Der ander auffzug.

[20] Theodorus. Cassandra. Violandra. Serenus. Eubulus. Peter Squentz.
[20]

THEODORUS. Wir erfreuen uns höchst, das wir den nunmehr vergangenen reichs-tag glücklich geendet, auch anwesende abgesandten mit guter Vergnügung abgefertiget. Mit was kurtzweil, herr Marschalck, passiren wir vorstehenden abend?

EUBULUS. Durchläuchtigster könig, es hat sieh verwichene tage ein seichtgelehrter dorff-schulmeister nebens etlichen seines gleichen bey mir angemeldet, welcher willens, vor ihrer majestät eine kurtzweilige comœdi zu agiren. Weil ich denn dieselbe sehr annehmlich befunden, indem ich dem versuch beygewohnet, habe ich die gantze gesellschafft auf diesen abend herbeschieden und zweiffele nicht, ihre majestät werden sich ob der guten leute einfalt und wunderlichen erfindungen nicht wenig erlustigen.

CASSANDRA. Wir sehen sehr gerne comœdi und tragœdien. Was inhalts des spieles lassen sie anmelden?

EUBULUS. Durchläuchtigste princessin, sie haben mir ein groß register voll überreichet, aus welchen ihrer majestäten frey stehet auszulesen, was sie am angenehmsten düncket.

SERENUS. Leset uns doch die Verzeichnis.

EUBULUS. Ein schön spiel von der verstörung Jerusalem. Die belägerung von Troja. Die comœdia von der Susanna. Die comœdia von Sodom und Gomorrha. Die tragœdia von ritter Petern mit dem silbernen schlüssel. Vom ritter Pontus. Von der Melusina. Von Artus und dem ostwind. Von Carolus quinque. Die comœdie von Julius unus. Vom hertzog und dem teuffel, ein schön spiel, lustig und traurig, kurtz und lang, schrecklich und erfreulich. Von Piramus und Thisbe, hat hinten und forn nichts, niemahls vor tragiret und noch nie gedrucket, durch Peter Squentz, schulmeistern daselbst.

SERENUS. Es scheinet, die guten schlucker können keine als die letzte, darum sie denn solche sonderlich ausgestrichen. Ruffet[21] nur den principal selber herein! Ich muss mich was mit ihm unterreden.

EUBULUS. Durchläuchtigster fürst, es ist ein schlechter, guter mann. Er wird sich zweiffels ohn entsetzen, und damit kommen wir um die comœdi und verhoffte lust.

SERENUS. Fodert ihn herein! Wir wollen schon wissen mit ihm umzugehen.

EUBULUS. Dieses ist die bewuste person, durchläuchtigster fürst.

SERENUS. Seyd ihr der author der comœdi?

PETER SQUENTZ. Ja, mit züchten zu melden, juncker könig.

THEODORUS. Von wannen seyd ihr?

PETER SQUENTZ. Tugendsamer herr könig, ich bin ein ober-länder.

THEODORUS. Wo habt ihr studiret?

PETER SQUENTZ. Im Mägdeflecken auf der Neustadt.

THEODORUS. Was habt ihr studiret?

PETER SQUENTZ. Ich bin ein universalem, das ist, in allen wissenschafften erfahren.

THEODORUS. Wo haltet ihr euch auf?

PETER SQUENTZ. Vor diesem bin ich wolbestelter glockenzieher des spittelglöckleins gewesen; weil ich mich aber über diese maßen auf die music des glockengeklanges verstanden, bin ich nunmehr zu Rumpel-kirchen wolbestellter handlanger des wortes gottes, das ist schreiber und schulmeister, auch expectant des[22] pfarr-amts, wenn die andern alle werden gestorben seyn.

THEODORUS. Seyd ihr denn auch tüchtig darzu?

PETER SQUENTZ. Ja freylich! In der gantzen welt sind 4 theil, Europa, Asia, Africa und America. Unter diesen ist Europa das vornehmbste. In Europa sind unterschiedene königreich, als Spanien, Portugall, Franckreich, Deutschland, Moschkau, Engelland, Schottland, Dennemarck und Pohlen; unter allen aber ist Ober-land das vornehmste, weil es über Niederland. Ober-land wird getheilet in Groß- und Klein-Oberland. Groß-Ober-land hat den vorzug, dannenhero heist es auch groß. In groß Ober-land sind unterschiedene creyser, als der Niesische, Gryllische, Würmische mit ihren vornehmsten städten, als Fortzenheim, Narrenburg, Weißfischhausen, Kälberfurtz, Mägdeflecken. Diese letztere ist die trefflichste; denn die mägdlein oder jungfern haben wieder den vorzug, denn sie gehen voran. Zu Mägdeflecken gibt es unterschiedene gassen, als die lange, die breite, die enge, die rechte, die krumme, die Rossmarien-gassen, die Graupen-gasse, die Kerbe-gasse, die Lilien-gasse, welche andere mit verlaub aus hass und neid die Dreck-gasse nennen. Unter allen ist die Lilien-gasse die trefflichste; denn auf derselben wohneten vor zeiten viel vornehme, gelehrte leute, als meister Girge Hackenbanck, Matz Strohschneider, meister Bullabutän, meister Kricks-über-und-über und meister Klipperling; unter allen aber war ich der vornehmste. Ergò kan es nicht fehlen, ich bin der vornehmste mann in der gantzen welt, das ist, in Europa, Asia, Africa und America ist mir niemand gleich.

THEODORUS. Wir nehmen mit höchster Verwunderung an, was ihr vorbringet, und erfreuen uns, dass wir so statliche und treffliche leute in unserm lande haben.

SERENUS. Aus so vielen comœdien, die ihr zu agiren willens, begehren[23] ihre majestät die erste zu sehen, von der verstörung Jerusalem.

PETER SQUENTZ. O potz tausend felten!

SERENUS. Was sagt ihr darzu? Nun, wie stehet ihr so? was krümmert ihr lange im kopffe?

PETER SQUENTZ. Die wolten wir wol tragiren, aber ihr müst uns zuvor Jerusalem lassen bauen, da wolten wir es zustören und einnehmen.

SERENUS. Wie stehets denn mit der belägerung von Troja?

PETER SQUENTZ. Es ist ein Ding.

SERENUS. Und was macht denn die schöne Susanna?

PETER SQUENTZ. Wir wolten die wol tragiren, aber es würde übel stehen vor dem frauenzimmer, wann sich die Susanna nackend baden solte.

SERENUS. Was sagt ihr denn zu Sodom und Gomorrha?

PETER SQUENTZ. Die wolten wir wol tragiren, aber es würde viel feuerwerck dazu gehören; wir möchten vielleicht den teuffel gar anzünden.

SERENUS. Was sol man denn mit ritter Petern machen?

PETER SQUENTZ. Die wolten wir wol tragiren, aber ihr müsset noch 14 tage darauff harren.

SERENUS. Wie stehets denn mit ritter Pontus?[24]

PETER SQUENTZ. Die wolten wir wol tragiren, aber ritter Pontus ist uns daraus gestorben.

SERENUS. Können wir die Melusinen sehen?

PETER SQUENTZ. Das hat meister Lollinger wider mein wissen und willen dazu gesetzet, den lasse ichs verantworten.

SERENUS. Sol denn Artus und der ostwind mit einander fechten?

PETER SQUENTZ. Die wolten wir wol tragiren, aber der, der den ostwind tragiret, ist itzt zu Schlieren-Schlaff nach wolle gezogen; könnet ihr gedult haben, biss er wieder kommt, so wollen wir sehen, wie wir das spiel zu wege bringen.

SERENUS. Was ist denn Carolus quinque vor einer gewesen?

PETER SQUENTZ. Er ist seines nahmens der erste gewesen, Julius unus der andere; aber zu dem ersten mangeln uns die kleider, und in der andern comœdie ist zu viel lateinisch. Es würde dem gestrengen frauen-zimmer nur verdrüßlich fallen.

SERENUS. Könnet ihr denn den hertzog und den teuffel einführen?

PETER SQUENTZ. Das könten wir wol thun, aber es würde erschrecklich seyn, wenn der teuffel kommen solte. Die kleinen kinder würden so drüber weinen, dass man sein eigen wort nicht vernehmen könte.

SERENUS. Nun ich sehe, ihr seyd sehr wol ausgerüstet; es mangelt nun nichts mehr als die letzte von Piramus und Thisbe.

PETER SQUENTZ. Die wollen wir euch den augenblick hermachen.

SERENUS. Ihre majestät verstehen den titul nicht wol, könt ihr uns[25] denselben nicht etwas erklären?

PETER SQUENTZ. Das kan ich besser als der cantzler.

THEODORUS. Bey gott! P. Squentz düncket sich keine sau zu seyn.

PETER SQUENTZ. Ein schön spiel, schön wegen der materie, schön wegen der comœdianten und schön wegen der zuhörer; lustig und traurig, lustig ists, weil es von liebes-sachen handelt, traurig weil zwey morde drinnen geschehen; kurtz und lang, kurtz wird es euch seyn, die ihr zusehet, uns aber lang, weil wir es auswendig lernen müssen; schrecklich und erfreulich, schrecklich weil ein großer löwe, so groß als ein äffe drinnen ist, dahero es auch wol affentheurlich heißen mag; erfreulich, weil wir von ihr gestrengen eine gute verehrung gewärtig sind; hat hinten und forn nichts, ihr sehet, wie die comœdi gebunden ist; sie hat vornen nichts und hinten auch nichts; niemals vor tragiret und noch nie gedrucket, ich bin erst vor 3 tagen mit fertig worden, derowegen ist nicht glaublich, dass sie zuvor tragiret oder gedruckt sey.

THEODORUS. Sie wird ja aber in künfftig gedrucket werden?

PETER SQUENTZ. Ja freylich, und ich wil sie ihrer majestät dediciren. Durch Peter Squentz, der bin ich; schulmeister daselbst, das ist zu Rumpels-kirchen.

CASSANDRA. Wer wolte das errathen?

PETER SQUENTZ. Wer es nicht kan, dein steht es frey, dass er es bleiben lasse. Ich richte mich nach dem cantzley stylo. Neulich bekam ich einen brieff, der war unterschrieben: datum Kunrathsheim durch Peter Aschern, stadtschreibern daselbst. Bin ich nicht so gut als er?[26]

SERENUS. Ihr habt euch sehr wol verantwortet. Herr marschalck, man lasse sie in dessen tractiren! Nach vollendeter abendmal-zeit stellet euch mit euren gehülffen auffs fertigste ein!

PETER SQUENTZ. Ja, ja, juncker könig, ja.

SERENUS. Bey Gott! herr marschalck, ihr habet stattliche kurtzweil angerichtet. Wo die tragœdi so anmuthig, wie sich der anfang anlässet, wird unter den zusehern niemand eines schnuptuches zu abtrucknung der thränen bedürffen.

CASSANDRA. Es wäre denn, dass sie im lachen hervor dringen.

EUBULUS. Ihre majestät werden wunder sehen und hören. Ich hätte selbst nimmermehr vermeinet, dass so vortreffliche geschickligkeit in herrn Peter Squentz vergraben.

Quelle:
Andreas Gryphius: Werke in drei Bänden mit Ergänzungsband. Band 1, Darmstadt 1961, S. 20-27.
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