Erster Aufzug

[185] Garten im Schlosse zu Dijon, im Hintergrunde durch eine Mauer geschlossen, mit einem großen Gittertore in der Mitte.

Leon der Küchenjunge und der Hausverwalter am Gartentore.


LEON.

Ich muß den Bischof durchaus sprechen, Herr!

HAUSVERWALTER.

Du sollst nicht, sag ich dir, verwegner Bursch!

LEON sein Küchenmesser ziehend.

Seht ihr? ich zieh vom Leder, weicht ihr nicht.

Teilt Sonn und Wind, wir schlagen uns, Herr Sigrid.

HAUSVERWALTER nach dem Vorgrunde ausweichend.

Zu Hilfe! Mörder!

LEON.

's ist mein Scherz ja nur.

Doch sprechen muß ich euch den Bischof, Herr.

HAUSVERWALTER.

Es kann nicht sein, jetzt in der Morgenstunde

Geht er lustwandeln hier und meditiert.

LEON.

Ei, meditier er doch vor allem erst auf mich

Und mein Gesuch, das liegt ihm jetzt am nächsten.

HAUSVERWALTER.

Dein Platz ist in der Küche, dahin geh!

LEON.

So? In der Küche meint ihr? Zeigt mir die!

Wenn eine Küche der Ort ist, wo man kocht,

So sucht ihr sie im ganzen Schloß vergebens.

Wo man nicht kocht, ist keine Küche, Herr,

Wo keine Küche, ist kein Koch. Das, seht ihr?

Wollt ich dem Bischof sagen; und ich tus,

Ich tus fürwahr, und säht ihr noch so scheel.

Pfui, Schande über alle Knauserei!

Erst schickten sie den Koch fort, nun, da meint ich,

Sie trauten mir so viel und war schon stolz,

Doch als ich anfing, meine Kunst zu zeigen,

Ist alles viel zu teuer, viel zu viel.

Mit nichts soll ich da kochen, wenn auch nichts.

Nur gestern noch erhascht ich ein Stück Wildpret,

So köstlich als kein andres, um 'nen Spottpreis,

Und freute mich im voraus, wie der Herr sich,

Der alte, schwache, laben würde dran.

Ja, prost die Mahlzeit! Mußt ichs nicht verkaufen,

An einen Sudelkoch verhandeln mit Verlust;[185]

Weils viel zu teuer schien, gar viel zu kostbar.

Nennt ihr das Knauserei? wie, oder sonst?

HAUSVERWALTER.

Man wird dich jagen, allzulauter Bursch!

LEON.

Mich jagen? Ei, erspart euch nur die Müh!

Ich geh von selbst. Hier, meine Schürze, seht!

Und hier mein Messer, das euch erst erschreckt,


Er wirft beides auf den Boden.


So werf ichs hin und heb es nimmer auf.

Sucht einen andern Koch für eure Fasten!


Glaubt ihr, für Geld hätt ich dem Herrn gedient?

Es gibt wohl andre Wege noch und beßre,

Sich durchzuhelfen, für 'nen Kerl wie ich.

Der König braucht Soldaten, und, mein Treu!

Ein Schwert wär nicht zu schwer für diese Hand.

Doch sah ich euern Bischof durch die Straßen,

Mit seinem weißen Bart und Lockenhaar,

Das Haupt gebeugt von Alterslast,

Und doch gehoben von – ich weiß nicht was,

Doch von was Edlem, Hohem muß es sein;

Die Augen aufgespannt, als säh er Bilder

Aus einem andern, unbekannten Land,

Die allzugroß für also kleine Rahmen:

Sah ich ihn so durch unsre Straßen ziehn,

Da riefs in mir: dem mußt du dienen, dem,

Und wärs als Stallbub. Also kam ich her.

In diesem Haus, dacht ich, wär Gottesfrieden,

Sonst alle Welt in Krieg. Nun da ich hier,

Nun muß ich sehn, wie er das Brot sich abknappt,

Als hätt er sich zum Hungertod verdammt,

Wie er die Bissen sich zum Munde zählt.

Mag das mit ansehn wer da will, ich nicht.

HAUSVERWALTER.

Was sorgst du mehr um ihn, als selbst er tut?

Ist er nicht kräftig noch für seine Jahre?

LEON.

Mag sein! Doch ists was andres noch, was Tiefers.

Ich weiß es manchmal deutlich anzugeben,

Und wieder manchmal spukts nur still und heimlich.

Daß er ein Bild mir alles Großem war,

Und daß ich jetzt so einen schmutzgen Flecken,[186]

Als Geiz ist, so 'nen hämisch garstgen Klecks,

Auf seiner Reinheit weißem Kleide seh

Und sehen muß, ich tu auch, was ich will;

Das setzt mir alle Menschen fast herab,

Mich selber, euch; kurz alle, alle Welt,

Für deren Besten ich so lang ihn hielt,

Und quält mich, daß ich wahrlich nicht mehr kann.

Kurz, ich geh fort, ich halts nicht länger aus.

HAUSVERWALTER.

Und das willst du ihm sagen?

LEON.

Ja, ich wills.

HAUSVERWALTER.

Du könntests wagen?

LEON.

Ei, wohl mehr als das.

Er soll sich vor mir reinigen, er soll

Mir meine gute Meinung wieder geben,

Und will er nicht; nun wohl denn, Gott befohlen!

Pfui, Schande über alle Knauserei!

HAUSVERWALTER.

Des wagst du ihn zu zeihn, den frommen Mann?

Weißt du denn nicht, daß Arme, Blinde, Lahme,

Der Säckel sind, dem er sein Geld vertraut?

LEON.

Wohl gibt er viel, und segn ihn Gott dafür!

Doch heißt das Gutes tun, wenn man dem Armen

Die Spende gibt, den Geber aber nimmt?

Dann seht! Er ließ mich neulich rufen

Und gab mir Geld aus einer großen Truhe

– Die Küchenrechnung nämlich für die Woche –

Doch eh ers gab, nahm er 'nen Silberling

Und sah ihn zehnmal an und küßt' ihn endlich,

Und steckt' ihn in ein Säckel, das gar groß

Und straff gefüllt im Winkel stand der Truhe.

Nun frag ich euch: ein frommer Mann

Und küßt das Geld. Ein Mann, der Hunger leidet

Und Spargut häuft im Säckel, straff gefüllt.

Wie nennt ihr das? Wie nennt ihr so 'nen Mann?

Ich will sein Koch nicht sein. Ich geh und sag ihms.

HAUSVERWALTER.

Du töricht toller Bursch, willst du wohl bleiben?

Störst du den guten Herrn, und eben heut,[187]

Wo er betrübt im Innern seiner Seele,

Weil Jahrstag grade, daß sein frommer Neffe,

Sein Atalus nach Trier ward gesandt,

Als Geisel für den Frieden, den man schloß;

Allwo er jetzt, da neu entbrannt der Krieg,

Gar hart gehalten wird vom grimmen Feind,

Der jede Lösung unerbittlich weigert.

LEON.

Des Herren Neffe?

HAUSVERWALTER.

Wohl, seit Jahresfrist.

LEON.

Und hat man nichts versucht, ihn zu befrein?

HAUSVERWALTER.

Gar mancherlei; doch alles ist umsonst.

Dort kommt der Herr, versunken in Betrachtung.

Geh aus dem Wege, Bursch, und stör ihn nicht.

LEON.

Er schreibt.

HAUSVERWALTER.

Wohl an der Predigt für den Festtag.

LEON.

Wie bleich!

HAUSVERWALTER.

Ja wohl, und tief betrübt.

LEON.

Doch sprechen muß ich ihn trotz alledem.

HAUSVERWALTER.

Komm, komm!


Er faßt ihn an.


LEON.

Herr, ich entwisch euch doch.


Beide ab.

Der Bischof kommt, ein Heft in der Hand, in das er von Zeit zu Zeit schreibt.


GREGOR.

Dein Wort soll aber sein: Ja, ja; nein, nein.

Denn was die menschliche Natur auch Böses kennt,

Verkehrtes, Schlimmes, Abscheuwürdges,

Das Schlimmste ist das falsche Wort, die Lüge.

Wär nur der Mensch erst wahr, er wär auch gut.

Wie könnte Sünde irgend doch bestehn,

Wenn sie nicht lügen könnte, täuschen? erstens sich,

Alsdann die Welt; dann Gott, ging es nur an.

Gäbs einen Bösewicht? müßt er sich sagen,

Sooft er nur allein: du bist ein Schurk!

Wer hielt sie aus, die eigene Verachtung?

Allein die Lügen in verschiednem Kleid:

Als Eitelkeit, als Stolz, als falsche Scham,

Und wiederum als Großmut und als Stärke,

Als innre Neigung und als hoher Sinn,[188]

Als guter Zweck bei etwa schlimmen Mitteln,

Die hüllen unsrer Schlechtheit Antlitz ein

Und stellen sich geschäftig vor, wenn sich

Der Mensch beschaut in des Gewissens Spiegel.

Nun erst die wissentliche Lüge! Wer

Hielt sie für möglich, wär sie wirklich nicht?

Was, Mensch, zerstörst du deines Schöpfers Welt?

Was sagst du, es sei nicht, da es doch ist;

Und wiederum es sei, da es doch nie gewesen?

Greifst du das Dasein an, durch das du bist,

Zuletzt noch: Freundschaft, Liebe, Mitgefühl

Und all die schönen Bande unsers Lebens,

Woran sind sie geknüpft als an das wahre Wort?

Wahr ist die ganze kreisende Natur:

Wahr ist der Wolf, der brüllt, eh er verschlingt,

Wahr ist der Donner, drohend wenn es blitzt,

Wahr ist die Flamme, die von fern schon sengt,

Die Wasserflut, die heulend Wirbel schlägt;

Wahr sind sie, weil sie sind, weil Dasein Wahrheit.

Was bist denn du, der du dem Bruder lügst,

Den Freund betrügst, dein Nächstes hintergehst?

Du bist kein Tier, denn das ist wahr;

Kein Wolf, kein Drach, kein Stein, kein Schierlingsgift:

Ein Teufel bist du, der allein ist Lügner,

Und du ein Teufel, insofern du lügst.

Drum laßt uns wahr sein, vielgeliebte Brüder,

Und euer Wort sei ja und nein auf immer.

So züchtig ich mich selbst für meinen Stolz.

Denn wär ich wahr gewesen, als der König

Mich jüngst gefragt, ob etwas ich bedürfe,

Und hätt ich Lösung mir erbeten für mein Kind,

Er wär nun frei und ruhig wär mein Herz.

Doch weil ich zürnte, freilich guten Grunds,

Versetzt ich: Herr, nicht ich bedarf dein Gut;

Den Schmeichlern gibs, die sonst dein Land bestehlen.

Da wandt er sich im Grimme von mir ab

Und fort in Ketten schmachtet Atalus.


Er setzt sich erschöpft auf eine Rasenbank.
[189]

LEON kommt von der Seite.

Hats Müh gebraucht, dem Alten zu entkommen!

Da sitzt der Herr. Daß Gott! Mit bloßem Haupt.

Erst ißt er nicht, dann in die Frühlingsluft,

Die rauh und kalt, noch nüchtern, wie er ist.

Er bringt sich selbst ums Leben. Ja, weiß Gott,

Blieb ich in seinem Dienst, ich kauft 'ne Mütz

Und würf sie ihm in Weg, daß er sie fände

Und sich das Haupt bedeckte; denn er selbst,

Er gönnt sichs nicht. Pfui, alle Knauserei!

Er sieht mich nicht. Ich red ihn an, sonst kehrt

Herr Sigrid wieder und es ist vorbei.

Ehrwürdger Herr!

GREGOR.

Rufst du, mein Atalus?

LEON.

Ich, Herr.

GREGOR.

Wer bist du?

LEON.

Ei, Leon bin ich,

Leon der Küchenjunge, oder gar wohl

Leon der Koch, wills Gott.

GREGOR stark.

Ja wohl, wenn Gott will.

Denn will er nicht, so liegst du tot, ein Nichts.

LEON.

Ei, habt ihr mich erschreckt!

GREGOR.

Was willst du?

LEON.

Herr –

GREGOR.

Wo ist die Schürze und dein Messer, Koch?

Und wes ist das, so vor mir liegt im Sand?

LEON.

Das ist mein Messer, meine Schürze, Herr.

GREGOR.

Weshalb am Boden?

LEON.

Herr, ich warfs im Zorn

Von mir.

GREGOR.

Hast dus im Zorn von dir gelegt,

So nimms in Sanftmut wieder auf.

LEON.

Je, Herr –

GREGOR.

Fällts dir zu schwer, so tu ichs, Freund, für dich.


Er bückt sich.


LEON zulaufend.

Je, würdger Herr! O weh! was tut ihr doch?


Er hebt beides auf.


GREGOR.

So! und leg beides an, wie sichs gebührt.[190]

Ich mag am Menschen gern ein Zeichen seines Tuns.

Wie du vor mir standst vorher, blank und bar,

Du konntest auch so gut ein Tagdieb sein,

Hinausgehn in den Wald, aufs Feld, auf Böses.

Die Schürze da sagt mir, du seist mein Koch,

Und sagt dirs auch. Und so, mein Sohn, nun rede.

LEON.

Weiß ich doch kaum, was ich euch sagen wollte.

Ihr macht mich ganz verwirrt.

GREGOR.

Das wollt ich nicht.

Besinn dich, Freund! War es vielleicht zu klagen?

Die Schürze da am Boden läßt michs glauben.

LEON.

Ja wohl, zu klagen, Herr. Und über euch.

GREGOR.

So? über mich? das tu ich, Freund, alltäglich.

LEON.

Nicht so, mein Herr, nicht so! Und wieder doch!

Allein nicht als Leon, ich klag als Koch,

Als euer Koch, als euer Diener, Herr:

Daß ihr euch selber haßt.

GREGOR.

Das wäre schlimm!

Noch schlimmer Eigenhaß als Eigenliebe.

Denn hassen soll man nur das Völlig-Böse;

Und völlig-bös, aufrichtig, Freund, glaub ich mich nicht.

LEON.

Ei, was ihr sprecht! Ihr völlig böse, Herr?

Ihr völlig gut, ganz völlig, bis auf eins.

GREGOR.

Und dieses eine wär, daß ich mich hasse?

LEON.

Daß ihr euch selbst nichts gönnt, daß ihr an euch

Abknappt, was ihr an andre reichlich spendet.

Und das kann ich nicht ansehn, ich, eur Koch.

Ihr müßt dereinst am Jüngsten Tag vertreten

Wohl eure Seel, ich euern Leib, von Rechtens,

Und darum sprech ich hier in Amt und Pflicht.

Seht! essen muß der Mensch, das weiß ein jeder,

Und was er ißt, fließt ein auf all sein Wesen.

Eßt Fastenkost und ihr seid schwachen Sinns,

Eßt Braten und ihr fühlet Kraft und Mut.

Ein Becher Weins macht fröhlich und beredt,

Ein Wassertrunk bringt allzuviel auf gnug.

Man kann nicht taugen, Herr, wenn man nicht ißt.

Ich fühle das an mir und deshalb red ich.[191]

Solang ich nüchtern, bin ich träg und dumm,

Doch nach dem Frühstück schon kommt Witz und Klugheit,

Und ich nehms auf mit jedem, den ihr wollt.

Seht ihr?

GREGOR.

Hast du gegessen heute schon?

LEON.

Ei ja!

GREGOR.

Daß Gott! drum sprichst du gar so klug.

LEON.

Ei, klug nun oder unklug, wahr bleibts doch.

Den Braten nur vom Hirschkalb, gestern noch,

Zurück mußt ich ihn schicken, ihn verkaufen,

Ein Stückchen Fleisch, wie keins ihr je gesehn.

GREGOR.

Er war zu kostbar, Freund, für mich.

LEON.

Zu kostbar?

Für so 'nen Herrn? Ei seht! Warum nicht gar?

Dann hätt er euch soviel als nichts gekostet;

Ja, wirklich nichts. Wollt ihr ihn heute, Herr?

Er ist noch da und kostet nichts, denn seht –

's ist so – 's ist ein Geschenk von frommen Leuten.

Wahrhaftig ein Geschenk.

GREGOR.

Lügst du?

LEON.

Ei was!

GREGOR.

Weh dem, der lügt!

LEON.

Nu, nu!

GREGOR.

Verwegener!

LEON.

Hab ich gelogen, wars zu gutem Zweck.

GREGOR.

Was weißt du, schwacher Wurm, von Zweck und Enden?

Der oben wirds zu seinem Ziele wenden.

Du sollst die Wahrheit reden, frecher Bursch!

LEON.

Nun also: ich hätts, Herr, bezahlt für euch.

Wozu so viel Geschrei? Ich tus nicht wieder.

Hätt ich mein Tag geglaubt, daß so was Sünde!

GREGOR.

Geh jetzt!

LEON.

So lebt denn wohl!


Er geht, kehrt aber gleich wieder um.


Doch noch ein Wort!

Zürnt nicht, ich kann wahrhaftiglich nicht anders.

So 'n Herrn, so brav, daß selbst die kleinste Lüge,[192]

Ein Notbehelf, ihn aufbringt – Zürnet nicht!

Ich rede ja den Lügen nicht das Wort,

Ich meine nur – Daß so ein wackrer Herr –

Es muß heraus! daß so ein Herr – Pfui, geizig!

Was hat denn Geld so Schöns, daß ihrs so liebt?

GREGOR.

Wie kommst du darauf?

LEON.

Würdger Herr, mit Gunst!

Ich sah euch einen Sack mit Pfennig küssen,

Der oben steht im Winkel eurer Truhe,

Und hier spart ihr euch ab, um dort zu sammeln?

Nennt ihr das recht? Seht ihr, so sind wir wett.

GREGOR.

Das also wärs?

LEON.

Ja, das. Und nicht bloß ich,

Auch andre Leute nehmen das euch übel,

Und seht, das kränkt mich, euern treuen Diener.

GREGOR.

Da, seh ich, wird Rechtfertigung zur Pflicht.

Ein Seelenhirt soll gutes Beispiel geben

Und nimmer komme Ärgernis durch mich.

Setz dich und höre, wie ich mich verteidge.

LEON.

Je, Herr!

GREGOR.

Ich sage: setze dich!

LEON.

Nun, hier denn.


Er setzt sich vor dem Bischof auf die Erde nieder.


GREGOR.

Dich hat geärgert, daß ich Spargut häufe,

Das Geld geküßt, das ich mir abgedarbt.

Hör zu! Vielleicht, daß du mich dann entschuldigst.

Als man, es ist jetzt übers Jahr, den Frieden,

Den langersehnten, schloß mit den Barbaren

Jenseits des Rheins, da gab und nahm man Geisel,

Sich wechselseits mißtrauend, und mit Recht.

Mein Neffe, meiner einzgen Schwester Sohn,

Mein Atalus, war in der Armen Zahl,

Die, aus dem Kreis der Ihren losgerissen,

Verbürgen sollten den erlognen Frieden.

Kaum war er angelangt bei seinen Hütern

Im Rheingau, über Trier weit hinaus,

Wo noch die Roheit, die hier Schein umkleidet,

In erster Blöße Mensch und Tier vermengt,[193]

Kaum war er dort, so brach der Krieg von neuem,

Durch Treubruch aufgestachelt, wieder los,

Und beide Teile rächen an den Geiseln,

Den schuldlos Armen, ihrer Gegner Schuld.

So liegt mein Atalus nun hart gefangen,

Muß Sklavendienst verrichten seinem Herrn.

LEON.

Ach je, daß Gott!

GREGOR.

Ich hab um Lösung mich verwendet.

Doch fordern seine Hüter hundert Pfund

An guter Münze fränkischen Gepräges.

Und soviel hab ich nicht.

LEON.

Ihr scherzt doch nur,

Denn dreimal hundert Pfund und wohl noch drüber,

Zinst ihrem Vorstand Langres Kirchgemeine.

GREGOR.

Das ist das Gut der Armen und nicht meins.

Dem Bischof gab man, daß er geben könne,

Des Kirchenguts Verwalter, nicht sein Herr.

Doch Kleidung, Nahrung und des Leibes Notdurft,

Das mag der Bischof fordern wie ein andrer,

Und was er dran erspart, ist sein vielleicht.

Vielleicht; vielleicht auch nicht. Ich habs gewagt zu deuten.

Sooft ich nun ein armes Silberstück

Von meinem Teil erspart, leg ichs beiseite,

Wie du gesehn, und mags auch manchmal küssen,

Wie du mir vorwirfst; denn es ist das Lösgeld

Für meinen Atalus, für meinen Sohn.

LEON aufspringend.

Und ist schon viel im Sack?

GREGOR.

Schon bei zehn Pfund.

LEON.

Und hundert soll er gelten? Herr, mit Gunst!

Da mögt ihr lange sparen, bis es reicht.

Indes quält man den armen Herrn zu Tod.

GREGOR.

Ich fürchte, du hast recht.

LEON.

Je, Herr, das geht nicht.

Das muß man anders packen, lieber Herr.

Hätt ich zehn Bursche nur gleich mir, beim Teufel! –

Bei Gott! Herr, wollt ich sagen – ich befreit ihn.

Und so auch, ich allein. Wär ich nur dort,[194]

Wo er in Haft liegt! – Herr, was gebt ihr mir? –

Das ist 'ne Redensart, ich fordre keinen Lohn. –

Was gebt ihr mir, wenn ich ihn euch befreie?

Wär ich nur dort, ich lög ihn schon heraus.

GREGOR.

Weh dem, der lügt!

LEON.

Ja so? Nu, Herr, mit Gunst!

Um Gottes willen gibt man ihn nicht frei.

Da bleibt nichts übrig, als: wir reden Wahrheit

Und er bleibt, wo er ist. Verzeiht! und Gott befohlen!

Ich habs nicht schlimm gemeint.


Er geht.


GREGOR.

Du Vater aller,

In deine Hand befehl ich meinen Sohn!

LEON umkehrend.

Ach Herr, verzeiht! es fuhr mir so heraus.

Weiß man doch kaum, wie man mit euch zu sprechen.

Ich hatte fast ein Plänchen ausgedacht,

Den dummen Teufeln im Barbarenland,

Des Neffen Hütern, seht, eins aufzuheften,

Und ihn wohl gar, wenns gut geht, zu befrein.

Doch Wahrheit, Herr –

GREGOR.

Du sollst nicht fälschlich zeugen,

Hat Gott der Herr im Donnerhall gesprochen.

LEON.

Allein bedenkt –!

GREGOR.

Weh dem, der lügt!

LEON.

Und wenn nun euer Neffe drob vergeht?

GREGOR.

So mag er sterben und ich sterbe mit.

LEON.

Ach, das ist kläglich! Was habt ihr gemacht?

Ich bin nun auch in Haft, geplagt, geschlagen,

Kann nimmer ruhn, nicht essen, trinken, schlafen,

Solang das zarte Herrlein euch entwandt.

Bei Trier sagt ihr, liegt er; wars nicht so?

GREGOR.

Ja wohl!

LEON.

Wie, Herr, wenn eins zum Feinde ginge,

Statt Atalus sich stellte dem Verhaft?

GREGOR.

Zu Geiseln wählt man mächtger Leute Kinder;

Leon bürgt kaum für sich, wie denn für andre?

LEON.

Hm, das begreift sich. – Doch wenn Atalus

Ersäh den Vorteil, seiner Haft entspränge?[195]

GREGOR.

Er möcht es ohne Sünde, denn der Krieg

Zählt ihrer Bürgschaft los des Friedens Geiseln

Und nur mit Unrecht hält man ihn zurück.

Allein wie könnt ein Jüngling, weich erzogen,

Vielleicht zu weich, in solcher Not sich helfen,

Durch wüste Steppen wandern, Feinden trotzen,

Der Not, dem Mangel; – Atalus kanns nicht.

LEON.

Doch wenn ein tüchtger Bursch zur Seit ihm stände,

Ihn zu euch brächte, lebend und gesund,

Entlaßt mich eures Diensts!

GREGOR.

Was sinnest du?

LEON.

Ich geh nach Trier.

GREGOR.

Du?

LEON.

Bringt euch den Neffen.

GREGOR.

Dünkt dir zu scherzen Zeit?

LEON.

Vergebt euchs Gott!

Ich scherzte nicht, drum sollt auch ihr nicht scherzen.

In vollem Ernst, ich stell euch euern Sohn.

GREGOR.

Und wenn dus wolltest, wenn dus unternähmst,

Ins Haus des Feinds dich schlichest, ihn betrögst,

Mißbrauchtest das Vertraun, das Mensch dem Menschen gönnt,

Mit Lügen meinen Atalus befreitest;

Ich würd ihn von mir stoßen, rück ihn senden

Zu neuer Haft; ihm fluchen, ihm und dir.

LEON.

Topp! Herr, auf die Bedingung. – Aber seht,

Wenn nicht ein bißchen Trug uns helfen soll,

Was hilft denn sonst?

GREGOR stark.

Gott! Mein, dein, aller Gott!

LEON auf die Knie fallend.

O weh, Herr!

GREGOR.

Was?

LEON.

Es blitzte.

GREGOR.

Wo?

LEON.

Mir schiens so.

GREGOR.

Im Innern hat des Guten Geist geleuchtet,

Der Geist des Argen fiel vor seinem Blitz.

Was dir in diesem Augenblicke recht erscheint,

Das tu! Und sei dir selber treu und Gott.

Weh dem, der lügt![196]

LEON der aufgestanden ist.

So gebt ihr mir Vergünstgung?

GREGOR.

Tu, was dir Gott gebeut; vertrau auf ihn!

Vertraue, wie ichs nicht getan, ich nicht,

Ich schwacher Sünder nicht.

Hier, nimm den Schlüssel

Zum Säckel, der in meiner Truhe liegt.


Er zieht ihn aus der Brust und will ihn Leon geben, gibt ihn aber dem Hausverwalter, der zur Seite sichtbar geworden ist und sich damit entfernt.


Er hält zehn Pfund, des Neffen Lösegeld,

Das ich gespart, den Darbenden entzogen,

Vom Golde hoffend, was nur Gott vermag.

Verteils den Armen, hilf damit den Kranken.

Es soll der Bischof nimmer Spargut sammeln;

Den Hirten setzt man um der Herde wegen,

Der Nutzen ist des Herrn. Leb wohl, mein Sohn!

Den Winzer ruft der Herr in seinen Garten,

Die Glocke tönt und meine Schafe warten.


Ab.

Leon steht unbeweglich, ein Pilger naht.


PILGER die Hand ausstreckend.

Ein armer Pilgersmann.

LEON.

Was ist? Wer bist du?

PILGER.

Ein armer Mann, von Kompostella pilgernd,

Zur Heimat weit.

LEON.

Wohin?

PILGER.

Ins Rheingau, lieber Herr.

LEON.

Ins Rheingau?

PILGER.

Hinter Trier.

LEON.

Trier?

PILGER.

Noch zwei Meilen.

LEON.

Nach Trier? – Gott! – Nimmst du mich mit, mein Freund?

PILGER.

Wenn ihr nicht Wegeslast und Mangel scheut.


Herr Sigrid ist mit dem Säckel gekommen, Leon nimmt ihn.


LEON.

Ha, Mangel? Sieh den Säckel! – Aber halt!

Den Armen hats der gute Herr beschieden,

Den Armen seis. Hier Freund, für dich ein Stück,

Arm bist du ja doch auch!

Das andre euch!


[197] Arme und Preßhafte, die sich an dem Gittertore gesammelt hatten, sind nach und nach eingetreten.


Ich ziehe fort mit Gott und seinem Schirm.


Er verteilt das Geld unter sie.


Er wird vollenden, was mit ihm begonnen.


Zum Pilger, der dem Gelde nachsieht.


Du hast dein Teil. Nach Trier fort, mit Gott!


Er zieht ihn fort, der Vorhang fällt.


Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 2, München [1960–1965], S. 185-198.
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