10.

[317] Fünf Jahre vergingen dann … Terschka zählte schon dreißig, als er Profeß der drei Gelübde wurde, der Armuth, der Keuschheit, des Gehorsams. Nun wurde er Priester aller Weihen. Zwei Jahre später, kurz nach der Julirevolution, legte er das vierte Gelübde ab, Gehorsam dem Heiligen Vater, unbedingtes Sichverwendenlassen für jeden ihm auferlegten Zweck. So stand er auf dem Gipfel seiner Wünsche.

Und keineswegs war er unbefriedigt. Der Autodidakt liebt sein Wissen, das er sich mühsam errungen hat. Er liebt es mit mehr Begeisterung, als ein von früher Jugend an dafür Geschulter. Und welche Bewährungen gab es nicht! Dienen mußte er unausgesetzt, knechtisch dienen, aber zugleich konnte er nach andern Richtungen hin oft auch schon souverän befehlen … Jede Stufe der Unterwerfung mehr auf der einen Leiter gab auch zugleich auf einer andern eine Stufe der Erhöhung. Er besuchte die Hörsäle der wenige Schritte vom Collegium entfernt liegenden Universität. Hier, wo Hebräisch und Physik nicht nur in demselben Auditorium, sondern oft auch von demselben Lehrer[318] vorgetragen wird, legte er den Grund zu einer Fülle von Thatsachen, die sein Inneres mächtig hoben. Und diese Erweckung, diese stete Gegenständlichkeit und Bewußtheit des Denkens! Schon die Anleitung zu den »Vorspielen« des Geistes oder zur »Erleuchtung«! … Bonaventura kannte sie, diese Künste der »geistigen Lesung« und der »Vorspiele«! …

Eine Betrachtung z.B. über das Verjagen der Wechsler aus dem Tempel mußte so geordnet sein:

Erst ist der einfache Stoff zu lesen; dann schlägt im Collegium plötzlich eine Glocke – mit dem ersten Schlag derselben stellt man sich rasch einige Schritte vom Betpult entfernt, denkt sich Gott und die Heiligen unmittelbar gegenwärtig, fällt auf die Knie, küßt die Erde und beginnt die lebendigste Phantasievorspiegelung eines Tempels, eines erhabenen Baues mit Säulen, mit einer, wie beim Pantheon halb eingebauten, halb in der Vorhalle aufgeschlagenen Reihe von Buden … Das Geld klimpert, die Wechsler, wie sie nur auf der Via Condotti oder auf dem Corso stehen mit ihren Napoleond'ors und Papierscheinen, Wucherer mit Habichtnasen, wie sie nur unter den Tuchhallen am Eingang des Ghetto zum Kauf einladen, bieten ihre Waaren an, übervortheilen, schreien – schreien in die Messe der Santa-Maria Monticelli hinein, in die Klingel des Ministranten … Nun erscheint der Heiland, das Haar von Lichtglanz umflossen, die Farbe des Rocks ist roth, der Ueberwurf blau, die Jünger stehen neben ihm … Niemand von den Schreiern weicht aus, niemand achtet die Andacht derer, die der heiligsten Procession sich schon verneigen …[319] Da ergreift Christus – vielleicht einem Tempelvogt (Ausmalung seiner Tracht) – die Geißel, wirft die Tische um, das Geld rollt weit auf die Straße hinaus, das Volk wagt nicht einmal es aufzuraffen, der heilige Zorn ist wie Donnerrollen, sein Auge wie Feuerlohe … »Mein Haus ist ein Bethaus und ihr macht es zur Mördergrube!« Das schallt dann in die Welt hinaus … Nutzanwendung … endlich Gebet … So ist nach Jesuitenanleitung jeder Vorfall der heiligen Geschichte zu erfassen, so zu umschreiben, so in seine kleinsten Bestandtheile zu zerlegen und die Gedankenordnung nur innerhalb der Ruhestationen des sinnlichen Vorgangs zu wählen … Die Wechsler: das ist die Sünde; der Augenblick der Reinigung: das ist die Buße; der Zustand nachher im Tempel: das ist die Erlösung … Endlich die Vergleichung mit der Gegenwart und die Nutzanwendung auf das innere Herz … bis das Ganze im »Colloquium mit Gott«, mit Gebet, schließt … In dieser Weise wollte auch Müllenhoff versuchen, die Exercitien auf dem Schloß der Frau von Sicking einzurichten.

Für Wenzel von Terschka gab es immer mehr Bewährungen. Selbst seine ritterlichen Künste boten dafür Gelegenheit und wurden sogar absichtlich und ausdrücklich befördert. Die jungen Väter bestiegen zwar nicht selbst das Roß, aber sie voltigirten; Reck und Barren, wie bei den Turnern, fehlten nicht. Auch beaufsichtigten sie da und dort die Erziehungsanstalten. Hier besonders bewunderte man den »Pater Stanislaus«! … »Stanislaus« nannte sich Terschka nach dem heiligen Stanislaus von Kostka, jenem jungen Polen, dessen erster Lebensschmerz damit[320] begann, daß er von seinem Hofmeister und seinem älteren Bruder 1564 gezwungen wurde, zu Wien im Hause eines Lutheraners zu wohnen. Dieser junge Heilige wurde vom Beten und Nachtwachen, wie der heilige Aloysius, das Beichtvorbild unsers Thiebold, elend, kam von allen Kräften und näherte sich dem Tode. Da konnte er die heilige Wegzehrung nicht erhalten, weil sie der lutherische Wiener nicht in sein Haus gebracht haben wollte … Nun erschien dem Knaben die heilige Barbara mit zwei Engeln zur Seite und brachte ihm die ersehnte Speise. Doch sollte er nicht sterben. Maria kam in jeder Nacht und setzte das Jesuskind auf die Decke seines Bettes und sagte ihm jedesmal, wenn er mit diesem gespielt hatte: Stanislaus, tritt in die Gesellschaft Jesu! Stanislaus von Kostka fand für seinen Wunsch in Wien nirgends Gehör. Der Provinzial der Jesuiten verlangte eine väterliche Bescheinigung. Der Vater, ein Senator der Krone Polens, schrieb von seinem Schlosse Rostkau im Posenschen, daß er diesen Beruf seines Sohnes nimmermehr wünschen könne. Stanislaus flehte den apostolischen Nuntius an. Vergebens. Er mochte klopfen an welche Thür er wollte, niemand erwies ihm damals in Wien die Gnade, ihn Jesuit werden zu lassen … Da rieth ihm der Provinzial: Wandere gen Rom zu Franz Borgia, unserm General selbst! … Also that er. Er entsprang seinem Hofmeister, seinem Bruder, zog Bettlerkleider an und ging über Augsburg zunächst nach Dillingen … Hier im Jesuitenkloster mußte er bei Tisch bedienen und die Stuben kehren. Canisius, der berühmte Morallehrer der Jesuiten,[321] entließ einen seinem Vater entsprungenen Sohn völlig einverstanden gen Rom … Franz Borgia empfing ihn dort voll Güte und schützte ihn vor dem Zorn des polnischen Senators, der jetzt die Diplomatie zu Hülfe nahm, um sein Vaterrecht zu behaupten … Stanislaus wurde Priester. Er war ein Muster jener »süßen Andacht«, die ein Antlitz wie mit Rosen verklären kann. Ihm mußte befohlen werden, nicht zu lange zu beten. Das wiederholte sich und wurde sein Todesstoß … An den Folgen der Wehmuth, daß man so oft seine Andachtsglut unterbrach, starb der Jüngling, achtzehn Jahre alt. Man sprach den Märtyrer des verweigerten Betens heilig. Wenzel von Terschka hatte als Slawe ein Vorrecht auf seinen Namen, als es bei seiner Priesterweihe gerade drei Bewerber um den Namen Stanislaus gab. Dafür mußte er in der Kapelle San-Andrea, dicht in der Nähe der schönen Gärten des Quirinals, drei Nächte an dem Bild seines Heiligen wachen, an jener Statue, die den sterbenden Jüngling Stanislaus von Kostka darstellt, der Körper von weißem, die Kleider von schwarzem, das Bett von gelbem Marmor …

Eines Tags wurde Terschka zum General der Jesuiten, einem Holländer, gerufen und erfuhr dort in holländischer Sprache folgende, ihn mächtig ergreifende Anrede:

Pater Stanislaus! Die Stunde ist gekommen, wo Sie durch Bewährung im Dienste Ihres Ordens Ihre Schuld der Dankbarkeit abtragen können!

Der Pater verneigte sich … Er ahnte einen schon seit lange mit ihm bezweckten Plan …[322]

Es sind Ihnen große Indulgenzen zu Theil geworden! fuhr der General fort. Sie haben Wohlthaten von der Kirche erfahren, die zu den seltensten Fällen gehören! Der Empfehlung Ihrer Gönner werden Sie zeitlebens verpflichtet sein …

Terschka verneigte sich tiefübereinstimmend. In den letzten Jahren war die besondere Protection des Cardinals Ceccone nicht mehr sichtbar gewesen, aber er bedurfte sie auch nicht, da seine Anschlägigkeit anfing, sich alle Wege zu bahnen, und er selbst mit seiner Lage zufrieden war …

Ich ließ einen Rath über Sie halten! begann der General aufs neue. Man sprach für Sie und auch, wie es das Gesetz will, gegen Sie! Eine Stimme gab den Ausschlag, die, daß Sie vermöge Ihres ganzen Naturells dem Orden am besten dadurch dienen würden, wenn Sie – in die Welt zurückkehren! Ein Redner – das würden Sie nicht; zur Gelehrsamkeit und zum Unterricht fehlte Ihnen die Ruhe; Ihr praktischer Sinn wäre es, in dem sich alle Ihre Vorzüge und – Ihre Fehler zu einer möglichst guten Nutzanwendung vereinigten!

