[2]

I. Akt.

(Zimmer im Pallast.)


König und Königinn.


Königinn.


Ja, ja, mein König, mein Gemahl,

Verschwiegen hätt' ich's Euch so gern,

Wie Eure Tochter schon so früh

Vom Weg des Guten abgekommen,

Um Euch den Kummer zu ersparen.

Doch ärger wird's mit jedem Tag.

Ihr müßt recht ernstlich sie bestrafen.

Denkt nur, ein Beyspiel will ich Euch

Erzählen, das mir ihre Bosheit

Recht offenbarte.


König.


Ach mein Kind!


[3] Königinn.


Ja wohl, es schmerzt mich auch, daß sie

Den besten Vater also kränkt.

Denn höret, wie sie gottlos ist:

Im Garten ging ich heute früh,

Und als ich um die Ecke dort

Nach jener dunkeln Laube bog,

In der wir noch vor wenig Tagen

Jüngst Euern Namenstag begangen,

Da seh' ich noch Schneewittchen springen

Und seh' am Boden etwas liegen.

Doch als ich näher kam, so lagen

Die schönen Blumentöpfe all'

Zertrümmert da, und all die Blumen

Geknickt, die wir an jenem Tag'

Für Euch dort aufgestellt, und die

Euch, wie ihr sagt, so sehr gefreut.


König.


O, kann denn so ein boshaft Herz

In einer solchen Schönheit wohnen?


Königinn.


Das ist ihr Unglück eben, daß[4]

Sie solche außerordentliche,

So wunderbare Schönheit hat.

Denn von der Wiege an schon hat

Ihr alle Welt geschmeichelt, und

So ward ihr Sinn schon früh verkehrt.

Die Eitelkeit wuchs immer mehr,

Und weil Ihr jüngst, nach meinem Rath,

Sie schmältet, sinnt sie schon auf Rache.


König.


Doch wär' es möglich, daß sie nur

Den äußern Schein hat gegen sich.

Ein And'rer hat vielleicht die That,

Die uns von ihr zu kommen scheint,

Aus böser Neigung gegen mich

Verübet; oder wenn mein Kind,

Schneewittchen, sie beging, so that

Sie es nicht just aus bösem Sinn,

Vielleicht mit unvorsicht'ger Hand.


Königinn.


Ja, ja, beschönigt nur die That!

So wird sie selber sagen, wenn

Ihr sie darob befragt.


[5] König.


Ich will

Sie selbst einmahl darum befragen.

Man bringe sie zu mir.


Königinn.


Sie sitzt

Bey meiner Tochter Adelheid.

Zwar ungern lass' ich sie bey ihr,

Weil man im Sprichwort sagt: Es steckt

Ein fauler Apfel nur die guten,

Gesunden Äpfel an; nicht aber

Im Gegentheil; ein frischer Apfel

Macht nie den faulen mehr gesund.

Und doch lass' ich sie oft bei ihr,

Denn nicht als Stiefkind halt ich sie;

Noch mehr beynah thu' ich an ihr,

Als ich an meiner Tochter thu'.


(Im Abgehen.)


Ich will sie gleich herunter schicken.


(ab.)


[6] König

allein.


O, Kind, was machst du mir für Jammer!

Ich liebe dich so sehr; du warst

So theuer meinem freudenleeren,

Gepreßten Herzen! – Ach und sollt'

Ich solches Herzeleid an dir

Erleben, daß du boshaft wärst? –

Und doch? – kaum kann ich solches glauben,

Wenn ich sie sehe, diese Züge,

So ähnlich ihrer sel'gen Mutter


Schneewittchen

kommt zur Thüre herein.


König.


Dort kommt sie jetzt! – Wie sich mein Herz

Bewegt – wie es so rasch dem guten,

Geliebten Bild entgegenstrebt.

O nein! Der Engel hat kein Falsch.

Mein Kind!


[7] Schneewittchen.


Mein Vater?


König.


Sprich, wie geht dir's?


Schneewittchen.

an seinem Halse.


O, lieber Vater, mir geht's gut,

Ich war auch heute schon im – –


König.


Nun?

Was stockst du? warum schweigst du denn

So plötzlich still.


Schneewittchen.


Im Garten war ich,

Und hab' dir einen Rosenstock

Gepflanzet. – Ach! –


König.


Was ist denn das?

Was seufzest du denn so, mein Kind?


[8] Schneewittchen.


Ach, Vater – ach – im Garten ist –

Ich habe – ach, ich war –


König.


Nun, nun?

Was sprichst du denn nicht g'rad heraus?


Schneewittchen.


Ich will dir's sagen, wenn du mir

Versprichst, nicht bös' zu seyn, darum.


König.


Wenn es nichts Böses ist, mein Kind,

So will –


Schneewittchen.


Ach nein, aus bösem Willen

Geschah es nicht, mein Vater, nein!

Ich war im Garten diesen Morgen,

Da wurden deine Lieblingsblumen

Aus Unvorsichtigkeit, mein Vater,

Aus bloßer Unbedachtsamkeit

Vom Brett herabgeworfen.


[9] König.


Nun,

Das weiß ich schon, und der Verdacht

Ruht ganz auf dir, du hättest es

Mit Fleiß gethan.


Schneewittchen.


Ich hätt's gethan?

Mit Fleiß? Ach nein, es war allein

Aus Ungeschick, aus Unbedacht.


Königinn kommt mit Adelheid.


Königinn.


Nun? mein Gemahl?


König.


Sie that es blos

Aus Ungeschick, aus Unbedacht.


Königinn.


Was? Unbedacht? das mache mir

Nicht weiß, Schneewittchen! denn ein Brett[10]

Mit vier und zwanzig Blumentöpfen,

Das noch dazu so sicher stand,

Aus bloßer Ungeschicklichkeit

Auf einmahl umzuwerfen, sieh,

Das ist unmöglich; und dazu

Bist du doch sonst stets so geschickt!

Ey, ey, Schneewittchen!


König.


O, mein Kind,

Schneewittchen, warum bist du nicht

Aufrichtig, wie du ehmahls warst?


Königinn.


So sprich, was du dagegen weißt.


Schneewittchen

dem König und der Königinn um den Hals fallend.


O Mutter, – Vater, – lasset dieß,

Und fraget mich nicht weiter mehr,

Nur glaubt's mir, daß ich schuldlos bin.

Ich bin's, wahrhaftig! ja ich bin's.


[11] König.

zur Königinn.


So lassen wir's?


Königinn.


Was? lassen? jetzt?

Da sie dazu noch fälschlich schwört?

Ey, ey, das Schwören kömmt dir ja

So gar zu leicht!


Schneewittchen.


Es fällt mir leicht,

Wenn ich mich wirklich schuldlos weiß.

– O, glaub es Vater, sieh ich bin

Im Innern auch so rein, und mein

Gewissen ist so weiß, als meine

Schneeweiße Haut.


Adelheid.


Ey, ey, du thust

Auch gar zu dick mit deiner Haut,

Als gäb' es niemand mehr, der auch

So eine weiße hätt', als du.


[12] Schneewittchen.


So, Adelheid? vergiltst du so?


Königinn.


Ja, ja, die Adelheid hat recht.

Du bist ein eingebildet Ding,

Ein naseweises eitel Kind,

Das nur mit äuß'rer Schönheit prunkt.


zum König.


Da seht Ihr's nun, mein Herr Gemahl,

Wie tief sie schon gesunken ist.

Zuerst begeht sie Fehler, und

Mit Vorsatz; läugnet diese dann,

Und prahlt, und ist noch stolz sogar

Mit ihrer weißen Haut, und meynt,

Um dieser willen sollte man

Die Bosheit gar am Ende ihr

Noch übersehn!


König.


Ey, pfuy, mein Kind!


Schneewittchen.


O, mein geliebter Vater! nein

Gewiß, gewiß bin ich unschuldig.


[13] Diener.

tritt auf.


Der Gärtner Ihro Majestät

Ist da; er bittet um Gehör.


Adelheid.


Mir wird so übel, liebe Mutter,

O, laß mich auf mein Zimmer bringen.


König.


Dort auf den Sopha setze dich,

Du liebe Adelheid.


Adelheid.


O nein!

Will h'nauf nach meinem Zimmer gehn.


König.


Nein, nein, mein Kind, du scheinest mir

Zu sehr erhitzt, die Wangen glüh'n

Dir ja wie Kohlen, darum halt

Dich ruhig.


Er führt sie hin.


[14] Diener.


Soll der Gärtner denn

Herein? Befehlen's Ihro Majestät?


König.


So bring ihn denn.


Diener

ab.


Adelheid.


O Mutter, Mutter,

Ach! mir wird gar zu weh.


Schneewittchen

hält ihr das Haupt.


Wie ist's?


Adelheid

windet sich los.


Geh, laß mich, laß mich, daß du nicht

Die schöne weiße Haut verdirbst.


Königinn.


Es wär' ja gar zu Schad' dafür.


Sie ist mit Adelheid beschäftigt, hört aber auf alles.


[15] Gärtner.

tritt ein.


Ihr' Majestät, ein Unglück ist

Mir heut' an Dero Lieblingsblumen

Gescheh'n; doch ohne meine Schuld.


König.


Gut, alter Jakob, gut. Ich weiß

Es schon. Ich wollte nur, du wärst

Es, der es that, gern wollt'

Ich dir verzeyhen.


Gärtner.


Nein, bey Gott!

Das wollt' ich nicht! 's ist aber doch

Bey meiner Treu nicht schön für 'ne

Prinzessinn. Wär's denn nur Gott'swill',

Und war's aus Unglück g'scheh'n! doch so!

Denn anders kann ich's wohl nicht heißen,

Als bösen, bitterbösen Muthwill'.


Königinn.


Siehst du, Schneewittchen? hörst du nun?[16]

Von solchen Leuten mußt du dir

Jetzt schon so was gefallen lassen.


Gärtner.


Ey? was? o nein, Schneewittchen nicht.

Der Engel? Nein! bei Gott, auf Händen

Sollt' man ihn tragen. – Ja werd' mir

Nur roth! – Mein Gott ich alter Narr!

Verzeihen Sie mir nur, ich meyn'

Halt, wenn ich so den Engel seh',

Ich müßt' ihn dutzen, wie mein leiblich,

Mein eigen Kind. – Nein sie ist's nicht!

Die andere, die größre ist's,

Prinzessin Adelheide war's.


König.


O Gott, ich athme wieder frey.


Königinn.


Was, Adelheide? nein, das lügt

Ihr, alter Sünder! Nimmermehr!


Gärtner.


Ein alter Sünder bin ich, leider Gott!

Und Sünder sind wir Menschen all'.[17]

Doch niemahl hab' ich Böses noch

'nem Menschen nachgeredet, sey's

Denn, daß ich ihn 'mit bessern konnt,

Und wenn es wirklich denn so war.

Drum sagt ich's jetzt auch grad' so 'raus.


Königinn.


Das müßt Ihr ihr beweisen können.


Adelheid.


Gehört? – beweisen sollt Ihr mir's!


Gärtner.


Beweisen? ja potz Blut! das hätt'

Ich schier vergessen.


Königinn.


Nun? wie steht's?


Gärtner.


Prinzessinn hier hab ich Ihr Strumpfband,

Das Sie im Laufen heut' verloren haben.


übergibt es ihr.
[18]

Wie Sie mich kommen hörten mit

Dem lieben Engel dort.


Adelheid läuft ab, die Königinn ihr nach.


König.


So wärst

Du schuldlos denn? Warum verhehltest

Du aber Adelheidens That.


Schneewittchen.


Ich sah die Blumentöpfe liegen,

Und lief ihr nach, und hohlt' sie ein.

Da fiel sie mir um meinen Hals,

Und weinte bitterlich, und bat,

Ich sollt' es doch nicht sagen, denn

Unmuthig seye sie gewesen,

Und habe nicht bedacht, was sie gethan.

Nun es geschehn sey, reue sie's.

Und ich versprach's ihr, nichts zu sagen,

Denn, dacht ich da, wer weiß, was ihr

Begegnet ist.


König.


Und den Verdacht[19]

Nahmst du auf dich? – O Engel, komm,

Komm an mein Herz.


Schneewittchen.

auf seinem Schooße.


Mein lieber Vater!


Gärtner.


Ja, ja, Ihr hohe Majestät,

Ein Engel Gottes ist das Kind,

Und Wunder müssen seinetwegen

In unserm Lande noch geschehen.[20]


(Garten.)

(Abends, Mondschein.)


Königinn, Franz.


Königinn.


Nun, hast du mich verstanden, Franz?


Franz.


Ja, Ihro Majestät. Sobald

Schneewittchen diesen Abend in

Den Garten kommt, schleich ich mich gleich

Mit meinem Peter nach, und wenn

Sie recht im Spiel und im Gesang

Vertieft, vergessen da sitzt, brechen

Wir aus dem Hinterhalt hervor,

Und morgen bringen wir Euch denn,

Hochedle Frau, des Mädchens Herz.


Adelheid.

kommt gelaufen.


O, Mutter, Mutter, sieh, dort stehts!

Ach Gott es kommt schon auf mich dar.


[21] Königinn.


Was ist dir, Adelheid? Warum

Verbirgst du so dein Angesicht?

Was ist's?


Adelheid.


Ach nichts, es war ein Traum!


Königinn.


Kind geh, und lege dich zur Ruh.


Adelheid.


Ich gehe schon. Gut Nacht!


geht.


Königinn.


Gut Nacht!


Adelheid

kommt wieder.


Denk, liebe Mutter, denke nur,

Mir träumt, ich sähe deine Hand

Vom Blute roth, und eine weiße

Furchtbare Frau nickt mir und sprach,

Ich wäre Schuld an deiner Sünde.

Gut Nacht.


ab.


[22] Königinn.


Gut Nacht. Was war denn das?

Einfältig Mädchen! nicht wahr, Franz? – –

– Doch, Franz, mir fällt was anders ein. –

Komm hier herein, ich höre Tritte;

Schneewittchen kommt da schon gegangen.

Komm, laß uns diesen Weg einschlagen.

Hier will ich dir den Plan denn sagen.


Beyde ab.


Schneewittchen.


Ah, 's ist schön kühl und auch so hell,

Ich hab' doch halber Furcht; weiß nicht

Warum. Wär' heut so gern im Haus

Geblieben; doch der Vater will

Sein Leiblied hören. Wart' hier setz

Ich mich auf diese Bank. Von hier

Aus hört er's noch am besten drüben.


Präludirt auf der Cither.


He, Vater, hörst Du's auch da drüben?


[23] König.

drüben aus dem Fenster.


Ja ja, mein Kind, recht hell und voll

Trägt mir die Luft die Töne 'rüber.


Schneewittchen.

spielt und singt dazu.


Sonne ist hinab gegangen,

Goldne Sterne sind gekommen,

Mond hat Strahlen angenommen,

Scheinet mir auf meine Wangen.


Lebet in mir still Verlangen;

Freude, die so schön entglommen,

Ach sie hat ein End' genommen,

Und mich quält ein leeres Bangen.


Tag hat sich der Erd entzogen,

Dunkle Nacht kam angeflogen;

Nacht ist trauerschwarz umgeben.


Mutter, weil du mir entschwunden,

Will mein Herz nicht mehr gesunden:

Nacht ist jetzt mein ganzes Leben.


Greift noch einige Akkorde.


[24] König.

von drüben.


Recht schön! ich danke dir mein Kind.

Du hast mir ordentlich das Herz

Durch dieses schöne Lied erquickt.

Doch gute Nacht, mein Kind.


Schneewittchen.


Gut' Nacht.


für sich.


Ich bleibe noch und spiele noch,

Der Abend ist so gar zu schön.


spielt und singt.


Dort, über jenen Tannen,

Da stehn zwey goldene Stern'.

Der eine gehet von dannen,

Der andere hielt ihn so gern.


Dem König träumts so schwere

Wohl um die Mitternacht,

Als wollt sein liebes Töchterlein

Von hinnen ziehen bald.
[25]

»Ach, Tochter, liebe Tochter,

Was willst verlassen mich?«

»Herzlieber, lieber Vater.

Leb' wohl und weine nicht.«


»Ich wollt dich nicht verlassen,

Herzlieber Vater mein.

Mich reißt Gewalt von hinnen

Leb' wohl, o Vater mein!«


»Reißt dich Gewalt von hinnen,

Muß ich in Trauern stehn.

Wohl an dem frühen Morgen

Die Sterne all vergehn.«


Und als der König fraget,

»Wo ist mein Tochter, schön?«

Sein Stern war untergangen,

Die Tochter nicht zu sehn.


Die Tochter nicht zu finden,

Wohl über Berg und Thal.

Da liefen seine Thränen,

Ja Thränen allzumahl.
[26]

Dort, über jenen Tannen,

Da steht der Stern allein;

Der eine ging von dannen,

Und kehret nimmer heim.


Wohl in der stillen Laube

Der König sitzt allein – –


Franz und Peter

fallen über Schneewittchen her und führen sie weg.


Schneewittchen.


Ey, böser Mann, was habt ihr mich

Erschreckt? was wollt ihr denn mit mir?

Was fällt euch ein? O laßt mich los!


Franz.


Mordkerl! Peter! stopf ihr ein Tuch in's Maul! Sie schreyt uns ja sonst, und drüben im Schloß' regt sich's noch.


[27] Peter

thut's, Schneewittchen sträubt sich. Sie reißen sie mit Gewalt nach.


Ja stell dich nur, wir bringen dich doch fort.


ab.


Der König.


Ich hab ein Lärmen da gehört; –

Es ist doch nichts, denn alles ist

Ja ruhig hier. – Schneewittchen, scheints,

Ist weggegangen. – Ach, ich weiß

Nicht, wie mir ist. Mir dünket alles

So traurig. Bang, beklommen schlägt

Das Herz mir, und die Augen stehn

Mir schon den ganzen Tag voll Thränen,

Als müßt ich weinen, und ich weiß

Doch nicht warum. Soll's Ahnung seyn?

So muß ein großes Unglück mir

Bevorstehn. Doch was es auch sey,

Ich will es tragen. Bin ich nicht[28]

Schon überschwenglich durch mein Kind

Gesegnet, das so engelfromm,

Als hätte es der Himmel mir

Geschenkt? – Doch spät schon däucht es mir.

Muß doch hineingehn jetzt, denn Morgen

Gibt's wieder viele hundert Sorgen,

Die meines Staates Wohl bezwecken,

Und früh mich aus dem Schlummer wecken.


geht ab.


(Wald.)

(Mitternacht.)


Schneewittchen, Franz, Peter

ruhend.


Peter.


Wo sollen wir sie denn eigentlich hin bringen? Auf den gläsernen Berg? Dafür bedank ich mich; der ist gar glatt. Da ist[29] mir meine Nase viel zu lieb. Und wer weiß dann auch, wer auf dem Berg haus't. Man könnte am Ende uns selbst für den Braten ansehen, den sie da kriegen sollen.


Franz.


Da könntest du's auch oft versuchen, bis es dir einmahl glückte, hinauf zu kommen. Den haben wohl schon viele ersteigen wollen, wenn sie aber ein Paar Schritte hinauf kamen, so mußten sie gewöhnlich wieder Extrapost auf Händen und Füßen hinter sich herunter fahren.


Peter.


Wer wohnt denn drauf?


Franz.


Man weiß es nicht bestimmt. Es sollen sieben Zwerge droben wohnen, ob's aber gute oder böse Geister sind, das weiß man nicht. Sie sollen aber ausserordentlich mächtig seyn, und deswegen hat jedermann ungeheuern Respekt vor ihnen.
[30]

Schneewittchen

mit gebundenen Händen und verstopftem Munde fällt vor ihnen auf die Kniee.


Sieh, sieh, Peter! mach' ihr doch das Tuch einmahl los, daß sie sagen kann, was sie will.


Peter

indem er das Tuch abbindet.


's ist mein Seel Schad' um sie, es ist ein schmuckes Mädel.


Schneewittchen.


O Peter, habt Barmherzigkeit;

Laßt mir das Tuch doch von dem Mund,

Denn ich ersticke sonst.


Franz.


Ja; wenn

Du aber schreyst, bist du des Todes.

Sieh, dieß Jagdmesser stoß ich dir

Beym ersten Laute durch dein Herz.


[31] Schneewittchen.


Gewähret mir nur eine Bitte;

Sagt, wo ihr mich hinbringen wollt.


Franz.


Deine Stiefmutter trugs uns auf, wir sollten dich dort, wo der Wald noch dichter ist als hier, in den Brunnen werfen, der der Zwergenbrunnen heißt.


Schneewittchen

weint.


Was hab ich ihr denn gethan? ach warum soll ich denn so unschuldig sterben? Hab ja nichts Böses gethan. Warum führt man mich heimlich fort?


Peter.


's ist wahr, 's ist Schad' fürs Kind. Hör' Franz –


Franz.


Pfuy! schämst dich nicht? Weils Mädel ein wenig flennt, willst gleich schon Mitleid[32] mit ihr haben! Was ist darnach! 's ist's Erste nicht, das wir unsrer Herrschaft, der Königinn, von der Art thun.


Peter.


Aber so ein junges Blut, so unschuldig.


Schneewittchen.


O Franz, habt Mitleid! will auch alle Tage für Euch beten.


Franz.


Ey was, brauch dein Gebet nicht. Deine Stiefmutter zahlt besser, mit klingender Münze. Das kann ich besser brauchen. – Was Teufel! was kommt dort durch den Wald her mit Fakeln?


Peter.


Mein Seel! springt auf jetzt Franz, jetzt gilts.


Franz.


Was ist's? – So schlagen alle Wetter drein, es sind die sieben Zwerge.


[33] Peter

springt fort.


Ich lauf'.


Franz.


Ich bleibe auch nicht länger. Verwettert! müssen die grad kommen? – Schneewittchen, gib mir ein Stück von deinem Kleid.


Schneewittchen.


Wozu? ach Gott, warum? – Was willst –


Franz

reißt ihr ein Stück los.


Nur her.


läuft ab.


Schneewittchen.


Ach böse Mutter, du, wie viel

Hast du mir Böses angethan,[34]

Und wie viel Böses meinem Vater?

Nun mußt du gar mich von ihm trennen.

Mein Leben wolltest du mir nehmen.

Ach, gerne hätt' ich's ja gelassen,

Wenn es dich glücklich machen würde

Und auch den besten Vater, der

Mir so viel Gutes that, der mich

So lieb hat; o wie wird er jammern,

Wenn er mich nicht mehr finden wird.

O, Vater, Vater! wer wird dir

Dein Lieblingslied jetzt spielen? wer

Mit dir von meiner ersten, guten,

Verstorb'nen Mutter reden? wer

Die Falten dir von deiner Stirne

Wegküssen? – ach mein Vater, Vater!


Weint heftig.


Was wird aus mir jetzt werden, ach,

Da kommen nun die sieben Zwerge,

Und ich kann nicht weiter mehr kommen;

Hab mir die Füße wund gelaufen.[35]


(Pallast.)


Zwey Diener

stellen Stühle zu rechte.


Erster Diener.


Bald schnür' ich meinen Ranzen und laufe, so weit mich meine Füße tragen.


Zweyter Diener.


's ist, meiner Treu! auch zu arg.


Erster Diener.


Es wird mir leid thun, unsern guten Herrn zu verlassen, aber die Frau Königinn, die macht's doch auch gar zu arg.


Zweyter Diener.


Man meynt, es sey ein Stück vom Teufel im Hause, seit die hier ist. Da war doch die vorige Königinn eine ganz andre Herrschaft.


Erster Diener.


Das weiß Gott. Aber die – Ey: »Ich wollte lieber bey einem Drachen wohnen,[36] als bey einem bösen Weibe.« Sieh, das steht in der Bibel und das fällt mir halt immer ein, wenn ich an sie denke.


Zweyter Diener.


Die vorige war ein wahrer Engel, aber das schöne Schneewittchen wird gerade so.


Erster Diener.


Potz! da fällt mir ein, man weiß heute nicht, wo es hingekommen ist. Ihre Amme sucht sie schon seit Sonnenaufgang.


Zweyter Diener.


Was? – O hör', wenn das ist, weiß ich nicht, was ich denken soll. Ich hab' so meine Vermuthung darüber. Die Königinn war ihr immer aufsäßig; weißt du? –


Erster Diener.


Du hast Recht. Das wär' aber doch ganz abscheulich.


[37] Zweyter Diener.


Weiß es der König schon?


Erster Diener.


Ach Gott, der gute Herr dauert mich nur. Nein, ich glaube, nicht.


Zweyter Diener.


Dort kommt er.


Erster Diener.


Komm, wir gehen.


geht.


Zweyter Diener.


Muß erst noch fragen, ob die Majestät nichts zu befehlen hat.


[38] König

kommt.


Gut'n Morgen Jak.


Jak.


Befiehlt mein König

Etwas?


König.


Ja, gehe hin und rufe

Schneewittchen, sie soll zu mir kommen.


Jak.

ab.


König.


Das liebe Kind! heut blieb es aus.

Sonst bringt es mir doch jedesmahl

Den Morgengruß. Ich hab ihm hier

Zwey neue, goldne Ohrgehänge,

Armspangen und ein gülden Kreuz,

Mit edelm Diamant besetzt,

Und einen reichen Fingerring,

Den Trauring ihrer seel'gen Mutter.[39]

Den soll es mir von nun an tragen.

Wie wird es sich darüber freuen.

Ach, es verdient die Freude wohl,

Es macht ja mir auch viele Freude,

Und nun, bey ihrer zweyten Mutter

Hat's eben nicht die besten Tage.


Amme Schneewittchens.


Ihr' Majestät –


König.


Was giebt's? Schneewittchen

Ist doch nicht krank geworden?


Amme.


Es ist mir bang, Ihr' Majestät; denn gestern war mir nicht ganz wohl; ich legte mich bey Zeit, doch Schneewittchen sagte, sie solle Ihro Majestät noch im Garten Dero Lieblingslied spielen, und diesen Morgen, wie ich, sie zu wecken, an ihr Bettchen kam,[40] weil sie mir über die gewöhnliche Zeit liegen blieb, da war es noch frisch geschüttelt, und Schneewittchen laß ich suchen überall, und suche selbst im ganzen Schloß, im Garten, aber nirgends kann ich es erfragen.


König.


Schneewittchen fort? – was – hör' ich recht?


Amme.


Es ist nicht anders, Ihro Majestät,

Doch hoffen wir sie noch zu finden.


König.


O Gott, bin ich zum Kummer nur allein

Auf diese Welt gebohren worden?

Mein Kind, mein einzig frommes Kind

Ist fort! – o saget, fand man keine –

Gar keine Spur? Sind Boten fort?

Nach allen Seiten schicke man.


[41] Amme.


Es ist geschehn; acht Boten sandt'

Ich aus; sechs kamen schon zurück,

Ganz hoffnungslos und ohne Spur.


König.


Mein Kind! mein einziges geliebtes,

Geliebtes Kind! O wärst du nicht

So schön, so fromm, ich würde dich

Viel eher dann noch missen können –

Das beste Kleinod meines Reichs

Ist mir mit dir dahin gegangen.


Amme.


O, Majestät! ich will zwar schweigen.

Doch so viel muß ich Euch nur sagen:

Es gibt gar böse Leute jetzt

In Eurem eig'nen Schlosse hier.


König.


Mein Kind, mein Kind!


[42] Jak

kommt.


Zwey Männer sind

Im Vorsaal, bitten um Gehör.


König.


Nichts ist mir wichtig mehr, ich kann

Jetzt nichts mehr hören.


Jak.


Doch, mein Herr,

Sie bringen Nachricht von Schneewittchen.


König.


Wie? von Schneewittchen? eilig sollen

Sie kommen; bring sie schnell herein.


Jak

ab.


König.


So lebt sie doch, ist nicht auf immer

Entrissen meinem Vaterherzen.


[43] Amme.


Gott Lob und Dank! ich hatt mir schon

Das Allerärgste vorgestellt.


Franz und Peter

kommen.


König.


O, Himmelsboten, seyd mir beyde

Willkommen! sprecht, wo lebt es nun,

Das liebe Kind? – –


Franz und Peter

schweigen.


Was schweigt ihr denn?

Ihr seht mir ernst, unruhig, aus.

O, Gott, mir ahn't nichts Gutes! – Sprecht,

Was bringet ihr für Botschaft denn?


[44] Franz.


Wir gingen heut, wie's halt Gebrauch,

Bey uns Waydmännern ist, noch vor

Der Morgendämm'rung in den Forst

'nen schönen Sechzehnender zu

Erjagen. Wie ich dann beym Brunnen

Dort steh' wohin mich seine Färthe,

Die ich verfolget, hingelockt, –


König.


Ich steh' auf Kohlen; macht doch schnell!


Franz.


Nun ja, da hör ich ein Geschrey,

Ich eile hin, und seh' wie eben

Zwey Wölf' an einem Mädchen fressen;

Die Beine waren weggefressen,

Und eben –


König.


Ach! und dieses war

Schneewittchen?


[45] Franz.


Laut rief es mir zu,

Ich sollte doch schnell fliehen vor

Den Wölfen, daß sie mich nicht auch

Zerrissen.


König.


Ja, das war sie, noch

Im Tod' um and'rer Wohl besorgt.

Und ihr? ihr lieft? ihr feiger Mann!


Franz.


Ich lief nicht, nein, ich blieb. Verdammt

Mich nicht, mein König, vor der Zeit.

Ich schoß, allein ich streifte nur

Den einen, und dem andern schoß

Ich mit derselben Kugel sein

Ohrläppchen durch. Da rannt' er auf

Mich dar. Mit knapper Noth entrann

Ich. Als ich drauf mit frisch gelad'nem

Gewehr zurücke kehrte, waren

Die Wölfe mit dem Kind verschwunden.

Ob sie es aufgefressen, weiß[46]

Ich nicht, nur dieses Stückchen fand

Ich noch von seinem Rocke dort.


bringt es hervor.


Amme.


Das ist ein Stück von ihrem Kleid,

Das sie noch gestern angehabt


Königinn, Adelheid

kommen eilend.


Königinn.


Ist's wahr, was mir der Diener sagt?

Schneewittchen sey –


Amme.


Ihr seht es wohl,

Hochedle Frau! Von Wölfen wurde

Das gute Kind zerrissen; hier

Ist noch ein Stück von ihrem Kleid,


[47] Königinn.


Ganz von mir bin ich, Herr Gemahl,

Schneewittchen todt? ich kann's nicht fassen.


Adelheide.


's ist Schad' um die schneeweiße Haut.


Königinn.


O sagt, aus Eurem Munde muß

Ich's hören, todt ist euer Kind?


König.


Ist tod!


mit tiefem Schmerz.


Königinn.


Der Schrecken greift mich an; –

Ich weiß mir gar nicht mehr zu helfen, –

Mein Schmerz ist groß, ich kann noch gar

Nicht weinen. – Könnt' ich nur erst Thränen

Hervor aus meinen Augen bringen,

Daß sie mein Herz erleichterten.


Adelheide.


Ja es ist traurig, ja ich kann

Auch noch nicht weinen, lieber Vater!

Quelle:
Albert Ludewig Grimm: Kindermährchen. Heidelberg [1809], S. 2-48.
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Selberlebensbeschreibung

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Schon der Titel, der auch damals kein geläufiges Synonym für »Autobiografie« war, zeigt den skurril humorvollen Stil des Autors Jean Paul, der in den letzten Jahren vor seiner Erblindung seine Jugenderinnerungen aufgeschrieben und in drei »Vorlesungen« angeordnet hat. »Ich bin ein Ich« stellt er dabei selbstbewußt fest.

56 Seiten, 3.80 Euro

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Große Erzählungen der Spätromantik

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Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

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