II. Akt.

[48] (Auf dem gläsernen Berge Zimmer im Schlosse der Zwerge.)


Schneewittchen und Königinn

verzaubert in eine andere schöne Frau.


Schneewittchen.


Ja, seht, so fanden mich die Zwerge.

Und nahmen mich mit sich hieher.

Ich war ein Kind noch dazumahl,

Kaum zehn, eilf Jahre hatt' ich erst.

Jetzt bin ich sechszehn nächstens alt.


Königinn.


Und seitdem lebtet Ihr nun hier?


Schneewittchen.


Nicht einen Schritt setzt' ich hinab.

Ich weiß gar nicht mehr wie es wohl

In einem Land aussehen mag,

Wo nicht das Land von Glase ist.


Königinn.


Ging's Euch denn gut hier auf dem Berg,

Und sehntet Ihr Euch nie zurück?


[49] Schneewittchen.


Was man zum Glück des Lebens nur

Kann zählen, hatte ich auch stets

In vollem Maaße. Aber doch,

Wenn ich so manchmal Abends ganz

Allein hier in dem Garten saß,

Hinüber nach den Bergen sah,

Die von der Abendsonne roth

Beschienen standen, dann erwachten

In meinem Herzen bald auf's neu

Die Bilder der Vergangenheit,

Die mir Erinn'rung hold und schön

Zurücke rief. Im Geiste sah

Ich noch die wohlbekannten Säle,

Das hohe Schloß, die breiten Stufen,

Den frischen Brunnen in dem Hofe,

Den schönen Garten, und die hohen

Belaubten Gänge; sah die stillen

Verschwieg'nen Lauben, und die kühlen

Verborg'nen Grotten, und den See,

Worin des Himmels Bild sich spiegelt,

Den ich so oft im Kahn durchschnitt.

Und immer schwoll das Herz mir auf[50]

Bey diesen wohlbekannten Bildern,

Und ein geheimes Heimweh lebte

Mir dann in meinem Busen auf.


Königinn.


Gern will ich edle Jungfrau Euch

Dieß glauben, denn die Heimath zieht

Den Menschen immer freundlich an.

Kein Land bedünket uns so schön,

Ja, milder scheinet uns die Sonne

An keinem Orte; frischer grünt

Uns keine Au', kein Wasser rauscht

So lieblich, als der Heimath Quell.


Schneewittchen.


Doch kommt der stille Mond herauf

Und scheinet durch die grünen Zweige,

Und denk' ich jener jammervollen

Verwünschten Nacht, die mich vom Herzen

Des besten aller Väter riß;

Dann wandelt dieses Heimweh sich

In bange Schwermuth, tiefe Trauer;

Ich sehe ihn dann, wie er sich

Um sein verlornes Kind abhärmt.


[51] Königinn.


Doch nahet ja nun bald die Zeit,

Da Ihr mit jenem schönen Prinzen,

Wie ich gehört, vermählet werdet,

Deß Reich an Euers Vaters Reich

Angränzet. Niemand weiß es noch,

Daß Ihr es seyd, man sagte nur:

Er werde nächstens nun mit einer

Sehr schönen Jungfrau sich vermählen,

Die hier auf diesem Berge wohne.


Schneewittchen.


Ja bald, und dann kann ich ja auch

Den armen Vater wieder trösten.


Königinn.


Wie freu' ich mich, daß Euch dieß Glück

Vergönnt wird.


Schneewittchen.


O, Ihr seyd sehr gut!


Königinn

bringt einige Feigen heraus.


Ich muß es Euch nur eingestehn,

Ich bin vom schönen Prinzen her

Zu Euch gesandt. Hier schickt er Euch[52]

Ein Obst, das Ihr wohl schwerlich, seit

Ihr hier auf diesem Berge wohnt,

Gekostet habt.


Schneewittchen.


Ey schöne Feigen,

Wie sie in Vaters Garten wachsen.


