Fünfter Auftritt.


[26] Ben Jochai tritt schon vorher glänzend und festlich gekleidet von der Terrasse. Die Vorigen. Später Gäste. Zuletzt Manasse und de Silva.


JOCHAI.

Ist das ein Abschied doch für ew'ge Zeiten!

Wo ich Euch find', empfehlt Ihr Euch, Acosta.

In Heidelberg glaubt' ich Euch längst, wo Ihr

Das Waldgefieder denken lehren wolltet!

JUDITH.

Das eilt sich nicht! Denn hier in Amsterdam


Auf eine Feder am Hute Jochais zeigend.


Ist manchem Pfau die Weisheit nötiger!


Sie nimmt Uriels Arm und führt den Widerstrebenden die Stufen nach hinten hinauf. Eine ferne Musik beginnt.


JOCHAI allein.

Zum letzten Male bietest du mir das!

Wie süß ist Rache, die vom Schicksal kommt

Und die man selber nicht zu schüren braucht!

Sie führt ihn unerschrocken in den Saal –


Silva und Manasse erscheinen oben auf der

Terrasse.


MANASSE oben.

Es darf nicht sein.

SILVA oben.

Geduld! Geduld!

MANASSE.

Empörend!

Was ich so streng verboten!

SILVA.

Mäßigt Euch!

Geht, Schwager, schützt vor Ungebühr den Gast,

Noch hat der Sanhedrin ihn nicht verurteilt.

MANASSE.

Die Sitte aber, sollt' er wissen, folgt

Dem Urteil nicht, sie folgt dem Vorurteil.


Er geht nach innen. Silva steigt herunter.


JOCHAI.

Ich staune, Silva! Habt Ihr Eure Meinung

Verändert?

SILVA.

Hat denn irgendwer das Recht,

Dem Spruch der Richter vorzugreifen?

JOCHAI.

Wie?

So spricht de Silva, der sein Buch verdammte?[26]

SILVA.

Verdammte? Hab' ich irgendwo das so

Auf offnem Markte ausposaunt?

JOCHAI.

De Silva!

Man weiß, der Rat hat Euern Spruch empfangen

Und Euer Spruch besagt: Er ist kein Jude!

SILVA.

Das sagt Ihr – Ihr versteht mich nicht – laßt's sein!

JOCHAI.

Daß Ihr ihn schützt, das glaub' ich zu verstehn –

SILVA.

Ei was! Ich schütz' ihn nicht – und dennoch – ja!

Fast scheint es, daß ich mich verwandelt habe!

Was ist das Herz auch nur so reich gestimmt,

An Tönen und an Weisen fast so voll

Wie Instrumente, wo man immer glaubt,

Der Künstler hätte seinen letzten Schatz,

Die Fülle seiner Melodien ausgegeben,

Und immer, immer wieder bringt der Finger

Ein ungeahntes, neugefügtes Tonstück

Tief aus dem unerschöpften Born hervor.

Vernehmt, wie mir es mit der Prüfung ging.

JOCHAI beiseite.

Was werd' ich hören?

SILVA.

Ja, Jachai,

Wie ich mich mit dem Buche so verschlossen

In stille Einsamkeit auf meiner Kammer

Und in den Paragraphen las und las,

Da weiß ich nicht, es hat mich wunderbar

Doch manches innerlichst davon ergriffen!

So manches hat in mir den Denker wieder

Mit allgewalt'gem Zauber aufgeregt

Und immer rief's in mir: Unmöglich! Nein!

Du darfst den Irrenden an Priester nicht,

An sie den Schüler Platos nicht verraten.

Und gerne hätt' ich manches in die Thora,

In unsern Talmud eingezeichnet, was

Bei vielem Falschen, vielem Unbewiesenen

Ich Tiefgedachtes doch zu lesen fand –

Doch da es dort nicht steht und ich gelobte,

Nach Talmud und der Thora ihn zu richten,

So schrieb ich nur dies eine Wort am Ende

Des ganzen Buchs: Der Autor ist kein Jude.

JOCHAI.

Kein Jude? Das ist Doppelsinn –

SILVA.

Doch nicht!

Ich schrieb, was ihn als Jude muß verdammen.

Doch ist er Jude? Braucht er diesem Elend

Des Fluches, dieser schimpflichen Verfolgung[27]

Sein Haupt zu beugen? Nein! Acosta hat

Ein Recht, wenn er es will, sich Christ zu nennen!

JOCHAI.

Silva?

SILVA.

Dann wär' Euch Judith unverloren –

JOCHAI.

Was sagt Ihr? Uriel ein Christ?

SILVA.

Sein Vater

Schwur einst in Portugal den Glauben ab,

Ward Christ, und seine Kinder hat erzogen

Das Jesuitenkloster in Cuença.

Als sie vom Tajo sich hierher geflüchtet,

Sind sie zum Judentum zurückgekehrt –

Ob Uriel auch? Es steht in seiner Macht,

Wenn er es will, sich Christ zu nennen.

JOCHAI.

Christ?

Das müßte ihn von Judith ewig trennen – –

SILVA.

So ist's! Und nun ans Werk der Rettung! Ihr

Aus Haß – ich richt' Euch nicht – und ich –? Genug,

Hier tretet in die Laubengänge ein!

Ich höre, daß der Sanhedrin erfahren,

Acosta wäre hier bei Vanderstraten.

De Santos wird den Fluch der Kirche bringen,

Kommt er, der Bote der Notwendigkeit,

Dann tretet vor – ich muß zurück mich halten –

Und sagt: Acosta, du bist Christ! Ihr nehmt,

Weil Judith nimmer Christin werden dürfte,

Dem Argwohn Eurer Liebe jede Nahrung –

Und mir, der ich nicht glaube, was Acosta

Zu glauben sich beredet, aber der

Ich Achtung vor dem Denker fühle, mir

Erspart es doch – vor Plato zu erröten.


Er geht. Jochai folgt in freudiger Spannung.


Quelle:
Gutzkows Werke. Auswahl in zwölf Teilen. Band 3, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart [1912], S. 26-28.
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Uriel Acosta
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