Terschka's schon gründlich jesuitisch gewordenes Naturell grübelte, wer wol sein Ankläger gewesen sein mochte … Dergleichen war schwer zu erforschen. Seiner schmiegsamen Natur gelang es vielleicht. Doch wußte er, diese Contra mußten ja bei einem Gericht stattfinden, Fehler mußten mit Gewalt aufgesucht werden, nur um der Gerechtigkeit nichts zu vergeben … Täglich wurde man so geübt im Beurtheilen der andern … Gingen zwei Jesuiten spazieren,[323] so mußte einer vom andern berichten, was sie unterwegs gesprochen hatten …

Fassen Sie keinen Groll gegen irgendjemand! fuhr der General fort, der die in Terschka's Innerem sich entwickelnden Gedankenreihen übersah. Scheiden Sie von uns allen wie von Ihren Freunden! Auch nicht einer ist, der Ihnen nicht Gerechtigkeit widerfahren ließe; nur sind die Gaben mannichfach vertheilt und je mehr Ihnen der eine vom Einen nahm, desto mehr mußte er Ihnen vom Andern lassen! Vorzugsweise besitzen Sie Ein Talent – das Talent, sich beliebt zu machen! Viele versuchen sich darin. Nie aber sah ich so glückliche Erfolge, wie bei Ihnen! Sie werden in Wahrheit von uns allen vermißt werden …

Pater Stanislaus lächelte bescheiden und harrte voll Spannung …

Der Auftrag, der Ihnen ertheilt wird, hängt mit unsern Missionen zusammen …

Mit unsern Missionen! … Terschka erwartete ein Reiseziel – jenseit des Meeres … Seine Wünsche waren indifferent, doch schien die Aussicht, jenseit der Meere oft große Gefahren bestehen zu müssen, nicht besonders lockend … Dennoch beherrschte er sich …

Jetzt lächelte sogar der General. Er mußte Pater Stanislaus bewundern, der nicht eine Miene verzog oder sonstwie seinen Verdruß zu äußern wagte …

Ich meine die innere Mission, setzte der General hinzu, die Verherrlichung unsers Ordens in der Sphäre der Lüge und des Abfalls! Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf den Norden, von dem Sie herkamen! Zunächst auf[324] den großen deutschen Kaiserstaat! Erinnern Sie sich, daß kurz nach dem Schisma, das die Kirche dem abgefallenen Augustinermönch verdankt, Oesterreich zu sieben Achttheilen – zu sieben Achttheilen! – von Rom abgefallen war! In Wien konnte ein Lutheraner sagen: In mein Haus laß' ich nicht die heilige Wegzehrung bringen! … Durch uns ist das Kaiserreich in den Schoos der Kirche zurückgeführt worden! Die Mittel und Wege dazu waren mannichfach … Sei Ihnen vorläufig diese Mittheilung über Ihre künftige Verwendung – als Anlaß zur Prolusio empfohlen …

Damit war Pater Stanislaus für heute entlassen …

Zur Prolusio –! … Zum Vorspiel der Phantasie –! Aber wie nahm das Wort des Generals auch jetzt den ganzen Menschen gefangen! … Terschka war Mönch, Jesuit, Priester geworden, um sich aus einem Leben aufzuschwingen, das seinem Ehrgeiz nicht entsprach. Adeliger Geburt und dennoch mußte er dienen … dienen in einer Stellung, die ihm keine weitere Erhöhung für die Zukunft darbot … Er ergriff den geistlichen Beruf als einzige Rettung und er war nicht undankbar. Nichts hatte er gewußt, als fremde lebende Sprachen, er wurde durch den Orden ein Mann höherer Bildung. Daß es andere Bildungsformen in der Welt gab, als die ihm gerade hier zu Theil wurden, ahnte er, aber er mußte wol die vorziehen, die gerade das aus ihm machten, was er für jetzt anders nicht hätte geworden sein können. In der That besaß er keine Rednergabe. Selbst in der Schule bewährte er sich nicht. Aber in der Erziehungsanstalt, die durch das Collegium geleitet wurde, gab es vielerlei[325] von ihm glücklich beaufsichtigte Unterrichtsgegenstände; Reiten, Tanzen, Fechten wurde gelehrt. Das ja hat die Erziehung durch Jesuiten so begehrt gemacht. Eitle Schaustellung und Unterhaltung der Phantasie war von jeher und ist die Grundlage der Erziehungsanstalten, die Jesuiten leiten … Terschka lernte die wunderbare Moral des Probabilismus kennen, die ihn wahrhaft blendete. Was nur im Menschen über den schwierigen philosophischen Unterschied zwischen »Gut« und »Böse« schlummert, hier fand er Aussprüche dafür voll Kühnheit und blendenden Schimmers. Der Wille wurde in dem Grade von der That getrennt, daß beide in eins zusammenfallen konnten und dennoch unterschieden wurden. Der Wille konnte rein und schuldlos bleiben, er konnte die That unmittelbar hervorgerufen haben und dennoch war letztere nicht sein, sondern nur ein Ergebniß – der Natur. So haben nicht die Materialisten unserer Tage die Willensfreiheit geleugnet, wie die Moral der Jesuiten schon lange die That zum Ergebniß der Umstände macht. In den mislichsten Situationen deckt sie dem Willen immer noch den Rücken. Listig und verschlagen, wie Terschka's Sinn von Natur war – wenn nicht so sehr aus Wohlgefallen am Bösen, doch aus dem Bedürfnis seine Kraft zu üben, und um der Voraussetzung willen, daß eben Bildung, diese ersehnte Bildung, zur Wehr und Waffe des Geistes werden müßte und es mit sich brächte, überall Widerstand zu leisten – lernte er, Bildung wäre die Kunst, sich das Leben spielend und ohne den mindesten Schein einer Gewalttätigkeit dienstbar zu machen.[326]