Königinn.


Versuchet nur die edle Frucht,

Sie ist so lieblich wohl als jene.


Schneewittchen

ißt eine Feige.


Wie gut! als wären sie gereifet

An den Geländen unsers Gartens.


Königinn.


Mich freut's, wenn sie Euch nur behagen,

Prinzessin. Nehmt auch diese noch.


Schneewittchen

ißt noch eine.


Was ist denn das? Ich seh' nichts mehr!

Mir ist so matt, – mich brennt so sehr.


Königinn.


Geht, leget Euch auf Euer Bett.

Vielleicht wird's dort ein wenig besser.


[53] Schneewittchen

ab.


Königinn.


Ja geh' nur hin, dir wird wohl besser,

So daß dir nimmer wehe wird.

Gesalzen hatt' ich dir die Früchte

Mit scharfem Gifte. Dieses wird

Schon kräftig bei dir Wirkung thun.

Ja ja, du eitles Mädchen, nun

Ist es mit deiner Schönheit aus.

Das hast du schwerlich dir gedacht,

Daß ich Stiefmutter dich auf diesem

Fast unbesteiglich glatten Berge

Besuchen würde. Pure Lieb'

Hat mich zu dir heraufgetrieben;

(Die Liebe ist ja stärker als der Tod)

Doch nicht die Lieb' zu dir, mein Kind;

Nein, Liebe nur zu Adelheiden.

Sie soll es seyn, die jenen Prinzen,

Den man den Schönen nennet, zum

Gemahl bekommt. Nun, da ich dich

Erst aus dem Wege hab', nun ist's

Ein leichtes mir. Die Zauberinn.[54]

Die mir das Mittel angezeigt,

Daß ich mit Pech die Schuhe mir

Bestrich, und so den Berg erstieg,

Den gläsernen, die soll mir nun

Auch weiter helfen.

Doch ich muß

Nur gehen, denn die Stunde ist

Vorbey. Sonst könnten mich die Zwerge

Noch hier antreffen, was mir doch

Im Grunde just erwünscht nicht wär'.


ab.


Schneewittchen

kommt zurück.


O Schmerzen, Schmerzen ohne Ende!

Ha, lauter Kohlen brennen mich

In meinen Därmen. Wehe, weh!

Mit Messern schneidet mich's im Leib.

O, Zwergenkönig Katalum!


Sinkt todt nieder.


[55] Der Zwergenkönig.


Was rufst du mir?


Sieht in den Zauberspiegel.


Du bist vergiftet?

Ich seh' es hier in meinem Spiegel.

Erwecken will ich dich gleich wieder.


Betet.


König bin ich zwar, doch grösser

Bist du, Vater aller Leben.

Wundervolle Kräfte hast du

Mir in meine Händ' gegeben.

Brauch' ich sie zu guten Zwecken,

Hast du Wirkung mir verheisen;

Laß es mir diesmahl gelingen,

Wolle mir doch Huld erweisen:

Schicke mir die starken Geister!

Amen, amen, grosser Meister,


Beschwört:


Starke Geister,

Hört den Meister!

Steiget aus der Erde Tiefe,

Hängt um euch des Lebens Eimer.

Starke Geister,

Hört den Meister![56]

Bringt Schneewittchen neues Leben.

Bringt es mit euch aus der Tiefe.

In der Tiefe wohnt das Leben.

Aus der Tiefe kommen Quellen,

Aus der Tiefe keimen Pflanzen,

Bäume saugen aus der Erde

Grauen Tiefe neues Leben;

Stimmen kommen aus der Tiefe;

In der Tiefe wohnen Geister.

Heimlich ruhet in der Tiefe

Eine neue Welt voll Wunder.

Leben wohnet in der Tiefe.

Bringet mit des Lebens Eimer.

Hört, ich ruf' zum lezten Mahle:

Starke Geister,

Hört den Meister!


Er schlägt drey Mahl mit seinem Stäbchen auf die Erde.


Stimmen

aus der Tiefe.


Wer rufet?


Zwergenkönig.


Katalum, der Meister!


[57] Stimmen

aus der Tiefe.


Was sollen wir bey dir, o Herr?


Zwergenkönig.


Schneewittchen neues Leben bringen.


Drey Genien

erscheinen, umgehen Schneewittchen drey Mahl,

besprengen sie aus einer Urne, und verschwinden.


Schneewittchen

richtet sich auf.


Wo bin ich?


Zwergenkönig.


Todt bist du gewesen,

Ich habe dich durch Geistermach

Ins Leben wieder rückgerufen.


Schneewittchen.


Ich war in wundervollen Auen,

Durch goldne Thore ging ich ein;

Die Sterne konnt ich um mich schauen,

Die wirbelnd sich im Tanze reihn.

Den Himmel sah ich nicht, den blauen,

Nur Sternenglanz und Sonnenschein.[58]

Gleich Stimmen aus der Engel Chore,

Drang Wohllaut mir zu meinem Ohre.


Von Engeln sah ich mich umflogen,

Und wallend durch ein Blumenmeer

Und rings um diese Auen zogen

Sich Regenbogenfarben her.

Die Brunnen sprangen hoch im Bogen,

Und streuten Kühle um mich her,

Sie wölbten sich zu hohen Gängen,

Durchrauscht von wundervollen Klängen.


In Klang und Farben war ein Streben:

In Farben regte sich Getön',

Und zarter Klänge sanftes Leben

Strebt' sich zur Farbe zu erhöh'n;

Und eins vom andern so umgeben,

War jedes immer doppelt schön.

Aus einer und derselben Quelle

Strömt' Wohllauts Klang und Farbenhelle.


Doch in der Mitte dieser Wonnen

Saß Herrlichkeit auf ihrem Thron;

Umkreiset von den ew'gen Sonnen

Saß Vater dort und Geist und Sohn,[59]

Von hoher Würde ernst umsponnen,

Von milder Güte hell umzoh'n.

Da gingen alle jene Wunder

In diesem allerhöchsten unter.


Sechs Zwerge bringen die Königinn.


Einer.


Komm', komm'.


Ein anderer.


Nun, sträube dich nur nicht.


Zwergenkönig.


Was habt ihr hier mit diesem Weib?

Wer bringt denn die zu uns herauf,

Die kaum mehr würdig ist, daß sie

Die Gottessonne nur bescheint?


Einer der Zwerge.


Sie selber war so frech.


Ein anderer.


Betrug

Hat sie gebraucht, heraufzukommen,

Die Sohle sich mit Pech geschmiert.


[60] Zwergenkönig

sieht in seinen Spiegel.


Du hast Schneewittchen mir vergiftet.


Königinn.


Ich? wie –


Zwergenkönig.


Ja du. Mein Spiegel trügt

Mich nicht. Du bist Schneewittchens böse

Stiefmutter.


Schneewittchen.


Was? ist meine Mutter?


Zwerchenkönig.


Dich decken deine Zaubermittel

Mir nicht. Ich seh' es wohl, wie du

Durch eine böse Feye dich

In diese Schönheit kleiden liessest.

Doch siehe, wie ich dich entlarve:


Rührt sie mit seinem Stab an.


»Was du gewesen, werde wieder!«


Königinn

steht in ihrer wahren Gestalt.


O, König! seyd barmherzig doch.


[61] Zwergenkönig.


Auf, auf, ihr lieben Zwergen all!

Was Wichtig's will ich heut verrichten.

Schneewittchen nehmt, und dieses Weib,

Und führt sie durch die Luft mir nach.

Schneewittchen, heute sollst du noch

Zu deinem Vater wieder kommen,

Und ihr, o böses Weib, ihr werdet

Nun auch hinkommen, wo ihr hin

Gehört.


Königinn.


O habt Barmherzigkeit!


Zwergenkönig.


Nichts, nichts! so grosse Sünde darf

An dir nicht ungestrafet bleiben.


ab.
[62]


(Pallast.)


König.


Sechs Jahre sind es heute schon.

Mein Kummer, dacht' ich, sollte mich

So lange nicht mehr leben lassen.

Auf siebzig Jahre hab' ich's nun

Gebracht, und keine waren mir

So freudenleer, als diese lezten.

O, wär' es mir vergönnt, daß ich

Doch bald auch weggenommen würde,

Von dieser jammervollen Erde

Mein Kind, mein Kind! wie hatt' ich einst

Schon grosse Plane mir gemacht.


Diener

kommt.


Mein König, draussen harrt am Thor

Ein Männlein, klein ist's von Gestalt;

Kaum eine Elle ist es hoch,

'ne Krone trägt es auf dem Haupt,

'nen langen weissen Bart hat es,

Und trägt ein Stäblein in den Händen,

Das wunderbar ist anzuschauen.[63]

Es spricht, es wolle Dir gar viel

Vergang'ne Ding' erklären, die

Dir noch bis jetzt verborgen wären.


König.


Bring' ihn herein.


Diener

ab.


König.


Begierig bin

Ich, ob er zu enthüllen weiß,

Was sich mit meinem lieben Kind

Schneewittchen zugetragen hat.


(Garten.)


Schneewittchen.


Hier war's, auf dieser Bank, wo ich

Zum lezten Mahle noch gesessen;

Wo ich zum lezten Mahle ihm[64]

In stiller Nacht ein Lied gespielt.

Hier will ich auch zum ersten Mahl

Ihn wieder und das Vaterhaus

Begrüssen. Komm', o meine Cyther.

Wie oft hab' ich zu deinem Klange

Mein stilles Heimweh aufgeseufzt.

Dem Schmerze töntest du entgegen,

Antworte auch dem Freudenklange.


Präludirt auf der Cyther.

Spielt und singt.


Sey willkommen, Luft der Heimath,

Sey willkomm, du Himmel klar.

Seyd willkommen, fromme Thierlein,

Du, o frohe Vögelschaar.


Du, o wohlbekannter Garten,

Sey willkomm viel tausend Mahl;

Bäume, die so freundlich schatten,

Und ihr Büsche allzumahl


Dunkle Lauben, kühle Gänge,

Frischer Brunnen, klarer Teich,

Du, o frisches, grünes Wäldchen,

Tausend Mahl begrüß' ich euch.
[65]

Ach, ich kenn, ich kenn' euch immer,

Bin auch fromm noch immerdar.

Ihr seyd immer noch dieselben,

Ich dieselbe, die ich war.


Ach ja, dieß freut mich alles sehr;

Doch kann ich kaum mich noch enthalten,

Dem Vater an das Herz zu eilen,

Die kummervollen Züge ihm

Von seinen Wangen wegzuküssen.

Wie wird er sich, der Gute, freuen,

Wenn er das lang verlorne Kind

Nun endlich wieder um sich sieht.

Es ist mir Alles noch bekannt,

Und neu erscheint mir Vieles doch;

Allein warum, das weiß ich nicht.

Viel heller scheint mir Alles hier,

Und kleiner dünkt mich Alles auch.

Ich bin denn doch an keinem Ort,

Als in dem Zwergenschloß gewesen,

Wo doch nichts grösser ist, als hier. –


Sie bleiben lange aus, die Zwergen.

Will doch einsweilen hin zur Laube,[66]

Die meines Vaters Lieblingslaube

Gewesen, ob sich nichts verändert.

Du, meine Cyther, magst indessen

Hier auf der Bank nur liegen bleiben.


ab.


Gärtner.

kommend.


Hab' da so etwas singen hören,

Es war mir ein bekannter Ton.

Ey sieh, da liegt die Cyther ja,

Auf der Schneewittchen sonst gespielt.

Was? – ey unmöglich! – beynah hätt'

Ich mich getäuscht. – Und doch! – dort geht

Sie ja! – das muß Schneewittchen seyn.

Ich ruf' ihr halt! es ist ihr Gang. –


Ruft:


Schneewittchen! – Wahrlich, sie guckt um!

Sie ist's! jetzt, alter Jakob, lauf'

Und reich' zum Willkomm ihr die Hand.


Eilig ab.


[67] Adelheide, Franz und Peter.


Adelheide.


Schnell, schnell, jetzt, Franz und Peter, schnell!

Macht euch davon, so weit ihr könnt.

Da habt ihr Gold von meiner Mutter.


Franz.


Was giebt es denn, Prinzessinn? sprecht.


Peter.


Warum? was giebt's?


Adelheide.


Groß Unglück ist

Begegnet meiner Mutter heute.

Die Feye hat es mir verkündet,

Die ihr geholfen auf den Berg,

Den gläsernen, und alles, was

Sich mit Schneewittchen zugetragen,

Ist nun am Tag.


Peter.


Wie? Eure Mutter –


[68] Adelheide.


Nun ja! nur fort!


Franz.


Da dürfen wir

Nun freylich nimmer länger säumen.

Komm', Peter, fort!


Peter.


Wohin?


Adelheide.


Nur fort!


Franz und Peter.


Behüt' Euch Gott, Prinzessinn.


Beide ab.


Adelheide.


Nein,

Das thut er nicht, ich weiß es schon,

Um meiner Mutter Sünde willen[69]

Kann er's nicht thun! – Ha, Mutter, du,

Du hast zum Neide mich gewöhnt,

Zur Bosheit mich verleitet, du!


ab.


König, Zwergenkönig.


Zwergenkönig.


Hier liegt noch ihre Cyther; hier

Erwarte sie, ich will sie rufen,

Sie ist in Deiner Lieblingslaube.


König.


O laß mich! laß mich! nein ich muß

Entgegen ihr; sie selbst aufsuchen,

Um früher sie an's Herz zu schliessen.

O, welche Freude ward mir noch

Verspart auf meine alten Tage!


(Im Abgehen.)


Schneewittchen, ach, Schneewittchen, sieh,

Da bin ich ja. Schneewittchen komm'![70]


(Pallast.)

(Im Audienzsaale des Königs.)


Der König auf dem Throne, Räthe und Minister um ihn her in einem Kreise, der Zwergenkönig in der Mitte nebst der Königinn und Adelheid; Schneewittchen auf dem Throne neben dem Könige.


König.


Gehört habt ihr nun alle, was

Die Königinn, mein ehliches Gemahl,

Verschuldet hat. Nun frag' ich euch,

Welch eine Strafe sie verdient,

Nebst ihrer Tochter Adelheid,

Um derentwillen sie Schneewittchen,

Die Unschuld selber, so bedrängte.

So sprecht denn, was euch euer Herz

Eingibt, und was bestehet mit

Den Rechten. Denn, was ungerecht,

Das bleibe ferne von dem Richter. –


Tiefe Stille.


[71] Zwergenkönig.


Sie schweigen all'. So warte denn,

Bis auch die beyden Henkersknechte

Noch da sind, die in allen ihren

Verruchten Thaten ihr geholfen,

Die sich durch Gold verblenden liessen;

Dann will ich selbst ihr Urtheil sprechen.


Königinn

auf den Knieen.


O, habt Barmherzigkeit mit mir.

Nur dieses mahl vergebt mir noch!

Schneewittchen! bittet Ihr für mich.


Schneewittchen.


Vergebt ihr, wie auch ich vergebe,

Auch du, o Katalum! Vielleicht

Kann sie sich bessern.


Zwergenkönig.


Nein, Schneewittchen,[72]

Wenn wir ihr alle auch vergeben,

Und du, o Engel, dennoch kann

Ihr nimmermehr vergeben werden.

Das Recht, das heischet ihre Strafe.


Franz und Peter von sechs Zwergen geführt.


Einer der Zwerge.


Da ist der Franz und Peter.


Ein anderer.


Hier.

Sie beyde haben wir im Walde

Auf ihrer Flucht erhascht.


Zwergenkönig.


So hört,

Wozu ich jedes jetzt verdamme:[73]

Die Königinn soll neun und neunzig

Mahl neun und neunzig Jahre lang

In meinem Schloß in einem Sarg

Von Glase ohne Leben liegen;

Und Adelheide soll als Spiegel,

So lange noch Schneewittchen lebt,

Ihr dienen, und bey jedem Mahl,

Wenn sich Schneewittchen drinn betrachtet,

Soll sie die Schönheit ihr beneiden.

Ihr, Franz und Peter, sollt als Wölfe

Stets hungerig den Wald durchstreifen,

Doch niemahls was zu fressen finden,

Und das so lange, bis ein Jäger

Euch beyde einst auf ein Mahl trifft.

Sonst mag euch aber jeder Schuß

Unschädlich seyn, und dräng' er auch

Bis tief in eures Herzens Mitte.


Königinn, Adelheide, Franz und Peter.


Barmherzigkeit! Barmherzigkeit!


[74] Schneewittchen.


Vergebt! vergebt!


Königinn.


Barmherzigkeit!


Zwergenkönig.


Nein! keine Gnade wird euch mehr.

Ihr habt noch mehr verdient, als dieß.

Die Menschen hätten euch verzieh'n,

Aus Schwachheit hätten sie's gethan;

Die Geister folgen nur dem Rechte.

Dieß merket euch. Wenn Menschen auch

Das Böse, das ihr thut, nicht seh'n,

So sieht es doch der Herr des Himmels.

Sehn's Menschen auch mit Nachsicht an,[75]

Und wollen auch zum Bösen schweigen

So läßt doch Gott die Strafe dann

Von seinem Himmel niedersteigen.


(Der Vorhang fällt.)


Quelle:
Albert Ludewig Grimm: Kindermährchen. Heidelberg [1809], S. 48-76.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Kindermärchen
Kindermärchen

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Die Serapionsbrüder

Die Serapionsbrüder

Als Hoffmanns Verleger Reimer ihn 1818 zu einem dritten Erzählzyklus - nach den Fantasie- und den Nachtstücken - animiert, entscheidet sich der Autor, die Sammlung in eine Rahmenhandlung zu kleiden, die seiner Lebenswelt entlehnt ist. In den Jahren von 1814 bis 1818 traf sich E.T.A. Hoffmann regelmäßig mit literarischen Freunden, zu denen u.a. Fouqué und Chamisso gehörten, zu sogenannten Seraphinen-Abenden. Daraus entwickelt er die Serapionsbrüder, die sich gegenseitig als vermeintliche Autoren ihre Erzählungen vortragen und dabei dem serapiontischen Prinzip folgen, jede Form von Nachahmungspoetik und jeden sogenannten Realismus zu unterlassen, sondern allein das im Inneren des Künstlers geschaute Bild durch die Kunst der Poesie der Außenwelt zu zeigen. Der Zyklus enthält unter anderen diese Erzählungen: Rat Krespel, Die Fermate, Der Dichter und der Komponist, Ein Fragment aus dem Leben dreier Freunde, Der Artushof, Die Bergwerke zu Falun, Nußknacker und Mausekönig, Der Kampf der Sänger, Die Automate, Doge und Dogaresse, Meister Martin der Küfner und seine Gesellen, Das fremde Kind, Der unheimliche Gast, Das Fräulein von Scuderi, Spieler-Glück, Der Baron von B., Signor Formica

746 Seiten, 24.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon