Neunter Auftritt.


[110] Prinzessin Wilhelmine. Dann die Sonnsfeld. Zuletzt Eckhof mit Grenadieren. In der Ferne hört das Trommeln auf.


WILHELMINE allein. Sie wollte erst dem Erbprinzen nacheilen, wankt dann aber zurück und geht in schwankenden Schritten an den Tisch, wo sie klingelt.[110]

SONNSFELD tritt ein. Nach einer Pause, in der sie befremdet die Prinzessin anblickt. Königliche Hoheit befehlen?

WILHELMINE wie aus einem Traum auffahrend. Ich? Nichts.

SONNSFELD. Ihre Hoheit haben geklingelt?

WILHELMINE. Jawohl! Meine Mantille – meinen Fächer – den Schleier –!

SONNSFELD. Wollen Ew. Hoheit ausgehen?

WILHELMINE. Ich will ausgehen.

SONNSFELD. Haben Ew. Hoheit dazu Erlaubnis?

WILHELMINE. Erlaubnis? Fängst auch du so an? Hole, was ich gesagt habe –

SONNSFELD sieht sie groß an und geht ab.

WILHELMINE allein. Ich bin dieser Lage müde! Ich fange an mich zu fühlen, seitdem ich sehe, daß es noch Menschen gibt, die meinen kleinen Wert er kennen. Dieser Zustand war nicht länger zu ertragen. Ich bin dieses Gamaschendienstes, dieser unwürdigen Subordination überdrüssig –

SONNSFELD kommt mit Mantille, Fächer und Schleier zurück.

WILHELMINE. Du hättest wohl auch die Mantille mit den Brüsseler Spitzen wählen können.

SONNSFELD. Königliche Hoheit, was Bezwecken Sie denn?

WILHELMINE. Wirf mir den Schleier um! Frag' mich doch nicht nach allem, was ich unternehme! Muß ich über jede Kleinigkeit, die ich mir erlaube, Rechenschaft geben?

SONNSFELD. Mein Himmel, Sie haben sich doch nicht den revolutionären Ideen Ihrer Mutter angeschossen?

WILHELMINE. Ich schließe mich niemand an. Ich will endlich einmal zeigen, daß eine Prinzessin von Preußen das Recht hat, aus freien Stücken von einem Hof des Schlosses in den andern zu gehen. Ich bin es müde, mich tyrannisieren zu lassen. Der Große Kurfürst hat auch für mich gelebt. Auch für mich sind die Hohenzollern dagewesen. Adieu! Reicht den Sonnsfeld die Hand zum Kusse. Küß mir die Hand! Vergiß nie, daß ich die Tochter eines Königs bin, der sehr große, sehr bedeutende Pläne auf die Zukunft seines Kindes baut, eines Kindes, das, selbst wenn es eigensinnig genug wäre, auf diese bedeutenden Pläne nicht einzugehen, darum nie aufhören würde, eine Prinzessin von Preußen zu sein. Sie will abgehen.


Die hintere Tür wird geöffnet. Eckhof mit drei Grenadieren tritt ein. Die Tür bleibt offen.


ECKHOF. Halt!

SONNSFELD. Prinzessin, bekommen Sie eine Ehrenwache?

ECKHOF. Grenadiere vor!


[111] Noch drei Mann treten herein ohne Gewehr. Der eine trägt eine Bibel, der andere eine Suppenterrine, der dritte einen Stricktrumpf.


ECKHOF tritt militärisch an die Prinzessin heran. Königliche Hoheit wollen allergnädigst verzeihen, daß ich infolge einer von Sr. Majestät verhängten Spezialuntersuchung wegen verbotener Verbindungen mit dem Schlosse Rheinsberg Ew. Hoheit ersuchen muß, einem von Sr. Majestät verordneten strengsten Zimmerarrest sich allergnädigst unterwerfen zu wollen.

SONNSFELD. Wie! Prinzessin!

ECKHOF. Ingleichen haben Se. Majestät folgende allerhöchste Anordnungen zu treffen geruht. Erster Grenadier vor!

ERSTER GRENADIER marschiert mit der Bibel vor.

ECKHOF. Königliche Hoheit haben Sprüche Salomonis, Kapitel 3–5, so auswendig zu lernen, daß der Herr Oberhofprediger Ew. Hoheit morgen früh um fünf Uhr darin examinieren kann. Zweiter Grenadier vor!

ZWEITER GRENADIER mit der Suppenterrine.

ECKHOF. Die Ew. Hoheit zugeteilte Kost wird täglich aus der Garnisonküchenverwaltung pünktlichst verabfolgt werden.

SONNSFELD öffnet die Terrine. Abscheuliche Kost! Gequollene Erbsen!

ECKHOF. Dritter Grenadier vor!

DRITTER GRENADIER mit dem angefangenen Strickstrumpf.

ECKHOF. Endlich haben Se. Majestät befohlen, daß Ihre Hoheit alle zwei Tage für das wohllöbliche Berliner Waisenhaus ein Paar wollene Strümpfe fertig zu stricken haben. Halten zu Gnaden, Königliche Hoheit, mein Auftrag ist beendet.

SONNSFELD im Tone der Verzweiflung. Prinzessin, sind das die Pläne, die der König mit Ihrer Zukunft vorhat?

WILHELMINE zitternd vor Aufregung. Beruhige dich, meine Freundin! Ja, es ist der Anfang einer neuen Lebensbahn für mich. Wohlan! Der Kampf beginne! Geht zu meinem Vater und sagt ihm –

SONNSFELD ebenso. Geht zum Könige und sagt ihm – Zur Prinzessin. ja, was sollen sie ihm denn sagen?

WILHELMINE mit tragischer Entschiedenheit. Sagt ihm, daß ich –

SONNSFELD. Sagt ihm, daß wir –

WILHELMINE. Die Sprüche Der Mut entsinkt schon. zwar – lernen würden

SONNSFELD. Die Erbsen – zwar – essen würden –

WILHELMINE. Daß es aber unsere Schuld nicht wäre, wenn wir in Mit neuer Kraft. der Verzweiflung unsres Herzens –[112]

SONNSFELD tragisch. An den Waisenstrümpfen die Maschen fallen lassen –

WILHELMINE. Und uns lieber wünschen, Prinzessin von Reuß –

SONNSFELD. Schleiz –

WILHELMINE. Greiz und Lobenstein zu sein!


Beide heftig ab.

Der Vorhang fällt.


Quelle:
Gutzkows Werke. Auswahl in zwölf Teilen. Band 2, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart [1912], S. 110-113.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Zopf und Schwert
Zopf und Schwert
Zopf und Schwert
Zopf Und Schwert; Lustspiel In Fünf Aufzügen. With A Biographical And Historical Introd., English Notes, And An Index (German Edition)

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Unsühnbar

Unsühnbar

Der 1890 erschienene Roman erzählt die Geschichte der Maria Wolfsberg, deren Vater sie nötigt, einen anderen Mann als den, den sie liebt, zu heiraten. Liebe, Schuld und Wahrheit in Wien gegen Ende des 19. Jahrhunderts.

140 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon