Vierte Szene

[443] Die Höhen von Mont Saint Jean.

Auf ihnen Wellingtons Heer. Im Vor- und Mittelgrunde die Infanterie in Karrees, – zwischen diesen die Artillerie, ununterbrochen feuernd, – im Hintergrunde, welcher von dem Walde von Soignies umgrenzt wird, die Reiterei und die Reserven. Französische Kanonenkugeln schmettern überall in die Heerhaufen. Wellington mit seinem Generalstabe, neben ihm General Lord Somerset.


LORD SOMERSET. Ich beschwöre dich, Herzog, laß uns nicht weiter hier müßig stehen, und die braven Leute, ohne daß[443] sie einen Finger an den Hahn der Flinte legen dürfen, hinschmettern von den Geschützen des Korsen.

HERZOG VON WELLINGTON. Unsere Kanoniere sind nicht müßig.

LORD SOMERSET. Aber alle anderen Truppen sinds, – laß sie endlich die Bajonette fällen, die Säbel ziehen, und den gallischen Hähnen entgegenstürmen.

HERZOG VON WELLINGTON. Unmöglich – Europas, ja, des Erdkreises Schicksal schwebt in dieser Stunde auf dem Spiel – wir dürfen nicht eher wagen bis wir des Erfolges gewiß sind, und ich fürchte, wenn Blücher nicht bald kommt, haben wir mit Ihm bei Caillou schon sehr viel gewagt.

LORD SOMERSET. O träf ihn doch eine, eine von hunderttausend Kugeln, die dahin fliegen – – Herzog, sollen denn diese Höhen die riesenhafte Schlachtbank werden, auf welcher Altengland sich opfert für die undankbare Welt?

HERZOG VON WELLINGTON. Wenn es zum Äußersten kommt – ja.

LORD SOMERSET. O schau dort – wieder eine ganze Reihe der braven Bergschotten hinsinkend wie Ähren vor der Sichel – – Und hier – das erste Glied des Leibregiments ebenso – Das zweite marschiert lächelnd ein, Milch und Blut auf den Wangen, die frischeste Jugend, die jemals im heiteren England schimmerte – ha, und da winseln sie auch schon im Staube – – Mutterherzen, Mutterherzen, wie wirds euch zerreißen, – mein Herz ist schon zu Trümmer!

HERZOG VON WELLINGTON. Und zertrümmert das Gehirn dazu – wir müssen ausharren bis die Hülfe naht.

ADJUTANTEN heransprengend. Die Franzosen nehmen Belle Alliance und drängen auf der Chaussee hieher vor.

HERZOG VON WELLINGTON. Kartätschen über die Chaussee!


Englisches Kartätschenfeuer, – auf einmal ein französischer Kanonendonner, der allen früheren Schlachtlärm, so arg er gewesen ist, übertönt. Die Engländer stürzen dichter als zuvor.


LORD SOMERSET. Teufel – meine Locken – reißt mich nicht mit – Sechs-, Zwölf-, Vierundzwanzig- Pfündner fliegen darüber hin. – – Wie? wird das Höllengetöse, welches uns eben erschütterte, noch ärger?

HERZOG VON WELLINGTON. Es wirds. – Auch ich finde Ihn[444] und seine Mittel und die Art, wie er sie gebraucht, gewaltiger als ich gedacht. Ich meinte einen etwas besseren General als Masséna oder Soult, die wahrlich auch tüchtige Feldherrn sind, in Ihm zu treffen – – Aber da ist gar keine Ähnlichkeit, – wo die aufhören, fängt Er erst an – Doch darum nur so mehr Ruhe und Ausdauer – das Ungeheure überstürzt am leichtesten – Er läßt uns hier nur die Wahl zwischen Sieg und Tod, – eben darum erringen wir vielleicht den ersteren.

VERSPRENGTE ENGLISCHE DRAGONER denen während des folgenden Gesprächs, bis Milhaud erscheint, in stets dichteren Haufen andere folgen. Hinter unsere Batterien! hinter unsere Batterien!

HERZOG VON WELLINGTON. Flüchtlinge, schämt euch, – haltet – Was gibts?

DIE DRAGONER. Bonapartes Kürassiere in unserem Rücken – Nichts hält ihnen Stand!

HERZOG VON WELLINGTON. Hm, – da schweigen auch seine Kanonen, weil sie sonst in seine eigne jetzt herankommende Kavallerie schießen würden, – recht klar – erst wollt er unsre Reihen mit Kugeln lüften, dann mit den Haudegen der Kürassiere vertilgen – So leicht geht es nicht, mein Herr! – Die Lücken der Karrees gefüllt – in die Karrees Batterien – die Reserven näher gerückt – Die vorderste Reihe des Fußvolks auf die Kniee – die zweite schießt – Bajonette vorgestreckt – die Reiterei fürerst beiseit!

LORD SOMERSET. Laß mich an die Spitze meiner Gardekavallerie!

HERZOG VON WELLINGTON. Nein, – dazu ists noch nicht Zeit, und die Kürassiere Milhauds, ungeschwächt, wie sie noch sind, hieltest du doch nicht auf.

LORD SOMERSET. Wie? Mit Pferden und Reitern wie die meinigen –

HERZOG VON WELLINGTON. Folge mir in jenes Karree –


Mit ihm zu dem Karree gehend.


Ja, ihr seid brav – Aber Milhauds Kürassiere, so schlecht die Menge der französischen Kavallerie sein mag, sind die Elite der ältesten, fast unter jeden Himmelsstrich, gegen jede Nation geprüften Schlachtenreiter – Sich einen Augenblick umwendend. Da kommen sie – Betrachte sie – Sind[445] ihre Gesichter nicht gelb und hart wie der Messing ihrer Helme und Sturmketten? Sehen sie nicht aus als hätten sie unter Spaniens Sonne oder Rußlands Schneegestöber sich Tag für Tag mit Blut abgewaschen?

MILHAUD zu seinen Kürassierdivisionen. Kameraden, eingehauen! – Ha, welche Wollust, diesen Narren, die Ihn nicht einmal kennen wollen, dicht vor ihrer Fronte in die Zähne zu rufen: hoch lebe der Kaiser!

DIE KÜRASSIERE. Hoch lebe der Kaiser!

MILHAUD. Und hoch unsre Schwerter, um so tiefer auf die Lumpen niederzuflammen!


Die Kürassiere versuchen einzubauen, Gewehrsalven empfangen sie. Manche stürzen, aber an den Panzern der meisten rollen die Flintenkugeln ab.


Was? Hat uns der Kaiser nicht feste Westen gegeben? – – Und schade, oder wir finden Schlüssel, die Tore dieser Vierecke zu sprengen!


Mit der linken Hand ein Pistol hervorreißend und es auf einen englischen in Reih und Glied stehenden Hauptmann anschlagend.


Hauptmann da – wahre deine Epaulette, daß sie nicht schmutzig wird – Er schießt ihn zu Boden, und sprengt über den Leichnam in das Karree. Hohussa!

EINER DER KÜRASSIERE mit den übrigen nachsprengend. Fahne her!

ENGLISCHER FAHNENTRÄGER. Eher mein Leben!

KÜRASSIER. So nimm den Tod!


Haut ihn nieder und nimmt die Fahne. – Die Artillerie des Karrees schießt mit Kartätschen.


MILHAUD. Diese Kanonen übergeritten!


Er stürmt mit den Kürassieren auf sie ein. Die Kanoniere brennen noch einmal die Geschütze ab und flüchten.


Ha, unser die Kanonen! – Vernagelt sie!

MEHRERE KÜRASSIERE springen von den Pferden. Das verstehen wir! Der Teufel selbst soll sie nicht weiter gebrauchen können!

MILHAUD. Vorwärts, vorwärts in und über die anderen Karrees! Das feindliche Heer aufgerollt vom Aufgang bis zum Niedergang! Der Gott der Siege umatmet unsre Helme!

HERZOG VON WELLINGTON. Lord Somerset, jetzt an die Spitze der Gardekavallerie, und warte meines Wortes.[446]

LORD SOMERSET. Endlich – Gott sei gelobt!

EIN ENGLISCHER OFFIZIER. Da haut der Milhaud das vierte Karree zusammen!

HERZOG VON WELLINGTON. Diesesmal scheitert er hier an dem fünften! – Sechzig Reservekanonen herein!

MILHAUD. Vier Karrees zu Stücken – In das fünfte!

HERZOG VON WELLINGTON. Herr General, es öffnet sich von selbst –


Das Karree öffnet sich und sechzig schwere Geschütze desselben geben Feuer.


MILHAUD. Heiliger Name Gottes – – Vorwärts in diese Höllenküche, und werden wir auch selbst darin gebraten – – Kamerad, wo dein rechter Fuß?

EIN KÜRASSIER. Mein Fuß? – Sakrament, da fliegt er hin, der Deserteur!

MILHAUD. Halte dich am Sattelknopf, wirst du ohnmächtig – – Nur drauf und dran! – – Nein, es geht nicht – Wir behalten sonst kein ganzes Pferd zum Zurückkommen! – Adieu, meine Herren – wir sprechen uns heute noch einmal, gleich nach dem zweiten Kugelsegen des Kaisers.


Mit den Kürassieren ab.


HERZOG VON WELLINGTON. Jetzt, Somerset, gib ihnen das Geleit!

LORD SOMERSET. Den Schurken nach, Kavallerie König Georgs des Dritten!


Ab mit der englischen Gardekavallerie.


HERZOG VON WELLINGTON. Zwei Adjutanten nach dem linken Flügel – Cooke und Clinton sollen Houguemont wieder zu nehmen versuchen – der Feind wird vielleicht durch die Diversion verwirrt.


Zwei Adjutanten eilen fort, – Lord Somerset kommt mit der Gardekavallerie zurück.


HERZOG VON WELLINGTON. Schon zurück?

LORD SOMERSET. Wir haben sie bis unter die Bajonette ihrer Infanterie getrieben – Mancher Küraß von Nancy liegt im Kot. – – General Picton ist eben gefallen.

HERZOG VON WELLINGTON. Auch der? – So sehr er mein Freund war, ich kann ihn jetzt nicht betrauren – Es ist keine Zeit dazu, und der Tod würgt heute so allgemein, daß er etwas ganz Gewöhnliches scheint.


Der französische Kanonendonner hebt wieder so furchtbar an,[447] wie kurz vor der Ankunft der

Milhaud'schen Kürassiere.


Ha, von Caillou her zum zweiten Angriff geschossen und gebrüllt! – Seid gefaßt! Milhaud sprengt bald neugestärkt hieher!

EIN OFFIZIER DES GENERALSTABES. Noch ein paar solcher Angriffe, und unsere Armee ist nicht mehr. Wäre kein Rückzug möglich durch den Wald von Soignies?

HERZOG VON WELLINGTON. Mein Herr, ein Rückzug ist doppelt unmöglich. Erstlich erlaubt ihn unsre Ehre nicht, und dann ist die Heerstraße durch den Wald so voll von flüchtigem Gesindel und Fuhrwerk, daß nicht eine Kompanie, geschweige siebenzigtausend Mann darauf zehn Schritt in Ordnung machen können. – O wäre der alte Blücher erst da! – – Was ist die Glocke, Somerset?

LORD SOMERSET. Die Glocke von Waterloo schlug eben halb vier.

HERZOG VON WELLINGTON. Dorftürmchen von Waterloo, du schlugst den Beginn der schwersten, unvergeßlichsten halben Stunde meines Lebens! – Um vier Uhr wollte Blücher im Forst von Frichemont sein. – – Himmel, wenn er nun nicht – Ordonnanzen nach dem Forst, ob sie nicht endlich eine preußische Landwehrkappe erblicken!

LORD SOMERSET. Der zweite feindliche Reiterschwall naht!

HERZOG VON WELLINGTON. Altengland treibe ihn zurück wie den ersten. – Ich setze mich auf diesen Feldstuhl, und weiche nicht davon, bis wir gesiegt haben oder eine Kugel mich davon wirft.


Quelle:
Christian Dietrich Grabbe: Werke und Briefe. Band 2, Emsdetten 1960–1970, S. 443-448.
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