[19] Die hintere Tür öffnet sich. Zwei Tempeldiener, jeder mit einer großen brennenden Kerze, treten ein. Rabbi Santos mit einem Buch in der Hand. Die Vorigen.
SANTOS beiseite.
Acosta?
SILVA beiseite.
Rabbi Santos?[19]
JOCHAI beiseite.
Welcher Aufzug!
SANTOS.
Verweilt, Acosta, daß Ihr selbst vernehmt,
In welcher Sendung ich zu Silva komme.
SILVA.
In welcher Sendung? Rabbi, diese Lichter?
SANTOS.
Noch vor der dunkeln Nacht? De Silva, ja,
Dies Licht am Tag ist die Vernunft Acostas,
Die heller sein will als die Offenbarung.
URIEL.
Die beiden Kerzen scheinen Euch die Sonne?
Was soll ich hier? Was hätt' ich zu vernehmen?
SANTOS.
Dies Buch, de Silva, schickt die Synagoge
An Euch, den weisen, hochgelahrten Kenner
Des Glaubens und der heil'gen Glaubensquellen.
Ihr sollt, so ist der Auftrag der Gemeinde,
Dies Buch nach redlichem Gewissen prüfen;
Nicht nach den Formeln der Philosophie,
Nein, prüfen sollt Ihr nur, ob diese Schrift
Im Einklang mit dem Judentume steht,
Ob der, der solch ein Buch zu schreiben wagte,
Noch ferner sich zu Jakobs Söhnen zählen,
Noch ferner auf Verheißung hoffen darf.
SILVA.
Wo der Gehorsam schon mich ehren muß,
Wird Ehre Ruhm bei solchem hohen Auftrag.
SANTOS.
Bedeutet dieses Licht
Auf die Kerzen deutend.
des Autors Seele,
So will die Synagoge und der Vorstand
Erfahren, ob sie länger noch darf flackern
Unrein im reinen Lichtmeer der Gemeinde.
Dies ist das Buch! In sieben Tagen will
Der Rat der Drei von Euch die Botschaft hören,
Und so Ihr sie gedenkt zu geben, dann
Bestätigt mir's mit zwei geschriebnen Worten!
Silva nimmt das Buch, schlägt es auf und erschrickt, da er sieht, daß es Uriels Schrift ist.
URIEL.
Sagt's nur heraus, de Silva! Sagt es frei,
Ich bin's, dem Euer blinder Glaubenseifer
Das Licht der Seele auszulöschen droht!
SILVA.
Ihr seid der Angeklagte, Uriel –
SANTOS.
Sprecht Ihr in mitleidsvollem Ton? Dies Buch
Sei Euch ein Buch – den Autor kennt Ihr nicht.
SILVA zu Santos.
Hier tretet ein. Zwei Zeilen bürgen Ench
Für den Empfang des schmerzlich-ernsten Auftrags. –
Acosta! – Zitternd fühlt der Mensch die Zügel
Des eignen Schicksals, die ihm unsichtbar,[20]
Sich selbst zu nützen oder schaden, oft
Ein guter Gott in seine Hände gibt.
Doch wieviel schwerer ist es, sich zu wissen
Als eines fremden Loses Vorsehung
Und Stellvertreter des allweisen Richters
Für einen andern, dem wir Schicksal werden!
Es tut mir leid, Acosta, daß ich glaube
An Rufe aus der Höhe, daß ich Gottes Finger
In menschlichem Befehle oft erblicke.
Dies Buch schickt mir mein Volk, schickt Israel,
Ich prüf' es nach dem Talmud und der Thora.
Geht nach innen. Santos und die Diener folgen.
JOCHAI.
Ihr seid betroffen, Uriel? Was tut
Euch das? Wenn man auf Reisen ist, verfliegt
Ein fernes Schicksal in die blaue Luft.
Seid Ihr, wo andre Sprachen, andre Sitten
Als einend Band sich um die Menschen flechten,
So wird Euch alles, was auch kommen mag,
Was man auch brieflich Euch vermelden dürfte,
Wie eine Fabel klingen, die Euch nicht berührt.
Lebt wohl! Nehmt guten Mut auf Eure Reise!
Ab nach außen.
URIEL.
Du glaubst, daß ich noch jetzt in ferne Täler
Mich selbst verbannen würde dir zuliebe?
Weil ich schon einmal zagend mich und Judith
Vor einem Kampf des Herzens retten wollte,
Soll ich auch jetzt den Kampf des Geistes fliehn?
Das war gefehlt! Wer Wahrheit will bekennen,
Darf ihr die höchste Glorie nicht entziehn,
Den Ruhm des Mutes, den die Wahrheit gibt.
Was kann in mir von Flucht noch weiter sprechen?
Jetzt muß ich bleiben, wenn auch Herzen brechen.
Ab.
Der Vorhang fällt.
Ausgewählte Ausgaben von
Uriel Acosta
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