Vierter Auftritt.


[65] Manasse. Silva. Gäste. Dann Judith, Jochai, Santos und die Übrigen kehren zurück. Später Uriel.


JUDITH.

Laßt mich noch einen Augenblick hier weilen!

Das Neue dringt zu heftig auf mich ein!

Ich will mich sammeln – Geht voran, ich bitte!

JOCHAI.

Es ist der erste Wunsch in unsrer Ehe!

Ich muß ihn wohl erfüllen, wenn auch ungern.


Zu den Übrigen.


Ihr werten Gäste folgt! Die Einsamkeit,

Die meine junge Gattin immer liebte,

Hat auch das Recht, zuerst ihr Glück zu wünschen.


Ab mit den andern vorn nach rechts.


JUDITH ist jetzt allein. Sie sieht sich um und schüttet ein Pulver, das sie aus der Brust zieht, in den Pokal im Wasser.

Du hast es ja gesagt, de Silva, daß

Mein Vater Trost sich finden wird! Wohlan!


Sie trinkt.


Ein Denkstein tut denselben Dienst wie ich.

URIEL tritt auf.

Ihr seid es, Judith? – – Einmal noch hab' ich

Das Weib Jochais sehen müssen.

JUDITH neigt sich zur Bank.

Wohl,

Hier ist es!

URIEL.

Wenn ich jetzt noch wandern wollte,

Dann ließet Ihr mich ziehn! Ja, Judith, sieh,

Nun steht dein Freund vor dir, versengt, verbrannt

Zu Asche! Elend! Ganz zerstampft! Ein Nichts!

Wo ist dein stolzer Liebesmut geblieben,

Der mich, den Sträubenden, in alle Himmel

Den Liebesmatten wild in Flammen setzte?

Jetzt sprich, was denkst du über mich und dich?

Wie richten wir uns beide wieder auf?[65]

JUDITH.

Vergib, daß unsre Leiden ich vergleiche,

Wer dünkt dir ärmer wohl, mein Uriel,

Du oder ich?

URIEL.

Ich habe mich gefürchtet

Vor Frauenliebe! Immer noch klingt mir's

Im Ohr, was du dem Priester hier gesprochen.

Wie hat sich das so grausam umgewandt!

JUDITH.

Vergibst du mir, mein Freund?

URIEL.

Vergeben? dir?

Ich glaube wohl, daß du nicht anders durftest.

O, hätt' ich anders selber nur gekonnt! – –

Sich selbst zu hassen, selbst sich zu verachten,

O, das ist Qual!

JUDITH.

Erlöse dich von ihr!

Zieh in die Welt mit mutigem Vertrauen!

Bekenne deine Wahrheit wie ein Held!

URIEL.

Wer wird sie mir noch glauben wollen! Nein,

Wer nicht von Anfang blieb auf grader Straße,

Der könnte Steine wandeln selbst in Brot,

Man glaubt' ihm nicht – die Meinung hat verloren,

Wer seine Meinung einmal abgeschworen.

JUDITH.

Du schiltst das Herz! Nicht geht es mit dem Geiste!

Natur und Sitte meistern uns! Was sind wir,

Wenn unser liebendes Gemüt nicht Schmerz,

Die Klage nicht vernehmen kann? Verächtlich?

O nimmermehr! Sei mutig und entflieh

Zu Geistessiegen, unbeirrten, freien!

Zu deinem eignen größern Selbst! Vergib –

Man kommt.

URIEL.

Du siehst so blaß –

JUDITH.

Leb' wohl, mein Freund!

URIEL.

Was hast du, Judith? Diese Farbe –

JUDITH.

Geh!

Blick' nicht auf mich! Nur von mir hören sollst du!

URIEL.

Was soll der Becher? – Judith, welche Ahnung!


Quelle:
Gutzkows Werke. Auswahl in zwölf Teilen. Band 3, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart [1912], S. 65-66.
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