[60] Es treten wieder mehrere Paare von Männern und Frauen auf. Dann folgt Judith, im weißen Brautgewand, geführt von Manasse. Die Vorigen. Zuletzt ein Diener.
JOCHAI.
Ihr grollt, de Silva? Seht sie doch nur selbst!
Ein Weib, das trauert, schmückt es sich so festlich?
SILVA.
Nie schmückt sich selbst die Braut; sie wird geschmückt.[60]
JUDITH.
Willkommen, werte Freunde!
Zu Jochai.
Ausgestellt
Sind doch die Schriften, die versprochenen?
JOCHAI.
O seid so grausam nicht, es zu verraten,
Wie mir mein hohes Glück gewonnen wurde!
JUDITH.
Bestätigt mir, mein Vater, feierlich,
Ob Ihr geworden wieder, was Ihr wart!
MANASSE.
Ich bin Manasse Vanderstraten wieder.
JUDITH.
Und ohne Vorbehalt! Im Vollgenuß
Des alten ungestörten Glücks?
MANASSE.
Mein Kind,
Beruh'ge dich! Der letzte Akt des treuen Opfers,
Das du mir bringst, bestätigt alles, drückt
Das Siegel auf ein Glück, das mich beschämt.
JUDITH.
Wohlan! Wir – gehn –
Sie will nach hinten schreiten und kann sich nicht aufrecht halten.
MANASSE.
Mein Kind?
JOCHAI.
Ist Euch nicht wohl?
SILVA.
Nur einen Augenblick der Ruhe gönnt ihr!
Laßt sie allein – Ich führe sie zum Altar! –
Jochai ab. Alle folgen bis auf Judith und de Silva.
Ruht eine Weile noch auf diesem Rasen! –
JUDITH.
Nicht hier! Nicht hier! Auf dieser Bank – blickt hin –
Seht Ihr den Geist mit leichenblasser Miene?
SILVA.
Laßt diese Traumgebilde –
JUDITH.
Nein, sie sind!
Sie bleiben unbeweglich vor dem Auge –
SILVA.
Nur unbeweglich seh' ich Euern Blick!
Wie! Richtet Euch in Euerm Werte auf!
Stolz dürft Ihr sein auf Eure große Tat!
JUDITH.
Habt Ihr den Stolz je weinen sehn, de Silva?
SILVA.
Den ungeduld'gen, ja! Ihr müßt Euch fassen –
Ihr wißt, was sich begeben?
JUDITH.
Nichts und alles.
SILVA.
Macht einen Strich auf dieses Blatt des Lebens!
Seit gestern ward uns keine Kunde. Erst
Am Grabe seiner Mutter wollt' er ruhn –
Da scheuchten ihn die Wächter von dem Friedhof –
Dann sah man ihn bei seiner Schwester Rahel
Spinoza, deren Söhnchen Baruch er
Im Griechischen zu unterweisen pflegt.
So irrt er flüchtig jetzt im Doppelfluch –
Und wenn er weise, fühlt er selbst es wohl,
Wie er durch Rache sich erniedrigt.[61]
JUDITH.
Rache?
O säh' ich sie, die Rache, die er schwur,
Die Rache, die ich selbst mir niederflehe
Vom Zufall, vom Geschick, vom Himmel, Hölle!
Denn von dem Manne, den man liebt, ist alles,
Auch selbst die Rache süß.
SILVA.
Was soll er rächen?
Jochais Trotz auf seine goldnen Schätze?
Der Tochter edles Opfer für den Vater?
Den Kampf der Pflichten in drei Jammertagen?
O, wieder lieb' ich dich für diese Tat,
Die rein von deinem Kinderherzen stammt.
Du mußtest deinen Vater retten! Mußtest!
Du bist in Wahrheit meiner Schwester Kind.
JUDITH mit brütenden Gedanken.
Als meine Mutter starb, sagt mir de Silva,
Wie stand – mein Vater an dem Grabe?
SILVA.
Laßt's,
Die alten Zeiten sind vorüber –
JUDITH.
Redet!
Wie trug mein Vater den Verlust der Mutter?
SILVA.
Iñez de Silva – deine Mutter! – O,
Ein Denkmal steht von ihr in diesem Park!
JUDITH.
In Marmor aufgefangen schwieg der Schmerz!
De Silva, sagt mir eines noch – mein Bruder
Perez, der schon gestorben, als ich Kind –
SILVA.
Was kommst du auf die alte Zeit zurück?
Was er dem Vater war, das liest du dort
Zeigt hinaus.
Auf jener schlanken Säule eingegraben!
JUDITH.
Lebt wohl, de Silva!
SILVA.
Judith! Was ist dir?
Das Angesicht verfärbt sich und ein Krampf
Hebt deine Brust –
Nach außen rufend.
Bringt Wasser! Hört ihr? Wasser!
Allmächt'ger Gott! Was war das, Judith?
JUDITH.
Laßt's!
Es ist vorüber.
SILVA.
Schiebt die Trauung auf!
Die Kräfte werden Euch verlassen.
Ein Diener bringt auf einem silbernen Brett einen Pokal mit Wasser.
JUDITH bedeutet dem Diener.
Dorthin.
Sie beobachtet lange, wie der Diener das Wasser hinstellt und dann abgeht.
Den Arm, de Silva! Führt mich zum Altar!
Beide nach hinten ab.
Ausgewählte Ausgaben von
Uriel Acosta
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