36.
Uber seines jüngsten Sohnes Danielis Geburt

[112] Wo sind wir! sind wir nicht fast in der Löwen Rachen?

Schwächt nicht die Freyheit selbst in mehr den ehrnen Band!

Was schauen wir vor uns/ als ein verheertes Land/

Und weinen wir nicht stets/ weil die in Babel lachen!

Beginnt der Fels nicht schon das Bild zu Staub zu machen/

Das längst schon nach dem Ertz in Stahl und Thon verschwand/

Und doch schenckt Gott dich mir/ O keuscher Liebe Pfand/

Indem die letzten Reich' auf eignen Flammen krachen.

Willkommen! der du mich in Schmertzen sollst ergetzen;

Komm sey mein Daniel/ komm/ weil die Zeit einbricht/

Die Jammer uns gedräut: komm/ gilt kein Rathen nicht/

So ist Beständigkeit vor weise Kunst zu schätzen.

Laß jenem Stand und Amt und Gold den schönen Kott/

Halt nur/ biß an den Tod/ wie jener/ fest an Gott.

Quelle:
Andreas Gryphius: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Band 1, Tübingen 1963, S. 112.
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