Das XVIII. Kapitel.

Wie es dem Springinsfeld von der Tuttlinger Kirchmeß an bis nach dem Treffen vor Herbsthausen ergangen.

[182] »Den folgenden Sommer führete uns der kluge General Freiherr von Mercy wieder mit einer schönen und zwar fast auf eine altfränkische oder holländische Manier, da alles mit guter Ordre zugehet, zu Felde. Das vornehmste, das wir gleich anfangs verrichteten, war die Einnehmung der Stadt Überlingen, deren Garnison nun eine Zeitlang große Ungelegenheit auf und um den Bodensee herummer gemacht hatte: dieser folgte Freiburg[182] im Breisgau, die nun etliche Jahr nacheinander mit Einziehung der Kontributionen gleichsam wie eine militarische Königin über den ganzen Schwarzwald geherrschet und sich aus ihm bereichert. Wir hatten aber dieselbige Stadt kaum in unsern Gewalt, als der Duc de Anguin und Tourenne ankommen, uns in unserm wohlbefestigten Läger auf die Finger zu klopfen, maßen sie auf die Schanzen gestürmet und weder ihrer Soldaten Blut noch deren Lebens verschonet, gleichsam als wann sie nur wie die Pfifferling über Nacht gewachsen wären. Sie stürmten mit ungläubiger Furi gegen uns hinauf wie resolute Helden, wurden aber jedesmal beides, zu Roß und Fuß dermaßen bewillkommt und wieder abgefertigt, daß sie mit ihrem häufigem Herunterpurzeln der überstreuten Walstatt ein Ansehen machten, als wann es Soldaten geschneiet hätte. Es war auch billig, daß diejenige, deren Leben gering geachtet wurde, dasselbe auch gering verlieren sollten. Den andern Tag gieng es noch hitziger her, und kann ich wohl schweren, daß ich mein Tage niemals darbei gewesen, da man schärpfer einander zugesprochen als eben vor diesem Freiburg. Es hatte das Ansehen, als wann die Franzosen nicht übers Herz wollten oder könnten bringen, uns ohnüberwunden von sich zu lassen; und eben dahero fochten sie desto tapferer, ja unsinniger. Hingegen stritten wir vernünftig und mit großem Vorteil; dahero kams, daß unserer nicht viel über 1000, jene aber über 6000 erschlagen und verwundet worden.

Wir Dragoner haben neben den Kürassierern unter Johann von Werths Anführung das beste getan, und wann unserer mehr zu Pferd gewesen wären, so würde den Franzosen ihre Frechheit übel eingetränkt sein worden. Wir kamen zwar mit einem blauen Aug darvon, aber mit großer Ehr, dieweil wir sich eines solchen starken Feinds ritterlich erwehret und ihm allerdings den dritten Teil soviel Volks zunichte gemacht, als wir selbst stark gewesen. Hingegen hatten die Franzosen auch keine Schand darvon, als die ihre verwegene Tapferkeit genugsam sehen lassen, es seie dann einem aufzuheben oder vorzurucken, wann er so vieler Soldaten Blut unnützlich verschwendet oder sonst ohne Not mit dem Kopf wider eine Mauer lauft.

Da wir sich nun in unserm württenbergischen Lande ein wenig erschnaubet und zugleich marschierend sich um einen Raub umschaueten, vermuteten wir, solchen in der untern Pfalz zu erhaschen; derowegen rumpelten wir hinein und gleich darauf in Mannheim mit stürmender Hand, worinnen ich abermal, weil ich einer unter den ersten war, der hineinkam, eine ansehnliche[183] Beut von Geld, Kleidern und Pferden machte. Diesem nach säuberten wir Höchst von der hessischen Besatzung per Akkord und nahmen Bensheim mit Sturm ein, allwo mein Obrister das Leben durch einen Schuß einbüßte. Darinnen hauseten wir etwas rigoroser als kurbayerisch und machten, daß sich Weinheim auch auf Gnad und Ungnad an uns ergab.

Um diese Zeit stunde es um unsere Armee überaus wohl, dann wir hatten an dem Mercy einen verständigen und tapfern General, an dem von Holtz gleichsam einen Atlantem, der die Beschaffenheit aller Wege, Stege, Pässe, Berge, Flüsse, Wälder, Felder und Täler durch ganz Teutschland wohl wußte, dahero er das Heer beides, im Marschiern und Logiern, zum allervortelhaftigsten führen und einquartieren, auch wann es an ein Schmeißen gehen sollte, seinen Vortel bald absehen konnte. Am Joan de Werth hatten wir einen braven Reutersmann ins Feld, mit welchem die Soldaten lieber in eine Okkasion als in ein schlechtes Winterquartier giengen, weil er den Ruhm hatte, daß er beides, in öffentlichen Fechten und Verrichtung seiner heimlichen Anschläge, sehr glückselig sei. An dem Württenberger Land und dessen Nachtbarschaft hatten wir einen guten Brodkorb, welches schiene, als wann es nur zu unserem Unterhalt, und unsere jährliche Winterquartier darinnen zu nehmen, erschaffen worden. Der Kurfürst aus Bayern selbst, wahrlich ein erfahrner Feldherr und weiser Kriegsfürst, war gleichsam unser Vatter und Versorger, welcher uns gleichsam von weitem zusahe, dirigierte und von Haus aus mit seiner klugen und vorsichtigen Feder führte; und was das allermeiste war, so hatten wir lauter versuchte und tapfere Obriste, beides, zu Roß und zu Fuß, und von denselbigen an bis auf den geringsten Soldaten eitel geübte, herz- und standhafte Krieger; und ich dörfte beinahe kecklich sagen, wann ein Potentat im Anfang seines Kriegs gleich eine solche Armee beisammen hätte, daß er sein Gegenteil, der noch zweimal so viel Tirones beieinander, dannoch leichtlich besiegen möchte.

Aber ich muß wieder auf meine Histori kommen; die verhält sich kürzlich also, daß nämlich nachgeen digtem Winterquartier die meiste von uns in Böhmen zu den Kaiserlichen giengen und von den Schwedischen vor Jankau ihr Teil Stöße holeten, und haben wir solchergestalt ihrer Unglückseligkeit oft entgelten und die Scharte ihrer Waffen, die sie, ich weiß nit aus was Ursachen oder Übersehen, hier und da empfangen, mit Darstreckung unserer Hälse öfters auswetzen, ja zuzeiten ihrentwegen gar einbüßen müssen, wie dann vor diesmal auch geschehen.[184] Ich befande mich damals nicht in obbesagtem Treffen, sondern im Württenbergischen, in welcher Gegent mein Obrister zu Nagolt die Schanze häßlich übersehen und zum Lohn seiner Unvorsichtigkeit das Leben erbärmlicherweise eingebüßt. Und damals kam es darzu, daß ich aus einem Korporal zu einem Forier gemacht wurde, eben als der von Mercy unsere Völker hin und wieder zusammenzoge, um dem Tourenne zu wehren, daß er sich in unserm Gäu, in Schwaben und Franken, daraus wir uns selbst zu erhalten gewohnet waren, nicht zu heimisch und gemein machen sollte.

Und dieses ist dem von Mercy vor diesmal auch noch gelungen, maßen er ohnversehens auf die Französische losgangen und sie bei Herbsthausen dermaßen geklopft, daß ihm Tourenne das Feld raumen und viel vornehme Offizier und Generalspersonen hinterlassen müssen. Ich wurde in diesem Treffen zeitlich durch einen Schenkel, doch nicht gefährlich, geschossen, gleichwohl aber dardurch etwas zu erbeuten untüchtig gemacht, weil ich die noch Stehende weder bestreiten helfen noch den Flüchtigen nachjagen konnte, welches mich so blutübel verdrosse, daß ich zween ganzer Tag mit allem meinen Fluchen kein Vatterunser zusammenbringen konnte. Dann weil mein harte Haut bishero nur mit den ankommenden Kuglen gescherzt, vermeinte ich, es sollte nicht sein, daß ein anderer mehr als ich können und mich eben jetzt, da etwas zu errappen, beschädigen sollte.«

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 3, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 182-185.
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