Das 5. Wort

Mein Gott / mein Gott / warum hastu mich verlassen

[156] Mein Gott wie hast' auf mich Verlassung lassen fallen!

dein ganzes Zornes-Heer jetzt stürmet auf mich ein.

Ach! du entzeuchst mir ganz den Gott-und Gnadenschein.

Ich bin ein Würmlein nur / das Elendst unter allen.

Mein süsse Labung / sind die herb' und bittern Gallen.

Doch soll mirs eitel Trost und Zucker-Wollust seyn /

wann mit der meinen ich vertrieb der Menschen Pein.

In grösten Schmerzen pflegt mein Herz vor Lieb zu wallen.

Ich will mich lieber selbst / als sie / verlassen sehn.

Vnd wann ich noch so viel / ja mehr noch / aus solt stehn /

so tauret mich doch nichts: wann sie es nur geniessen.

Mein' Haupt-Verlassung / sey ihr stäter Trostes-Brunn.

Daß sie sie finden stäts / mir alle Hülf zerrunn.

Mein Blut soll von mir weg / sie zu erquicken / fliessen.

Quelle:
Catharina Regina von Greiffenberg: Geistliche Sonnette, Nürnberg 1662, S. 156-157.
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