Anhang

[22] Manibus Beatiß. Fœminæ Pietate, Virtute Modestia, Suavitate Floridißimæ Mariæ Rismanniæ Parentis Dulcissimæ Desideratissimæq;


Ætatis Anno 25. Christi 1637. 2. Februarij ad cælica æternitatis palatiæ evocata.


Ach welch ein Donnerstral kombt mir durchs Hertz gerennet/

Fraw Mutter! ach so früh! so plötzlich! ach so bald!

Ach mir wird Leib vnnd Seel gantz durch vnd durch zutrennet!

Ich fühl wie mir das Blutt in allen Gliedern wallt.

Was hör ich! O Ihr Kron! O Zierde keuscher Frawen/

O aller Tugend Liecht! O Blume dieser Welt!

Hat Euch des Todes-Seens so grimmig abgehawen?

Ist Ewrem Lebenslauff so kurtzes Ziel gestellt?

Muß deñ der Parcen Schluß so richtig für sich gehen?

Hilfft keine Freundligkeit/ hilfft keiner kräuter Fleiß?

Hilfft solches From seyn nicht? kan dẽ nicht wiederstehen/

Ein Sinn der sonst von nichts als Gottes liebe Weiß?

Ach! nein! Ihr seid hin weg? Ewr trefflich Angesichte/

Das wunder der Natur/ Ewr mehr alß zarter Leib/

Ewr Rosen-roter Mund erblast vnnd wird zu nichte/

Nichts ist/ das mehr an Euch bey seiner Schönheit bleib!

So stirbt die Lilien wenn sich der Winde sausen[22]

Läst hören in dem Feld/ wenn aller Wetter macht

Durch vngehewre Lufft/ vnd schwerer Wolcken brausen/

Mit Fewr/ blitz/ Sturm vñ Brand vnd schweren schlägen kracht.

O allzuschwerer Todt! eh denn Ihr recht noch blühet/

Noch eh die Mittags Sonn des Lebens Euch berührt/

Hat der/ so keine Zeit vñ junge jahr ansihet/

Euch in das enge Hauß des Grabes einlosirt.

Ach! hätt Ich eh denn Ihr die Augen zugedrücket/

Mocht gegenwertig seyn/ Ich hät' vor so viel Trew

Doch inniglich gedanckt/ eh Ihr den Geist verschicket/

Hätt ich Ewr wehrte Lieb gerühmbt ohn heucheley!

Ich hätt Euch vor gesehn; eh den Ihr gantz beschlossen/

Ihr hättet mir zuvor noch gutte Nacht gesagt.

Ich hätt Ewr Todtenkleid mit Thränen vbergossen

Vnd auff dem schwartzen Sarg den herben Fall beklagt!

Mein Wüntschen ist vmbsonst! Herr Bruder vnser reisen

Ist allzulang gespart/ wir hätten zwar gedacht/

Sie würd Ihr ander sich/ vns selbst voll Frewden weisen/

Gott hat durch diese Sinn ein grossen Strich gemacht.

O daß doch auff der Welt nichts kan beständig bleiben!

O daß doch alle ding so nichts vnnd flüchtig sind!

Nichts ist/ das sich nicht selbst zum Vntergang muß treiben/

Nichts ist das seinen Todt nicht stündlich in sich find/

Wil vns das alter gleich ein wenig frist versprechen/

Daß als ein Strom doch fleust/ so kombt Gott selbst heran;

Gott dessen starcker Hand kein Fleisch sich kan entbrechen/

Gott/ Gott ists der auch hier den Schmertzens Riß gethan/

Doch was Gott schleust ist gutt: Obs schon sehr häfftig scheinet

Vnd Menschen sawr geht ein; Gott hat Euch jtzt ergetzt/

Fraw Mutter auff Ewr Creutz/ mehr als mein Hertz vermeinet;

Jtzt seid Ihr aller Angst vnd allem Weh entsetzt/

Ihr strandet schon am Port wir schweben auff den Wellen/

Da vns manch wilder Nort gantz zuversencken drewt/

Wir sinds die Ach vnd Noth vnd Widrigkeiten fällen/

Ihr seid mit diesem schon (was jeder wüntscht) erfrewt/

Ihr seid vns nur voran/ wir werden alle gehen

Der Ewigkeiten Weg; Ich/ den des Todes Hand

Nun dreymal weyse macht; gedenck Euch bald zu sehen/[23]

Weil schöner als zuvor im Seelen Vaterland/

Wenn Ich den kurtzen Rest des Lebens abgeleget;

Den mir des Himmels Gunst nur darumb noch nachsicht

Daß Ich den Vntergang der mich so sehr beweget/

Mit Thränen warer Lieb laß vnbeklaget nicht.


consecrabat

mæstißima manus

Filii

Andreæ Gryphii.
[24]

Fæminei lux summa chori, pietatis amæna

Effigies, Virtutis apex, rosa fulgida, Mundi

Delitium Marie, (lachrymis en sqvallida nobis

Ora madent; subitæque ruunt in verba lituræ)

Heu Marie! (cessate oculi, dum tristia promam

Fulmina & immiti properem convitia fato

Percitus.) Heu Marie tenero pulcherrima vultu,

Pulchrior ætheriis animi fulgoribus eheu!

Quid taciti æternorum irritamenta dolorum Abs-

Condimus? ipsa Parens radianti in flore juventæ

Occidit! hoc fuerat furva quod nocte jacentem

Somnia terruerant tragicis horrenda figuris!

Quod tetri sine sole dies; qvod sponte rotarent

Lumina mærorum fluvios! nec turpia posthac

Secula & invisis pollutam mortibus auram

Linqvimus? O seriem rerum qvam lubrica torquent

Stamina præcipites Parcarum in funera dextræ!

Qvæ rabies? qvæ dira lues tam certa nocendi

Tela jacit! qvid casta fides, qvid pectora pro sunt

Candida, qvid probitas? cecidere! augustaque vitæ

Tempora, vernantesque manu scidit Atropos annos.

Nec Tibi purpureo suffusi sanguine vultus,

(Nil veris affingo bonis) radiataque cælo

Lumina, nec nivea jucunda modestia frontis

Membrorum nec dius honor, potuere verendam

Tantisper proferre diem? sic lilia nimbis

Fracta cadunt; torvosque rosæ moriuntur ad Austros.

Me miserum! tantumne decus specus atra sepulchri

Condet? & in cinerum tenueis resoluta peribunt

Pectora relliqvias? nec post adamata videbo

Ora, nec arcanis implebo qvestibus aures!

Nec fotus dulci alloqvio, svavißima fandi

Munera, maternumque animo metatus amorem,

Curarum excutiam scrupos! saltem ultima lingvæ

Momina, & extremas audire & reddere voces,

Porrectamque manu licuisset stringere dextram,

Et summum plorare VALE! mors omnia lusit[25]

Vota! quid incassum fracto hæc sub corde voluto

Disjunctosque incuso locos, faciemque tueri

Dilectam exposco lachrymans! fas credere summo

Sic rerum placuisse Deo! qvem læta salutis

Posthabito aspectans mundo, super omnia plausu

Extollis, Sponsumque anima Regemque salutas

Sidereis innixa globis jam victa dolorum

Agmina, morborumque luem, barathrumque timoris

Horrentesque necis furias confractaque rides

Spicula, dum superum cæli per inania prætor

Descendat, faculisque ferum citus opprimat orbem

Et tumuli pandat latebras, animataque reddat

Membra tibi; totamque hilari te inducat olympo.

Interea, abjunctum Tibi me, dum distinet acris

Scena soli carcerque gravis mea vota coercet

His spatiis; SALVE EXTREMUM DULCISSIMA MATER

EXTREMUMQVE VALE! volucer tibi circulus ævum

Finierit, tumbâque brevi, brevis ipse relicta

Cluserit ossa licet; Tu mî tamen usque superstes

Mater eris semperque meo sub pectore VIVES.


in via ad exeqvias plorabat.

Andreas Gryphius.

Quelle:
Andreas Gryphius: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Band 1, Tübingen 1963, S. 22-26.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Sonette
Frühe Sonette (Neudrucke Deutscher Literaturwerke)

Buchempfehlung

Auerbach, Berthold

Barfüßele

Barfüßele

Die Geschwister Amrei und Dami, Kinder eines armen Holzfällers, wachsen nach dem Tode der Eltern in getrennten Häusern eines Schwarzwalddorfes auf. Amrei wächst zu einem lebensfrohen und tüchtigen Mädchen heran, während Dami in Selbstmitleid vergeht und schließlich nach Amerika auswandert. Auf einer Hochzeit lernt Amrei einen reichen Bauernsohn kennen, dessen Frau sie schließlich wird und so ihren Bruder aus Amerika zurück auf den Hof holen kann. Die idyllische Dorfgeschichte ist sofort mit Erscheinen 1857 ein großer Erfolg. Der Roman erlebt über 40 Auflagen und wird in zahlreiche Sprachen übersetzt.

142 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon