7.

Domine vsqve qvo?

[14] 1.

Ach wie lang/ O Gott! mein Gott wie lange/

Wiltu dich von meinen threnen kehren/

Vndt keiner bitte mich gewehren!

Ach! wie ist mir doch so hefftig bange!

Das du mich nun gantz aus deinem hertzen/

Schleust vndt in grundlosẽ schmertzen/

Ohne trost versincken läst.

Soll ich Herr/ dein antlitz nicht mehr schawen?

Hab ich nicht ô Heilandt!) mein vertrawen

Stets auff dich gegründet fest?


2.

Ach! wie lange soll in tausendt plagen/

Vnter deines grimmes donnerkeilẽ/

Vnter der Hellen schwefel pfeilen

Ich mein immerwehrendt weh beklagen?

Ach wie müd' ist mein gemütt von sorgen!

Welches plötzlich alle morgen/

Angst vnd elendt vberfält.

Ist woll eine trübsall zu ersinnen/

Wirdt man auch ein vnglück finden können

Das mich nicht klawen hält?
[14]

3.

Doch ich möchte dis noch alles leiden:

Das sich aber meine feind' erheben

Weil ich in höchster qual mus leben/

Das so frölich jäuchtzen/ die mich neiden;

Dis/ dis will mir leib vndt geist durchdringen/

Vndt mich zum verzweifeln bringẽ.

Mein Gott! ach mein grosser Gott!

Wofern dein gemütte zu erweichen:

Wofern eine gnade zue erreichen:

Schawe doch auff meine noht.


4.

Welt ade! es ist vmb mich geschehen!

Meine krafft weicht/ vndt die augen brechen/

Die zunge kan kein wortt mehr sprechen:

Der todt hatt mich ihmb zum raub' ersehen.

Ach Herr! einen strall nur/ deiner gütte/

Wündtscht mein sterbendes gemütte

Brich doch an du lebens licht!

Mein feind wird es seiner macht zue schreiben/

Wo ich mus im staube liegen bleibẽ.

Dulde doch sein pochen nicht.


5.

Nun ich weis/ du wirst mir nicht abschlagen/

Was ich itzt/ mitt halberstarter zungen/

Vnd pfnüchtzend habe vorgedrungẽ.

Deine gnade kennet kein versagen/

Alle welt weis deine trew zue preisen/

Die du pflegest zue erweisen/

Wen kein mittell mehr zu sehn!

Herr ich glaub' ich will nach so viell schreyen/

Vber deiner wolthatt mich erfrewen!

Ja ich weis es wirdt geschehn!

Quelle:
Andreas Gryphius: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Band 1, Tübingen 1963, S. 14-15.
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