Zweiter Auftritt.


[49] Rabbi Akiba, ein hochbetagter Greis, geführt von zwei jüngeren Rabbinen. Rabbi van der Embden mit einer Pergamentrolle. Santos. Später Uriel.


AKIBA den man zu dem Ehrensessel an den Tisch geführt hat.

Bringt Ihr den Widerruf, van Embden?

EMBDEN.

Hier,

Ehrwürd'ger Ben Akiba – abgeschrieben

Auf diesem Pergament!

AKIBA.

So laßt mir denn

Den Reuigen zum letzten Male vor!

Setzt euch um mich und glaubt, das alles war.

Schon einmal da.

SANTOS.

Acosta seh' ich kommen.[49]

AKIBA.

Das war schon alles da. Setzt euch, Rabbinen!

Van Embden soll indes die Feder führen –

Das bloße Wort verfliegt in Luft und Lüge.

Das war schon alles da – glaubt mir, Rabbinen!

Epikureer, Spötter, Glaubensspalter –

Die Jugend denkt, es wären Neuigkeiten –

Es war schon alles da – glaubt mir, Rabbinen –

In unserm Talmud kann man jedes lesen,

Und alles ist schon einmal dagewesen.


Uriel tritt blaß und verfallen auf.


Setzt Euch, Acosta! Drüben steht – nicht wahr,

Dort drüben steht ein Stuhl, Rabbinen? Wie?

Setzt Euch, Acosta! Wißt, ich zähle neunzig –

Und neunzig Jahre sieht man wohl

Die müden Füße – nach – die müden Füße!


Er setzt sich.


SANTOS.

Ihr habt die kürzre Frist begehrt, Acosta –

SILVA.

Laßt mich, de Santos – Ben Akiba hat

Mit Uriel zu reden – alles dagewesen!

Seht denn, mein junger Uriel Acosta –

Zwei Wege gab es immer für die Zweifler,

Wenn sie des Zweifelns überdrüssig wurden.

Der eine Weg der Reue kurz, doch streng,

Der andre milde, doch von längrer Dauer.

URIEL.

Ich will den kurzen! Tötet mich! Nur rasch –

Ich will mich nicht besinnen, wie ich sterbe.

AKIBA.

Was eilt Ihr so mit Euern jungen Füßen,

Die lange wandern können, bis Ihr ruht,

Die lange halten bis zum letzten Halt?

Die Reue ist ja nicht für uns, sie ist

Für dich! Was eilst du so in wildem Sturm?

Um mich brauchst du die schnelle Reue nicht!

Wenn ich sie nicht mehr sehe, sieht sie Gott.

URIEL.

Soll ich denn immer, ewig wiederholen,

Was ich schon viel zu oft Euch zugestand?

AKIBA.

Nein! Nein! Ich weiß, auf Fasten, Reinigung,

Auf Talmudlesen hast du kein Vertrauen –

So war es immer, immer war es so –

Drum frag' ich dich zum letztenmal, Acosta,

Fühlst du aus deines Herzens tiefstem Grunde,

Daß du in deinem Buche Gott gelästert?

URIEL.

Den Gott, der nur ein Gott der Juden wäre,

Den hab ich nie verstanden, oft beleidigt –

Im Protokolle steht es schon geschrieben –[50]

SANTOS.

Nur doppelsinnig, trügerisch und falsch

Ist alles, was du zugestanden hast:

Sophisma ist's – beweise, was du glaubst!

Beweise, was zu glauben du uns täuschest!

AKIBA.

Beweisen, Santos? Überlegt! Beweisen!

Ihr müßt nicht drängen in den kranken Mann!

Wie kann man, was man glaubt, beweisen wollen!

Vergebt, de Santos – manchmal sprecht Ihr selbst

Wie ein Epikureer! Wie! Beweisen!

Bewiesen ist die Sonne, weil sie scheint,

Bewiesen ist das Feuer, weil es brennt,

Bewiesen ist die Offenbarung Gottes,

Weil sie in unserm Bund geschrieben steht,


Zu Santos.


Von Euch nicht –


Zu Acosta.


nicht von Euch will ich's bewiesen.

EMBDEN.

Dann einfach sag' uns, was du glauben willst!

URIEL.

Ich sagt' es ja – ich sprach es Euch ja nach,

Daß Gott die Juden sich zumeist erwählt,

Nur ihnen sich gezeigt von Angesicht,

Nur ihnen menschlich sich verständigte,

Nur ihnen sprach, nur ihnen Zeichen gab,

Nur ihnen eine Offenbarung schrieb,

Wo jedes Wort und jedes Lesezeichen

Als göttliche Vernunft zu nehmen ist.

Ich glaube, daß mein Geist mich irre führt,

Daß wir Buchstaben nimmermehr zu deuteln,

Am Worte Gottes nicht zu meistern haben –

Ich glaube das, ich wiederhol' es hier –

Und glaub' es glaubend, dankend Euch von Herzen,

Daß Ihr es zu beweisen mir erspart.

SANTOS.

Nur Trotz zeugt dieses Zugeständnis.

AKIBA.

Nimm

Den langen Weg, dann wird, was du bekennst,

Ins innre Herz dir fließen von der Zunge.

O wähle doch den langen Weg, Acosta!

Er wird dir Friede gießen in die Brust,

In deine kranke Seele, guter Sohn.

In solchen Zweiflern, wie du bist, Acosta,

Steckt nur der allzu wilde Drang des Forschens.

Im Talmud hat es viele schon gegeben,

Die irre wurden durch zuvieles Wissen,

Da war


Halb zu den übrigen Rabbinen gewendet.


ein großer Zweifler schon, mit Namen[51]

Elisa Ben Abuja, Schüler selbst

Von einem unsrer weisesten Rabbinen,

Und Rabbi Mehir wieder war sein Schüler.

Und weil er zweifelte,


Steht auf.


ward er verflucht.

Elisa Ben Abuja war wie du,

Man scheute sich, den Namen auszusprechen,

Und hieß ihn Acher – Acher heißt der andre,

Der andre nur, so schreibt von ihm der Talmud – –

Der andre hieß Elisa, und es stieg,

Als er gestorben, dunkel aus dem Grabe

Ein ew'ger Rauch – das Grab, es rauchte – bis

Sein Schüler, Rabbi Mehir, linderte

Die Ruhe seiner Seele durch Gebet,

Er betete, der Schüler für den Meister,

Und aus dem Grabe rauchte es nicht mehr.

Ein solcher Acher bist du – Es war alles da.


Setzt sich.


URIEL.

Hab' ich den Ruhm der Neuheit denn begehrt?

Der Rauch des Acher ist die Feuerseele,

Der Flammengeist, den ihr mit ihm begrubt!

Ein Acher bin ich selbst, ich bin der andre,

Der ewig andre; denn im Anderssein

Liegt die Gewähr des ewigen Entstehens.

Und wie der Talmud doch zu deuten ist,

So hört! Ein Acher, dünkt mich, lebte nie!

Der Acher ist das Bild des reinen Denkens,

Denn nur im andern seh' ich, wie ich bin,

Im andern fühl' ich meine eigne Wahrheit,

Im andern lern' ich meine Unterscheidung,

Das andre ist des Zweifels heiligstes

Symbol. Der Zweifel ist des Glaubens Nahrung –

Und jeder Denker muß sich Acher sein.

Ja, wie der Talmud klüger ist denn ihr,

So gibt er Achern, der ein Bild nur ist,

Der nie gelebt hat, einen großen Lehrer

Und einen größern Schüler, beide fromm;

Denn nur aus Zweifel kommt ein frommer Glaube.

AKIBA.

De Santos! – hab' ich recht gehört – es hätte –

Elisa Ben Abuja nie gelebt?

Ein Wirkliches, ein Mensch, im Talmud lebend,

Der wäre nur ein Bild, nur eine Mythe –?

Und was der Glaube fest umfangen hält

Wie Fleisch und Bein, leibhaftig allen faßbar,[52]

Das wären Wolken, Dunstgebilde, die

Erst später menschlich sich gestaltet hätten?

Nein, das ist eine Meinung noch zu neu

Und wohl zu sühnen, da sie nie gewesen –

Gebt ihm des Widerrufes Formular!

SANTOS gibt Uriel das Papier.

Euch beugt das Schicksal nur, die Demut nicht.

Von dem, was Eure Lippen hier bekennen,

Weiß Euer Geist nichts, der im Argen bleibt.


Zeigt nach hinten.


Dort auf dem Tabernakel lest die Sünden,

Der Ihr Euch zeiht mit künstlicher Verstellung

Vor allem Volke, das sich schon versammelt.

URIEL.

Wie? Vor dem Volk!

AKIBA.

Lest alles erst allein

Was Ihr mit fester deutlicher Betonung

Vor der Gemeinde zu bekennen habt!

Ei, ei! Der Acher nie gelebt? Acosta,

Ihr lebt doch! Warum soll denn Ben Abuja

Nur Mythe sein?

URIEL.

O nur zu wahr! Ich lebe!

AKIBA.

Nun seht! Dann hat der Acher auch gelebt!

Ja, ja, mein Sohn, geht hin und widerruft,

Nur um im Denken nüchterner zu bleiben –

Und leset fleißiger daheim im Talmud!

Es haben alle Zweifler widerrufen,

Und was auch einer noch so Kluges fand,

Es war nur Blüte eines frühern Keims –

Das Neue nur ist droben! Hier war alles

Schon einmal da – schon alles dagewesen –


Während er nach rechts abgeführt wird.


Und fleißig Talmud lesen – junger Acher!


Im Abgehen.


Schon dagewesen – alles dagewesen.


Santos und Embden folgen.


Quelle:
Gutzkows Werke. Auswahl in zwölf Teilen. Band 3, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart [1912], S. 49-53.
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Uriel Acosta
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