11.

[304] Und am folgenden Tage lag denn doch im Geschmeide der ganzen sonnenbeschienenen Gegend die Insel Lindenwerth da geradezu wie ein Juwel.

Das große blaue Gottesauge des Himmels drüberher schien an ihm selbst seine Freude zu haben. Und die schimmerndweißen Birken, die Hängeweiden, die Buchen, Akazien-, Nuß- und Kastanienbäume, die Büsche, die Pflanzen des Gartens, alles, alles hat in einer solchen Morgenfrühe des Sonntags und besonders, »wenn man etwas vorhat«, ohnehin schon ein ganz anderes Aussehen als sonst. Unser Auge zieht dann schon von selbst allem Festkleider an. Die Welle plätschert an die Uferränder anders als sonst. Und schweigen auch Septembers in den Bäumen, weil sie in ihren Nestern mit ihren Jungen und mit ihren neuen Kleidern für den Winter zu thun haben, die Singvögel, so hört man doch ihr Aufflattern und ihr Aufschwirren, sieht die Spatzen in so räuberischer Thätigkeit, daß man nur zu huschen braucht und überall schießt Diebsvolk wie mit bösem Gewissen auf, sieht goldene Käfer und summende Wespen[305] in voller Thätigkeit, um mitzuherbsten und mitzuernten an dem reichen sonnenglänzenden Segen.

Noch aber hängen um die fernerweit liegenden Schönheiten eines solchen Sonntagsmorgens allerlei Toilettenschleier. Die hohen Berge und grünen Waldlehnen hinter ihnen putzen sich erst langsam aus dem Nebel heraus zu dem Sonntagsstaat, dessen Annäherung in aller Frühe schon und von allen Richtungen her die Glocken verkündigen. Die Geschäftsglocke der Dampfschiffe mit ihrem kurzen groben Mahnruf hat heute fast etwas Störendes; man gedenkt gleich der Ueberzahl von Städtern und Städterinnen, die nun auch bald kommen und sich oft störend genug überall hin ausbreiten werden.

Um neun Uhr schiffte die ganze Pension, neunundzwanzig junge Mädchen – eins blieb ein wenig unpäßlich daheim – und vier Erzieherinnen in zwei Kähnen zur Messe nach der Drusenheimer Kirche hinüber ins Enneper Thal. Tönneschen's Vater und Mutter ruderten heute und ein anderer alter Schiffer, Tönneschen's Großvater. Und noch ein paar Vettern, Gevattern und Kinder und Kindeskinder aus einem Halbdutzend baumversteckter Hütten der Insel begleiteten die Fahrt. Heute galt es, das Tönneschen mit dem Rauchfaß zu sehen, im Beginn seiner von Michahelles eingeleiteten Carrière zum künftigen Vater der Gesellschaft Jesu. Tönneschen war schon lange voraus, um beim Meßner die Toilette zu machen. Das ganze Stift fühlte den Stolz der Mutter nach, die ihre beste Haube aufhatte und mit einem Streifen so lang, so lang, daß er ihr fast über die Nase fiel.

Die jungen Pensionärinnen mit ihren goldgeschnittenen[306] Brevieren und dem Einerlei ihrer heute am Sonntag weiß-roth oder weiß-blau gesprenkelten Kleider und den einfachen runden Strohhüten, durften nicht zu laut ihre Wonne über den Sonntag aussprechen. Es ging jetzt in die Kirche, ja, für die schon gefirmelten, an den Tisch des Herrn.

Die Glocke der alten, nächstens in Ruhestand zu versetzenden baufälligen Dorfkirche, die die Maler gut zeichnen hatten, wenn sie nur gesehen hätten, wie ihre Wände schon morsch geworden und die Sakristei bedenkliche Risse zeigte, hatte schon zweimal ihr, wie die Mädchen ihr immer nachsummten: »Ei, so komm' doch! Ei, so komm' doch!« durch die Lüfte gerufen; aber man wußte, es ging beim Pfarrer Engeltraut, der sonst ein gar trefflicher Diener Gottes war, mit seinen Messen nicht eben besonders präcis. Ausgestiegen am Ufer, konnten die Mädchen immer noch einen Rundweg machen, ehe sie zur Kirche gingen. Sie sahen in der Ferne wie dicht am Waldesrand liegend das aus gelbem Sandstein gebaute, hellleuchtende Landhaus des Bankiers, umschlossen von hohen an den Spitzen vergoldeten Eisengittern. Mehr in der Nähe lag die neue hochragende byzantinische Kirche. Alles winkte geheimnißvoll und gastlich und zu allerlei heimlichem Spaß für den Nachmittag.

Nun stieg man aus … Durch Feld und Flur, über Wiese und Stoppeln, am Hagebucheneck und die Weingärten entlang, da war's doch noch ein anderes Wandeln, als drüben auf der schönen, aber engen Insel, auf der man sich zuweilen wie ein Gefangener vorkommen konnte.

Schwester Aloysia corrigirte auch jetzt auf dem Wege[307] zur Kirche die Subjonctifs und Angelika lehrte auch jetzt Mathematik und Naturwissenschaften, denn eine sandige Stelle findet sich in der schönsten Gegend, eine Heide von zwanzig Fuß, wo eine Immortelle blühen kann oder das Blümlein Mannstreu, über das gleich ihrer sieben oder acht neugieriger Mädchen wissen wollten, woher dieser Name käme? Die Lehrerin wußte keinen Rath. Armgart kannte schon vom Walde bei Westerhof den Spottnamen des kleinen zierlichen Pflänzchens und sagte:

Es ist ja Vogelfuß, Angelika!

Nun sagte diese:

Ach, Ornithopus? Hülsenblume! Geschlecht der Heuhechel!

Die jungen Mädchen lachten, als Armgart ganz treuherzig und ohne alle Anklage fortfuhr:

Mannstreu und Vogelfuß sind eins und dasselbe!

Die größern Mädchen deuteten sich das harmlose Wort satirisch.

Beide Englische Fräulein wandten sich und geboten Ruhe und Sammlung.

Wann sprichst du den Pfarrer? flüsterte Armgart und drückte den linken Arm der Freundin an ihre Brust.

Ich sprech' ihn nicht allein! sagte diese. Die Vorsteherin wird dabei sein! Ich denke, nach der Predigt!

Heute auch noch eine Predigt!

Geduld!

Das Wort, mit dem man Armgart bereits wieder auf zehn Schritt verjagen konnte …

Sie entschlüpfte und sah nach Westen hinüber, dorthin, wo die weiß-blauen Wassernebel noch am dichtesten schwammen.[308] Den Roland, wo Benno vielleicht übernachtet hatte, sah man gar nicht vor dem dichten, wenn auch goldsonnigen Nebelflimmer.

Die endlich nicht mehr umgangene und nun wirklich im Zuströmen der Landleute mitbetretene Kirche war wahrhaft überfüllt. Man erkannte recht, welches Verdienst sich Bernhard Fuld erworben durch die Erbauung einer neuen. Das Pensionat der Englischen Fräulein genoß aber eine Auszeichnung. Jeden Sonntag blieben ihm die vordern Stühle reservirt.

Es ging dann alles bei der Messe, wie es gehen soll und überall bei ihr geht. Vielleicht nicht ganz nach der Schnur, die die Kanoniker in Rom vor tausend Jahren gewunden haben, aber doch auch ohne besondere Verwickelung. Pfarrer Engeltraut war, wie die römischen Priester sein sollen, keine viel mit sich allein beschäftigte Persönlichkeit. Er verrichtete ein Opfer, das ganz von ihm unabhängig war. Hätte es einem strengen Kenner des Ritus auch nicht entgehen können, daß sich mancherlei Fehler einschlichen, so sah das doch so obenhin niemand von den Versammelten. War der Blick, mit dem der Priester aus der Sakristei trat, gesenkt genug? War die Haltung des Körpers gerade und hübsch aufrecht? Trug der Opferer eine Brille, von der Gregor der Heilige freilich noch nichts vorzuschreiben wußte, als der sein Oremus sang, und Abraham und Melchisedek, die Voropferer der Messe, noch weniger? … Pastor Engeltraut trug eine Brille, und sonderbar, er legte sie gerade beim Lesen ab, auf sein Taschentuch. Dann war er ganz einfach im Vortrag und ebenso einfach in der Geberde. Er machte[309] die Kreuzeszeichen allerdings nicht, wie wenn er sie heute zum ersten male machte, aber auch nicht so, wie z.B. vornehme Damen am Weihbecken beim Betreten der Kirche, die zum Jammer frommer Seelen und wie Beda Hunnius einmal in einer seiner Predigten zum Dank der gerade damals zuhörenden Angelika und in seinem Abraham a Sancta Clara-Stil sagte: »sich beim Benetzen einen Schnörkel angewöhnt haben, als wenn unser Herr und Heiland auf irgendeiner runden Drehscheibe oder einem andern Zickzack, nur nicht an dem so tief sinnvoll von ihm gewählten Kreuze gestorben wäre.« Nichts auch verwirrte er von dem, was laut und was leise zu sprechen, was zu singen oder nur zu sagen war. Auch jagte er nicht in seinen Abschnitten und ging dann nicht wieder wie eine Schnecke. Auswendig auch wußte er, was er nur zu lesen schien.

Und wenn dann irgendetwas vorhanden war, was den würdigen Gang des Opfers anfangs hätte unterbrechen können, so war es freilich des Priesters Hinblick auf den heutigen Thuriferar Antonius Hilgers, der nebst zwei andern Knaben zum ersten male diesem schwierigen Geschäfte des Administrirens vorstand. Aber gerade Antonius hielt sich vorzugsweise wacker zum Stolz seiner Angehörigen, zum Wohlgefallen des englischen Instituts. Wenigstens dünkte er sich ebenso kundiger Lootse durch die Untiefen und Schwierigkeiten des lateinischen Missales, wie er es unbestreitbarer durch die Strudel und Schnellen des herrlichen Stromes drüben war. Nie stand er auf der Epistelseite des Altars, der linken, wenn er auf der Evangelienseite, der rechten, stehen[310] sollte. Mit Ruhe, ohne sich vor Angst zu übereilen, reichte er dem Priester das Gefäß mit dem Weihrauch, hielt ihm das geöffnete Thuribulum dar, und wenn der Opferer Weihrauch eingelegt hatte, reichte er ihm das Gefäß, indem er es vorsichtig und behutsam mit der rechten Hand unter dem Ring, mit der linken in der Mitte der Kette anfaßte. Das dabei von ihm gesprochene Latein war allerdings mehr als welsch und nicht im mindesten ciceronianisch. Doch niemand der Anwesenden, selbst der Schullehrer nicht, war im Stande, die Correctheit nach Zumpt's Grammatik zu prüfen. Mit seinen stehenden Fehlern – spiritus immer nach der zweiten Declination und tuus nach der vierten – klang es ganz so hoch und hehr und fremdartig, wie das Volk es hören will. So wie so blieb es die richtige Sprache der Engel, die Sprache, in der Gott und seine Heiligen sich unterhalten, die Hof- und Kanzleisprache des Himmels.

Als dann der Augenblick des Allerheiligsten kam, als alle dann knieeten, als alle Schauer der persönlichen Anwesenheit des Heilandes in der Wandlung durch die Gemeinde rieselten – die Kinder und alten Frauen und in großen Kirchen eine gewaltige musikalische Note sorgen schon dafür, daß das ganz so wie in mächtigster Bezauberung hingenommen und empfunden wird, wie es Innocenz III. aller Welt und aller Zeit hinzunehmen und zu empfinden geboten hat – wie dann die Erwählten und in der gestrigen Beichte Bestandenen herantreten durften und von dem Gottesleibe mitgenossen, während der Priester von dem Gottesblut für alle trank, – da vergaß denn auch Armgart für einige Zeit das[311] Träumen und Sinnen und es legte sich ihr die Fülle von Sünden, die sie dem neuen westerhofer Geistlichen, Norbert Müllenhof, wer weiß in wie kurzer Zeit, oder wem sonst und in welcher Ferne würde beichten müssen, schwer aufs Herz! Sie sah, daß Zerstreutheit während des heiligen Hochamts, Abwesenheit der Gedanken beim Lesen im Brevier nicht mehr allein die nagenden Vorwürfe ihres Innern waren, mit denen sich ihr Gewissen gewöhnlich aufs allertiefste belastet fühlte.

Nach dem Hochamte hielt der Pfarrer richtig noch eine »Application«. Er sprach diese von der Kanzel herab und über die bevorstehende Einweihung der neuen Kirche und äußerte im allerlöblichsten Volkston, daß auch im innern Menschen täglich die Sakristeien Risse hätten, täglich die Glockenstühle faulten und den Regen durchließen, ja daß mindestens auch viermal des Jahres im Menschen ein echtes und rechtes Kirchweihfest müßte gehalten werden, nicht etwa nur zu Ostern, wo »ihr glaubt, euch für ein ganzes Jahr reinigen zu müssen, sowie die Schwelger, die Ueppigen und Reichen alle Jahre einmal ins Bad reisen und sich ihren sterblichen Leib reinfegen vom Schlamm ihrer Sünden«! »Das wird dann«, fuhr er fort, »jährlich auch so ein Kirchweihfest, wie ihr's allüblich zu feiern pflegt mit Essen, Trinken, Jubeln, Fluchen, Würfelspielen, Tanzen, Todtschlagen der Zeit und allen denen Sünden, die ihr dann voll Verzweiflung angerennt kommt im Beichtstuhl loszuwerden, wo sich oft das todte Holz erbarmen möchte über den Kummer, den ihr euerm grundgütigen himmlischen Vater und unserer gnadenreichen Mutter bereitet! –« Doch sagen wir nur, er[312] fegte die Herzen, wie man soll, nicht mit Staubwedeln, sondern mit Besemen. Und manches sprach er wie Beda Hunnius geradezu in eine Ecke hinein oder auf einen Pfeiler, wo der stand oder die saß oder wem es sonst, ohne darum die Beichte zu verletzen, persönlich zu Nutze kommen konnte.

Wie der dabei von Hunnius sich nur durch den Mangel an Eitelkeit und an theils forcirtem, theils natürlichem Cynismus unterscheidende treffliche Redner zuletzt von diesem unendlich süßen Gnadenzustande, von einer wahren Liebeswonne im Bunde mit dem Gekreuzigten, von der sogenannten Rechtfertigung durch den Glauben sprach, da kamen ihm die folgenden sonderbaren und für die ganze Gemeinde höchst überraschenden Worte:

Was ist das nun? Gerechtfertigt sein durch den Glauben! Ich will es euch sagen. Sehet euch um! Hier in dieser Kirche! In eurem Kreise weilt ein nur auf Erden Gerechtfertigter! Ein Kind dieser Gemeinde, dem hier der Weg der Gnadenmittel von früher Jugend gezeigt wurde, setzte einst mein Herz in Trauer und euch alle in Bestürzung, als man vor Jahren von ihm hören mußte, seine Hand wäre ruchlos genug gewesen und hätte sich in ferner Gegend, wo er weilte, gegen das Leben eines seiner Mitmenschen erhoben und ihn getödtet! Ein Jahr lag er, da alle Anzeigen eines Mordes gegen ihn sprachen, in Ketten und Banden, bis seine Unschuld erkannt wurde und er im lichten Gewande der Gerechtigkeit aus seinem Kerker hervortreten konnte! Voll Scham und Schmerz kam er damals über Nacht zu mir, dem Seelsorger seiner schon reiferen Jahre, und weinte seine bekümmerte Seele aus! Er mochte nicht bleiben in dem[313] Ort, wo das Mistrauen ihn dennoch verfolgte, wo sogar ein Bruder ihm den treuen Handschlag der Liebe versagte! Durch meine Hand ging der kaum zu nennende Ertrag seines kleinen väterlichen Erbes; nun ist der brave Herr, der diese Gemeindemarkungen hier ringsum an sich gekauft hat, – zu hohen Preisen, weil unsere Gegend ihren Werth hat, doch auch Männer, ehrenwerthe Männer, die diesen Werth zu schätzen wissen, – (in der Kirche war wol nicht einer, der diese Captatio benevolentiae zu Gunsten der neuen Gutsherrschaft ganz so zu würdigen verstand, wie es das Verfahren des klugen Geistlichen verdiente), aber ich sage euch, nun ist der Antrag gekommen, sein Erbe mit den Besitzungen der Herrschaft des Ortes zu vereinigen, und vielleicht zur Erhebung des Kaufschillings befindet er sich heute in dem Orte seiner Geburt! Nicht, daß ihr glauben sollt, er wiche vor euch! Nicht, daß eure Zunge sich unterstünde, zu sagen, sein Fuß wäre hier endlich dennoch wankend geworden! Ruchlose Anschuldigung, daß euer jetzt ausscheidender Mitbürger den Vater jenes frommen Mönches erschlagen hätte, der im Gewand der Ordensregeln St.-Francisci schon zu öftern malen in diesen Markungen begrüßt worden ist. Seht euch die Glorie eines Gerechtfertigten an! Das ist der glückliche, frohe, von euch allen zu ehrende und mehrende und nicht länger anzuzweifelnde und bei ernster Strafe von eurer Mutter, der Kirche, zu respectirende Zustand eines vor Menschen Gerechtfertigten! Nun aber – (der Nachhall dieser Worte und das allgemeine Schauen auf den in diesem Augenblick wie mit Krone und Purpur bekleideten Stephan Lengenich bedingte ein[314] mehrmaliges Hervorheben des Ueberganges zum Zusammenhange). Nun aber (noch murmelte alles und konnte sich nicht fassen) nun aber – hört jetzt und macht ein Ende! – nun aber, wie viel größer ist der Stolz, mit dem wir einst, durch die Fürbitte seiner Heiligen, vor den Thron des Allmächtigen werden treten können, falls wir sagen dürfen: »Herr, wir sind keineswegs Könige auf Erden gewesen, keineswegs Helden und Gewaltige der Reiche, wir haben nichts gethan, was den Namen des Außerordentlichen verdiente, aber – wir erfüllten deine Gebote, wir gingen die Wege, die deine heilige Kirche uns zu unserer künftigen Seligkeit gezeigt hat, nun gib uns auch den Lohn, den du allen denen versprochen hast, die deinen Willen thun!«

Das war ein kräftiges, elektrisirendes Wort! So verweist ein richtiger Seelenhirt die Gläubigen an den Zahltisch Gottes! So will der Bauer dereinst mit Gott stehen, als brächte er ihm einmal keinen Pacht, sondern holte sich welchen …

Die Erwähnung des allbekannten Küfers Stephan Lengenich, der in der Residenz des Kirchenfürsten Meister geworden war und hier »in seinem Orte«, besonders auf Anstiften eines feindlichen Bruders nicht einen Gruß bekommen konnte, ließ zu keiner Sammlung mehr kommen. Auch das Institut sah mit allen nach der Kirchthür, wo vielleicht der »Gerechtfertigte« stand, der jeden Sonntag nach Drusenheim kam, nie aber so früh wie heute, daß er schon beim Herrn Pfarrer Empfehlungen aus den Umgebungen des Kirchenfürsten abgeben konnte und nur nach der Gewährleistung des Ortsgeistliche[315] sich plötzlich durch irgendeine Begebenheit, vielleicht auf Löb Seligmann's feurige und sonntagsfreudige Ueberredung hin, entschloß, seinen »Blutacker« herzugeben.

Halb elf war es … und die Kirche war nun aus … und so heilig das Debut des Tönneschen gewesen war, dem Gebrauche, dann auf einen Trunk Drusenheimer, womit keineswegs das alldortige Wasser gemeint war, herzhaften Bescheid zu thun, entzog man den jungen Novizen, der sich so brav und tapfer gehalten und dafür allgemein belobigt wurde, nicht im mindesten. Alles strömte ins Wirthshaus. Und mag auch die Frau Baronin von Cepeda (bekannter unter dem Namen der heiligen Therese) noch so schön und gewohntermaßen geistreich und höchst vornehm gesagt haben: »Verlieren wir doch nicht die gute Gelegenheit, die wir nach der heiligen Communion haben, uns Schätze zu erwerben! Nicht mit geringem bezahlt Seine göttliche Majestät die Herberge, in welcher sie eine gute Aufnahme gefunden!« – dennoch auch wol in dem brennend heißen Hispanien, dem Vaterlande der liebeglühenden Therese entschuldigt man nach der Messe das Verlangen nach dem kühlen Labsal einer Posada. Die Schiffer von Lindenwerth, Tönneschen's Alte und Großalte, tranken trotz aller Warnungen der »Application« zur Osterzeit, den eben genossenen Leib des Herrn in ungestörter Wirkung zu erhalten, im »Hahnen« auf des Debutanten Wohl und der halbe Ort war dabei lebendigst durcheinander und unter ihnen der »Gerechtfertigte«, dem alles die Hand schüttelte, verwundert über sein Abziehen, den nunmehr niemand gekränkt haben wollte und der dann schon in der[316] Stimmung sein durfte, Athanasiusmedaillen auszutheilen und durch bald hohe, bald seltsam tiefe Reden die Bedeutung und Wunderkraft derselben zu erläutern.

Das Pensionat machte noch einen weiter den Bergen zugewandten Spaziergang, während Angelika und Schwester Aloysia zurückblicken, um womöglich den Pfarrer zu sprechen in Angelegenheiten der wie in den Lüften schwebenden Armgart, die nun aber auch den Roland glänzen sah, so hell, so deutlich, als müßte sie jeden erkennen, der drüben aus den Fenstern desselben und etwa unter den schönen herabgelassenen, roth und grau gestreiften Markisen hervorsah.

Ja, der heutige Sonntag wird viele Menschen glücklich machen …

Wir brauchen nur an Thiebold de Jonge, an die Partie der Freunde Piter Kattendyk's zu erinnern …

Wir brauchen nur an Benno zu denken, der sich ihnen anzuschließen hofft, wenn ihn eine Wanderung in die Kette der Sieben Berge, wohin ihn Nück's Aufträge verschickten (gerade des Sonntags ist der Bauer am zugänglichsten für Dinge, deren Erörterung ihn dann keine Arbeit versäumen läßt), Nachmittags und auf alle Fälle des Abends nach dem Roland wieder zurückkehren läßt …

Aber den Hoffnungen, den Erwartungen, mit welchen schon um neun Uhr mit dem ersten Dampfboot im Enneper Thale ein gewisser Mann in schwarzem langschösigem Frack, in Nankingpantalons, in kameelgarner Weste, in hellgelbseidnen Handschuhen gelandet war, denen kommt die Erwartung keines andern gleich, selbst die seines[317] Begleiters nicht, Stephan Lengenich, der sich heute unter gewissen Bedingungen von Drusenheim losreißen wollte.

»Speisen Sie nächsten Sonntag bei mir in Drusenheim!«

Diese Worte waren auf dieser Erde am Donnerstag Vormittags elf Uhr jemanden gesprochen worden in der Residenz des Kirchenfürsten. Sie wurden dann wiederholt in den Moppes'schen Kellern, dann bei Veilchen Igelsheimer in der Rumpelgasse; sie waren hinübergeschrieben worden gen Kocher am Fall, wo David Lippschütz mit seiner lebhaften Phantasie gewiß bereits der Mutter auseinandersetzte, was wol alles der Onkel zu essen bekommen würde bei den reichen »Vettern«, den Millionären, auf ihrem feenhaften Lustschlosse im Enneper Thale … Löb Seligmann sang bereits seit Donnerstag keine Arie lieber, als die des Leporello im »Don Juan«: »Ihr Herr Koch, der kocht ganz vortrefflich!« Selbst das Zwischenspiel der Violinen begleitete er mit den feurigst eingeworfenen Sechszehntelnoten: »Ganz vortrefflich, ganz vortrefflich, ganz vortrefflich!«

Nicht, daß er nicht allmählich einem gewissen innern Flüstern gewisser innerer Stimmen Gehör gegeben hätte, die ihm sagten: Seligmann, bilde dir doch nichts ein! An seine eigene Tafel wird dich wahrhaftig der Ritter Bernhard Fuld nicht placiren unter die Grafen und die Barone! Du wirst lediglich in der Küche beim französischen Koch oder bei der alten Regine, die Madame Bernhard Fuld aus Wien als orthodoxe Köchin mitbekommen hat von ihren Aeltern, vor oder nach dem Diner abgespeist werden! Aber – der Schwung der Seele,[318] der blieb denn doch! Man hatte ihn einer Ehre gewürdigt! Man hatte ihm Erlaubniß gegeben, sich verwandtschaftlicher Annäherungen zu rühmen! Man hatte nicht hindern können, daß von Donnerstag bis zum Sonntag jeder, der geschäftlich oder nichtgeschäftlich einige Worte mit Löb Seligmann wechselte, von ihm die nur so fallen gelassenen Worte zu hören bekam: »Nächsten Sonntag, ja – richtig – aha, Sonntag, ganz recht, wo ich bei Fulds in Drusenheim speisen werde –.« Nie wurde dann den Staunenden, die das Fallengelassene überrascht aufhoben, eine Genealogie gründlicher vorgetragen, als die Abstammung und Verwandtschaft, in welcher seit Abraham, Isaak und Jakob die Seligmanns, die Lippschützens, die Igelsheimers und die Perls zu den Fulds standen.

Am Samstag sah Löb Seligmann im Stadttheater noch den »Zampa«. Diese wilde Räuberoper mit ihrer rauschenden Musik, mit ihren üppigen Trinkgelagen und Tafelschwelgereien weckte ihm wieder den ganzen Humor der sonntäglichen Erwartung, den er infolge eines Streites mit Veilchen fast verloren hätte. Dieser Streit betraf einen Gegenstand, der ihn, wie wir sogleich hören werden, in die Lage versetzen konnte, sich seinem Gastgeber, Herrn Bernhard Fuld in einer Weise zu Tisch einzuführen, die diesen selbst fast dafür belohnte, so einmal seinen bescheidenen Vetter ausgezeichnet zu haben.

Auf dem Dampfschiffe hielt sich Löb mit Stephan Lengenich so herausfordernd und kühn, wie der wilde Held der gestrigen Oper. Wäre er auch beim Landen,[319] als er inzwischen, angeregt durch die Schifferkähne, zur »Stummen von Portici« übergegangen war und nicht achtend des schmalen Steges und des Menschengedränges trällerte: »Auf, singt die Barcarole!« fast in den Fluß gefallen, so kehrte doch nach dem ersten Schrecken seine ganze Erwartungsfreudigkeit zurück. Während Lengenich zum Pfarrer ging, umkreiste er die stolze Villa seines Vetters und rüstete sich zum Eintritt.

Bernhard Fuld inzwischen finden wir in der behaglichsten Stimmung eines geschäftsfreien Sonntagsvormittags.

Jeune homme von einigen dreißig Jahren hat er seinen hie und da schon grauenden Bart mit großer Kunst übermalt und à la mécontent geordnet. Auf seine Veranda begibt er sich in türkischem Schlafrock mit Fes auf dem Haupte und ungarischem Tschibuk in der mit einem goldenen Siegelring geschmückten feinen etwas magern Hand … Er ist nicht allein. Seine Gesellschaft ist ein gestern angekommener Gast, Baron Wenzel von Terschka, ein ihm geschäftlich Empfohlener von einem Freunde der Familie seiner Frau … Und während diese sich noch hinter einem blumengeschmückten Fenster oben bei ihrer Toilette befindet, die heute eine neu aus Paris gekommene war, da sie ein größeres Diner, Nachmittags großen Kaffee hatte, ergingen sich der Wirth und Herr von Terschka (dieser schon in vollständigster Mise) in Naturbewunderung, Börsencursen, Louis Philippistischer Politik und Pferdezucht. Der neue Stall war besehen worden, Terschka's Kennerwort vernommen, Homburger und Baden-Badener Grafen und Barone,[320] die sich vielleicht als Traineurs auszeichneten und von zwei alten magern Pferden, d.h. Wettrennern, mit denen sie Preise gewannen, lebten, waren mannichfach als Autoritäten für diese oder jene Fütterungsmethode citirt worden, kurz, man konnte sich jetzt mit Behaglichkeit dem Blumenduft und der zauberischen Aussicht hingeben in zwei allerliebst geformten gußeisernen Lehnstühlen.

Die Besitzung hatte schon beim Ankauf, wie heute auch von der Kanzel bemerkt worden, viel Geld gekostet und mehr noch hatte man in sie hineingesteckt. Das Landhaus war, wie Terschka sagte, würdig am Comersee zu stehen … Die nahe Kirche, die ebenfalls neu, hatte dem Erbauer allerdings in erster Frühe vor seinem Schreibtisch einige »unangenehme Viertelstunden« verursacht. Sie bot nämlich die Unbequemlichkeit, daß sie nie fertig wurde. Immer noch gab es etwas zu vervollständigen an ihr und zu ergänzen. Bald fehlten noch Chor- und Beichtstühle, Schränke in der Sakristei, allerlei von jenen Mechanismen, von denen man bei Aufbewahrung der heiligen Geräthschaften, der praktikablen Benutzung z.B. nur der Leuchter als Laie kaum eine Vorstellung hat. Was hatte der israelitische Patron der Kirche des St.-Dionysius nicht schon für unheilige Sacrebleus in die Holzschnitzereien, die Vergoldungen, die Stickereien und die Gelbgießerrechnung allein für die beiden Glocken gewettert! Wir wollen nicht wünschen, daß die mehreren Goddams, die auch heute auf die in frühester Morgenstunde schon wieder vor dem fleißigen Rechner ausgebreiteten Noten und vorzugsweise die des Gelbgießers[321] fielen, irgendeinen Einfluß auf die hehren Ruferinnen der Lüfte ausüben mögen. Bernhard Fuld unterwarf sogar die Inschriften der Glocken einer Kritik, denn der Bildner der Form ließ sie sich buchstabenweise bezahlen und Pfarrer Engeltraut hatte großen Werth darauf gelegt, die Worte des Psalmisten: »Wohl denen, die in deinem Hause wohnen, die loben dich immerdar, Sela!« auf die große Glocke und die Worte des Propheten: »Wie lieblich sind auf den Bergen die Boten, die da Frieden verkündigen!« auf die kleine zu setzen. Der von ihm sogar noch beantragt gewesenen, aber von Fuld gestrichenen dritten Glocke hätte er hingehen lassen, daß sie nur einfach die Jahreszahl brachte.

Bernhard's Gast, der die Cigarren seines tschibukrauchenden Wirthes ebenso zu würdigen versteht, wie die pittoreske Lage der Veranda, ist kein Jüngling mehr und doch besitzt Herr von Terschka etwas außerordentlich Jugendliches. Von sechsunddreißig Jahren, die man ihm nach dem untrüglichen Merkmal aller Jahre, den Runzeln, die von den Schläfen nach den Augen zulaufen, geben mußte, hatte er noch ganz das Wesen eines Jünglings, jedenfalls noch immer das aus der Zeit, als er mit seinem Freunde Grafen Hugo von Salem-Camphausen unter den Offizieren zu Kiel saß, damals, als des Kronsyndikus Trauer selbst beim Weine von diesen feierlich geehrt wurde und gerade Terschka es war, der bei Gelegenheit der Nase Lucindens und eines Bildes auf einem herumgereichten Armbande die Veranlassung wurde, an eine Römerin zu erinnern, über die der Kronsyndikus in jene nächtliche Aufregung gerieth, die[322] ihn seine noch lebende »zweite Frau« sehen ließ – und das war bereits sechs Jahre her. Schlank und behend von Gestalt, mager, wachsbleich wie ein Armenier, mit schwarzem Haar, weißen Zähnen, leidenschaftlichen schwarzen Augen, befliß sich Wenzel von Terschka völlig unbedeutend zu sein, so kindlich, so gutmüthig, wie nur irgendeinem gebornen Czechen möglich. Mit Gewandtheit folgte er jedem Gedanken seines Wirthes und ließ sich in der Morgenunterhaltung beim Genusse seiner Cigarre auf jede Aeußerung desselben mit der liebenswürdigsten Selbstentäußerung ein: »Ah!« – »In der That!« – »Meinen Sie wirklich?« – Mit diesen Zwischenreden folgte er allen Ansichten, die Bernhard Fuld über die große Erbschaft aussprach, die demnächst der Auftraggeber Terschka's, Graf Hugo, antreten wollte. Immer wieder kehrte das ihm sicher hochwichtige Gespräch auf Harmlosigkeiten zurück, auf die Gegend, auf das Stift Lindenwerth, auf die Pferde seines Wirths, auf die Preise des Heus und der Fourrage in hiesiger Gegend, auf das erst neuerdings eröffnete Bad zu Homburg, wo Bernhard Fuld mit seiner jungen Frau vor wenig Wochen die erste Saison durchgemacht und zu erzählen wußte von einer Jagdpartie der Spielpächter im Costüm der Zeiten Ludwig's XIII. und einer andern im Geschmack rothgekleideter englischer Fuchspreller. Bei der geschickten Art, wie sich Wenzel von Terschka zu unterhalten wußte, lenkte er das Gespräch immer wieder auf den Beistand ein, den für seine große Erbschaft und vielleicht die zweckmäßigste[323] Entäußerung derselben Graf Hugo in dem Fuld'schen Hause zu finden hoffte.

Bernhard, der ohne seinen erst aus der Stadt noch erwarteten, sicher zum Diner kommenden Bruder Moritz nichts Geschäftliches unternahm oder zusicherte, nicht einmal eingehend etwas erörterte, war schon mit der gleichgültigen Bemerkung hervorgetreten, daß vielleicht eine Parcellirung – das Rentabelste wäre und sich dann zu einer Recognoscirung des Terrains niemand besser eignen würde, als – par exemple – ein erfahrner Landwirth und Gütermakler Namens Löb Seligmann …

Und gerade in diesem Augenblick wurde Löb Seligmann von einem eben in seiner Toilette fertig gewordenen, in schöner, bunter Livree auftretenden Bedienten angemeldet.

Terschka, der alles nur leicht zu nehmen schien, doch den Namen des Agenten sogleich zweimal sich nennen ließ, setzte bei seinem Wirth Privatgeschäfte voraus und ging auf sein Zimmer. Er besaß die Klugheit, die Dringlichkeit seines Anliegens mit nichts zu verrathen, sondern die Geschäftswelt an sich herankommen zu lassen. Fast könnte es scheinen, als hätte dies für sein lebhaftes Naturell keine kleine Aufgabe sein müssen.

Mit seinen hellgelben, seidenen Handschuhen steht nun der glückliche zu Tisch Geladene vor dem dem Baronisirtwerden so nahe gerückten »Vetter« Bernhard Fuld und äußert ihm durch einen trunkenen Blick die schon oft ausgesprochene Bewunderung seiner reizenden Besitzung.[324]

Bernhard Fuld hatte die Gewohnheit, beim »Unter uns« nicht die vornehme Reserve zu beobachten, die ihm sonst eigen war …

Graf Rudolf in der »Nachtwandlerin« singt, auf die schöne Gegend blickend: »Hier das Bächlein, dort die Mühle!« – und ebenso verklärt schaute Löb Seligmann rundum …

Bringen Sie die Quittung über die – wie viel Thaler waren es –? fragte Bernhard.

Herr Fuld, Sie werden doch sagen, daß ich meine Sache gut gemacht habe! begann Seligmann. Sie sollen sich bauen auf den Berg den schönsten Pavillon und eine Treppe hinauf mit so viel Stufen, als ich Ihnen Jahre zu leben wünsche! Hundert Stufen sind mir nicht genug, Herr Fuld!

Wer sagt Ihnen, daß ich einen Pavillon bauen will mit Stufen? erwiderte Fuld und fand sich schnell in die so höchst angenehme Nachricht. Ich will nur einen Weinberg haben und mein eignes Getränk auf den Tisch, Drusenheimer Ausbruch! Denken Sie, die Papiere stehen so, daß ich alle Tage Champagner trinken kann?

Champagner! … Seligmann ahnte eine bedeutsame Anspielung auf das heutige Diner, ließ seine gelbseidnen Handschuhe nicht wenig in der Sonne spielen und verzichtete still für sich auf Champagner, befriedigt vollkommen von gewöhnlichem – Johannisberger Cabinet oder ähnlichen Mittelsorten –

Wie ist denn diese plötzliche Umwandelung des verrückten Küfers gekommen? fragte Fuld, aufblinzelnd zu seiner vielleicht schon oben lauschenden Gattin.[325]

Seligmann zuckte die Achseln, holte einen tiefen Seufzer und erwiderte:

Herr Fuld, das ist ein Roman! Wenn ich's erzählte, Sie würden es nicht glauben!

Bernhard Fuld hatte noch mit seiner Toilette Zeit und sagte:

Erzählen Sie nur!

Löb Seligmann machte eine mysteriöse Miene.

Sie wollen mich überraschen! sagte Fuld, als der Makler schwieg und setzte mit einem Tone, der selbst Scherze in der immer ihm gleichen blasirten Art aussprach, erläuternd hinzu: Wahrscheinlich, weil ich jetzt die ganze Geschichte um sechshundert Thaler habe!

Nein, umsonst! parodirte denn doch Löb Seligmann und nicht ohne eine gewisse Aufwallung über den Vetter, der der Mann war, solche Scherze ernst zu nehmen.

Sie haben, fuhr Fuld in der That fort, das Geschäft mit sechshundert Thalern fertig gekriegt und wollen nun dreihundert als Courtage? Revanchiren Sie sich ein andermal!

Herr Fuld! sagte Löb zurückfahrend. Meine fünf Procent sind mir fast an Freiheit und Leben gegangen!

Mit einem halb zugedrückten Auge erwiderte Bernhard blinzelnd:

Hanswurst!

Hanswurst? Um den Küfer herumzubringen, hab' ich eine Komödie gespielt, die, wenn man die Hand umdreht, wär' ein Trauerspiel geworden und Sie wissen, Herr Fuld, ich bin für die Oper –[326]

Fuld staunte denn doch und würde auf die weitere Auslassung des Vermittlers mehr gedrängt haben – schon vielleicht eines Stoffes wegen für die Unterhaltung beim Diner –, wenn dieser nicht von der Veranda aus, wo sie sich befanden, den Küfer im Sonntagsstaate daherkommen gesehen hätte, umringt von Alt und Jung, die aus dem »Hahnen« her ihn als einen jetzt erst erkannten, wahrhaft erleuchteten und ganz unglaublich wunderbaren Mann begleiteten.

Stephan Lengenich sah sich wie ein Feldherr oder ein hier entthront gewesener Monarch um. Jetzt erst recht hätte er, nach der geistlichen Schutzrede und dem feurigen Anschluß der Dorfbewohner, den Fuß in der Gemeinde behalten mögen; doch hatte er Seligmann in seinen Kellergewölben den Schwur gethan, daß es rings in den Gewölben und an den Fässern widerhallte: um einen gewissen Preis wolle er das Geschäft zu Stande kommen lassen, einen Preis, bei dessen Anblick es ihm gewesen war, als wäre aus der Wand oder aus einem Fasse heraus auf ihn zugetreten geradezu der Bote der himmlischen Gerechtigkeit! Was Stephan da geschworen hatte, als er die Laterne in die Höhe gehoben und athemlos gesprochen: Mensch! wo hast du das her? … als Seligmann mit der rechten Hand, während die linke das Bewußte schnell wieder verbarg, seine Vatermörder in die Höhe zupfte, weil sie in der feuchten Kellerluft ihre stärkehaltige Positur verloren … was er geschworen, als er alles liegen ließ, wie es lag, über Dauben, Setzreifen, Bandhaken, Visirstäbe, Stellzirkel hinwegtrat, die linke Hand Seligmann's ergreifen wollte, dieser aber[327] retirirte und ihn so mit sich zog, wie er ging und stand und wie an einem Köder in die Rumpelgasse zu Veilchen Igelsheimer … was er wieder dort geschworen, als der lange, breitschultrige Mann, mit seinem gerötheten Antlitz, den wackelnden Ringen in den Ohren, das knatternde Schurzfell über den Lenden, vor dem zarten, kleinen alten Mädchen stand und an seinem Schutzpatron Sanct-Stephanus, dem Gesteinigten, festhalten mußte, um nicht im Glauben wankend zu werden vor Bewunderung einer Beredsamkeit, die ihm bewies, daß er den Fluch der ganzen Kirche auf sich laden würde, wenn er nicht dahin sich ergäbe, jenen Anblick nur vorläufig einmal gehabt zu haben, den Anblick jenes vom Jagdkleid des Kronsyndikus vom Deichgrafen im Ringen losgerissenen grünen Kragens – was er da geschworen: dem Löb Seligmann dafür zum Lohne »und bis auf weiteres« das von ihm vermittelte Geschäft des Verkaufs zu Stande kommen zu lassen, das hielt er denn nun auch.

Stephan Lengenich, im Geiste sich bis an die Spitze des Geierfelsen hinter ihm hinaufgipfelnd und das ganze Enneper Thal zum Schemel seiner Füße nehmend, kam näher …

Seligmann rief ihn von der Terrasse grüßend an … Lengenich zog den Hut – lässig wie ein Fürst.

Bernhard erklärte sich bereit zum sofortigen Abschluß und zur Ausstellung einer Anweisung auf sein Comptoir in der Stadt.

Fuld's kurze und geschäftliche Begrüßung des inzwischen auf die Veranda eingetretenen Handwerkers war diesem wenig genehm; denn wenn Leute aus dem Volke etwas[328] ihnen Wichtiges unternehmen, so wollen sie es mit einem entsprechenden Umstand vollzogen sehen. Ehe aber Stephan nur erst die Anrede gemacht hatte: Lieber Herr! war Bernhard schon mitten in dem Gegenstand. Und ehe jener nur erst sein: Lieber Herr! wiederholt, dann von seiner Geburt her »in dem Hause da drüben hinter den Wallnußbäumen am dritten Fenster rechts Eintausendsiebenhundertunddreiundneunzig« begonnen hatte, da bezweifelte Bernhard schon wieder Stephan Lengenich's wirkliche Absicht, bei neunhundert Thalern stehen zu bleiben und nicht auf Billigeres zurückzugehen. Und wie der Küfer nun gar erst von dieser Seitenschwenkung, die er jedoch schon rascher parirte, im Context irre wurde und zu seiner Wanderschaft übersprang als Gesell und von den fünf Groschen sprach, die er manchmal nicht in der Tasche gehabt hätte, und dann der Weg bis zu dem Düsternbrook bei Schloß Neuhof noch in unendlichster Perspective lag, da waren alle drei schon aus der Veranda einige Stufen, über welche eben im seidenen, duftenden Kleide dahinrauschend ein allerliebstes kleines Frauchen mit einem großen weißen Spitzenteller auf dem rabenschwarzen Haare ihnen begegnete, in Bernhard's Arbeitszimmer angekommen und hatte dieser schon eine Feder in der Hand und setzte eine Verständigung auf, die Lengenich unterschreiben sollte … Jetzt war zwar in der Pracht und Eleganz der Umgebung die Biographie des Küfers vollends verschüttet, doch hatte er für sein umständliches Gemüth nun einen Vorsprung gewonnen. Er sollte etwas unterschreiben! Da lag ein Bogen Papier, unter den er seinen Namen setzen sollte,[329] während ein andrer darauf warten muß! Das ist ein großes Privilegium! Da kann ein jeder sicher sein, ob er nun Napoleon oder Alexander der Große heißt, daß er ruhig zuhören muß, wenn sein Wirth beim Schließen eines Miethcontractes die Pause benutzt und die gegenwärtige Höhe der Steuern auseinandersetzt! Lengenich las jede Zeile mit Aufmerksamkeit und ihm störte nicht das heitere Lachen der kleinen Frau und ihr Scherzen draußen mit Wenzel von Terschka, ihn störte nicht, daß Bernhard Fuld noch gar nicht einmal angekleidet war. Der Preis war noch offen gelassen, in Erwartung, Lengenich würde sich vor Seligmann in der unter ihnen abgemachten Summe verrathen.

Wirklich Siebenhundert? sagte Bernhard. Haben Sie sich nicht verschwören müssen, Herr Lengenich?

Siebenhundert?

Seligmann trommelte auf die Fensterscheiben. Die berühmte Auctionsarie aus der »Weißen Dame« bekam er in seine beleidigten Finger.

Inzwischen hörte man leichtes Fuhrwerk im Kieselsande anfahren – bald war es zwölf Uhr – vor Tisch war noch manche Anordnung zu treffen …

Bernhard sagte:

Ich stelle also eine Anweisung auf – achthundert Thaler.

Seligmann trommelte und pfiff sogar leise die Verzweiflung des Schloßverwalters aus der »Weißen Dame« …

Na, richtig, neunhundert! sagte endlich Fuld ärgerlich, nur um zum Ziele zu kommen und auch erschreckend über den immermehr zurückhufenden und sich purpurn überfärbenden Küfer …

Als er geschrieben, mußte er dann auch zur Strafe[330] noch aushalten, daß Stephan Lengenich ihm die Hand reichte, gleichsam eine ewige Freundschaft mit ihm schloß, sich freute, ihn persönlich kennen gelernt zu haben, seine kostbare Einrichtung bewunderte, einige Bilder betrachtete, nach dem Preise der Rahmen fragte, dreimal den Hut suchte, während er ihn doch schon in der Hand hatte, und nicht fortkonnte …

Seligmann unterstützte ihn in diesem Laviren … Denn Eines war höchst sonderbar. Der Vetter machte keine Miene, sich zu erinnern, daß er heute bei ihm speisen sollte …

Schon rief Bernhard Fuld: Jean! und der Bediente kam und half ihm bei Abschluß der Toilette …

Stephan Lengenich bewunderte noch immer einige Porträts und verglich bei einer der ringsum aufgehängten Damen die Augen mit denen Veilchen Igelsheimer's …

Excuse! sagte Bernhard ärgerlich und zog ohne weiteres den Schlafrock aus …

Aber kein Wort vom Diner?!

Nein, sehen Sie, Herr Seligmann, diese weißen Hände mit den Ringen! .. Dort!

Bitte recht sehr! bemerkte Bernhard immer verdrießlicher und doppelsinniger und ließ seine weiten rothen Beinkleider sinken, um ganz enge schwarze anzuziehen …

Und nichts vom Diner!?

Stephan Lengenich besann sich jetzt, was der Anstand erforderte. Der Mann war er nicht, der nicht verstanden hätte, mit den Großen umzugehen, mit feinen, gebildeten Herren wie Schnuphase, mit Secretären des Kirchenfürsten und ähnlichen Lebensstellungen … Jetzt empfahl er sich und verwechselte nur noch die Thüren …[331]

Da, da, lieber Mann! zeigte Fuld und er war dabei auf der Folter …

Aber nichts vom Diner?! .. Löb Seligmann steht wie angewurzelt …

Ja aber, was wollen Sie denn noch? fuhr Bernhard Fuld jetzt auf, zornig über den kleinen Mann mit dem schwarzen Wollenkopf und hatte nicht übel Lust hinzuzusetzen: Haben Sie denn Pech an den Stiefeln? …

Dabei zog er schon den Frack mit dem rothen Band der Ehrenlegion an.

Das wurde denn nun doch dem Vetter zu viel!

Vor Stephan Lengenich, der schon draußen war, compromittirte er jetzt weder sich noch den Vetter. Mit einem Tone, der gleichfalls unerschrocken dem »Unter uns« entsprach, sagte er:

Herr Fuld! Ich wollte nur gefragt haben: Wann ist die Stunde, wo bei Ihnen gespeist wird?

Jetzt sah ihn Fuld groß an und besann sich … Lange mußte er kopfschütteln und lachen. Endlich rief er gezogenen Tones:

Schlemihl! … Es ist ja wahr! … Wissen Sie was? Gehen Sie in die Küche, Seligmann! Fragen Sie Reginen, wie viel Minuten vor zwei Uhr die gespickte Rehkeule irgendwo zum Anschneiden ist, daß man's nicht sieht, wenn sie auf die Tafel kommt!

Löb Seligmann hob voll Trotz das Haupt aus den Schultern und warf es mit einer gewissen schiefen Senkung wieder in den Nacken. Die Art, wie er von dannen ging, sagte geradezu: Ich denke, Sie haben sich[332] meiner nicht zu schämen, Herr Fuld; denn es steht geschrieben: Alle Jüden sind wir geborne Prinzen.

So schritt er fort; sein Gemüth löste sich aber in Elegie auf … Er mußte gedenken: Gott, wenn du nun nach Kocher am Fall hättest schreiben müssen, du warst auf Fuld's Villa und sie hatten die Einladung vergessen! … Dieser Gedanke goß über sein Antlitz die äußerste Wehmuth … Lengenich, der ihn draußen erwartete, begriff nicht, warum so weich die Worte von seinen bleichen Lippen kamen:

Gehen Sie jetzt, Mann! Versöhnen Sie sich mit Ihrem Bruder, der Ihr ärgster Feind gewesen! Ich bleibe auf der Villa! Sie wissen! Ich speise bei – meinem Vetter!

Der Küfer war in verwandter Stimmung. Er wußte, daß im alten, Anno 30 renovirten Hause der Aeltern eben jetzt sein Bruder Melchior mit der Familie zu Tische geht … Er wußte, daß es heute seit einem Jahrhundert dort Klöße, gekochte Birnen und Speck gab … So nach der Rechtfertigung des Pfarrers mit Darreichung des Handschlags vom Bruder sogleich empfangen zu werden, verlangte er nicht. Dazu war der Berg zwischen ihnen zu hoch gewesen. Aber ein kurzes: »Stephan, du bist's?« ein aufrichtiges, ehrliches, deutsches: »Ja, Melchior, ich bin's!« ein Schweigen von Seiten Melchior's und ein Deuten blos auf den Mittagstisch und die Worte: »Willst mithalten?« … mehr verlangte Stephan nicht … mehr bedurft' es auch nicht zur Aussöhnung. Endlos ist das Volk in Verstandesdingen, in Herzensdingen kurz.[333]

Seligmann aber, alle Sorgen, die sich noch an den Fund des Portefeuilles aus der Kutte des Mönches Sebastus knüpften (eines Portefeuilles, das einem Manne gehörte, an dem sich rächen zu wollen auch ihm sein erstes Gelüst gewesen) abschüttelnd auf die Weisheit, hochherzige Besonnenheit und Beredsamkeit Veilchen's stieg in das Souterrain der Villa, wo neben dem französischen Koch, Herrn Jülien aus Paris, Regine waltete, die der jungen Madame Fuld ihre Aeltern mitgegeben hatten, um dafür zu sorgen, daß sie den Zusammenhang mit den Vorschriften des Talmud nicht zu sehr dem vornehmen Weltleben ihres Gatten opferte. Waren keine Gäste da, so hatte Regine den Oberbefehl und duldete am Kalbsbraten keine Butter, am Rehbraten keinen Rahm, nimmermehr Aale, nimmermehr die Verwechselung der Geschirre je nach dem Inhalt, der drinnen gewesen – und wie die Vorschriften eines Glaubens lauten, der die Grundlage unsers eigenen ist.

Seligmann lächelte sanft, die Freude Reginens zu sehen, daß sie einen »Vetter« ihrer Herrschaft oben kennen lernte, wenn auch nur hier unten im Souterrain des Kellers …

Der Rehbraten, sagte allerdings der Koch streng abweisend, sein erst dann zu dividir, wenn er zurückspazir' de la Table! …

Aber Seligmann war es nicht um den Rehbraten, sondern nur um die Ehre zu thun. Er wartete den Gang der Ereignisse ab. Das freundliche Plauschen der alten Wienerin weckte ihm allmählich wieder die frohe Musik seiner Seele.

Quelle:
Karl Gutzkow: Der Zauberer von Rom. Roman in neun Büchern, Band 3, Leipzig 1858, S. 304-334.
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