Vierte Szene

[249] Zimmer im Schlosse.

Liddy und der Baron treten ein.


BARON. Laß dich warnen, Mädchen! Ich traue dem Herrn von Wernthal nicht!

LIDDY. Er hat seine Fehler; daß er aber auch Männerwert besitzt, hat er neulich im Duelle mit dem Grafen von Naubeck dargetan.

BARON. Im Duelle? – Oho, gestern duellierten sich zwei junge Herren darum, weil der eine auf Ehre versicherte, schon mehrmals am Schandpfahle gestanden zu haben, und der andere es ihm nicht glauben wollte. – – Gute Nacht! Ich habe genug gesprochen!


Geht ab.


LIDDY. Wahrlich, die Warnungen des Onkels beginnen Wirkung auf mich zu äußern! Wernthal ist nicht der, für den ich ihn bei unsrer ersten Bekanntschaft hielt! – – Sonderbar, daß mir unwillkürlich ein gewisser Mollfels einfällt, – er hatte das häßlichste Gesicht, welches sich denken läßt, war aber der geistreichste und vortrefflichste Mann, den ich gekannt habe.

EIN BEDIENTE kommt. Ein Herr Mollfels wartet im Vorsaal.

LIDDY erstaunt. Wer? – Mollfels? – Wie sieht er aus?

DER BEDIENTE. Wir haben eben sieben alte Weiber aus dem Schloßteiche gezogen, welche beim Anblicke seines Gesichts vor Schrecken ins Wasser gesprungen waren.

LIDDY für sich. Kein Zweifel, er ist es! Laut. Führ ihn zu mir! Der Bediente ab. Es wird mir Mühe kosten, daß ich meine Verwunderung verberge.

MOLLFELS tritt herein. Ha, da erblicke ich sie wieder! Laut. Fräulein, ich komme aus Italien zurück und eile Sie zu begrüßen.

LIDDY. Willkommen in der Heimat, Herr Mollfels, willkommen! –[249] Sind Ihre Erwartungen befriedigt worden? Wie fanden Sie Rom?

MOLLFELS. Graue Ruinen blicken aus grünen Gebüschen, laute Tritte tönen durch einsame Straßen, und wer auf den Trümmern des Kapitols, im Angesichte der ausgestorbenen Siebenhügelstadt die letzten Donner eines vorübergezogenen Gewitters am fernen Horizonte verhallen hört, fühlt sich freilich ganz anders ergriffen, als wenn er einen Kirchturm in Berlin zu seinem Standpunkt hätte.

LIDDY. Mich dünkt, in Rom müßte der Tod nicht sehr schmerzen.

MOLLFELS. Gewiß nicht! Dort schämt man sich ja beinahe, daß man lebt.

LIDDY. Haben Sie in Florenz meinen Bruder gesprochen?

MOLLFELS. Hier sind zwei Briefe von ihm und seiner Gemahlin.

LIDDY. O geschwind!


Sie bricht die Briefe auf.


MOLLFELS betrachtet sie während des Lesens. Welch reizendes Weib! Man hört die Musik ihrer Bewegungen! Wie zwei geistige Naphthafeuer glänzen die unauslöschlichen Flammen ihrer Augen, und wie ein See über seiner Quelle, wogt ihr Busen über ihrem Herzen! Selig der Erkorene, welcher an einer solchen Stätte sein ermüdetes Haupt ausruhen kann! Auf und ab gehend. Nein, ich will verdammt sein, wenn ich diesen Zustand länger ertrage! Ich muß erfahren, ob ich jemals hoffen darf oder ob ich mich an jenem Eichbaume aufhängen soll! Trotz meiner Häßlichkeit erkläre ich ihr jetzt meine Liebe, es mag biegen oder brechen! Er tritt vor Liddy hin. Fräulein, entsetzen Sie sich nicht über meinen Antrag, denn ich selber weiß recht gut, daß meine Taille die Pferde scheu zu machen pflegt, weil sie wie ein heruntergelassener Schlagbaum aussieht, – daß meine Stiefeln, ohngeachtet meine Waden darin stecken, so leer sind wie ein paar ausgehöhlte Bäume, – daß meine Ohren –

LIDDY. Um Gotteswillen, Herr Mollfels, fangen Sie an zu phantasieren?

MOLLFELS. Und meine Nase! Hohoho, meine Nase! Die Menschheit schaudert davor zusammen! Unförmlich wie ein Tigergekrös, rot wie ein Fuchs, platt wie eine Erzählung[250] von der Karoline Pichler, und so kurz wie eine Sekunde!

LIDDY. Wie eine Sekunde! – Wie lang ist Ihr rechter Arm?

MOLLFELS. Ein Schaltjahr! Mitten im Gradestehen kann ich mit ihm meine Schuhe aufknöpfen! Wenn ich jedoch Gradestehn sage, so ist das natürlich nicht im Sinne eines preußischen Gardisten zu nehmen, sondern weit eher möchte es in die Gedanken und Träume eines Leipziger Stadtsoldaten hineinpassen! Der Henker weiß es, wo mein Rücken seine unendliche Bescheidenheit gelernt hat, er macht mich zu einem stereotypen Komplimente, zu einem unermüdlichen Betrachter meiner eignen Beine, welche sich wiederum vielleicht nicht übel mit zwei fettgewordenen türkischen Säbeln vergleichen ließen!

LIDDY. Bleiben Sie mir mit den fettgewordenen Säbeln aus dem Spiele, und erlösen Sie mich endlich aus meinem Starren und Staunen! Wozu soll Ihre begeisterte Selbstschilderung denn eigentlich führen?

MOLLFELS. Dazu, daß ich vor Sie hinstürze, daß ich Sie anbete, daß ich Sie liebe!

LIDDY. Nun, ich muß Ihnen einräumen, Sie verstehen Ihre Liebeserklärungen fein einzufädeln! Wenigstens schicken Sie Beschreibungen Ihrer Persönlichkeit voraus, nach denen ich eher vermutet hätte, daß Sie wegen Ihrer Beine unter die Bäcker gehen wollten, als daß Sie mir die Liebe erklären würden.

MOLLFELS. O zerreißen Sie mir nicht mit meinen Beinen das Herz! Kein Mensch kann diese beiden Pole des Abscheus, diese beiden Zerstörer der Freundschaft, diese beiden Universalmittel gegen die Liebe grimmiger hassen als ich! Wenn ich irgend einem edlen Manne, der in den Morast gefallen ist, das Leben gerettet habe, und ich drücke ihn nun zum ewigen Bunde unsrer Seelen an meine Brust, so gibt er mir eine Ohrfeige und läuft davon, wenn er von ohngefähr einen Blick auf meine Beine geworfen hat! Aber dennoch, Fräulein, zwingt mich die Macht der Leidenschaft Ihnen meinen Liebesschwur von neuem vorzustammeln! Es ist mit mir dahin gediehen, daß ich mich schäme Rindfleisch und Senf zu essen, weil es mir für einen Liebenden zu gemein scheint, – daß ich in meiner Ekstase ein abgeschmacktes Trauerspiel geschrieben habe, dessen Inhalt zu närrisch ist, als daß ich Ihnen denselben nicht sogleich mitteilen sollte.[251] Statt des Schicksals lasse ich darin die Gottheit der Antifatalisten, die Langeweile herrschen. Diese wird bei Eröffnung der Szene von dem zagenden Volke mit Vorlesungen aus den dramatischen Werken von Eduard Gehe verehrt. Unvermutet schallt aus dem Tempel der Ausspruch, daß die Göttin den Untergang der erhabenen Prinzessin Salvavenia beschließe. Das Volk heult, die Glocken läuten, die Prinzessin jammert als ob sie dem Satan schon in den Krallen säße, und alles stürzt in wilder Verzweiflung von der Bühne. Hierauf tritt Ossian ein und ißt ein Butterbrot. Nachdem er damit fertig geworden, verändert sich die Szene in den Audienzsaal des kaiserlichen Palastes. Der Kaiser hat eine Napoleonsweste an und die Großen stehen in grauen Gamaschen, welche sie vor Betrübnis aufgeknöpft haben, um seine Majestät herum. In der einen Stubenecke liegen zwei Strümpfe, welche höchst erbittert auf einander sind und sich vergiften wollen; nebenbei hängt ein plüschenes Wams, welches im Konversationslexikon blättert und eine Tasse Tee trinkt. Doch mit mordbegierigen Gebärden schleicht schon ein rachsüchtiger, hypochondrischer Borstwisch –

LIDDY. Gerechter Himmel, halten Sie ein! Ich zittere für meinen Verstand!

MOLLFELS. Ich wollte Ihnen nur zeigen, zu welchen wahnsinnigen Kompositionen mich die Allgewalt der Liebe verleitet!

LIDDY. Ich hoffe, daß es mit Ihrer Liebe nicht so ernstlich gemeint ist, denn ich bin mit dem Herrn von Wernthal verlobt.

MOLLFELS. Ei, so mag mich die Erde einschlingen, ich bin ein unglücklicher Kerl! – Verlobt? – Wahrhaftig, mir rollen die Tränen! – Mit der Hand über seine Stirn fahrend. Wenn – wenn ich mich in diesem meinen Schmerze umbringe, so werde ich mich vermutlich erschießen, denn wenn ich mich ersäufte, so müßte ich fürchten, daß ich den Schnupfen bekäme, und mit dem Schnupfen vor Gottes Richterstuhl zu treten, wäre wegen des Niesens teils sehr störend und teils sehr unschicklich. Er geht ab.

LIDDY. Der Mann könnte einem Mädchen mehr gefallen, als wie er selber denkt.[252]

Quelle:
Christian Dietrich Grabbe: Werke und Briefe. Band 1, Emsdetten 1960–1970, S. 249-253.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Grabbe, Christian Dietrich

Herzog Theodor von Gothland. Eine Tragödie in fünf Akten

Herzog Theodor von Gothland. Eine Tragödie in fünf Akten

Den Bruderstreit der Herzöge von Gothland weiß der afrikanische Anführer der finnischen Armee intrigant auszunutzen und stürzt Gothland in ein blutrünstiges, grausam detailreich geschildertes Massaker. Grabbe besucht noch das Gymnasium als er die Arbeit an der fiktiven, historisierenden Tragödie aufnimmt. Die Uraufführung erlebt der Autor nicht, sie findet erst 65 Jahre nach seinem Tode statt.

244 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon