mit dem Bajonett durchbohrend und wegschleudernd. Zurück, du Hungerleider!

EIN FRANZÖSISCHER SOLDAT vor Wut schäumend, schwingt sich auf die Höhe des Chausseerandes und wirft den Engländer auf die Bajonette der ihm nachdringenden Franzosen.

Und an den Spieß, du Sattfresser! – – Mir nach – mir nach –

FRANZÖSISCHE ADJUTANTEN sprengen heran. Im Namen des Kaisers: zurück! Er sieht eine Überzahl englischer Linie und Artillerie sich gegen euch vom Berge stürzen – Zurück auf einige Augenblicke –

DIE FRANZOSEN. Beefsteaks, wir kommen wieder!


Sie ziehen sich unter stark erwiderten Gewehrsalven zurück.


EIN ENGLISCHER OBRIST zu seinem Adjutanten. Was für Flammen glänzen rechts hoch aus diesem Rauch?

DER ADJUTANT. Der Lage nach das brennende Houguemont.

DER OBRIST. Auch das schon? – Die Schlacht wird allgemein.

ADJUTANT. Sie ist es. Schauen Sie, la Haye Sainte lodert auch schon. – Ha, was da?

OBRIST. Das ohrzerschneidende Geschrei unserer Verwundeten – – Himmel, warum steht das rechte Altengland da oben noch stets ruhig unter den Waffen?

ADJUTANT. Der Herzog pflegt, wie er es nennt, seinen Augenblick zu erwarten.

OBRIST. Bonaparte ist erfinderischer und kühner: er schafft sich nötigenfalls den Augenblick. – Ah, wieder Kugeln über Kugeln hieher! Der Feind vergißt uns nicht.[442]

ADJUTANT. Herr Obrist, jetzt aber geht Altengland auf Mont Saint Jean auch los – Da – alle Batterien – Hören Sie!

OBRIST. Es ist als rasselten alle Heerscharen der Hölle in eisernen Harnischen über unsre Häupter – Ha, und jetzt wettert ihnen die Artillerie der Franzosen entgegen – Ohne feige zu sein, bückt man sich unwillkürlich. – – Wahrlich, ich habe noch keine Schlacht gekannt – Vitoria, wo man sich besinnen und atmen konnte, war Kinderspiel – – Hier jedoch: meilenweit die Luft nichts als zermalmender Donnerschlag und erstickender Rauch, – darin Blitze der Kanonen, flammende Dörfer wie Irrlichter, immer verschwunden, immer wieder da – der Boden bebend unter den Sturmschritten der Heere, wie ein blutiges, ein zertretenes Herz, – Geschrei laut ausgestoßen, kaum vernommen – – Adjutant, das alles, weil dort bei Caillou der kleine Mann steht? – Keine Antwort? – Gott, er ist gefallen! – Und dort naht wieder der feindliche Vortrab – Mir lieb – So flut ich mit unter die tobenden Wasser, denn einsam ruhig kann ich in diesem sturmempörten Ozean mich doch nicht halten.

FRITZ. Vater, hier geht es ja gar nicht so her wie auf dem Exerzierplatz.

DER ALTE HANNOVERSCHE SCHARFSCHÜTZ. Dummer Junge, auf dem Exerzierplatz schießt man blind, aber hier hat alles geladen.


Quelle:
Christian Dietrich Grabbe: Werke und Briefe. Band 2, Emsdetten 1960–1970, S. 439-443.
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