44.
Auf eine Wöchnerin/ unter eines andern Nahmen

[116] Du auch mein ander Ich/ du Lust in meinen Schmertzen/

Mein Seelen Auffenthalt/ du Spiegel reiner Zucht/

Die ich bißher umsonst im Kreiß der Welt gesucht/

Du scheidest und zureist dein Band in meinem Hertzen/

Doch nein/ das Band ist gantz/ ob schon die Trauer-Kertzen[116]

Verlodern über dir/ und der betrübten Frucht/

Mein Lieben brennet noch/ und läst bey deiner Flucht/

Sich durch die Grabes-Nacht des Todes nicht verschertzen/

Ob schon dein Cörper fault/ dein Leben lebt in mir.

Ich irre/ mein Gemüth ist ausser dir bey dir/

Indem mein mattes Fleisch verschmeltzt in heissen Thränen.

Wie? lässest du mich hier? Wie? giebst du gute Nacht/

Indem die Flamme sinckt/ indem der Fried erwacht?

Wie? oder hast du dort wornach wir hier uns sehnen.

Quelle:
Andreas Gryphius: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Band 1, Tübingen 1963, S. 116-117.
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