Vierter Aufzug

[412] Die Kleinseite in Prag, wie zu Anfang des ersten Aufzuges. Die Sturmglocke wird gezogen. Man hört schießen.

Bürger treten fliehend auf.


EIN BÜRGER.

Flieht, Nachbar, flieht! 's ist das Passauer Kriegsvolk.

Der Kaiser hat sie in das Land gerufen,

Erzherzog Leopold, sein Neffe, führt sie.

PROKOP aus seinem Hause tretend.

Was ist? Was solls?

BÜRGER.

Ihr wißt ja: die Passauer.

PROKOP.

Doch ist die Stadt bewahrt.

BÜRGER.

Man hat die Pforte

Geöffnet ihnen oben am Hradschin,

Und nun ergießt der Trupp sich durch die Straßen.

PROKOP sein Schwert ziehend.

So greift zur Wehr!

BÜRGER.

Dort, seht ihr? kommt ein Trupp.

PROKOP.

Schließt euch und haltet aus! Ist doch die Stadt

Von Männern voll. Tut jeder seine Pflicht,

So lehren wir den Räubern wohl die Reue.


Gegen sein Haus gewendet.


Dich, Kind, indes befehl ich Gottes Hut.

Der ist kein Bürger, der die eigne Sorge

Vergißt nicht in der Not des Allgemeinen.

Zieht euch zu jener Ecke, sie gibt Schutz,

Und gehn sie vor, so fallt in ihre Seiten.


Sie ziehen sich zurück.

Oberst Ramee tritt auf mit Soldaten.


RAMEE zu einigen, die ihre Gewehre anschlagen.

Halt ein mit Schießen! Es erweckt die Schläfer.

Wir überfallen sie, und ohne Blut,

So will es der Erzherzog, sind wir Sieger.

Drängt nicht zu scharf! Denn rasch in ihrem Rücken

Eilt eine Reiterschar der Moldau zu,

Besetzt die Brücke, dringt ins offne Tor;

Die Altstadt unser, sind wir Herrn von Prag.


Trompeten in weiter Ferne.
[413]

RAMEE.

Die Brücke ist genommen. Jetzt auf sie!


Mit den Soldaten nach der rechten Seite ab. Man hört Lärm des Gefechts Don Cäsar im Wams, ohne Hut, kommt, von einigen Soldaten umgeben.


CÄSAR.

Ich dank euch, Freunde, daß ihr mich entledigt

Der bittern Haft, in der mich hielt die Willkür,

Um jener wegen, die dort oben wacht.


Auf Prokops Haus zeigend, in dessen oberm Geschoß ein Licht brennt.


Ich will mit euch, will kämpfen, fechten, sterben,

Gleichviel, für wen und gleichviel, gegen wen;

Den, der mich tötet, nenn ich meinen Freund.

Doch vorher noch ein Wörtchen oder zwei

Mit ihr, die mich verdarb.


Da einige sich der Türe nähern.


Halt, kein Geräusch!

Ich kenne die Gelegenheit des Hauses,

Aus frührer Zeit. Dort rückwärts an der Mauer

Ist noch ein Pförtchen, das ins Innre führt,

Von wo zwei Treppen nach der Gartenseite

Zum Söller steigen nächst an ihr Gemach.

Dort seis versucht, und ihr bewahrt den Eingang!


Sie verlieren sich hinter dem Hause.

Zimmer in Prokops Hause. An der linken Seite ein

Fenster. Gegenüber eine Tür. Im Hintergrunde zwei andere, worunter eine Glastüre, die nach dem Söller führt.


LUKREZIA tritt aus der Seitentüre links.

Es kommt der Tag, allein mein Vater nicht.

Ich hörte schießen, schrein, Geklirr der Waffen,

Und er verläßt sein Kind in dieser Not.

O, daß die Männer nur ins Weite streben!

Sie nennens Staat, das allgemeine Beste,

Was doch ein Trachten nach dem Fernen nur.

Gibts denn ein Bestes, das nicht auch ein Nächstes?

Mein Herz sagt nein, nächstpochend an die Brust.


Ans Fenster tretend.


Nun ist es ruhig, und der graue Schein

Vom Ziskaberg verkündet schon die Sonne.


Rasch umgewendet.


Hör ich Geräusch und kehrt mein Vater heim?


[414] Die Glastüre des Söllers öffnet sich und Don Cäsar tritt ein.


DON CÄSAR.

Viel Glück ins Haus!

LUKREZIA.

O Gott, so schaut das Unglück!

DON CÄSAR.

Erschreckt nicht, holde Maid! Ich bin es selbst;

Und bins auch nicht. Die Asche nur des Feuers,

Das einst für euch geglüht, ihr wißt, wie heiß;

Der Schatten nur des Wesens, das ich war.

Und selbst der letzte Schimmer dieses Daseins,

Der noch ins Dunkel strahlt, das Leben heißt,

Kommt zu verlöschen mir in dieser Nacht.

Ich geh in Kampf und weiß, ich werde fallen,

Die Ahnung trügt nicht, wenn vom Wunsch erzeugt.

Was soll ich auch in dieser wüsten Welt,

Ein Zerrbild zwischen Niedrigkeit und Größe;

Verleugnet von dem Manne, der mein Vater,

Mißachtet von dem Weib, das ich geliebt. –

Erzittert nicht! Davon ist nicht die Rede.

Die Leidenschaften und die heißen Wünsche,

Die mich bewegt, sie liegen hinter mir,

Ich habe sie begraben, eingesargt.

Was ist es auch: ein Weib? Halb Spiel, halb Tücke,

Ein Etwas, das ein Etwas und ein Nichts,

Je demnach ich mirs denke, ich, nur ich.

Und Recht und Unrecht, Wesen, Wirklichkeit,

Das ganze Spiel der buntbewegten Welt,

Liegt eingehüllt in des Gehirnes Räumen,

Das sie erzeugt und aufhebt, wie es will.

Ich plagte mich mit wirren Glaubenszweifeln,

Ich pochte forschend an des Fremden Tür,

Gelesen hab ich und gehört, verglichen,

Und fand sie beide haltlos, beide leer.

Vertilgt die Bilder solchen Schattenspiels,

Blieb nur das Licht zurück, des Gauklers Lampe,

Das sie als Wesen an die Wände malt,

Als einzge Leidenschaft der Wunsch: zu wissen.

Laßt mich erkennen euch, nur deshalb kam ich;

Zu wissen, was ihr seid, nicht, was ihr scheint.[415]

Denn wie's nur eine Tugend gibt: die Wahrheit,

Gibts auch ein Laster nur: die Heuchelei.

LUKREZIA.

Mir aber dünkt, der Heuchler, wie ihrs nennt,

Zeigt mindstens Ehrfurcht vor dem Heilgen, Großen,

Das eure Wahrheit leugnet, wenn sies schmäht.

DON CÄSAR.

So seid ihr Heuchlerin?

LUKREZIA.

Ich war es nie.

DON CÄSAR.

Ich fürchte doch: ein bißchen, holde Maid.

Als ich, nun lang, zum erstenmal euch sah,

Da schien mir alle Reinheit, Unschuld, Tugend

Vereint in eurem jungfräulichen Selbst;

Zeigt wieder euch mir also, laßt mich glauben!

Und wie der Mann, der abends schlafen geht,

Von eines holden Eindrucks Macht umfangen,

Er träumt davon die selig lange Nacht,

Und beim Erwachen tritt dasselbe Bild

Ihm mit dem Sonnenstrahl zugleich vors Auge.

So gebt mir euch, euch selber auf die Reise,

Von der zurück der Wandrer nimmer kehrt.

Kein Weib, ein Engel; nicht geliebt, verehrt.

LUKREZIA.

Wie ohne Grund ihr mich zu hoch gestellt,

So stellt ihr mich zu tief nun ohne Grund.

DON CÄSAR.

Nicht doch, nicht doch! – Ihr stießet mich zurück.

Ich mußt es dulden, manchen Fehls bewußt.

Doch seht, da war ein Mann, Belgioso hieß er,

Ein Heuchler und ein Schurk.

LUKREZIA.

Er war es nicht.

DON CÄSAR.

Verteidigt ihr ihn denn?

LUKREZIA.

Wer klagt ihn an?

DON CÄSAR.

Ich, der ich ihn gekannt. – Er hielt zu mir:

In all dem Treiben, das mit Recht man tadelt,

Im wilden Toben war er mein Genoß.

Doch ging er hin und zeigt' es heimlich an

Und brachte mich um meines Vaters Liebe.

LUKREZIA.

Der laute Ruf erspart' ihm diese Müh.

DON CÄSAR.

Die Welt hat Recht zum Tadel, nicht der Freund.

Doch plötzlich kehrt' er sichtlich mir den Rücken,

Zu gleicher Zeit betrat er euer Haus.[416]

LUKREZIA.

Er war der Freund des Vaters, nicht der meine.

DON CÄSAR.

Als Freund des Vaters denn nahmt ihr ihn auf,

Doch als der eure, denk ich, kam er wieder,

War Mitbewohner fast in diesem Haus,

Bei Tag, bei Nacht.

LUKREZIA.

Zu Abend, wollt ihr sagen,

Im Beisein meines Vaters, anders nie.

DON CÄSAR.

Ich aber stand genüber auf der Straße,

Mit Reif und Schnee bedeckt, und sah empor

Zum Fenster, wo die Schatten Glücklicher

Wie Mücken flogen um den Strahl des Lichts.

Da endlich kam der Tag, der ihn bestrafte.

LUKREZIA.

Erinnert ihr mich noch an seinen Tod?

DON CÄSAR.

Nicht ich tats, noch geschahs um meinetwillen,

Das euch zu sagen kam zumeist ich her.

Feldmarschall Rußworm, zwar mein Freund und Lehrer,

Doch Täter seiner Taten er allein,

Im Streit, beim Spiel, was weiß ich? oder sonst,

Hat ihn besiegt in ehrlichem Gefecht,

Wie's Edelleute pflegen und Soldaten.

Und wißt ihr, welches Los ward meinem Freund?

Der Kaiser ließ auf offnem Marktplatz ihm

Das Haupt vom Rumpfe trennen, angesichts

Des ganzen Volks, beinah vor meinen Augen.

Gedenk ich jenes Tags, so gärts in mir

Und blutige Gedanken werden wach.

Stünd er vor mir, der heuchelnde Verräter,

Nicht damals tat ichs, aber jetzt geschähs:

Das Schwert bis an das Heft in seiner Brust,

Bezahlt' er mir die Schrecken jener Stunde.

LUKREZIA.

O Gott, wer rettet mich?

DON CÄSAR.

Seid nicht besorgt!

Mir ists, sagt' ich, um Wahrheit nur zu tun.

Glaubt nicht auch, daß mich Eifersucht bewegt!

Die Eifersucht ist Demut, ich bin stolz,

Verachtung liegt mir näher als der Haß.

Doch daß ihr von erlogner Tugend Höhe

Herabseht auf die Welt, auf mich, auf alle,[417]

Den gleichen Fehl verhehlend in der Brust,

Das soll nicht sein. Fluch aller Heuchelei!

Sagt mir: ich liebt ihn, den geschiednen Freund,

Ich liebt ihn, weil sein Antlitz zart und weiß,

Ich liebt ihn, weil sein Haar von Salben duftend,

Ich liebt ihn, weil ich töricht, albern, schwach,

Sagts, und ich laß euch frei.

LUKREZIA.

Ich liebt ihn nicht;

Nur Gott hat meine Liebe und mein Vater.

DON CÄSAR.

Recht gut, recht schön! – Doch wes ist dieses Bild

– Ich bin vertraut mit eures Hauses Räumen –


Die Seitentüre öffnend.


Wes ist das Bild, das hängt an jener Wand,

Vom Licht der Lampe buhlerisch beschienen?

Ists Belgiojosos nicht? Ertappt, ertappt!

LUKREZIA.

Mein Vater hängt' es hin.

DON CÄSAR.

Und ihr, Madonna,

Ihr rücktet euern Schemel zum Gebet

Hart an das Bild, daß, wenn die Lippen beten,

Das Herz zugleich schwelgt in Erinnerungen,

Erinnerungen, die – Und wenn ich tot,

Lacht an der Seite eines neuen Buhlen

Ihr mein und meiner Liebe, wie ihr lachtet

An Belgiojosos Hand.


Lukrezia entflieht ins Seitengemach.


CÄSAR.

Nicht dort hinein!

Nicht dort hinein vor meines Feindes Bild,

Des Heuchlers, Heuchlerin! – Ringst du die Hände

Zu ihm als deinem Heilgen?


Er hat eine Pistole aus dem Gürtel gezogen, die er jetzt in der Richtung der offnen Türe abschießt.


Folg ihm nach!

– Was ist geschehn?


In die Türe blickend.


Weh mir! – O meine Taten!


Er wirft sich auf ein Knie, die Augen mit den Händen bedeckend.

Ein Hauptmann kommt mit Soldaten.


HAUPTMANN.

Hier fiel ein Schuß, und er ist in der Nähe.[418]

PROKOP der sich durch die Soldaten drängt.

Lukrezia, mein Kind!


An der offenen Türe.


O! greulich, gräßlich!


Er stürzt hinein, die Türe schließt hinter ihm.


HAUPTMANN Don Cäsar emporrichtend.

Wir suchten euch.

DON CÄSAR.

Nun denn, ihr habt gefunden.

Gibts Richter noch in Prag?

HAUPTMANN.

Es gibt sie wieder.

Der Feind hinausgeschlagen aus der Stadt,

Kehrt Ordnung und das Recht zurück von neuem.

DON CÄSAR.

So richtet mich! Erspart mir selbst die Müh.


Er geht auf die Hintertüre zu, von den Soldaten gefolgt.


PROKOP in der Seitentüre erscheinend.

Hieher, hieher! Vielleicht ist Hilfe möglich.


Einige Diener, die während des vorigen gekommen sind, folgen ihm ins Seitengemach.

Alle ab.

Garten im königlichen Schlosse auf dem Hradschin. In der Mitte des Hintergrundes ein Ziehbrunnen mit einem Schöpfrade.

Heinrich Thurn und Graf Schlick kommen mit einigen bewaffneten Bürgern.


THURN.

Stellt Wachen aus, besetzt die äußern Pforten!

Von hier aus ließ den Feind man in die Stadt,

Darum bewehrt vor allem den Hradschin.


Die Bürger gehen.


SCHLICK.

Scheints doch ein Wunder fast, daß wir gerettet.

THURN.

Das Wunder war der Mut, die Tapferkeit

Der wackern Bürger unsrer Altstadt Prag.

Der Feinde Plan war listig angelegt.

Hier oben von Verrätern eingelassen,

Drang ihre Schar nur langsam, zögernd vor,

Als ob den Widerstand der Gegner scheuend;

Doch desto schneller fliegt durch Seitengassen

Ihr Reitertrupp der Moldaubrücke zu,

Die Altstadt, wohl im Schlaf noch, überfallend.

Schon füllt die Brücke sich mit Roß und Mann,[419]

Schon dringen, die zuvorderst, in die Stadt;

Da fällt mit eins das Gitter vor das Tor,

Und von dem Turm aus Büchsen und Kartaunen

Ergießt sich Feuer auf die wilde Schar.

Die Rosse bäumen und die Reiter stürzen,

Der Vortrupp weicht, der Nachzug drängt nach vorn,

Ein unentwirrter Knäuel füllt die Brücke,

Entladend in die Moldau sein Gedräng;

Bis endlich Schrecken, mächtger als die Raubgier,

Nach rückwärts treibt den lauten Menschenstrom,

Sich überstürzend und den Nachbar schädgend,

Ins eigne Fußvolk bricht die Reiterei,

Daß unsern Bürgern, die im Ausfall folgen,

Die Mühe nur des Schlachtens übrigbleibt.

Die Wege, die er kam, verfolgt der Rückzug,

Und Bürgertreue schließt die Einbruchspforte,

Die Rachsucht öffnete und der Verrat.

SCHLICK.

Doch sind sie stark noch außen vor der Stadt.

THURN.

Seid unbesorgt! Der räuberische Durchzug

Von Passau her, durchs obre Österreich

Bis fern nach Böhmen, blieb nicht unbewacht,

So wie er unvorhergesehen nicht.

Von ringsum sammeln sich die Garnisonen,

Der Landmann greift zur Wehr, und der Erzherzog

Mathias, derzeit noch von Ungarn König,

Und bald von Böhmen, denk ich, etwa auch,

Er ist zur Hand, rasch folgend ihrer Ferse.

Ja nur, weil nicht gewachsen ihm im Feld,

Versuchten sie heut nacht den Überfall.

Von hier verdrängt, ihr Zufluchtsort verloren,

Zerstäubt in alle Winde bald die Schar.

SCHLICK.

Allein was tun wir selbst?

THURN.

Man wirbt um euch.

Verhaltet euch wie die verschämte Braut,

Der neue Freier bringt euch neue Gaben.


Herzog Julius kommt mit einem Hauptmanne, der einen Schlüssel trägt.


JULIUS.

Ihr Herrn, ist das wohl Fug und Recht? Man stellt

Im Schlosse Wachen, wie in Kerkermauern,[420]

Selbst vor des Kaisers fürstliches Gemach.

Man fordert ab die Schlüssel aller Pforten,

Des Eingangs Freiheit und des Ausgangs hemmend.

Zuletzt noch diesen, der vor allem nötig.

Er führt zum Turm, in den man rück Don Cäsar,

Den unglückselig wildverworrnen, brachte,

Im Wahnsinnfieber gen sich selber wütend.

Die Ärzte haben, Blut mit Blut bekämpfend,

Die Adern ihm geöffnet an dem Arm.

Er braucht des Beistands und des freien Zutritts,

Drum fordr ich diesen Schlüssel hier von euch.

THURN.

Doch deucht mich, daß Don Cäsar, eben er,

Verbunden mit den Räubern heute nacht,

Teilnahm an all dem Greuel, der geschah,

Weshalb er in Gewahrsam nur mit Recht.

JULIUS.

Der Richter wird erkennen seine Schuld.

THURN.

Man weiß noch nicht, wer Richter hier im Land.

JULIUS.

Doch wohl nicht ihr?

THURN.

Verhüt es Gott!

Doch auch nicht jene, die des Unheils Stifter,

Als schuldig etwa selber sich gezeigt.

Wir harren eines Höhern, der schon naht.

Allein damit ihr seht, daß euer Wert

Als Fürst des Reiches und als Ehrenmann

Auch hier im fernen Böhmen anerkannt;

Nehmt diesen Schlüssel; ob zwar auf Bedingung:

Daß nur der Eintritt und für Ärzte nur,

Nicht auch der Austritt etwa gar für ihn

Geknüpft an diesen Bürgen seiner Haft.

JULIUS.

Ich dank euch, edler Graf, und bin erbötig

Zu gleichem Dienst, kommt ihr in gleichen Fall.

Doch jetzt nehmt euern Abschied, wenns beliebt.

Von fern seh ich des Kaisers Majestät,

Den ihr vertrieben aus der Burg Gemächern,

Gönnt ihm den Atem in der freien Luft.

THURN.

Die Luft ist frei für jeden, doch die Burg

Verschließt man gern vor Untreu und Verrat.


Er entfernt sich mit seinem Begleiter.

[421] Der Kaiser kommt, von Rumpf und einigen begleitet, von der linken Seite. Er bleibt vor einem Blumenbeete stehen.


RUMPF.

Die Blumen sind zum guten Teil geknickt,

Das tat der böse Sturm in heutger Nacht.


Der Kaiser winkt bestätigend mit dem Kopfe.


RUMPF.

Den Sturmwind mein ich eben, Majestät.


Der Kaiser hat sich nach vorn bewegt, jetzt bleibt er stehen und fährt mit dem Stabe einigemale über den Boden.


RUMPF.

Der Fußtritt vieler Kommenden und Gehnden

Hat arg gehaust in dieses Gartens Wegen.

Des Gärtners Rechen gleicht es wieder aus.

Beliebts euch nun, den Tieren nachzusehn,

Die in den Käfigen der Füttrung harren?

Der Löwe nimmt die Nahrung nur von euch,

Die Wärter sagen, daß gesenkten Haupts

Er leise stöhnt, wie einer der betrübt.


Der Kaiser hat den Herzog von Braunschweig bemerkt und hält ihm die Hand hin.


JULIUS auf ihn zugehend.

Mein Kaiser und mein Herr!


Er will ihm die Hand küssen, der Kaiser zieht sie zurück und hält sie, als zum Handschlag, wieder hin.


JULIUS des Kaisers Hand mit beiden fassend.

Nun denn: willkommen!

Mich freut das Wohlsein eurer Majestät.


Der Kaiser lacht höhnisch.


JULIUS.

Nach Wolken, sagt ein Sprichwort, kommt die Sonne,

Die Sonne aller aber ist das Recht.


Der Kaiser weist mit dem Stabe gen Himmel.


JULIUS.

Nicht nur dort oben, auch schon, Herr, hienieden.

Denn selbst der Bösewicht will nur für sich

Als einzeln ausgenommen sein vom Recht,

Die andern wünscht er vom Gesetz gebunden,

Damit vor Räuberhand bewahrt sein Raub.

Die andern denken gleich in gleichem Falle,

Und jeder Schurk ist einzeln gegen alle;

Die Mehrheit siegt und mit ihr siegt das Recht.

Wärs anders, Herr, die Welt bestünde nicht,

Und alle Bande des gemeinen Wohls,

Sie wären längst gelöst von Eigennutz.[422]

In euerm Fall: glaubt ihr, des Reiches Fürsten,

Sie werden ruhig zusehn dem Verderben hier,

Nicht böses Beispiel für sich selbst befürchten?

Selbst euer Volk –


Ein Bürger, nachlässig bewaffnet, die Muskete auf der Schulter, tritt von der linken Seite auf, betrachtet die Anwesenden und kehrt auf einen Wink Herzog Julius wieder zurück. Der Kaiser fährt zusammen.


RUMPF.

Es sind die Wachen –

Die Leibwacht freilich nicht der Königsburg –

Vielmehr die Bürger, die man ausgestellt,

Weil sie behaupten, daß hier vom Hradschin

Den Feind man eingelassen in die Stadt,

Und weil man Tor und Pforte will verwahren.


Der Kaiser droht heftig mit dem Finger in die Ferne.


JULIUS.

O scheltet nicht den Neffen, der euch liebt!

Erzherzog Leopold, glaubt mir, o Herr,

Er fühlt das Unglück tiefer als ihr selbst.

Er war bei mir, als schon der Kampf entschieden,

Und bat mich, nassen Augs, ihn zu vertreten

Ob seiner Wagnis, die der Zufall nur,

Ein mißverstandener Befehl vereitelt,

Sonst wart ihr frei und Herr in euerm Land.

Er geht nach Deutschland, um des Reiches Stände

Zum Schutze zu vereinen seines Herrn.

Zugleich die andern Fürsten eures Hauses –


Zu Rumpf.


Ward es gemeldet schon?


Auf eine entschuldigende Gebärde Rumpfs.


Sie sind uns nah.

Sie kommen heut nach Prag, um als Vermittler

Zu schlichten diesen unheilvollen Zwist.

Dabei auch, wie ihr früher selbst begehrt,

Abbittend der verletzten Majestät,

Genugzutun für alles, was sie selbst

In guter Meinung früherhin gesündigt.

Die Welt, sie fühlt die Ordnung als Bedürfnis,

Und braucht nur ihr entsetzlich Gegenteil[423]

In voller Blöße nackt vor sich zu sehn,

Um schaudernd rückzukehren in die Bahn.


Der Kaiser zeigt auf die Erde, wiederholt mit dem Stabe auf den Boden stoßend, und entfernt sich

dann, auf Rumpf gestützt, nach dem Hintergrunde.

Ein Diener, von der rechten Seite kommend, halblaut zu Herzog Julius.


DINER.

Um Gottes willen, gebt den Schlüssel, Herr!

JULIUS.

Was ist?

DIENER.

Die Ärzte fordern Einlaß zu Don Cäsar.


Der Kaiser hat sich umgewendet und blickt forschend nach den Sprechenden.


RUMPF.

Der Kaiser wünscht zu wissen, was die Sache.

JULIUS.

Man hat Don Cäsar in den Turm gebracht,

Wo als Erkranktem, der dem Wahnsinn nahe,

Die Adern man geöffnet ihm am Arm.

DIENER.

Er aber tobte an dem Eisengitter

Und rief nach einem Richter, um Gericht,

Er wolle leben nicht; bis plötzlich, jetzt nur,

Er den Verband sich von den Adern riß.

Es strömt sein Blut, und die verschloßne Tür

Verwehrt den Eintritt den berufnen Ärzten.

Gibt man den Schlüssel nicht, ist er verloren.

JULIUS den Schlüssel aus dem Gürtel ziehend.

Hier nimm und eil!


Der Kaiser winkt mit dem Finger.


JULIUS.

Allein bedenkt, o Herr!


Da der Kaiser den Schlüssel genommen hat und sich damit entfernt, ihm zur Seite folgend.


Von einem Augenblick hängt ab sein Leben,

Und nicht sein Leben nur, sein Ruf, sein Wert.

Ihm selbst und jedem andern, der ihm nah,

Liegt nun daran, daß er vor seinen Richtern

Erläutre, was er tat und was ihn trieb,

Daß nicht wie ein verzehrend, reißend Tier,

Daß wie ein Mensch er aus dem Leben scheide,

Wenn nicht gereinigt, doch entschuldigt mindstens.

Ihm werde Spruch und Recht.

DER KAISER der auf den Stufen des Brunnens stehend, den Schlüssel hinabgeworfen hat, mit starker Stimme.

Er ist gerichtet,

Von mir, von seinem Kaiser, seinem –


[424] Mit zitternder, von Weinen erstickter Stimme.


Herrn!


Er wankt nach der linken Seite, von Rumpf unterstützt, ab.


JULIUS auf die Stufen des Brunnens tretend und hinabsehend.

Es ist umsonst! Don Cäsar ist verloren.

Sprengt auf die Tür! – Und doch, es ziemt uns nicht,

Dem Urteil vorzugreifen seines Richters. –

O, daß er doch mit gleicher Festigkeit

Das Unrecht ausgetilgt in seinem Staat,

Als er es austilgt nun in seinem Hause.

Geht nur, es ist geschehn.

HINTER DER SZENE wird gerufen.

Halt da! Zurück!

JULIUS.

Was dort?

Der Kaiser aufgehalten von den Wachen?

Legst du die Hand an ihn, an den Gesalbten?

Das soll nicht sein, solang ich leb und atme.

Mein letztes Blut für ihn. Zurück die Hände!

Sonst zahlst du deine Frechheit mit dem Tod.


Er geht, die Hand am Schwert, nach der linken Seite ab.


Verwandlung.


Gemach in der Burg wie zu Anfang des dritten Aufzuges. Die nischenartige Vertiefung rechts im

Hintergrunde mit einem herabgelassenen Vorhange bedeckt.

Thurn und Schlick kommen, ein Arbeiter mit Schurzfell hinter ihnen.


THURN.

Ward jeder Ausgang nach Geheiß verschlossen?

Hier ist noch eine Tür.

ARBEITER den Vorhang wegziehend und an einer in der Mauer befestigten Spange zurückschlagend.

Sie ist nicht mehr.

Mit starken Bohlen hat man sie verrammelt,

Sie hält so fest nun als die feste Wand.

THURN.

Geht immer nur und seht nach außen zu.


Arbeiter ab.


THURN.

Vor allem liegt daran, daß unser König,

Der aus sich selbst wohl Schlimmes nie begehrt,

Nicht, von Verrätern heimlich weggebracht,

Zur Fahne diene feindlichem Beginn.

SCHLICK.

Allein, mein Freund, wir ehren unsern König,

Und das geht weiter, als die Absicht war.[425]

THURN.

Die Absicht, Freund, ist ein vorsichtger Reiter

Auf einem Renner feurig, der die Tat.

Den spornt er an zu hastigem Vollzug.

Hat er das Ziel erreicht, zieht er die Zügel

Und meint, nun wärs genug. Allein das Tier,

Von seiner edlen Art dahingerissen

Und von dem Wurf des Laufes und der Kraft,

Es stürmt noch fort durch Feld und Busch und Korn,

Bis endlich das Gebiß die Glut besiegt.

Da kehrt man denn zurück.

SCHLICK.

Wenns dann noch möglich.

THURN.

Wenn nicht, dann nur kein Wort von Zweck und Absicht,

All, was geschehn, das hast du auch gewollt.

Doch nahen Tritte; wohl der Kaiser selbst,

Laß uns noch sehen nach der äußern Pforte.


Sie gehen durch die Türe links.

Der Kaiser kommt, auf Rumpf gestützt, Herzog Julius geht vor ihm her.


JULIUS.

Verzeiht, o Herr, der Wachen Unverstand.

Der Mann, den man zur Obhut hingestellt,

Erkannt euch nicht.


Der Kaiser nickt höhnisch mit dem Kopfe.


JULIUS.

Er folgte dem Befehl,

Der jedermann den Zutritt untersagte.


Der Kaiser erblickt den verschlossenen Eingang zum Laboratorium und zeigt mit dem Stocke darauf hin.


RUMPF den zurückgeschlagenen Vorhang herablassend.

Besorgnis wohl für eure Sicherheit,

Man will den Eingang Unberufnen wehren.

RUDOLF.

Den Eingang? Sag den Ausgang! Mir, dem Kaiser.

Ich bins und fühle mich als Herrn, obgleich in Haft.

Drum fort von mir, du menschlich naher Schmerz.

Gib Raum dem Ingrimm der verletzten Würde.

Und weißt du, wers getan? Nicht daß mein Bruder

Die Hand erhoben wider meine Krone;

Ich hab ihn nie geliebt, und er ist eitel,

Er tat nach seinem Wesen, obgleich schlimm.


Ans Fenster tretend.


Doch diese Stadt. Schau, wie sie üppig liegt,[426]

Geziert mit Türmen und mit edlem Bau,

Verschönt durch Kunst, was Gott schon reich geschmückt.

Und mein Werk ists. Hier war mein Königssitz.

Für Prag gab ich das lebensvolle Wien,

Den Sitz der Ahnen seit des Reiches Wiege.

Die heuchlerische Stille tat mir wohl,

Weil selbst ich still und heimisch gern in mir.

Gehütet wie den Apfel meines Auges

Hab ich dies Land und diese arge Stadt,

Und während alle Welt ringsum in Krieg,

Lag, einer blühenden Oase gleich,

Es in der Wüste von Gewalt und Mord.

Doch bist du müde deiner Herrlichkeit

Und stehst in Waffen gegen deinen Freund?

Ich aber sage dir: wie eine böse Beule

Die schlimmen Säfte all des Körpers anzieht,

Zum Herde wird der Fäulnis und des Greuls,

So wird der Zündstoff dieses Kriegs zu dir,

Der lang Verschonten, nehmen seinen Weg,

Nachdem du ihm gewiesen deine Straßen.

In deinem Umfang kämpft er seine Schlachten,

Nach deinen Kindern richtet er sein Schwert,

Die Häupter deiner Edlen werden fallen,

Und deine Jungfraun, losgebundnen Haars,

Mit Schande zahlen ihrer Väter Schande.

Das sei dein Los, und also – fluch ich dir! –

Die du die Wohltat zahlst mit bösen Taten.

Wo ist mein Stock? Die Kniee werden schwach,

Laßt niemand ein! ich höre Stimmen drauß,

Wer immer auch, ein Feind ists und Verräter.


Die Erzherzoge Maximilian und Ferdinand erscheinen in der Türe.


RUMPF.

Es sind die Herrn Erzherzoge. O Wonne!

RUDOLF.

Ihr seid es? Bruder, du? Willkommen, Vetter!

Nehmt Sitz! Ihr kommt in wunderlicher Zeit.


Er hat sich gesetzt.


Was Neues in der Welt? Zwar stets dasselbe:

Das Alte scheidet und das Neue wird.

Kommt ihr zum Taufschmaus oder zum Begräbnis?[427]

FERDINAND.

Eh wir uns setzen, so erlaubt, daß knieend

Abbitte wir für das Vergangne leisten,

Den Willen unterstellend für die Tat.


Die Erzherzoge knieen.


RUDOLF.

Vom Boden auf! – Und du, mein guter Bruder,

Sprichst nicht?

MAX.

Mir ist das Weinen näher.

Auch kniet sichs schwer mit meines Körpers Last.

RUDOLF.

Vom Boden auf! Soll unser edles Haus

Vor jemand knieen als vor seinem Gott?

Ist einer tot, so liegt er auf dem Grund,

Doch lebend kniet kein Mann und kein Erzherzog.


Die beiden sind aufgestanden.


RUDOLF.

Sollt ich euch strenger richten als mich selbst?

Wir habens gut gemeint, doch kam es übel.

Das macht: dem reinen Trachten eines Edlen,

Kann ers nicht selbst vollführen, er allein,

Mischt von der Leidenschaft, der bösen Selbstsucht

Der andern, die als Werkzeug ihm zur Hand,

So viel sich bei, daß, hat er nun vollbracht,

Ein Zerrbild vor ihm steht, statt seiner Tat.

Ich habe viel gefehlt, ich seh es ein,

Seitdem ich aus den Nebeln, die am Gipfel,

Herabgestiegen in das tiefe Tal,

In dem das Grab liegt als die letzte Stufe.

Ich hielt die Welt für klug, sie ist es nicht.

Gemartert vom Gedanken drohnder Zukunft,

Dacht ich die Zeit von gleicher Furcht bewegt,

Im weisen Zögern sehnd die einzge Rettung.

Allein der Mensch lebt nur im Augenblick,

Was heut ist, kümmert ihn, es gibt kein morgen.

So rannten sie hinein ins tolle Werk,

Und ihr, ihr ranntet nicht, allein ihr gingt.

Ich tadl euch nicht, ihr wart besorgt ums Ganze,

Nicht böse Selbstsucht hat euch irrgeführt.

Nur einen tadl ich, den ich hier nicht nenne;

Den ich verachtet einst, alsdann gehaßt,

Und nun bedaure als des Jammers Erben.[428]

Er hat nur seiner Eitelkeit gefrönt,

Und dacht er an die Welt, so wars als Bühne,

Als Schauplatz für sein leeres Heldenspiel.

MAX vom Stuhle aufstehend.

Gerade darum, Bruder, sind wir hier.

Es muß der böse Zwist zum Abgrund kehren,

Und Recht dir werden, der du rechtlich bist.

RUDOLF.

Davon kein Wort! Der König ist dahin.

Ich geb ihn auf. Allein das Königtum

Möcht ich der Welt erhalten, ders vonnöten.

Mein Bruder herrscht in Ungarn und in Östreich,

Er wills in Böhmen auch, nicht künftig, jetzt.

Wohlan, es sei darum; denn keine Teilung

Verträgt, was alle Teile eint zum Ganzen.

Ich selbst, wie einst mein Oheim, Karl der Fünfte,

Als er die Welt, wie sie nun mich, zurückstieß,

Im Kloster von Sankt Justus in Hispanien

Den Tod erwartete, so will auch ich.

Es währt nicht lang, ich fühl es wohl, denn Undank

Gräbt tiefer als des Totengräbers Spaten;

Und Kloster sei und Zelle mir dies Schloß.

Mathias herrsche denn. Er lerne fühlen,

Daß Tadeln leicht und Besserwissen trüglich,

Da es mit bunten Möglichkeiten spielt;

Doch Handeln schwer, als eine Wirklichkeit,

Die stimmen soll zum Kreis der Wirklichkeiten.

Er sieht dann ein, daß Satzungen der Menschen

Ein Maß des Törichten notwendig beigemischt,

Da sie für Menschen, die der Torheit Kinder.

Daß an der Uhr, in der die Feder drängt,

Das Kronrad wesentlich mit seiner Hemmung,

Damit nicht abrollt eines Zugs das Werk,

Und sie in ihrem Zögern weist die Stunde.

Ihr selbst wart um mein Herrscheramt bemüht,

Mehr fast als gut. Sorgt auch für ihn.

Allein bedenkt: Der auf dem Throne sitzt,

Er ist die Fahne doch des Regiments,

Zerrissen oder ganz, verdient sie Ehrfurcht.[429]

Fernand, du glaubst dich stark, und bist es auch,

Vor allem, wenn du meinst, für Gott zu streiten.

Seis gleicherweis auch sonst, und stark, nicht hart!

Was dir als Höchstes gilt: die Überzeugung,

Acht sie in andern auch, sie ist von Gott,

Und er wird selbst die Irrenden belehren.

Des Menschen Innres, wie die Außenwelt,

Hat er geteilt in Tag und dunkle Nacht.

Das Aug ertrüge nicht beständges Licht;

Da führt er an dem Horizont herauf

Die Dunkelheit mit ihrer holden Stille,

Wo die Empfindung aufwacht, das Gefühl,

Und süße Schauer durch die Seele schreiten.

Doch immer Nacht wär schlimmer noch als nie.

Und was du weißt, weißt du durch Tag und Licht.

Ich selber war ein Mann der Dunkelheit.

Von ihren Streitigkeiten angeekelt,

Floh ich dahin, allwo die frühsten Menschen

Zuerst erkannten ihres Lebens Meister.

Vom Hügel auf zu den Gestirnen blickend

Und ihre stetge Wiederkehr betrachtend,

Erscholls in ihrer Brust: es ist ein Gott

Und ewig die Gesetze seines Waltens.

Seitdem hat er sich kundig offenbart

Und übertönt die Stimmen der Natur,

Doch in der Stille klingen sie noch nach,

Und als er selbst als Mensch zu Menschen kam,

Da sandt er einen Stern, und jene Weisen,

Sie ließen ruhen ihrer Weisheit Dünkel

Und folgten jenem Zeichen bis zur Hütte,

Wo schon die Hirten standen, und die Engel

Aus weiter Ferne: Friede, Friede sangen.

– Ist hier Musik?

JULIUS.

Wir hören nichts, o Herr.

RUDOLF.

Nun denn, so ists der Nachklang von der Weihnacht,

Die mir herübertönt aus ferner Zeit,

An die ich glaube und im Glauben sterbe.

– Nicht Stern, nur Gott! – Wer bist denn du,[430]

Du flammender Komet? Nur Dunst und Nebel. –

Nun Frieden auch mit dir, mit allen Frieden. –

Wie hold es klingt und fort und fort und weiter! –

MAX.

Sein Geist beginnt zu schwärmen.

FERDINAND.

Laßt uns gehn!

Versöhnen, was zu sühnen ist, und dann

Ihm schützend stehn zur Seite, Wächtern gleich.

RUMPF.

Ach, wir empfehlen euch den frommen Herrn.


Die Erzherzoge gehen.


RUDOLF.

Und einig, einig seid! Das Neue drängt.

Die alternden Geschlechter sterben aus,

Das Band gelöst, bricht es die einzelnen.

RUMPF.

Sie sind schon fort.

RUDOLF.

Schon fort? Nun, um so besser!

Mir ist so leicht, so wohl. Gebt mir nur Luft!

Ich will ans Fenster.

RUMPF.

Herr, wir leiten euch.

RUDOLF.

Was fällt dir ein? Ich fühle Jugendkraft.


Er versucht aufzustehen.


Doch ists der Geist nur, meine Glieder wanken.

Rückt einen Stuhl ins Fenster, ich will Luft.


Unterstützt ans Fenster gehend, zu Herzog Julius.


Siehst du? So lohnt die Welt für unsre Sorge.

Sie saugt uns aus und findet uns dann welk,

Indes sie prangt mit unsern besten Kräften.


Er sitzt.


Das Fenster auf!

RUMPF.

Allein, o Herr, bedenkt!

Ihr habt der Luft euch sorglich stets verschlossen.

RUDOLF.

Nicht Kaiser bin ich mehr, ich bin ein Mensch

Und will mich laben an dem Allgemeinen.

Wie wohl, wie gut! Und unter mir die Stadt

Mit ihren Straßen, Plätzen, voll von Menschen.

JULIUS.

Und gabt ihr erst den Fluch in euerm Zorn.

RUDOLF.

Tat ichs? Nun, ich bereus. Mit jedem Atemzug

Saug ich zurück ein vorschnell rasches Wort,

Ich will allein das Weh für alle tragen.

Und also segn ich dich, verlockte Stadt,[431]

Was Böses du getan, es sei zum Guten.

Mein Geist verirrt sich in die Jugendzeit.

Als ich aus Spanien kam, wo ich erzogen,

Und man nun meldete, daß Deutschlands Küste

Sich nebelgleich am Horizonte zeige,

Da lief ich aufs Verdeck, und offner Arme

Rief ich: mein Vaterland! Mein teures Vaterland!

– So dünkt mich nun ein Land, in dem ein Vater –

Am Rand der Ewigkeit emporzutauchen.

– Ist es denn dunkel hier? – Dort seh ich Licht,

Und flügelgleich umgibt es meinen Leib.

– Aus Spanien komm ich, aus gar harter Zucht,

Und eile dir entgegen – nicht mehr deutsches,

Nein, himmlisch Vaterland. – Willst du? – Ich will! –


Er sinkt zurück.


RUMPF.

Ruft Ärzte! Er hat öfter solchen Anfall.

Der Herzschlag geht. Nach Ärzten, Hilfe, schnell!

Und bringt ihn auf sein Bett in jene Kammer!

Ich mag nicht denken, daß es Schlimmres wäre.

JULIUS sich entfernend.

Das Schlimmste kennt kein Schlimmres, er erlitts.

Der Kaiser starb, ob auch der Mensch genese.

RUMPF.

Er lebe, ich fühls. Faßt ihn nur sorgsam an!

JULIUS auf ihn zueilend und am Stuhle niederknieend.

Mein edler, frommer, mildgesinnter Herr!


Der Vorhang fällt.


Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 2, München [1960–1965], S. 412-432.
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