12.

[359] Schon tief in seinen Erörterungen mußte das junge Paar vorgerückt sein.

Dennoch staunte Terschka, eine scheinbar so ruhige Conversation zu vernehmen …

Nein, nein, sagte Armgart mit so leiser Stimme, daß auch nur Sein feines Gehör geschickt war folgen zu können – nein, nein, wissen Sie wol, lieber Freund, damals in Lindenwerth, als Sie uns zum ersten male besucht hatten? Es war ein Frühlingstag. Die Syringen blühten, die Nachtigall sang. Das Pensionat wanderte in die Sieben Berge. Sie, Asselyn, gingen mit uns und als wir in eine Schlucht kamen, die sich so wunderschön öffnete, ganz grün war sie und verlor sich dann in Felder mit goldenen Repssaaten – da hieß es, dies Thal wäre die Aue – und da sagten Sie blos: Hartmann von der Aue! … Wer ist das? fragte ich … Ein Minnesänger! sagten Sie und setzten hinzu: Kennen Sie das Gedicht vom armen Heinrich nicht –?

Eine Pause trat ein … Benno schien sich zu besinnen …[360]

Vom armen Benno! sagt' ich wol – warf er leise und bedeutungsvoll ein …

Nein, nein, erwiderte Armgart, diesem Tone ausweichend, vom armen Heinrich, dem zu Liebe sich einst eine fromme Jungfrau geopfert hätte … Sie wollten's mir erzählen und die dummen Mädchen kamen dazwischen mit ihren Eseln – wissen Sie noch, sie wollten sämmtlich Esel reiten und die Steigbügel waren zu lang –?

Werden Sie denn morgen mit bei der Jagd sein? unterbrach Benno, der noch nicht zu ahnen schien, was Armgart Ernstes mit ihm vorhatte …

Ich weiß es nicht! antwortete sie. Die Tante sieht soviel Gefahren … Auch ist Paula heute wieder aufgeregter, denn je …

Benno schien nur zuzuhören …

Die Tante hatte den Münnichs versprochen, den Püttmeyer'schen Bildern beizuwohnen … Ich wenigstens könnte mit zu diesen trotz der Trauer … Aber ich weiß es noch nicht … Erzählen Sie mir von Hartmann von der Aue und vom armen Heinrich!

Liebe Armgart, begann Benno, dieser arme Heinrich war ein schwäbischer Ritter, der in den heiligen Krieg zog und das Unglück hatte, statt mit großer Beute nur mit einer schweren Krankheit heimzukehren, die kein Doctor heilen konnte! Man nannte die Krankheit die Miselsucht. Ritter Heinrich war nicht einmal jung, vielleicht nicht besonders liebenswerth, er war ein guter Guts- und Grundherr. Einem seiner Vasallen, seinem Meyer, wie das altdeutsche Gedicht sagt, blühte ein Töchterlein, den Namen hab' ich vergessen – wollen wir sie – Armgart nennen?[361]

Gewiß! antwortete Armgart und sprach dies ganz aus schwerem Herzen und voll ernster Zustimmung …

Nun gut! Des Meyers Töchterlein, Armgart, hört von dem Leid des guten Ritters, der nach Salerno gereist war, wohin man damals reiste seiner in medicinischen Angelegenheiten berühmtesten Universität wegen … Salerno liegt in Italien …

Ich weiß! sagte Armgart auf Benno's nicht ganz harmlose Erklärung. Aber ihr: Ich weiß! war ohne jede Empfindlichkeit. Klärchen im »Egmont« konnte, abschließend mit dem Leben, ihr elegisches: »Weißt du, wo meine Heimat ist?« nicht ergebener sprechen …

Nun kommt eine Botschaft aus Italien! fuhr Benno fort, der Ritter könnte genesen, hieß es, wenn eine Jungfrau rein sich fände, die für ihn in den Tod ginge. Ich kann im Augenblick nicht sagen, liebe Freundin – Sie müssen den Domherrn fragen, der in diesen Gedichten heimischer ist, als ich – ob der Ritter das Blut der Jungfrau trinken oder in seine geöffneten Adern aufnehmen sollte … Letzteres ist auf der Universität Göttingen neulich, das heißt umgekehrt, vorgekommen; ein junger Student hat sich dazu hergegeben, sein Blut durch Transfusion in die blutleeren Adern einer jungen hinsiechenden Frau hinüberleiten zu lassen … Die junge kranke Frau wurde neubelebt durch Studentenblut … Wird sie ihn nicht ewig lieben müssen?

Scherzen Sie nicht, Asselyn!

Sie glauben nicht daran? Dann glauben Sie auch nicht, wie zwei Freunde es machen müssen, die scheiden und sich in der Ferne treue Kunde geben wollen? –[362] Gesetzt wir beide! Ich reise nächster Tage ganz aus Ihrer Nähe – und wer weiß, auf wie lange! …

Asselyn! unterbrach Armgart mit einem sanften Tone, setzte aber, sich sogleich beherrschend, hinzu: Wie machen es zwei Freunde, wenn sie sich trennen und sich voneinander Kunde geben wollen? …

Sie ritzen sich gegenseitig eine Wunde, füllen das tröpfelnde Blut einer dem andern in die seinige und lassen so sie heilen! Reist nun der eine gen Amerika und der andere gen Asien, so können sie sich ohne alles Briefporto, ohne alle Telegraphie im Nu verständigen. Der eine will dem andern sagen: Ich grüße dich von ganzer Seele! – da nimmt er nur eine Stecknadel und sticht auf die geheilte Wunde. Im Nu fühlt der andere an derselben Stelle den Stich. Jetzt gibt er Acht; dieser erste Stich war nur ein: Hab' Acht! Nun nimmt er ein Blatt Papier, einen Bleistift und zählt die fernern Stiche, die er fühlt. So kommen bestimmte Buchstaben zusammen und zwei auf diese Art blutsverbundene Freunde können über tausend Meilen weit im Nu sich sagen: Es geht mir wohl! Ich liebe dich immer und ewig! Ich sterbe! …

Benno! …

Es dauerte eine Weile, bis Terschka Weiteres hörte … Sein Herz schlug so laut, daß es ihm selbst hörbar wurde …

Endlich schien Benno sich gefunden zu haben … Wenigstens hörte Terschka die Worte:

Zwanzig Meilen nach dem Westen, da gibt es ja noch Postverbindung! Oder wollen Sie etwa weiter noch – nach dem Osten?[363]

Vielleicht …

Wohin?

Nach Wien!

Terschka horchte auf …

Mit Ihrer Mutter! sagte Benno gelassen …

Armgart schwieg …

Mit wem? fragte er dringender …

Erzählen Sie mir von der Tochter des Meyers! war Armgart's ausweichende Antwort …

Mit wem? drängte Benno …

Wie ließ sie ihr Leben für den kranken Ritter?

Mit wem? wiederholte Benno und rief diesmal so laut, daß Armgart ihn um aller Heiligen willen um Ruhe bat …

Was that die Jungfrau? sagte sie dann …

Fragen Sie den Domherrn! antwortete Benno mit hörbarer Erregung und voll Bitterkeit. Ich glaube, sie sollte sich auf den Secirtisch der Anatomie legen und sich von den Professoren zerschneiden lassen! Das Mädchen, ein zweites Käthchen von Heilbronn, reiste richtig nach Salerno, bietet sich auf der Anatomie zu jedem Experimente an – Die Professoren erstaunen und, wie beim Opfer Abraham's schon der Wille für die That gewirkt hatte, so wird auch hier der Ritter gesund und heirathet die Tochter seines Meyers …

Das ist dumm! wallte Armgart auf …

Wegen der Mesalliance? Oder erwarteten Sie den Opfertod?

Gewiß! … Das Schicksal ist auch wol so gnädig, wie ihr Poeten! Wo etwas Notwendiges von den[364] Umständen vorgeschrieben wird, geschieht es auch! Das steht in den Sternen!

Armgart! Sie wollen so eigensinnig sein, wie manchmal denn doch – die Liebe Gottes nicht ist? Welchen Opfertod suchen Sie denn?

Armgart schwieg …

Sprechen Sie, Armgart –! Was wollen Sie in Wien –? Ich beschwöre Sie! …

Benno errieth nicht, welche Gedankengänge in Armgart schlummerten, welchen Opfertod sie meinte … Daß aber Wien und Terschka zusammenhing, das mußte ihm gewiß sein … Terschka hörte, daß er eine Rede abbrach, die aus seiner mächtigsten Aufwallung zu kommen schien. Wie mit einer sich beherrschenden Stimme sprach er:

Ich denke, Sie leben nur der Vereinigung Ihrer Aeltern?

Das thu' ich auch! In wenigen Tagen werden sie verbunden sein!

Wer sagt Ihnen das?

Meine Ahnung!

Was der Mensch getrennt hat, kann kein Gott wieder zusammenfügen! Selbst Sie nicht, Armgart!

Atheist!

Können Sie wissen, was sich Ihre Aeltern vorzuwerfen haben?

Nichts haben sie sich vorzuwerfen! Und wenn –! Die Kirche scheidet nicht! Sagten Sie nicht oft, Vater und Mutter – beide sind Menschen voll Hochherzigkeit und Edelmut? Und sie sollten sich nicht angehören? Nicht ewig?[365]

Liebe erzwingt sich nicht! Das – – das seh' ich ja!

Die Liebe ist ein Wahn!

Armgart!

Nur Gott ist die Liebe! Gott sagt, wen und was die Liebe wählen soll! … Ha, Sie sprechen von Glück, Benno? Thorheit, Thorheit menschlicher Schwäche, die nur in Befriedigung ihrer eiteln Wünsche Beruhigung findet! Wohl! Schön muß es sein, herrlich zu leben, das geb' ich zu, wenn das Herz erreicht, wonach es verlangt … Aber auch stückweise es hinzugeben, wenn es die höhere Pflicht begehrt, die Prüfung unserer Größe es will – darin kann ebenso viel Freude liegen – oder glauben Sie nicht, daß Hedwig von Polen glücklich war, als sie dem Ferdinand von Oesterreich, den sie liebte, entsagte und den Heiden Jagello zum Manne nahm, der ihr seine Taufe, die Taufe eines ganzen Volkes, zur Morgengabe brachte? Wie sie ihren Brautschleier der Mutter Gottes von Krakau schenkte, muß ihr das Leben anfangs wie unter einem schwarzen Gewitterhimmel dahingezogen sein! Dann aber umsäumte es sich rosig und gewiß, gewiß – sie wurde glücklich!

Armgart! rief Benno außer sich voll Erstaunen … Und alles wurde jetzt still … Terschka sah im Geist seinen Schutzheiligen, den achtzehnjährigen Polen Stanislaus von Kostka, dem beim Gebet sein Antlitz von Verklärungsschimmer überleuchtet gewesen … Ebenso auch hörte er Monika, deren Methode, zu fühlen und zu denken, ganz dieselbe war, wie bei ihrer Tochter, wenn auch ihr Fühlen und ihr Denken andern Ergebnissen zugute kam … Sein Herz verstand, was er hörte … Dämonen raunten ihm zu:[366]

Willst du mitleidig sein mit diesem jungen Mann, der seinen Abschied auf ewig – um deinetwillen erhält? Willst du thöricht sein und um einer solchen von Göttern zu beneidenden Hingebung willen gestehen, daß ihr Opfer – ihre Absicht, ihn – von ihrer Mutter zu trennen, auf einem Irrthum beruht? …

Armgart! Armgart! Ich beschwöre Sie, was geht in Ihnen vor? rief Benno …

Ich lebe – einem Gelübde! …

Himmel, kann denn irgendeine That Gott wohlgefällig sein, die Ihr Herz Gefahren aussetzt, für die keine, keine Himmelskrone Sie entschädigen wird?

Lästerung!

Wem wollen Sie Ihr Herz, Ihre Hand zum Opfer bringen? Warum, warum nur lieben Sie – Terschka?!

Kein Aufschrei Armgart's erfolgte … Alles blieb still … Lange, lange blieb es still … Terschka begriff nicht, warum beide plötzlich schwiegen …

Allmählich begann Benno zu sprechen … Er sprach so leise, daß Terschka nicht folgen konnte … Dem Schlüsselloch Ohr und Auge zuzuwenden wagte er nicht, ungewiß, ob die nebenan herrschende Stille nicht jede seiner Bewegungen verrathen könnte … Vor seiner Phantasie stand Benno in diesem Augenblick, als müßte er Armgart an beiden Händen halten, müßte ihr tief in die Augen blicken, müßte mit ruhiger Ergebung ihr die ganze Wahrheit seines Herzens enthüllen und ihr sagen: So sollst du hinschwinden, schöner Traum meines Lebens, und wer, wer konnte dich fesseln! Wer konnte dir werther sein, als ich! – –[367]

Die Worte, die Terschka allmählich dann unterschied, lauteten:

Armgart! Wenn irgendjemand die Stimmungen kennt, in denen man, wie wir so oft in den Gärten des Enneper Thals nach den schwellenden Früchten über uns nicht langten, ebenso auch sein Glück dahinziehen läßt unerstrebt, so bin ich es! … Aber bleiben Sie nur, Armgart! … Ich wurde schon ruhiger, seit ich wußte, daß auch ein Freund Sie liebt! … Denn wie wollen Sie es nennen, wofür die Sprache nur Ein Wort hat! … Sie erklärten vorhin dem Freund ohne Zweifel mit derselben Bestimmtheit, wie mir, daß Sie aus unserm Leben auszuscheiden wünschen und unsere Bewerbungen ferner nicht mögen … Nun denn! Ich nehme den Aschenbecher, wie er, der Fröhlichere – die Tasche für schnell verkohlende – Cigarren! … Wer Ihr Herz besitzt, ich sagte es vorhin … Herr von Terschka wird eine große gesellschaftliche Stellung einnehmen, wird Sie in das schöne Wien entführen, dort werden Ihnen Glück und Reichthum lächeln! … Fliegen Sie mit ihm zu Roß dahin in flatterndem Gewande! … Aber nehmen Sie ein Wort von mir zum Abschied! … Ich bin Ihnen nichts mehr und nun – nun bin ich mir noch weniger, als schon seit lange … Ihre Tante hat recht, mich wie einen Zigeunerknaben zu behandeln, den man nur aus Barmherzigkeit aufnimmt … Ich bin ein verflogener Vogel und passe für euere Käfige nicht … Doch ich werde Sie wiedersehen; das weiß ich … Wissen Sie, Armgart, daß ich auch Das sicher und fest weiß – daß ich Sie trotz Ihrer von unserm Glauben gebotenen Himmelskronen – ich weiß nicht warum! – unglücklich[368] finden werde? … Und Sie bejahen das –? … Aber auch Ihr rätselhaftes Martyrerthum wird Sie nicht befriedigen! Es gibt Naturen, die nicht aus Erdenstoff geschaffen scheinen und die dennoch mehr den Gesetzen der Erdenschwere unterliegen, als die gemeinen! Ihre Mutter schon rettete sich nur durch eine Flucht ganz aus der Welt heraus vor Gefahren, in die nun auch Sie sich begeben wollen; Ihre Mutter wird von Tausenden verurtheilt, ohne daß sie es verdient; sie wird verurtheilt und – sie leidet darunter … Auch Sie, Sie, Armgart – werden den Beifall der Menschen vergebens suchen, wenn Sie ihn nicht mehr finden können … Ich erschrecke vor Ihrer Zukunft!

Armgart erwiderte leise und sprach lange. Terschka konnte nichts verstehen, als daß sie nur vom Beifall Gottes und von ewiger Trennung sprach …

Endlich wurde alles still …

Die Thür ging … Noch hörte Terschka nur ein plötzliches, heftiges, aus tiefster Seele kommendes Schluchzen …

Armgart mußte allein sein … Ihr Weinen wurde zuletzt so heftig, daß es sein Innerstes durchschnitt …

Anfangs wollte er hinüberstürzen, sich ihr zu Füßen werfen, die Liebe, die wirklich nur ihm, ihm geweiht sein konnte, ablehnen, wollte die Wahrheit bekennen, daß er Priester wäre, ein gerade in ihren Augen todwürdiges Verbrechen begehen würde, schon an ihren Besitz auch nur zu denken – – Dann aber erschreckten ihn – erst die Thränen Armgart's … er konnte ihr Weinen nicht mehr hören … Er verlor die Besinnung … Leise schlich er auf den Zehen durch die Zimmer zurück, kam zum großen Speisesaal, öffnete die Thür, die in[369] den Corridor führte … Alles war still … Niemand wol hatte ihn beobachtet … Durch ein Fenster in den Hof blickend, entdeckte er Thiebold und Benno, wie beide schweigend, vernichtet, erstarrt zur Erde blickend zum Portal des Schlosses hinausgingen, wahrscheinlich um gemeinschaftlich nach Witoborn – und in ein neues Leben zurückzukehren …

Die Mittagsglocke läutete, die alles in dem kleinern Speisezimmer vereinigte …

Tischgenossen, die der Zufall brachte, gab es in dem gastfreien Hause genug …

Nun schon trat Armgart hinter Terschka hervor … Tief verweint waren zwar noch die Augen … Doch rang sie schon nach Unbefangenheit …

Herr von Terschka, sagte sie mit leiser Stimme, ich will Nachmittag nach Heiligenkreuz …

Der Wagen ist schon für die Damen bestellt! sagte er … Wie mußte er sich beherrschen, nicht ihre Hand zu ergreifen … Nicht in die Augen konnte er ihr sehen …

Es sind mir ihrer zu viel …

So bestell' ich zwei Wagen …

Ich will zu Fuß gehen …

Es wird Abend werden, ehe Sie fortkönnen …

So können – so können Sie mich ja – begleiten …

Damit stand Terschka allein …

Auf dies Wort »begleiten« kämpften Himmel und Hölle …

Terschka begriff vollkommen, was in Armgart vorging … Sie hatte ein Gelübde gethan, um den versöhnten Aeltern anzugehören. Sie glaubte: Er wäre ein[370] Hinderniß dieser Versöhnung –! Die Mutter wäre im Begriff, ihn zu lieben –! Deshalb – Deshalb –! Wie Glühstrom fiel es auf ihn: Deshalb reißt sie mich mit Gewalt von einer eingebildeten Liebe ihrer Mutter los und will mich selbst gewinnen – – – Die Möglichkeit, daß ein solcher Gedanke in ihr entstehen, dies Ertödten ihrer Neigung zu Benno möglich sein konnte, übersah er … Armgart war katholisch! …

Sollte er nun dies Wahngebild sich immer weiter ausbilden, immer verheerender im Herzen der lieblichen Jungfrau um sich greifen lassen? Um sich greifen lassen auf Grund einer Voraussetzung, die – das sah er ja beschämt – in Betreff Monika's eine völlig unbegründete war und auf Verwickelungen hinausführte, die nie zu lösen schienen –?

Im Abenddunkel sah seine Aufregung ihn mit Armgart allein dahinschreiten durch die Winterlandschaft …

Im Geist sah er Armgart neben sich, im Pelz die Hände bergend, deren eine er vielleicht, von seinem Glück überwältigt, verwegen ergriff beim Eintritt in den dichtern Tannenforst …

Im Geist hörte er, was sein Uebermuth, sein Leichtsinn ihr zu sagen wagen würde: Wie hab' ich Sie einst schon gesucht an jenem stürmischen Regentag, als die Jugend von Lindenwerth zur Villa in Drusenheim kam! Wie zog mich Ihre Flucht Ihnen nach! Den schnellsten Renner hätt' ich satteln lassen mögen vor Eifersucht, nur um der Dritte sein zu können unter denen, die in Ihrer Nähe weilen durften …

Dann sah er Eulen auffliegen, die den Schnee[371] von den Aesten verschütteten, auf denen sie gesessen … Rehe, Hirsche – Unthiere, sah er aufgescheucht vom Vortreiben zur morgenden großen Jagd, durch die Gebüsche brechen … Der Mond stieg am äußersten Rand des Horizontes empor … Ausmalen mußte er sich, wie er würde Abschied nehmen müssen an der Allee, die nach Heiligenkreuz führt, und wie er würde zurückkehren, wenn sein alter, gewohnter Lebensübermuth ihn übermannt hätte … Toll, toll würde er in die Nacht hinauslachen, bis – – plötzlich aus den Büschen an jedem Seitenwege ein Bote seines vergangenen Lebens träte – Jean Picard, sein Gespiele – Franz Bosbeck, sein Lebensretter – van Prinsteeren, der ihn einst zuerst aufs Pferd gehoben – jener Schweizersoldat, der ihn mit in die Alpen nahm – er hörte das Stampfen der Rosse in der Kaserne der Lanzenreiter zu Rom – sah die Benfratellen, wie sie ihn in das Spital an der Tiber trugen – dann hatten sie alle, alle Todtenhemden an und Larven über dem Antlitz; es war die Bruderschaft della Morte …

So noch fiebernd, so in Jesuitenart schwankend, so im zagenden Begriff zur Gesellschaft einzutreten, erschütterten ihn zwei Thatsachen, die dann noch zu gleicher Zeit auf ihn eindrangen …

Um ihn her war es plötzlich seltsam lebendig geworden …

Er sah, daß es die Anzeichen einer neuen Vision der Gräfin waren …

Er hörte, daß Stimmen des Erstaunens durcheinander gingen …

Er sah Bonaventura kommen … sah diesen von[372] Tante Benigna, von Onkel Levinus in hastigster Aufregung begrüßt, sah das Erbleichen des Domherrn, als ihm die Mittheilung wurde, daß Paula im Hochschlaf läge und von den schmerzlichsten Anschauungen gefoltert würde …

Zu gleicher Zeit bemerkte er aber auch auf dem Corridor, der zu seinen Zimmern führte, im weitesten Hintergrunde und grell von einem Sonnenstrahl beleuchtet – einen Mönch …

Ein Lebender war das, der da herkam, aber seine funkelnden Augen schienen zwei Flammen aus den Höhlen eines Todtenkopfs zu sein … Die Kiefern des Mundes bewegten sich … Sie lächelten ihm von weitem so freundlich, daß die Grübchen auf den Wangen sich ausfüllten wie mit Blumen unter Leichensteinen … Ein langes, weites, braunes Gewand hing wie über einem Skelet, das lässig, doch absichtsvoll daherschritt …

Herr von Terschka? riefen Diener im Hintergrund … Ist dort! sagten andere und schossen an ihm vorüber …

Ahnend stand Terschka an der Schwelle des Eintrittsaales am Weihebecken …

Der Mönch näherte sich …

Zugleich sprach voll Schrecken Bonaventura, der neben Terschka stand: Um Gott, was sieht sie? …

Eine Feuersbrunst! riefen mehrere Stimmen vom grünen Zimmer her …

Unter Terschka wankte der Boden …

Der Mönch kam näher und näher …

Voll Schmerz und Verzweiflung liegt sie! erzählte[373] man durcheinander … Sie sieht ein Hans in Flammen! Sie fürchtet zu verbrennen! Kommen Sie! Helfen Sie, Herr Domherr!

Aber auch der, der einst Terschka aus den Flammen gerettet, kam näher und doch schien der Corridor sich weit, endlos zu erstrecken bis zu den Corridoren und Kerkern – des Al Gesu in Rom …

Jetzt hielt der gespenstische Bruder einen Brief empor, der nur an Terschka gerichtet sein konnte, denn auf ihn, ihn blickte unverwandt das freundliche Nicken des Todtenhauptes …

Es ist das Schloß, das brennt! berichteten neue Stimmen und riefen Bonaventura, dessen Hand Onkel Levinus ergriffen hatte, als sollte er Hülfe bringen und Paula beruhigen …

Das ist Hubertus! sagte sich Terschka und an seinem Arm brannte das Mal in lichterlohem Feuer …

Bonaventura war aus dem Vorsaal in das grüne Zimmer getreten wie ein Hülfebringender, wie ein Rettender vor dem Tod in Feuersgluten, die er um sich her, seiner Ahnungen eingedenk, durch die Fenster hereinbrechen, rings das Gebälk ergreifen, eine Welt in Asche legen sah …

Und auch Terschka sollte folgen … Onkel Levinus erwartete es und harrte …

Doch der Mönch, was will – der Mönch? …

Bruder Hubertus! sagte Onkel Levinus, ihn erkennend und nach obwaltenden Umständen erfreut begrüßend. Sie kämen schon zurecht, um auch hier aus Flammen zu retten? Die Gräfin hat eine schwere Vision …[374]

Bruder Hubertus trat lächelnden Mitleids naher, verbeugte sich, zuckte die Achseln, als wisse er gegen solche Offenbarungen der Gottheit keine Hülfe, und übergab an Terschka, diesen immer mit seinen Augen wie verschlingend, den Brief, den er ihm schon so lange entgegenhielt …

Terschka ergriff den Brief … Das Siegel war geistlich – – noch kam es nicht aus Rom … Pater Maurus, der Provinzial der Franciscaner, schrieb ihm nur unter dem großen Siegel seines Klosters …

Terschka erbrach und las …

Jetzt zog ihn der Onkel, um das ihm wichtiger Scheinende in den Zimmern drinnen nicht länger zu versäumen …

Ich werde kommen! hauchte Terschka – gelblichbleich war er geworden wie der von der Wintersonne gefärbte Schnee auf den Feldern …

Noch einmal wandte er sich zu dem an der Thürschwelle harrenden und mit glühenden Augen ihn durchbohrenden Boten und sagte:

Ein Brief – für mich – schreibt Ihr Guardian wäre im Kloster angekommen – wissen Sie nicht – woher?

Mit einer Miene, die das seligste Gefühl ausdrücken sollte: Bist du denn, Mann mit dem mir so theuren Namen, mit der ahnungsvollen seltsamen Gestalt, bist du denn wol gar verwandt mit dem Kinde – oder selbst –? sprach dieser ein Wort, das dann für Terschka's Ohr erklang wie die Posaune des Weltgerichts:

Aus dem Kloster der Piaristen zu Maria Treu in Wien![375]

Terschka – verschwand jetzt … Nicht zusammenbrechend, nicht niedergeschmettert von einem Wort, das ihm lauten durfte: Deine Stunde ist abgelaufen! sondern wie mit einem Muth auf Leben und Tod … Er dachte an Armgart.

Der Mönch stand noch immer und sagte nur zu den Dienern staunend:

Wenzel von Terschka –!

Von den Vielbeschäftigten konnte dem Greise niemand Gehör geben.


Die Schlußkapitel dieses fünften Buchs erfolgen im Anfang des sechsten Bandes.[376]

Quelle:
Karl Gutzkow: Der Zauberer von Rom. Roman in neun Büchern, Band 6, Leipzig 1860.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Zauberer von Rom
Der Zauberer Von ROM (4); Roman in Neun Buchern
Der Zauberer Von ROM (5); Roman in Neun Buchern
Der Zauberer Von ROM (1); Roman in Neun Buchern
Der Zauberer Von ROM (9)
Der Zauberer Von ROM (3); Roman in Neun Buchern

Buchempfehlung

Klopstock, Friedrich Gottlieb

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Von einem Felsgipfel im Teutoburger Wald im Jahre 9 n.Chr. beobachten Barden die entscheidende Schlacht, in der Arminius der Cheruskerfürst das römische Heer vernichtet. Klopstock schrieb dieses - für ihn bezeichnende - vaterländische Weihespiel in den Jahren 1766 und 1767 in Kopenhagen, wo ihm der dänische König eine Pension gewährt hatte.

76 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon