Fünfter Auftritt.


[132] Die Schlösser rasseln an den Türen. Lord Oberrichter tritt die Stufen herab mit einigen Greffiers; nach ihm Lord Tyrconnel mit einem glänzenden Gefolge von goldbordierten Lakaien. Die Vorigen.


SAVAGE. Hörst du? Man kommt, mir die Stunde anzusagen, wo ich von Englands teuerm Boden scheiden soll! – Es ist mehr als ein Todesurteil –

STEELE. Der Lord Oberrichter von England? Und Lord Tyrconnel, dein Protektor?

OBERRICHTER ein Papier in der Hand. Sir Richard, mit wahrem Vergnügen entledige ich mich der Pflicht, die mich zu Ihnen führt. Sie sind frei.

SAVAGE auf ihn zustürzend. Wie?[132]

OBERRICHTER. Sie sind frei!

SAVAGE. Das ist das Werk meiner Mutter? Sie hat bei der Königin für mich gebeten?

OBERRICHTER. Die Königin war gegen Sie eingenommen. Ihre Tat nicht allein, sondern auch Ihr früherer Ruf, Sir Richard, Ihre ungeregelte Lebensweise hatten den Hof gegen Sie mißgestimmt. Die jetzige Berichtigung des Urteils über Sie und die völlige Begnadigung verdanken Sie nächst Ihrem geachteten Rufe als Dichter einer weiblichen Vermittelung –

SAVAGE. Meiner Mutter! Hörst du's, Steele? Sie ist besiegt, ihr Stolz ist gebrochen.

LORD TYRCONNEL. Vergebung – Sir Richard, Sie danken es Miß Ellen, der großen Künstlerin – Sie war es, die vergebens das Herz Ihrer Mutter zu bestimmen suchte und sich dann selbst zur Königin begab – Sie hat gesiegt –

SAVAGE trauernd. Miß Ellen –!

STEELE scherzend zu sich selbst beiseite. Herzloser Egoist! Selbst darüber eifersüchtig –?

OBERRICHTER. Hören Sie den schriftlichen Erlaß des Amts der königlichen Gnade: »In Erwägung, daß Sir Richard Savage die an dem Viscount Marishal begangene Tötung unter Umständen vollzog, die Uns schon bestimmten, die gegen ihn ausgesprochene Todesstrafe in Deportation zu mildern; in Erwägung, daß Sir Richards Jugend und Unerfahrenheit Uns jetzt erst deutlicher ans Herz gelegt worden sind, und von ihm ein seiner geistigen Ausbildung angemessener Lebenswandel zu erwarten steht, wollen Wir ihn dem vollen Genuß seiner frühern bürgerlichen Rechte und Freiheit zurückgeben, mit der besondern Hoffnung, daß er sein Talent zur Verherrlichung des Vaterlandes und Unsers ruhmvollen Hauses anwenden werde.«

STEELE beiseite. Sie wird ihn noch zum Hofdichter machen – Laut. Richard, mögen dir die Musen diese Freiheit segnen!

SAVAGE. O, daß ich dem edelsten Geschöpf der Erde nicht mit ungeteiltem Herzen danken kann! Was soll mir das Leben in dieser kalten, grausamen Welt!

LORD TYRCONNEL. Sir Richard, verzweifeln Sie nicht! Erheben Sie sich! Sie sehen in mir einen Ihrer leidenschaftlichsten Bewunderer. Lord Tyrconnel fühlt es, daß England Ihnen eine Schuld abzutragen, ein Verbrechen, das man an Ihnen beging, wieder gutzumachen hat! Ich bin reich genug, alles nachzuholen, was die Nation an Ihnen versäumte. Ich war mit Ihrem Vater, Lord Rivers, entfernt verwandt, ich erkenne Sie in dieser Verwandtschaft an; wird in meiner Familie ein[133] Besitz oder Titel frei, so soll er unverzüglich auf Sie übertragen werden. In meinem Hotel hab' ich Ihnen ein ganzes Stockwerk eingeräumt und es so poetisch, wie mir armen Dilettanten möglich, einzurichten versucht. Alle Zirkel der höchsten Gesellschaft, die Gesellschaften des Hofs stehen Ihnen von jetzt an offen. Ich, ich halte Sie an meiner Hand – Sie müssen diese Stellung gegen die Intrigen Ihrer Mutter gewinnen.

SAVAGE. Steele, darf ich mich auf eine so schwindelnde Leiter wagen?

STEELE. Besser, als eine gewisse andere betreten – die dir drohte! Lord Tyrconnel hat dich bereits in der öffentlichen Meinung als seinen Sohn adoptiert –

SAVAGE. Nimmermehr!

LORD TYRCONNEL. Sie sind der Sohn Englands, und ich nur der Bevollmächtigte dieser Liebe! Zwei meiner Landhäuser stehen für Sie offen. Einige Züge der ausgesuchtesten Pferde harren mit Kutschen, die ich eigens in Paris bestellte, Ihres Winkes. Dies Ihr Haushofmeister, dies Ihr erster Kammerdiener, dies das übrige dienende Personal, das ich ganz Ihrer Verfügung anheimgebe. Hier beginnt hinter der Szene eine Musik. Ich, ich führe Sie nicht im geheimen auf den Platz, der Ihnen jener Intrige gegenüber gebührt; ich ließ von diesem schmählichen Ort, der Sie hier zwei Monate gefangen halten durfte, einen Teppich legen bis in meinen Palast. Ganz London soll Ihren Triumph feiern! Ich habe meine Freunde, fünfzig Mitglieder der jungen Gentry der Stadt, aufgeboten; sie stehen mit Rossen und Wagen vorm Tor dieses düstern Hauses. Die Musik des ersten königlichen Regiments wurde mir zur Verherrlichung des Tags vom Kommandanten des Tower bewilligt. Ein Blumenregen wird Sie begrüßen, Sie, den Sohn des Volkes!


Inzwischen hat sich das Theater ganz mit Volkshaufen, mit Matrosen, die ihre Schiffswimpel schwingen, angefüllt. Richard, von Tyrconnel geführt, besteigt schwankend die Stufen. Allgemeines Hoch!


STEELE während der Marsch fortspielt. Lord Tyrconnel muß von der Lady einen Korb bekommen haben, der so groß war, daß ganz London hineinging! Wenn ich die Geschichte heut' abend in meinem Journal erzähle, werd' ich für die, die England nicht kennen und sie nicht glauben sollten, hinzufügen müssen: Authentisch!


Trompetentusch draußen und fortgesetztes Hoch der versammelten Menge.

Der Vorhang fällt.


Quelle:
Gutzkows Werke. Auswahl in zwölf Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart [1912], S. 132-134.
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Richard Savage, Sohn einer Mutter
Dramatische Werke: Richard Savage; Oder, Der Sohn Einer Mutter Ottfried. Wullenweber. Der Dreizehnte November. Fremdes Glück (German Edition)