11.

[340] Die erste Begegnung mit dem damals schon dreißigjährigen Grafen Hugo fand in Bruck an der Leitha statt, wo dieser in Garnison stand.

Wir schildern sie nicht, da sie sich schon aus allem entnehmen läßt, was wir von Terschka's persönlichen Talenten und aus den Erinnerungen der Gräfin Erdmuthe wissen.

»Das ist ja ein Jesuit!« hatte der edlen Frau sofort bei der ersten Bekanntschaft mit diesem neuen Freunde ihres Sohnes eine innere ahnungsvolle Stimme gerufen. Ein Beweis auch zugleich, daß Terschka damals noch ganz die Weise des Paters Stanislaus hatte.

Damals war Terschka noch höflich bis zum Unterwürfigen, zart bis zum Süßen. Er sprach und hörte zugleich auf das, was neben ihm von andern gesprochen wurde, und billigte es zwischen seine eigene Rede hinein, wenn er sie auch doch inzwischen fortsetzte. Er vertheidigte nichts, was irgendjemand unangenehm berühren konnte. Er sprach von seiner Jugend mit einem verklärten Blick gen Himmel und folgte der Phantasie der Gräfin bis auf die Anfänge[341] der Hussiten, bis auf die Trommel aus Ziska's Haut, bis auf den Kelch in der Fahne der Utraquisten – all diese Vielseitigkeit und Nachgiebigkeit lernt sich aus der Kunst der »Prolusio«. Geistig war er so biegsam, wie er nun auch wiederum körperlich werden konnte. Seine Reitkunst war die magische Kraft, die bald den jungen Offizier und dessen Kameraden an den päpstlichen Rittmeister außer Diensten fesselte.

Nach einem halben Jahr empfand Terschka wol die vielen Bedenklichkeiten, die sich aus dieser Verbindung – für seine Gelübde ergaben. Ueberhaupt welches war das Ziel, auf das er zusteuern sollte? Der Graf hing sich an ihn mit der ganzen Innigkeit, die jungen Männern in jener Zeit eigen ist, wo hunderterlei Vorkommnisse ihrer fröhlichen Lebenslust Rath, Beistand, bald Schmeichler, bald Warner bedürfen. Bald schon konnte Graf Hugo nichts mehr ohne Terschka unternehmen. Terschka wurde der Vertraute aller seiner Liebes-, Ehren- und Geldhändel. Terschka's Klugheit, seine im Grunde schüchterne und maßhaltende Denkweise, seine Lebenserfahrung gaben in allen Lagen die Aushülfe. Dann sich aber dabei selbst freihalten von den Einflüssen eines solchen Umgangs, vermochte der Genosse nicht länger. Es gab Spiel- und Trinkgelage, Abenteuer, wie sie Boccaccio geschildert hat: wie sollte der Priester sich verhalten? Er bat seinen Vorstand in Rom um eine Beruhigung seines Gewissens.

Aus allem, was er erfuhr, trat ihm klar entgegen, daß ihn die oberste Ordensgewalt aller Rücksichten und Pflichten des Gewissens entband. Der Rittmeister Wenzel[342] von Terschka sollte mit dem Grafen Hugo von Salem-Camphausen zwar nicht ganz nach den Worten des Mephisto verfahren:


»Umgaukelt ihn mit süßen Traumgestalten!

Versenkt ihn in ein Meer des Wahns!« –


sollte ihn nicht absichtlich in die Verderbniß locken, damit er auf der letzten Stufe des erklommenen Tempels der Freude niedersinke mit erschöpfter Kraft und Terschka in der Gewalt hatte, dann das eroberte Opfer dem Schoos der Kirche zuzuführen (oft hatte die Kirche diesen Triumph erlebt) – aber begleiten durfte ihn Pater Stanislaus auf Tritt und Schritt, durfte leben wie er, lieben wie er; nur die Heiligung des Mittels durch den Zweck durfte nicht fehlen. Mitten in diesem Taumel sollten die Ruhepunkte, die schon für den Grafen zuweilen eintraten, dann und wann für harmlose Erweckungen benutzt werden; Erweckungen, die jedoch nur gelegentlich, ganz nur wie zufällig und absichtslos einzustreuen waren … So wenigstens beschied man ihn …

Wie jedoch der menschliche Geist einmal ist, so kann er, wenn auch noch so geschult, niemals für sich gutsagen, wo ihm das Glück der freien Bewegung zu Theil wird. Terschka lebte mit dem Grafen Hugo bald nicht mehr wie der ihn Dirigirende, sondern wie der von seinem Zögling Dirigirte. Vollkommen hatte er mit der Zeit verstanden, was er sollte; er hatte Winke und Anweisungen erhalten, die in zweifelhaften Fällen sogar eher das Schlimme, als das Gute zu wählen anriethen und so war er dem natürlichen Zuge seines fast gleichalterigen Freundes gefolgt, ergab sich ihm mit voller Anhänglichkeit, liebte ihn und[343] ließ sich von ihm beherrschen, statt daß er ihn beherrschte. Die Berichte, die er nach Rom einsandte, wurden unwahr. Terschka gab Zusicherungen über Richtungen des Gemüthes, in die sein Zögling verfallen wäre, die jeder Begründung entbehrten. Nun kam die Furcht der Obern, der junge Graf könnte in solcher Stimmung wol gar in die ascetische Richtung seiner Mutter verfallen. Kannte man auch ohne Zweifel im al Gesù das deutsche Sprichwort: »Der Weg nach Rom geht über Herrnhut!« so würde doch die ganze Bemühung verfehlt gewesen sein, wenn der Graf sich zuletzt in die Leitung seiner Mutter begeben und deren separatistische Entschiedenheit angenommen hätte. Demnach ertheilte man die Zustimmung zu dem Bedenken, ob Terschka die Kraft des weiblichen Princips, das den Grafen in leichterer Weise beherrschen konnte, verstärkte. Damals war ein eigentümlicher Collisionsfall im Leben des vornehmen Cavaliers eingetreten. Jene Angiolina, die er in der dalmatinischen Stadt Zara bei einer Kunstreitergesellschaft gesehen hatte, war von ihm in einem gemüthlichen Zuge seines Wesens, das von plötzlichen Einfällen beherrscht wurde, vor acht Jahren ihrer Truppe abgekauft und in eine Pension gegeben worden. Das elfjährige, bildschöne Mädchen hatte er dann und wann wiedergesehen, stets mit einer mächtigen Erregung seines Gefühls. Immer überraschender, immer reicher entfaltete sich die Bildung Angiolina's. Einmal gab er sie weit fort aus seiner Nähe, nur um sich nicht hinreißen zu lassen und nicht seinem Gefühl zu folgen. Die Neigung Angiolina's für ihren Wohlthäter war die gleiche. Auch sie floh die[344] Bestrickung ihres Herzens, wenn der schöne junge Mann im glänzenden Harnisch vor ihr stand, das sonst so feurige Auge in milder Dämpfung auf sie niedersenkend. Einige Jahre lang währte dieser Kampf. Terschka wurde der Vertraute. Er nahm zuletzt Partei für den Gedanken, ein so reines Bild nicht zu zerstören. Graf Hugo hegte ihn selbst und litt doch darunter. Oft warf er sich dem Freunde an die Brust und rief: Ich kann nicht ohne sie leben! Von Rom kam eine dunkle Weisung, die fast an das Wort der Schrift erinnerte, daß ein Sünder dem Himmel lieber wäre, als zehn Gerechte …

Pater Stanislaus sah das Maß der künftigen Reue sich mehren, wenn Verhältnisse eintraten, die nicht auf die Dauer so bleiben konnten. Die »Prolusio« malte es ihm aus: Endlich verläßt doch ein so vornehmer Herr seine Geliebte wieder – vielleicht war es eine Verbindung wie die Ehe – die Gräfin Paula verlangt nicht nur ihre standesmäßige, sondern die volle, auch sittliche Höhe ihrer Rechte als Gattin – der im stillen gedemüthigte Gatte wird schwächer und schwächer und muß der Gattin zuletzt – ein Opfer bringen, jenes, das, wenn auch stumm, die Gattin und die Kirche verlangen … Aqua Toffana das der Jesuitenmoral! Gift aus einer nur zu vollkommenen Kenntniß unserer Natur gezogen! Wo ist da noch Sünde, wenn das Leben des einzelnen nur ein Theil einer großen Maschine wird, die wiederum nicht ein einzelner dirigier, sondern ein großes Ganzes, das Anfang, Mitte und Ende immer zugleich im Auge hat! Damit die Olive das klare, fließende Oel wird, muß nicht nur ihre saftige Hülle, auch ihr Kern zerstampft,[345] auf der Mühle zermalmt werden; was kümmert dich die zerstörte schöne Frucht, wenn aus ihr ein Höheres hervorgeht, das der Einzelne, haftend an der flüchtigen, wenn auch schönen Erscheinung, gar nicht ahnen kann? Und es gibt eine Linie, die, trotzdem daß sie nur Einem Pole zustrebt, doch schwankend ist wie die Magnetnadel, die Grenze zwischen »Gut« und »Böse«. Die Uebergänge sind oft schroff; ganz deutlich unterscheidet sich das Oel vom Wasser; aber ebenso oft auch rinnen sie ineinander und das schwache Herz, der Sünde schon verfallen, glaubt immer noch unter der Herrschaft reiner und gerechtfertigter Instincte zu stehen! Shakspeare sah die Jesuiten erst entstehen. Sein Richard III., der im Stande war ein Weib am Sarge ihres ermordeten Gatten für sich zu gewinnen, hatte jenen Basiliskenblick, der erstarren macht und jede moralische Entschlußnahme tödtet. Klingsohr, der, eben von der Leiche seines Vaters kommend, in einer dunkeln Nachtstunde von einer wild tyrannischen, imponirend dämonischen, seinen Idealen vom alten Feudalgeist des Mittelalters entsprechenden Natur überredet wird, sie zu schonen – da gehen die schwindelnden Wege im Nachtleben des menschlichen Gemüthes, die niemand sicherer zu wandeln weiß über Dorn und Klippe, fest an der Hand haltend den, den sie führen, als die Jesuiten … Wie sollst du dich dem Menschen nahen? Der Orden sagt: Ut si non bene ei succedant negotia!1 Oder: Etiam optima commoditas est in ipsis[346] vitiis!2 Was hier zunächst nur vom Gewinn des Gemüths für die Gottseligkeit überhaupt gesagt worden ist, wurde es auch von jedem Gewinn für die Kirche selbst.

So lebte Terschka seit einer Reihe von Jahren als täglicher Begleiter, Secretär, Geschäftsführer seines wirklich von ihm geliebten Freundes, des Grafen Hugo von Salem-Camphausen. Sorglos durfte er auf alles eingehen, was zu dessen Lebensverhältnissen gehörte. Er durfte die Mutter des Grafen auf Schloß Salem und in Castellungo besuchen. Er durfte sich dem großen Proceß widmen, durfte reisen im Interesse desselben, durfte die Anhänglichkeit an seinen Freund ohne jeden Eigennutz zur Schau tragen. Der Orden rechnete nicht auf das fünf- oder sechsunddreißigste Lebensjahr des Grafen, er begnügte sich mit einem Schritt, den dieser vielleicht erst in seinem sechzigsten, siebzigsten that. Die Stunden kommen dann schon, wo ein alter Podagrist verdrießlich über die Welt wettert, die jung bleibt, während ihm selbst die Zeit das Haar gebleicht; die Stunden, wo man an einem kalten Winterabend bei Schneegestöber im warmen Zimmer sitzt, Anekdoten von der Vergangenheit durchspricht, die nicht mehr zünden wollen, und dann sagt: Terschka, Terschka, ich fange doch manchmal an zu moralisiren: was ist nun wol das Leben! Und dann zuckt ein solcher mit ihm altgewordener, nun auch weißhaariger Freund, der das Gnadenbrot des Protectors ißt, die Achseln, spricht mit feinem Lächeln von der Ruhe, die ihm denn doch zuletzt[347] sein Glaube gewähre, und hat einen Kreis von alten Chorherren, von alten devoten Damen, wo er seine Abende behaglich zubringt und auf die der alte Freund eifersüchtig wird. Nun einmal das schon kühnere Wort hingeworfen: Wenn man denn doch einmal positive Dinge glauben will, lieber Graf, so soll man es auch ganz; lieber alles oder gar nichts! Und das wird dann oft entscheidend … Daraufhin schrieb einst die Gräfin Erdmuthe aus Castellungo, daß Lady Elliot sie besucht hätte und voll Verzweiflung aus Rom gekommen wäre: vierzehn Engländer hätten zu gleicher Zeit in der Katakombe San-Calisto das Abendmahl nach katholischem Ritus genommen – eben auch deshalb: »Will man einmal positive Dinge glauben, dann auch gleich ganz; sonst lieber gar nichts!«

Terschka genoß das wiener Leben wie dafür geboren und erzogen. Er war der Matador der Gesellschaft und heiterer, als Graf Hugo, der mit den Jahren trübsinnig, nachdenklich und nur noch stoßweise von seinem alten Humor erheitert wurde. Terschka hatte seine Rolle nicht vergessen, aber sie erschreckte ihn eher wie die Mahnung an ein leicht herauskommendes Verbrechen, an dem er betheiligt war, als wie an eine ernste und ihm werthe Pflicht. Er konnte erbeben vor einem Brief mit geistlichem Siegel. Oft war es ihm in Abendstunden, wenn er über die Plätze Wien's eilte, als wenn in den dunkeln Schatten ihm eine verhüllte Person folgte. Die ganze Kette seines Lebens bis zu seinen ersten Anfängen lag dann vor ihm. Gedenke deines Mals am linken Arm! rief ihm einst Nachts im Novembersturm eine[348] Stimme an der uralten Kirche Maria zur Stiegen … Es war eine Gaukelei seiner erhitzten Phantasie. Er kam von Angiolina, wo es glückliche, unterhaltende Abendstunden gab … Dann stürzte er in den Beichtstuhl der Piaristen zu Maria-Treu, auf den er von Rom aus angewiesen war … Kehrte er von der Josephstadt ins Innere Wiens zurück, so war es ihm oft, als müßte ihm aus einem der Fiaker, die an einsamer Stelle hielten, unterm lachenden Sonnenschein ein Unbekannter plötzlich winken, ihn zum Einsteigen auffodern und ihn mit sich zurücknehmen geradeswegs nach Italien in die unterirdischen Kerker, die es im al Gesù gab … Oft auch wünschte er's, wenn sein Gewissen zu heftig zu schlagen, seine Furcht zu heftig ihn zu erschüttern begann.

Für Terschka war der geistliche Stand nur das gewesen, was Andern die Schul-, Gymnasial- und Universitätsbildung überhaupt. Nur durch Sklaverei hatte er zu einer schöneren Freiheit gelangen können. Aber die Kette ließ ihn nicht. Er zog sie überall hinter sich. Er zog sie mit den Jahren schwerer und schwerer, unmuthiger und unmuthiger. Durch die ihm gestattete Freiheit trat er in eine lebhafte Welt der Discussion ein. Das war damals ein Geist der Freiheit, der Opposition gegen die Herrschaft des allmächtigen Staatskanzlers, eine Lust am Verbotenen und Versagten bis in die höchsten Kreise hinauf, ja bis in die der Unterdrücker selbst, die heimlich mit dem liebäugelten, was sie öffentlich verfolgten. Wie konnte er gegen die Mode des Tags Einspruch thun? Er scherzte mit den andern, lachte mit den Spöttern, vertheidigte[349] nichts, was zumal, wär' es gerade von ihm festgehalten worden, über seine wahre Lebensstellung hätte Verdacht erwecken können. Doch nicht ungestraft wandelst du unter den Palmen! Du lernst die süße Luft der Freiheit lieb gewinnen! Die erquickenden Schatten laden dich zum traulichen Hüttenbauen ein! … Terschka kämpfte mit sich, ob er die Fessel, die ihn hielt, nicht einst brechen, seinem Freund und der von ihm hochverehrten ehrwürdigen Mutter desselben ganz und für immer sich offenbaren sollte.

Die Bekanntschaft der »Frau in silbernen Locken« vermehrte bis zur Unwiderstehlichkeit in seiner Brust den Drang, diesen Entschluß zu ergreifen. Die Liebe als reine, geläuterte Flamme des Herzens kannte er nicht. Er war ein Wildling gewesen, ein Wanderer der Heide, ein Gaukler, ein Zigeuner. Je schreckhafter er auf das zurückblickte, was er einst war, je gewissensbanger er an seine unwiderruflichen Gelübde dachte, desto ungestümer wuchs sein Verlangen, in allem und jedem das reinigende Feuer der Bildung auf sich wirken zu lassen und die Schlacken der Seele von sich zu werfen. Gerade Monika's religiöser Freimuth durfte ihn fesseln. Frauen von Geist und Grazie kannte er genug, Allen war er werth; seine immer gleiche Weise war jeder weiblichen Natur willkommen, besonders da, wo sie im Mann vorzugsweise nur einen Ableiter ihrer Laune zu haben wünscht. Monika's Geist aber war positiv. Sie hatte Ueberzeugungen und konnte Partei ergreifen. Die Menschen sind so dumm, so dumm! Mit einem Zorn konnte sie das ausrufen, daß ihre Augen Funken sprühten.[350] Terschka hatte nur immer zu beruhigen und in die Bahn des Hergebrachten zu lenken. »Sie sind der ewige Leimer und Versöhner!« sagte sie dann wol. »Sie vermählen den Großtürken mit der Republik Venedig! Was wäre die Welt geworden, hätte es nicht Frauen von Gesinnung gegeben! Perikles lernte Reden erst halten von Aspasien! Die Kraft der Römer lag in ihren Gattinnen und Müttern! Die Frauen haben das Mittelalter vor dem Uebermaß der Barbarei bewahrt! An jeden großen Namen des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts knüpft sich eine Frau, die für ihn kämpfte, mit ihm litt, seinen wankenden Muth befeuerte! Napoleon herrschte noch heute, wenn er einer Frau von Geist, vielleicht der Staël, die ihn liebte – sie haßte ihn wenigstens nur aus Liebe – hätte vergeben können, daß sie häßlich war!« Graf Hugo sagte eines Tages in seiner trockenen und einfachen Art: »Das vergibt sich schon, meine gnädige Frau, wenn man nur eine solche häßliche Frau nicht dann auch sogleich wiederlieben soll!« Die Mutter fand den Beruf der Frauen für große Eingriffe ins Leben vollkommen bewiesen durch die Schrift. Sie pries nicht die immerhin etwas zweideutige That der Judith, wol aber die der Deborah, die alles Volk zum Kampfe wider Sissera auffoderte, ja jene Jaël sogar, die dem Sissera, als er schlief, einen Nagel durch den Kopf trieb; nur hätten diese Frauen alle dabei Gott die Ehre gegeben, was man von den atheistischen Gönnerinnen der »Herren Rousseau und Voltaire« nicht sagen könne. »Chère maman«, sagte Graf Hugo scherzend und voll Artigkeit den Dampf seiner Cigarre zum[351] offen stehenden Fenster hinausblasend, »il y en a encore beaucoup de femmes, die uns den Kopf – ›vernageln‹! Mais, chère maman, – sie müssen hübsch sein!« Terschka vermittelte und kam auf Napoleon zurück, auf Josephine Beauharnais, auf die Liebe eines einfachen und rein – weiblichen Weibes – »Pah«, sagte Monika, »Josephine Beauharnais war empfindlerisch und verstand sich nur in türkische Shawls zu drapiren!«

Hätte Terschka, den Schwur vergessend, der ihn gefangen hielt, die Liebe Monika's gewinnen können, er würde sich zu allem entschlossen haben, was zur vollständigen Erreichung seines Glücks gehört hätte. Traten Beide zur Confession der Gräfin Erdmuthe, ihrer Gönnerin, über, so war ihre Verbindung möglich. Aber Monika vermied seine Bewerbung. Sie verstand sie nicht oder gab sich den Schein, sie nicht zu verstehen. Sie wich den Beweisen seiner Gefälligkeit aus. Es gab etwas, was sie von ihm zurückschreckte. Nur die stete Rückkehr der Gräfin auf ein gewisses, wenn auch nur angedeutetes und erst kurz wieder vor ihrer Reise nach England offen behandeltes Kapitel fing an sie zu beunruhigen. Sie floh vor einer Aufregung ihres Innern, die ihr unheimlich wurde; sie floh der Gefahr entgegen, Armgart in die Gewalt ihres aus Amerika zurückgekehrten Gatten übergeben zu sehen. Terschka folgte. Er folgte sogar in der Absicht, Kocher am Fall zu besuchen. Er wollte diesen vielbesprochenen, noch in räthselhafte Nebel und Schleier gehüllten Ulrich von Hülleshoven kennen lernen. Aber die Erbschaftsfrage rief ihn zu bald nach Witoborn. Hier lebte er jetzt seit einem[352] halben Jahre, in dem ganzen, äußerlich mit bewunderungswürdiger Virtuosität verdeckten Zwiespalt seines zerrissenen Innern, in der steten Angst vor einer Mahnung aus Rom, im Kampf mit Entschließungen, die dann für ein ganzes Leben gelten mußten. Und wie war er jetzt so nahe gerückt allen maßgebenden Momenten seiner Vergangenheit; seiner nächsten in der außerordentlichen Katholicität der Gegend – seiner entferntesten in den plötzlichen Entdeckungen, die er über den Laienbruder Hubertus machen mußte! …

Hatte er eine Ahnung, daß sich ihm bald die mächtige Hand, der er nimmermehr glauben durfte entronnen zu sein, mit Riesenkraft nahen würde, so sollte sie sich in der That erfüllen …

Er verbrachte eine schlaflose Nacht …

Am folgenden Morgen begann er seine gewöhnliche Thätigkeit. Er klopfte an die Thür des Onkels Levinus, plauderte und rauchte mit ihm, ließ sich von seinen alten Zauberbüchern, an die der Onkel nicht glaubte und die er dennoch mit hoher Andacht studirte, von seinen chemischen Präparaten erzählen, scherzte sogar über einen Homunculus, den der Onkel am Ende doch noch in der Retorte als seinen Erben und Fortpflanzer des Namens Hülleshoven hinterlassen würde … er war dann einige Stunden im Rentamt, begrüßte die Damen nach der Toilettenzeit, begegnete auch schon wieder im Schlosse Thiebold, der wegen des inzwischen schon auf morgen angesetzten großen Jagdfestes gekommen war und mancherlei über seinen Ankauf zu besprechen hatte, später begegnete er Benno, der den Nicht-Einladungen der Tante zum Trotz doch ab und zu plötzlich auf dem[353] Schlosse erschien, da auch für ihn im Schreibamt des untern Geschosses Veranlassung zu Nachfragen genug gegeben war … Allen diesen Begegnungen zeigte Terschka seine gewohnte heitere und zuvorkommende Art und doch war sein Inneres in rätselhafter Unruhe …

Armgart, bleich und angegriffen, begegnete ihm wieder mit der Postmappe und ließ ihn selbst seine Briefe suchen …

Wiederum war ein Brief von ihrer Mutter darunter. Doch war das Couvert nicht mit ihrer Handschrift geschrieben. Der Poststempel zeigte auf einen Ort, der nur noch wenige Meilen entfernt war …

Als wenn Armgart die richtige Ahnung hätte, daß dieser Brief, den Terschka befremdet an sich nahm und betrachtete, die Ankunft der Mutter verdecken sollte, fixirte sie den Empfänger …

Oeffnen Sie ihn doch! sagte sie mit Bestimmtheit. Es ist doch wol nur ein Brief von meiner Mutter – nicht wahr?

Wie kommen Sie darauf? Sie sehen, die Handschrift –

Und jetzt freilich las Terschka am wenigsten …

Ich weiß alles! sagte sie und warf die Mappe auf einen Tisch, der in der Nähe stand, und eilte davon …

Terschka stand bestürzt. Ein Diener, der des Weges kam, hob einige herausgefallene Briefe und Zeitungen auf und trug die Mappe auf Terschka's Geheiß zum Onkel Levinus …

Auf seinem Zimmer sah Terschka, daß Armgart recht hatte. Monika war in einer der nahe gelegenen kleinen Städte angekommen und deutete an, daß sie hoffte, in kurzem auf Westerhof zu sein. Sie machte Terschka nicht zum[354] Vertrauten ihrer Absichten. Sie schrieb ihm nur um einer Einlage der Gräfin willen, die diese ihr mit besonderm Couvert abzusenden aufgetragen hatte; es war eine unbedeutende Sache, in der die Gräfin schrieb – sie wollte eben nur Monika zwingen, mit Terschka in Verbindung zu bleiben; sie war in ihrer Art eine ebenso fanatische Proselytenmacherin, wie die Jesuiten auch. Monika's Begleitschreiben wich allem aus, was ihr Terschka über das nächste Geschäftliche hinausgeschrieben hatte, ja es war förmlich …

Terschka ging im Zimmer auf und nieder. Er verbarg den Brief und sagte sich: Vergebens! Vergebens! Diese Hoffnung erfüllt sich nicht! Das ist ein Traum gewesen, der nur in meiner Phantasie gelebt hat! Dahin ziehen dich deine Sterne nicht! …

Nun mußte ihn Armgart's Wesen befremden. Er hatte ihm anfangs nicht viel nachgedacht. Seit einigen Tagen bildeten sich ihm in seinem Innern Gedankenreihen darüber. Liebt dich denn wol gar dies seltsame Mädchen? sagte er sich schon seit längerer Zeit. Sie wollte von ihm reiten lernen. Er hatte damit auch begonnen und sich überzeugt, welche Geister sich in ihrem Innern befanden – gebunden und wie entfesselbar! Heute war ihr Benehmen wieder zu auffallend gewesen … Es flammte und brauste in seinem Innern … So kalt die Luft ging, er mußte das Fenster aufreißen … Träume, Wahngebilde der berauschendsten Möglichkeiten umgaukelten ihn …

Da klopfte es an sein Zimmer und Benno war es, der nur flüchtig hereinschaute …[355]

Bester Baron, sagte er mit dem ihm eigenen ironischen Lächeln, das seine Lippen vorzugsweise Terschka gegenüber umzog; wissen Sie schon, das Obertribunal hat gestattet, daß Nück's Verlangen, noch einmal die Archive von Westerhof in Ihrer und meiner Gegenwart untersuchen und nach seiner verdammten Urkunde kramen zu dürfen, genehmigt wird! Herr von Hülleshoven hat dafür den nächsten Montag bestimmt. Ist es wol da auch Ihnen genehm?

Auf sein: Mit Freuden, Herr von Asselyn! war Benno schon verschwunden …

Es lag in Terschka's Charakter, nicht zurückzubleiben, sondern trotz der größten Aufregung einem Besuche zu folgen und ihm die Begleitung zu geben. An die Cadenz der Höflichkeit, die in der Jesuitenerziehung gelehrt wird, war er gewohnt …

Wie er hinaustrat, war Benno auf einer der kleinen Lauftreppen verschwunden …

Nun aber sah er am entferntesten Ende des Corridors eine seltsame Gruppe …

Dort stand Armgart und reichte eben Thiebold de Jonge die Hand …

Thiebold küßte diese Hand und sie ließ es geschehen …

Fast schien es, als hätte Thiebold auch einen bunten Gegenstand, den er in Händen hielt, mit Küssen bedeckt …

Armgart schien sogar zu weinen … Darauf deutete ein Taschentuch in ihrer Hand …

Schweigend standen beide eine Weile in sich verloren; dann raffte sich Armgart auf, winkte mit der Hand ein Lebewohl und verschwand …[356]

Thiebold sah ihr lange nach, zog jetzt gleichfalls sein Taschentuch, trocknete sich – halb die Augen, halb trotz der Kälte, wie im heißesten Sommer, die Stirn und wandte sich, ohne aufzublicken, gleichfalls einer der Lauftreppen zu, die aus dem ersten Stock ins Erdgeschoß führten …

Was ist das nur? sagte sich Terschka und schritt weiter, als müßte er Armgart anreden …

Denn schon, schon faßten ihn die Geister der Versuchung. Eben noch hatten ihn die wenigen Worte Benno's über die Urkunde mit furchtbarer Macht an den Augenblick erinnert, wo sein General vor ihm stand und ihm sagte: Fände sich die Urkunde, die für die Antretung der Erbschaft unsere Religion bedingt, so würde sich das ganze Verhältniß ändern, die Gräfin würde durch einen Familienpact den Grafen Hugo heirathen müssen und die Aufgabe für uns würde eine leichtere werden! Man riefe ihn dann vielleicht – nach Rom zurück …

Aber dieser wie Donnerton auf ihn einbrechenden Gedankenreihe konnte er nicht volles Gehör schenken, die Mittelstufen derselben wankten, Seligkeit und Qual rangen wie im Titanenkampf … Es zog ihn vorwärts und vorwärts … Was sollte dieser Abschied von dem jungen Thiebold sagen? Warum nur stand vor ihm der liebliche Engel so seltsam bewegt? … Wie verklärt diese Augen! Wie ganz dem Bild ihrer Mutter gleichend! Sie aber noch die wirkliche Jugend, das wirklich blühende Leben – kein Silberschnee des Haares, der die Jugend Lügen strafte … Und Terschka's Abenteurernatur wurde entfesselter. Losgebunden regte sich die Seele des Emporkömmlings,[357] der sich an alles hält, was ihn erheben und fortreißen kann. Eine der Krallen des apokalyptischen Thieres nach der andern, der »Probabilismus« und die siebenköpfige jesuitische Moral des: »Besser ist besser!« packte ihn in furchtbarster Gewalt … Taumelnd folgte er …

Er kam an das Ende des Ganges, der, da das Schloß im Geviert gebaut war, hier nur der Anfang eines im rechten Winkel sich einsetzenden neuen war … Hier sah er, daß Armgart ein in den Hof gehendes Fenster geöffnet hatte und hinunterwinkte …

Dem ihm zunächstliegenden Fenster sein Auge zuwendend sah er, daß es nun auch Benno war, den sie mit schwacher, erstickter Stimme anrief …

Benno unten verstand sie nicht sofort …

Nun winkte sie ihm heraufzukommen …

Benno eilte auf die erste der kleinen Treppen, die in den Hof gingen …

Terschka zog sich zurück …

Offenbar, sagte er sich, hat sie mit de Jonge eben eine Scene gehabt, die sie mit Asselyn ganz ebenso wiederholen will …

Schon war Benno oben, schon hatte er dessen zwar leicht, aber doch ohne Zweifel tieferbebend Armgart dargebrachten Morgengruß vernommen … Armgart erwiderte nichts … Terschka hörte nur das Klappen einer Thür …

Er trat dann wieder vor … Armgart und Benno waren verschwunden …

Das Zimmer, in das sie hatten gehen müssen, kannte er. Es war dasselbe, in dem neulich Bonaventura seine Mutter wiedergesehen. Nichts hielt ihn,[358] am wenigsten die Moral seiner Bildung und Erziehung, zu versuchen, das Gespräch Benno's und Armgart's zu belauschen …

Die Schlüssel der Zimmer standen ihm zu Gebote. Mit wenig Sprüngen war er beim Onkel Levinus, schützte das Interesse an einem alten Stammbaum vor, der in einem großen Speisesaal hing, nahm die Schlüssel von der Wand, schloß etwa fünf bis sechs Thüren entfernt von der, hinter welcher jenes Gespräch stattfand, einen Saal auf, schloß wieder hinter sich zu und ging vorsichtig und langsam durch die entweder offen stehenden oder nur leise aufzuklinkenden Verbindungsthüren hindurch bis zu dem Nebenzimmer des Fremdenstübchens …

Auch dort trennte ihn von dem Gespräch nur eine Thür, an die er sein Ohr legte …

Es war kalt und schauerlich still in allen diesen alterthümlichen Räumen, von denen einige mit großer Pracht ausgestattet waren …

Ihn kümmerte nichts … Er horchte nur …

1

Wenn es ihm in seiner äußeren Lage gerade schlecht geht.

2

Auch aus den Schlechtigkeiten selbst heraus entwickelt sich manchmal ein guter Anlaß zur Bekehrung.

Quelle:
Karl Gutzkow: Der Zauberer von Rom. Roman in neun Büchern, Band 5, Leipzig 1859, S. 340-359.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Zauberer von Rom
Der Zauberer Von ROM (4); Roman in Neun Buchern
Der Zauberer Von ROM (5); Roman in Neun Buchern
Der Zauberer Von ROM (1); Roman in Neun Buchern
Der Zauberer Von ROM (9)
Der Zauberer Von ROM (3); Roman in Neun Buchern

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Flucht in die Finsternis

Flucht in die Finsternis

Robert ist krank und hält seinen gesunden Bruder für wahnsinnig. Die tragische Geschichte um Geisteskrankheit und Tod entstand 1917 unter dem Titel »Wahn« und trägt autobiografische Züge, die das schwierige Verhältnis Schnitzlers zu seinem Bruder Julius reflektieren. »Einer von uns beiden mußte ins Dunkel.«

74 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon