Das siebenundzwanzigste Kapitel.

[70] Simplex macht einen Rauch in die Kanzelei,

Daß ihn auch selbsten ist übel darbei.


Meines Herrn Gunst vermehrte sich täglich und ward je länger je größer gegen mir, weil ich nicht allein seiner Schwester, die den Einsiedel gehabt hatte, sondern auch ihm selbsten je länger je gleicher sahe, indem die gute Speisen und faule Täge mich in Kürze glatthärig machten und mich anmutig genug vorstelleten. Diese Gunst genosse ich bei jedermänniglich; dann wer etwas mit dem Gubernator zu tun hatte, der erzeigte sich mir auch günstig, und sonderlich mochte mich der Secretarius wohl leiden: indem mich derselbe rechnen lernen mußte, hatte er manche Kurzweile von meiner Einfalt und Unwissenheit. Er war erst von den Studien kommen und stak dahero noch voller Schulpossen, die ihm zuzeiten ein Ansehen gaben, als wann er einen Sparrn zu viel oder zu wenig gehabt hätte. Er überredete mich oft, schwarz sei weiß und weiß sei schwarz; dahero kam es, daß ich ihm in der erste alles und aufs letzte gar nichts mehr glaubte. Ich tadelte ihm einsmals sein schmierig Tintenfaß, er aber antwortete, solches sei sein bestes Stück in der ganzen Kanzelei, dann aus demselben lange er heraus, was er begehre; die schönste Dukaten, Kleider und in Summa, was er vermöchte, hätte er nach und nach herausgefischt. Ich wollte nicht glauben, daß aus einem so kleinen verächtlichen Ding so herrliche Sachen zu bekommen wären; hingegen sagte er, solches vermöge der Spiritus Papyri (also nannte er die Tinte), und das Tintenfaß würde darum ein Faß genennet,[70] weil es große Sachen fasse. Ich fragte, wie mans dann heraus bringen könnte, sintemal man kaum zween Finger hineinstecken möchte? Er antwortete, er hätte einen Arm im Kopf, der solche Arbeit verrichten müsse; er verhoffe, ihm bald auch eine schöne reiche Jungfer herauszulangen, und wann er das Glück hätte, so getraue er auch, eigen Land und Leute herauszubringen, welches gar nichts Neues sei, sondern wohl ehemals geschehen wäre. Ich mußte mich über diese künstliche Griffe verwundern und fragte, ob noch mehr Leute solche Kunst könnten oder dieselbe zu begreifen fähig wären. »Freilich!« antwortete er, »alle Kanzler, Doktorn, Secretarii, Procuratorn oder Advokaten, Commissarii, Notarii, Kauf- und Handelsherren und sonst unzählig viel andere mehr, welche gemeiniglich, wann sie nur fleißig fischen und ihr Interesse fleißig in acht genommen, zu reichen Herren daraus werden.« Ich sagte: »So seind die Bauren und andere arbeitsame Leute nicht witzig, daß sie im Schweiß ihres Angesichts ihr Brod essen und diese Kunst nicht auch lernen.« Er antwortete: »Etliche wissen der Kunst Nutzen nicht, dahero begehren sie solche auch nicht zu lernen; etliche wolltens gern lernen, manglen aber des Arms im Kopf oder anderer Mittel; etliche lernen die Kunst und haben Arms genug, wissen aber die Griffe nicht, so die Kunst erfodert, wann man dadurch will reich werden; andere wissen und können alles, was dazu gehöret, sie wohnen aber an der Fehlhalde und haben keine Gelegenheit wie ich, die Kunst rechtschaffen zu üben.«

Als wir dergestalt vom Tintenfaß (welches mich allerdings an des Fortunati Säckel gemahnete) diskurierten, kam mir das Titularbuch ungefähr in die Hände; darin fand ich meines damaligen Davorhaltens mehr Torheiten, als mir bishero noch nie vor Augen kommen. Ich sagte zum Secretario: »Dieses alles sind ja Adamskinder und eines Gemächts miteinander, und zwar nur von Staub und Asche! Wo kommt dann ein so großer Unterscheid her? Allerheiligst, Unüberwindlichst, Durchleuchtigst! Sind das nicht göttliche Eigenschaften? Hier ist einer Gnädig, dort ist der ander Gestreng, und was muß allzeit das Geborn darbei tun? man weiß ja wohl, daß keiner vom Himmel fällt, auch keiner aus dem Wasser entstehet und daß keiner aus der Erde wächst wie ein Krautskopf. Warum stehen nur Hoch-, Wohl-, Vor-, Großgeachte da und keine Geneunte? oder wo bleiben die Gefünfte, Gesechste und Gesiebende? was ist das vor ein närrisch Wort: Vorsichtig? welchem stehen dann die Augen hinten im Kopf.« Der Secretarius mußte meiner lachen und nahm die Mühe, mir eines und des andern Titul und alle Worte insonderheit[71] auszulegen; ich aber beharrete darauf, daß die Titul nicht recht geben würden; es wäre einem viel rühmlicher, wann er Freundlich titulieret würde, als Gestreng. Item, wann das Wort Edel an sich selbsten nichts anders als hochschätzbarliche Tugenden bedeute, warum es dann, wann es zwischen Hochgeborn (welches Wort einen Fürsten oder Grafen anzeige) gesetzt werde, solchen fürstlichen Titul verringere? Das Wort Wohlgeborn sei eine ganze Unwahrheit; solches würde eines jeden Barons Mutter bezeugen, wann man sie fragte, wie es ihr bei ihres Sohns Geburt ergangen wäre.

Indem ich nun dieses also belachte, entrann mir unversehens ein solcher grausamer Leibsdunst, daß beides, ich und der Secretarius, darüber erschraken. Dieser meldete sich augenblicklich sowohl in unsern Nasen als in der ganzen Schreibstube so kräftig an, gleichsam als wann man ihn zuvor nicht genug gehöret hätte. »Trolle dich, du Sau,« sagte der Secretarius zu mir, »zu andern Säuen in Stall, mit denen du, Rülp, besser zustimmen als mit ehrlichen Leuten konversieren kannst!« Er mußte aber sowohl als ich den Ort räumen und dem greulichen Gestank den Platz allein lassen. Und also habe ich meinen guten Handel, den ich in der Schreibstube hatte, dem gemeinen Sprichwort nach auf einmal verkerbt.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 70-72.
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