Vierter Auftritt.


[129] Steele kommt die Treppe herab. Savage.


SAVAGE. Steele!

STEELE ihn umarmend. Hundertmal war ich an der Tür deines Kerkers, aber erst nach der Fällung des Urteils wollte man mich einlassen! Armer, armer Freund!

SAVAGE. Soll ich dir sagen, was mich für mein Unglück, wenn es einen Trost gibt, trösten könnte? Daß mir etwas so Großes hat begegnen müssen, daß selbst dein sonst so verstecktes Gemüt aus dem Dachsbau seiner weltmännischen Philosophie heraus mußte!

STEELE. Bester Freund – »begegnen müssen«? »So Großes«? Wirst du – – gehängt? Botanybai, mein Freund, verlohnt ein gründliches Studium, und für die Spalten meines Journals ist es mir wert, dort einen Korrespondenten zu haben. Freund, Freund, ich werde dich sehr vermissen, das ist gewiß,[129] aber was »begegnet« dir denn? Du wechselst das Terrain deiner Tätigkeit, und die neuen Eindrücke werden dem Charakter deiner Poesie nützlich sein! In allem Ernst, sieh dich eine Weile in der Welt draußen um! Der Zustand unserer Kolonien soll schauderhaft sein, die Gouverneure saugen ihnen, hungriger als die Spanier in Mexiko, das Blut aus; kein Schutz der Gesetze, keine Hilfe beim Parlament für die unglücklichen Bewohner derselben ist gegeben, alles geht durch den Gouverneur, die Beweisführung und der Hilferuf des Klägers durch die Hände des Beklagten – das muß einmal ans Tageslicht; da kann ich, wenn ich ins Parlament komme, drei Ministerien mit in Schach halten. Lieber Junge, wie lange wirst du dort bleiben? Einige Jahre, und es erfolgt deine Begnadigung. Kapwein wird erst gut, wenn er einmal die Linie passiert hat.

SAVAGE. Kehrt' ich je zurück, würd' ich viel verändert finden – Meine Mutter wäre tot – Und ich selbst – ich erleb' es nicht – Mein Dasein ist geknickt, ich hänge nur noch am Leben wie eine überreife Frucht; ein Windstoß – und ich bin abgeschüttelt – Was weiß man von meiner Mutter?

STEELE. Laß diesen unwürdigen Gedanken! Der vorschnelle Tod, den du dem Viscount gabst, hat einige Familien mit ihr ausgesöhnt. Sie gibt Abende, die immer noch genug besucht sind, um ihr Gelegenheit zu geben, mit ihrer Lieblosigkeit zu prahlen. Der Hof, der von deinen Ansprüchen überzeugt ist und dich deshalb ohne allen Zweifel zum Transport begnadigt, hat es ihr nahe genug gelegt, sie sollte für dich einen Schritt tun; sie wurde mit Briefen, Bittschriften aller Art bestürmt – nein, sie bleibt kalt und gibt Bälle. Hätte man dich gehängt, sie würde sich ein Fenster dafür gemietet haben.

SAVAGE. Steele, es ist eine Freude zu sehen, wie du die Dinge so lange biegst, bis sie krumm werden oder brechen!

STEELE. Ich bemitleide dich, Savage! Du entfremdest dir deine Freunde durch ein Vertrauen, das du auf eine Anerkennung setzest, die du bei dem Charakter der Lady nie finden wirst.

SAVAGE. Geheimnisse zu enträtseln, die in der Menschenbrust schlummern, bist du nicht der Mann. Was treibt man draußen in der Welt?

STEELE. Danke uns, wenn diese Staatsverfassung, diese Gesetzgebung, die einen Bürgerlichen zum Tode verurteilen kann, der sich gegen den meuchlerischen Überfall eines Adeligen mit dem Degen in der Faust wehrt, hoffentlich bald zu Grabe geht! Denn die Macht des Journalismus wächst. Von allen Dingen,[130] die vorgehen, haben wir die Fäden in der Hand. Wir spinnen das Gewebe dessen, was man heute noch zu behaupten, zu glauben, zu unternehmen wagt. Die Gold- und Silberbarren der Wissenschaft prägen wir in kurante Münze um, die von einer Hand zur andern wandert und den Umsatz der Ideen befördert. Zu den edlen Metallen eines Baco, eines Locke setzen wir das Kupfer hinzu, legieren das Silber und geben die Wahrheit dreizehn-, zwölf-, eilflötig heraus, je nachdem sie die Menschen fassen können. Heutigentags will alles seine Form haben. Die Philosophen läßt man's aus Bechern, die Kinder aus Löffeln nehmen; den Frauen versetzen wir die Probleme mit etwas brillanter Einfassung, etwa in Gestalt eines Fächers, mit dem sich's in der Gesellschaft anmutig kokettieren läßt – Kurz, die Ideen müssen Gemeingut werden; alle sind berufen, die Menschheit will wissen, woran sie ist!

SAVAGE. Die Dichter werdet ihr dabei zu Grabe tragen!

STEELE. Lustspiele, Savage, Lustspiele! Die Menschen sind eurer Trauerspiele satt, eurer wahnsinnigen Könige, eurer händeringenden Jungfrauen, eurer naturwidrigen Geisterbeschwörungen! Satt, satt –! Lustspiele, Savage! Feine gesellschaftliche Bezüge, satirische Gemälde des Lebens der höhern Stände, Ironien auf die Advokaten, auf die Ärzte, auf die Priester – das ist ein Feld, Savage; Witz, Witz, Witz! Frage die Schauspieler, sie urteilen selbst so. Zieht ein Papier hervor. Aber da hätt' ich das Beste fast vergessen. Das ist eine Satire, wie sie wohl noch nie auf ein menschliches Wesen geschrieben wurde! Wäre deine Mutter eine Griechin, sie würde sich ohne weiteres aufknüpfen!

SAVAGE. Auf meine Mutter –? Eine Satire?

STEELE. Sie kommt in die nächste Nummer meines Journals. Noch nie hat die englische Sprache einem Nadelholzbaum so geglichen wie hier. Alle Kammermädchen Londons könnten eine Woche lang ihren Damen damit das Haar aufstecken, wenn jedes Wort eine Stecknadel wäre. Eine Stachelpyramide! Lies selbst!

SAVAGE. Ich werde dir dafür eine Ode an meine Mutter geben. Zerreißt das Manuskript.

STEELE. Was? Wie? Zerrissen? Mein bester Artikel – die gelungensten Einfälle, Sarkasmen wie Scheidewasser – Himmel, was mach' ich! Savage zerreißt die Blätter in kleine Stücke. Mein Journal will seine Spalten gefüllt haben! Aus dem Gedächtnis kann ich diese Eingebungen des glücklichsten Moments nicht wiederherstellen – o, o, Savage, du solltest wissen, daß der[131] echte Schriftsteller, wenn er die Wahl hätte zwischen allen Freuden des Paradieses und der Ehre, ein Bonmot gemacht zu haben, sich gar nicht besinnen würde, in die – ohnehin zweifelhafte Hölle zu fahren – Richard, Richard – – Unterbricht sich. Na, du mußt mir nur nicht zürnen! Du mußt mich nur nicht für lieblos halten! Auf der andern stand der Entwurf zu einer Verteidigung deiner Ansprüche, welche die Stelle enthielt: Wenn ich dein krankes Auge, dein wehmütiges, schmerzdurchzittertes Lächeln sehe, da müssen jedem die Worte, die der Welt die Geschichte deines schönen Herzens erzählen, zuströmen, wie in einer guten Stunde die Ahnungen unsers bessern Selbst! Dein Rächer soll in mir leben! Ja, Freund, wenn du am Strand der fernen Inseln des Stillen Ozeans stehst und siehst ein gewitterndes Leuchten über den Spiegel der Wellen blitzen, dann denke: Es sind die Vorboten der Donner, die wir in deiner Sache schleudern werden! Welch einen schönern Triumph kann die Macht der Rede feiern, als das edelste Opfer unserer künstlichen geselligen Verhältnisse zu verteidigen und an einem gebrochenen Herzen, wie dem deinigen, zu zeigen, daß wir Ereignissen entgegengehen, wo die Natur, das ewige Maß der Dinge, zu Gericht sitzen wird über eine verlebte Welt wie die unserige – – Nun, Gott sei Dank! Ich kann meinen Aufsatz noch aus dem Gedächtnis wiederherstellen. Adieu, ehe du reisest, altes, liebes, gutes Herz, sehen wir uns noch. Ganz London soll dir ans Schiff das Geleit geben, und stünde Hochverrat darauf! Sieht nach der Uhr. Die bewilligte Stunde ist abgelaufen. Sie umarmen sich. Leb' wohl!


Quelle:
Gutzkows Werke. Auswahl in zwölf Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart [1912], S. 129-132.
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Richard Savage, Sohn einer Mutter
Dramatische Werke: Richard Savage; Oder, Der Sohn Einer Mutter Ottfried. Wullenweber. Der Dreizehnte November. Fremdes Glück (German Edition)

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