Welche Vorstellungen weckte jetzt die »Prolusio«! Eine Mission nach Oesterreich! Der Abfall von der Kirche! Die verschiedenen Mittel und Wege, die einst eingeschlagen wurden, um sieben Achttheile einer großen Bevölkerung wieder in den alleinseligmachenden Schoos der Kirche zurückzuführen! Seine eigene Herkunft war vielleicht eine hussitische! Welche Studien weckte diese Anregung auf dem Gebiet der Geschichte, welche auf dem Gebiet der menschlichen Seele! Pater Stanislaus brannte auf die Enthüllungen, die ihm würden zu Theil werden. Ja er dachte sich einen tief angelegten Plan entweder auf Böhmen oder Ungarn, wo es noch Protestanten genug gab … Verstand mußte zu seiner Aufgabe gehören; denn das durfte er sich sagen, von seinem Namensheiligen hatte er nichts, was im mindesten auch seinem Antlitz einen rosigen Verklärungsschimmer gegeben hätte; wenn er betete – ihm war der Befehl, nicht zu lange zu beten, niemals gegeben worden.

Erst nach vierzehn Tagen machte der General der Ungewißheit des jungen Professen ein Ende …

Ihre Vorfahren, sagte er, eine Ahnung Terschka's bestätigend, als beide wieder allein auf der einfachen, allen andern Wohnungen gleichen Zelle des Generals waren, Ihre Vorfahren waren Hussiten! Abtrünnige waren auch sie schon vor Luther! Wir haben aber deren in Italien noch frühere! Es sind die Waldenser! Sie leben noch jetzt mit immer wieder nachwuchernder, unzerstörbarer Kraft im Piemont! Eine Gräfin von Salem-Camphausen, die hinterlassene Witwe eines österreichischen hohen Militärs, Protestantin, beschützt sie von einem ihr angehörenden[327] Schlosse Castellungo aus! Es liegt zwischen Cuneo und Robillante, in dem blühenden Thal, das sich von der Alpenstraße des Col de Tende abwärts senkt! Die Umtriebe dieser Frau überschreiten alles Maß! Sie hat die Könige von Preußen, England, Schweden und Holland aufgerufen, den Waldensern größere Freiheiten zu gewinnen, als sie unter einer rechtgläubigen Bevölkerung in Anspruch nehmen dürfen! Gelang es schon in alten Tagen, das schöne Salzburg zu entvölkern und seiner reichsten Unterthanen zu berauben, die man zuerst mit dem Gift der kaum überwundenen Ketzerei verdarb und dann mit Geld und Gut in die protestantischen Lande lockte; gelang es erst in unsern Tagen, sogar aus dem altgläubigen, so gottgetreuen Tirol Colonieen nach dem uns gleichfalls wieder zurück zu erobernden Schlesien zu entführen: wie soll es werden, wenn mit Hülfe Englands immer weiter auch in das Herz Italiens hinein rechthaberisches Bibellesen und streitsüchtiges Dogma sich verbreitet? Dem Frevel dieser deutschen Gräfin ist ein Ziel zu setzen! Für ihre Dreistigkeit gebührt ihr ebenso eine Züchtigung, wie ein Vorbau den Erfolgen, die sie erringt oder erringen könnte …

Die Aufregung des Generals war so groß, daß er aus der italienischen Sprache wieder in sein heimatliches Idiom verfiel. Terschka konnte, wie er wußte, mit völligem Verständniß folgen …

Diese gefährliche Frau, fuhr der General fort, hat einen Sohn, der in diesem Augenblick bei einem kaiserlichen Reiterregiment noch als Lieutnant steht … Er wird aufsteigen. Sein Glaubensbekenntniß ist das seiner Mutter.[328] Sein Name ist ein hochgefeierter, wenn auch seine Mittel gemessen sind. Binnen kurzem dürften ihm bedeutende Reichthümer zufallen; denn eine zweite, rechtgläubige Linie, im Innern Deutschlands, ist im Begriff auszusterben. Es existirt nun zwar eine alte Urkunde, der zufolge die Bedingung, unter der die wiener Linie diese großen Besitzungen der andern Linie antritt, die Religion der aussterbenden sein müsse … Diese Urkunde findet sich leider nicht. Sie wird seit Jahren gesucht …

Terschka horchte nur immer … Ein eignes Urtheil zu fällen wurde er nicht aufgefordert und fällte selbst keines … Er wartete auf die genauere Angabe des Gegenstandes, auf den er zu achten hatte. Von der Weisheit der Väter seines Ordens war er vollkommen überzeugt …

Der General verweilte jedoch nicht bei der Urkunde, sprach nicht von der Kunst jenes deutschen Convertiten Caspar Scioppius aus der Pfalz, der sein ganzes Leben an die Verherrlichung der Kirche gesetzt hat und seinerseits einer der berüchtigsten Falsarien war. Unter der Autorität von Kaisern und Königen und mit dem Titel eines Grafen von Clara-Valle fälschte er im 17. Jahrhundert Stammbäume und Urkunden, veranlaßte Processe dadurch und entschied sie. Vierzehn Jahre lebte er in Padua bei verschlossenen Thüren, aus Furcht, von seinen Gegnern, die zufällig Jesuiten waren, ermordet zu werden … Er haßte sie und sie haßten ihn, nicht ihrer Moral wegen, nicht seiner Falsa wegen, sondern weil sie ihm sein Latein corrigirt hatten und er ihnen vorwarf, daß im Gegentheil sie keins schreiben könnten …

Terschka lauschte mit athemloser Spannung; aber[329] auch heute blieb die ihm gestellte große Aufgabe wiederholt nur im Stadium der Prolusio …

Der General sagte:

Findet sich die Urkunde, so ist ein Familienabkommen getroffen, daß die letzte Erbin der Dorste-Camphausen sich mit dem letzten Erben der Salem-Camphausen vermählt – eine Rechtgläubige mit einem Ketzer! Findet sie sich nicht, und alle Zeichen sprechen dafür, so fallen an eine ketzerische Familie unermeßliche Reichthümer, in eine rechtgläubige Provinz kommt ein ketzerisches Element, das Scandalum jener Vorgänge im Piemont findet reichere Nahrung und das alles von einer Seite her, wo sich die Kirche einer solchen Störung am wenigsten versehen sollte, aus einer Gegend, wo die Wohlthaten der Rechtgläubigkeit ein Gemeingut sind und Maria Theresia sich bis auf den letzten Augenblick sträubte, jene gottlose Vernichtungsbulle unseres Ordens, die That eines unglücklich Verblendeten, der glücklicherweise nur im Auftrag der uns schützenden und glorreicher wiederherstellenden Vorsehung handelte, auch in ihren Staaten zu vollziehen!

Mit dieser Anregung der Phantasie wurde Terschka aufs neue entlassen … Ueber die Andeutung jenes Widerstandes der Kaiserin Maria Theresia gegen die Bulle: Dominus ac redemptor kam er bald hinweg … Maria Theresia gab der Aufhebung der Jesuiten erst dann ihr Placet, als man ihr, um sie von der Gefährlichkeit, Wortbrüchigkeit und Ungeistlichkeit der Jesuiten zu überzeugen, von ihrer letzten einem Jesuiten gesprochenen Beichte – aus Madrid eine Abschrift schickte … Terschka wußte,[330] daß der Orden diesen Verrat auf eine Intrigue der über ihren Fall frohlockenden Dominicaner schob … Aber welche Fülle der Beziehungen doch! Welche Aussichten der Bewährung! Was sollte geschehen, was von ihm gefördert und unterstützt werden? Welche Hülfsmittel, welche Verbindungen gab es für ihn? Wohin hatte er die Reise zu richten? Zu jener so muthvollen, herausfordernden Gräfin? Zu jener jüngeren Paula? Sollte die Urkunde gesucht werden? Sollte die gemischte Ehe gehindert oder, wie so oft, in dem Sinne »dirigirt« werden, daß der junge Offizier seine Confession änderte? … Allmählich trat in seine Combinationen immer mehr das Bild dieses jungen Kriegers ein. Er malte sich ihn aus in allen seinen Lebensbezügen. Es überkam ihn eine Ahnung, daß er vielleicht in dessen Nähe geschickt werden sollte …

Diese Ahnung betrog ihn nicht. Der General eröffnete ihm nach einiger Zeit, daß er in die Nähe des Grafen Hugo von Salem-Camphausen geschickt werden sollte. Mitwirkungen und Erleichterungen würden ihm genannt werden. Seine Aufgabe leitete sein Souverän in folgender Weise ein:

Wir wünschen, daß Graf Hugo katholisch wird! Die Rücksichten auf seine Mutter und ihre Umtriebe, auf jene Provinz und die Erbschaft, im eventuellen Falle auf die Ehe, sind die nächsten und dringendsten Aufforderungen, drohenden Gefahren zu begegnen. Zuletzt ist das Werk auch schon an sich ein wohlthätiges. Doch ist es nicht leicht. Wir haben über den jungen Krieger Nachrichten, die für eine große Verehrung seiner Mutter sprechen. Solange[331] sie lebt, würde er ihre Irrthümer schonen und schwerlich ihr die Strafe zufügen, die sie schon um ihrer Umtriebe willen gegen den Bischof von Cuneo und das Kapitel von Robillante verdient! Auch denkt der Orden nicht an ein plötzliches und schnell errungenes Resultat. Wir arbeiten in allem nicht für die Minute, sondern für das Jahr; ein Jahrhundert bedarf es, um durch Tropfen einen Stein auszuhöhlen – Sehen Sie die Statue des Sanct-Peter auf dem Vatican! Wer möchte glauben, daß man einen Fußzehen von uralter felsenfester Bronze so allmählich – hinwegküssen kann! Es gehört dazu eben ein Jahrtausend. Ihre Aufgabe geht in eine weite Fernsicht. Sie dürfen sich Zeit dazu nehmen. Sie dürfen Ihr ganzes Leben daran setzen und müssen es, um die Absicht nicht zu verrathen, die Sie mit Ihrer Handlungsweise verbinden – Sie legen Ihr geistliches Kleid ab! Der Orden dispensirt Sie von jeder Rücksicht auf Ihren Stand! Sie bleiben, was Sie sind – nie verwehend ist der Duft des heiligen Oels, das Sie salbte! Aber selbst das Zeichen der Demuth auf Ihrem Haupte müssen Sie schwinden lassen – Sie erhalten ein Patent als ein auf unbestimmte Zeit beurlaubter Rittmeister in päpstlichen Diensten! Denn gerade darin, daß Sie diesem Anschein, ein Krieger gewesen zu sein, auch wirklich zu entsprechen verstehen, lag – liegt der Grund, warum gerade Sie zu Ihrer Aufgabe gewählt wurden …

Wenzel von Terschka stand betäubt … Darum hatte man an seiner Vergangenheit keinen Anstoß genommen … Darum gleich anfangs keine Erinnerung an seine vergangene Laufbahn … Die Aussicht, mit der Erhebung, mit der Bildung,[332] die er jetzt empfangen, ein weltliches Leben aufs neue, wenn auch nur zum Schein beginnen zu können, machte ihn schwindeln … Der Stand, eine höhere gesellschaftliche Stellung, als die sein Vater bekleidete – alles wieder aufs neue, wenn auch in anderer Art, anerkannt … Gehoben und gehalten von unsichtbaren, mächtigen Händen – – Er vermochte kaum sich zu sammeln und dem in aller Würde, mit feierlichem Ernst, ja mit Fanatismus ihm geschilderten Plane in allen seinen Einzelheiten zu folgen …

Es ist unwahr, wenn man behauptet, Ignaz von Loyola oder seine Schüler hätten gesagt: Der Zweck heiligt die Mittel. Dies Wort findet sich nirgends in ihren Constitutionen. Aber der Dechant von Sanct-Zeno, Franz von Asselyn, sagte schon einst zu Bonaventura, als dieser über ein Pamphlet eiferte, das die »Geheimen Verordnungen« der Jesuiten neu wieder abdrucken ließ: »Du hast Recht, mein Sohn, diese Schrift ist eine Lüge, die seit zweihundert Jahren entlarvt ist! Ich weiß es, ein polnischer Jesuit schrieb diese Monita secreta aus Rache an dem Orden, der ihn ausstieß, weil Hieronymus Zaorowski zügellos und unsittlich war und die Strafe seiner Obern verdiente. Nie haben diese Anleitungen zur Erbschleicherei, zur Verführung jugendlicher Gemüther, zur Bereicherung des Ordens, zur Verhetzung der Ehen, Verhetzung des Staatsfriedens, in den Gesetzen der Gesellschaft gestanden, aber – die Monita secreta sind ein Codex ex post! Sie sind die niedergeschriebene Praxis des Ordens! Sie sind die Tradition neben dem Grundtext! Der Talmud, wie mein alter Freund Leo Perl gesagt haben würde, die Mischna[333] und Gemara neben der Thora! Jener rachsüchtige Pole erzählte scheinbar als verlangte Vorschrift, was sich nur durch die Verderbnis des Ordens allmählich als selbstverständlich in ihm festgesetzt hatte. Ich nehme ja einige glänzende Erscheinungen des Ordens aus. Aber die Gefahr desselben ist darum dieselbe, die Gefahr, die schon in seinem eigenen Wesen liegt, sogar in einer an sich geistvollen und denkwürdigen Eigenthümlichkeit desselben … Die Jesuiten können für sich ein großes Verdienst in Anspruch nehmen. Sie können sagen: Ihr alle habt bisher nur den Christen im Auge gehabt; wir sind die ersten Priester gewesen, die auch dem Menschen ihre Aufmerksamkeit schenkten! Die Seele ist es, die ein Lieblingsstudium dieses Ordens wurde. Die Jesuiten, zu allen Zeiten von einem brennenden Ehrgeiz getrieben, wagten es, mit der Philosophie einen Wettkampf einzugehen. Sie wollten dem Christenthum die größten Glorien erwerben, selbst die, einen Cartesius überflüssig zu machen – Da mußten sie denn wol in die Arena des Denkens steigen! … Und nun dachten sie den Menschen. Sie dachten ihn in der ganzen Schwäche, die uns Priestern durch den Beichtstuhl geläufig wird. Sie dachten ihn mit jener unsaglichen Geduld und Liebe, die wir für die Ausübung unsers Amtes gerade nach dieser Seite hin stündlich empfinden müssen. Sie dachten ihn in jenen steten Momenten der Reue, der Halbheit, der innern Wehmuth, die Großes will und doch in der Ausführung wieder der Natur unterliegt, und so entstand ihr berüchtigtes System der Erwägung, der Rücksicht, der Entschuldigung, der halben und der[334] Viertel-Sünde, jener sogenannte Molinismus, der sich zuletzt noch unter dem Einfluß der von Paris und Versailles ausgehenden galanten Courtoisie und sentimentalen Veredelung früherer Roheit und Brutalität der Hofsitten in eine Moral der ewig lächelnden und achselzuckenden Duldung verwandelte und in die Absicht, in die Intention, in den Rückhaltsgedanken die moralische Verantwortlichkeit setzte, gänzlich die höhere und wahre Sittlichkeit preisgebend!« … Für Wenzel von Terschka gab es kein anderes Denken, als das in den Formen dieses Molinismus … Daß die Absicht des Ordens, den Grafen Hugo von Salem-Camphausen katholisch zu machen, eine höchst löbliche war, bezweifelte er nicht. Er harrte der Anleitung, wie er gerade als päpstlicher Rittmeister en retraite ein solches Ziel fördern sollte …

Der General sprach:

Sie erhalten eine Liste von Affiliirten in Wien! Geldmittel – nicht im Ueberfluß; denn es wird sogar nöthig sein, daß Sie Schulden machen! Sie sollen eben suchen, sich dem jungen Grafen auf die natürlichste Art zu nähern! Sein Sinn ist offen und leicht. Das gemeinschaftliche Band könnte – Ihr altes Metier sein! Die gleiche Vorliebe für Pferde dürfte die Gelegenheit zur ersten Anknüpfung geben. Stellen Sie sich ihm nach kurzer Zeit als in Ihren Mitteln gebunden vor. Thun Sie das so, daß Sie dabei nicht allzu entblößt erscheinen, so wird er Vertrauen fassen! Sind Sie dankbar, so haben Sie sein Gemüth gewonnen. Ihre Vergangenheit war abenteuerlich genug. Sind Sie auch darüber zum Grafen Hugo leidlich aufrichtig, so bindet die[335] Offenheit. Von Ihrem Priesterstand darf natürlich nicht die Rede sein … sogar sehr, sehr selten von der Religion!

Terschka fand alles das in der Ordnung. Er fand, daß man auf diese Weise einen hochgestellten jungen Mann, von dem man eine Rückkehr zur Kirche wünschte, am besten beobachten ließ. Und als er nur noch zweifelnd aufhorchte, als er hörte, wie doch die Religion als Gesprächsstoff zwischen ihm und Grafen Hugo ausgeschlossen sein könnte – sagte der General:

Man kann die Rückkehr zu unserm Glauben mit Gewalt fördern, man kann sie aber auch von selbst entstehen lassen aus einem still sich meldenden Bedürfniß unsers Gemüthes. Aus welchen Stimmungen wählt man nicht das Gewand des Mönches! Sie, Bruder Stanislaus, traten in den Orden zunächst aus Ehrgeiz. Bei Gelehrten ist es oft der Ueberdruß an der Unfruchtbarkeit ihrer Forschungen. Fürsten und Standespersonen wechselten den Glauben infolge der Reue über ihr vergangenes leichtsinniges Leben. Graf Hugo liebt das Vergnügen. Vielleicht kommen Stunden der Erschöpfung, die dem Heil seiner Seele günstig sind. Diese benutzen Sie zu leichten und ganz wie zufälligen Erweckungen. Wir lassen Ihnen zu dieser Beobachtung Zeit. Leben Sie so harmlos mit ihm wie Sie wollen! Gehen Sie auf alle seine Verhältnisse ein! Geben Sie uns nur dann und wann Bericht; das Uebrige findet sich …

Mit diesen dunkeln, nur der Ahnung von einem zuckenden Streiflicht erhellten Andeutungen verließ der Pater die Zelle des Generals, in drei Tagen das Collegium, in acht Tagen Rom. Seine Vorbereitung zur[336] Rolle eines päpstlichen Rittmeisters machte er in dem Gasthofe der Croce di Malta.

Vorher hätte er sich gern noch dem Cardinal Ceccone empfohlen …

Er wagte deshalb beim General eine Anfrage, erhielt die Erlaubniß, bat im Vatican um eine Audienz und erhielt sie bewilligt bei der Herzogin von Amarillas, bei der der Cardinal jeden Abend nach englischer Sitte den Thee trank …

Die stolze Römerin, die einst in Rollen wie Semiramis geglänzt hatte, vor Jahren in Paris einen spanischen Herzog heirathete, der bald starb, und die dann in ihrer Vaterstadt anfangs mit gemessenen, späterhin reichen Mitteln ein Haus machte, empfing ihn allein und mit dem Stolz einer Frau, die allenfalls auch eine der Kaiserinnen hätte sein können, die sie ehemals spielte … Es war der Kopf jener Herme aus den Gärten des Quirinals …

Sie war in Deutschland bekannt und unterrichtete Terschka in der Art, wie man die Deutschen behandeln müsse … Fest und bestimmt! sagte sie. Denn dies Volk ist voll List und Verschlagenheit! Dies Volk ist um so gefährlicher, als es sich die Miene der Ergebenheit und Treuherzigkeit gibt! Nie hab' ich eine falschere Nation gefunden, wie diese – und ich bin viel gereist –! Ohne Charakter ist sie in allem! Ich habe die schönsten und vornehmsten Frauen gesehen, die dem König Hieronymus den Hof machten und seine Gunst zu gewinnen suchten. Und dabei rühmen sich diese, besonders in der vornehmen[337] Sphäre so gesinnungslosen, unpatriotischen Deutschen fortwährend ihrer Treue und Ehrlichkeit!

Terschka kannte Deutschland wenig und ließ sich belehren …

Die Herzogin gab ihm eine Reihe von Verhaltungsmaßregeln, ohne zu wissen, in welchen Aufträgen er nach Deutschland zu reisen hatte …

Erst jetzt, in den gegenwärtigen Stimmungen Terschka's, kam ihm die Erinnerung, daß die Herzogin von Amarillas damals sicher von einer Gegend sprach, die mit der, in welcher er sich jetzt befand, die nämliche war … Sie hatte damals Namen genannt, die seinem Gedächtniß erloschen waren … Immer sinnender, immer vor sich hinbrütender hatte sie gesessen, das Haupt auf die vergoldete Lehne eines hohen Rococosessels gestützt, ja nicht einmal bemerkend, daß Olympia in einem seidenen Kleide durch die Zimmer rauschte, die »Nichte« des Cardinals, ihre Schutzbefohlene … Dem jungen, inzwischen herangewachsenen, wenn auch nur kleinen Mädchen, das ihr dunkelschwarzes lockiges Haar mit einem goldenen Reifen umschlungen hielt und einen fast gehässigen, medusenhaften Ausdruck des Kopfes bekommen hatte, war die Erinnerung an den Tag in der Reitschule gänzlich entschwunden … Die Herzogin erinnerte sie daran … sie erwähnte nicht ohne Herzlichkeit die Gedichte, die ja Pater Stanislaus aus dem Collegium an sie geschrieben hätte … Olympia machte eine spöttische Miene und wandte sich kalt und gleichgültig ab …

Inzwischen wurde der Cardinal gemeldet …[338]

Wenn in Rom ein Cardinal einem Privathause die Ehre seines Besuchs ertheilt, muß ihm die Herrin desselben mit zwei Wachskerzen auf silbernem Leuchter entgegengehen und ihn wie einen Fürsten schon an der Treppe empfangen …

Tiburzio Ceccone, der noch jugendliche, lebensmuthige Lenker der Gerechtigkeit im Kirchenstaat, erschien als ein noch immer schöner, imponirender Mann in der Tracht der Cardinäle, wenn sie außerhalb ihrer Functionen sind, im schwarzen Habit habillé mit rothem Vorstoß, rothen Knöpfen, kurzen schwarzen Beinkleidern, langen rothen Strümpfen, rothem Sammetkäppchen, darüber ein langer schwarzer Krämpenhut, auf dem Rücken ein schwarzes Abbémäntelchen …

Der Cardinal entsann sich vollkommen des Paters Stanislaus und erkundigte sich mit forschend zusammengedrücktem Auge nach dem Ziel seiner Reise … Die Befangenheit Terschka's, der ihm ausweichend antworten mußte, mochte er sehen, doch machte ihn seine Liebe zu Olympia so zerstreut, daß Terschka reden konnte, was er wollte – er würde nur zu allem wie abwesend genickt haben … Offenbar war er über Terschka's Mission im Unklaren. Er pries die Fortschritte der Gesellschaft Jesu, namentlich im Kaiserstaate, und sprach von einer Stadt an einem großen Flusse, wo ihre Hauptniederlassung sein sollte. Die Herzogin glaubte gleichfalls eine solche Stadt mit einem Kranz von Bergen zu kennen, nannte aber den Fluß nur klein. Sie verständigten sich beide in der Geographie Deutschlands wie über ein Land, das im Grunde ein einziger großer wüster[339] Wald wäre, bewohnt von einem Geschlecht von Menschen, die an Unbildung und dabei, wie die Herzogin wiederum hinzufügte, an Verschmitztheit ihresgleichen suchte. Sie ihrerseits schien Witoborn an der Witobach, der Cardinal Linz an der Donau im Auge gehabt zu haben – Deutschland war ihnen beiden ein und dasselbe Sibirien.

In Gnaden entlassen, empfahl sich Terschka, reiste ab und nahm bereits in Venedig seine neue weltliche Tracht an. Ueberall producirte er den Paß, der ihn als einen beurlaubten päpstlichen Rittmeister bezeichnete. Sein Talent, sich in seine neue Rolle zu finden, mußte bald sogar ihn selbst überraschen. Hätte er nicht annehmen müssen, daß, wie gewöhnlich, ihm ein Wächter gestellt wäre, der alle seine Schritte beobachtete, er würde seine Freiheit in vollen Zügen genossen haben.

Bald fand sich eine Gelegenheit, die Bekanntschaft des Grafen Hugo zu machen.

Quelle:
Karl Gutzkow: Der Zauberer von Rom. Roman in neun Büchern, Band 5, Leipzig 1859, S. 317-340.
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Der Zauberer von Rom
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Der Zauberer Von ROM (3); Roman in Neun Buchern

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L'Arronge, Adolph

Hasemann's Töchter. Volksstück in 4 Akten

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Als leichte Unterhaltung verhohlene Gesellschaftskritik

78 Seiten, 6.80 Euro

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Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

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Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

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