18.
Quantum est quod nescimus!

[74] Ists! oder ists ein wahn! daß anverwandter Blutt

Sey kräfftig vnsern Geist durch frembde macht zu rühren:

Soll wenn mein freundt betrübt/ ich mich bekümmert spüren?

Ob schon mir nicht endeckt wird seiner schmertzen glutt.

Soll/ wenn sein Cörper fault/ mein hochbestürtzter mutt

In vnbekandter angst sich kräncken vnd verlieren?

Soll mich sein bild zu nacht in lust vnd schrecken führen,

Vnd trösten in der pein/ vnd rathen was mir gutt?

Mein Bruder/ ehe man mir deinen todt entdecket:

Hast du drey Nächte mich auß meinem schlaff erwecket

Vnd mein vnendlich leid zu lindern dich bemüht,

Du hast mir zeit vnd Ortt der abgelegnen reisen/

Da ich nicht reisen wolt' außdrücklich wollen weisen;

Ists! oder wissen wir/ weit minder alß man siht.

Quelle:
Andreas Gryphius: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Band 1, Tübingen 1963, S. 74-75.
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