6.

[174] Piter's Gesellschaftsabend rückte näher …

Eine Aenderung seines Programms durch die mit Delring und seiner Schwester Hendrika stattgefundene Scene konnte man »von ihm nicht verlangen«.

Selbst seine Mutter und seine andern Geschwister waren schon zu weit in den Zurüstungen ihrer Toiletten vorgeschritten, als daß eine so bedenkliche und für alle daran Betheiligten tief erschütternde Wendung der Dinge, wie Delring's Austritt aus dem Geschäft und die Aufgabe seiner Wohnung im schwiegerälterlichen Hause, etwas darin hätte ändern können. Die Commerzienräthin weinte zwar bittere Thränen, aber sie hütete sich wohl, daß eine derselben auf die schweren silbergrauen Moiréestoffe fiel, welche sie täglich zweimal bei ihrer Schneiderin anpaßte. Die Equipagen ihres Hauses sowol wie die des Procurators rasselten durch die Straßen mit einer Eile, als könnten plötzlich in der Stadt alle schinirten Sammete, aller Gros de Naples, alle Stoffe zu Borduren und Blonden aufgekauft werden.

Die obern Zimmer blieben von Hendrika Delring für[175] den Abend verweigert. Piter hatte dort eine »Retraite« für seine Freunde arrangiren wollen, wo sie in gemüthlicher »Nonchalance« sich gehen lassen konnten; er wollte, das war seine Idee, höchsten Salon und tiefsten Austernkeller für jenen Abend vereinigen. Gesang und »geistreiches« Gespräch sollte die Cigarre und einen kleinen »Ulk« nicht ausschließen. Die Wendeltreppe eignete sich so prächtig für diese gemüthliche Mischung! Indessen war dies Arrangement nicht zu ermöglichen und Johanna, seine jüngste Schwester, seine älteste, Josephine, die Frau Oberprocurator, sämmtliche Hausfreunde gaben Pitern diesmal unbedingt Recht, wenn er von einem »denn doch kolossalen« Eigensinn sprach, und nur seine von ihm gebrauchten Kraftausdrücke ängstigten sie, besonders vor Fräulein Lucinden, deren hohe Bildung und schüchterne Sittsamkeit täglich hier im Hause Redensarten zu hören bekam, die sie bei soviel Frömmigkeit nicht hätte voraussetzen sollen.

Nur vor Dominicus Nück hatte Piter einige Furcht. Dieser Sonderling war noch immer im Stande, ihn zuweilen wie einen zehnjährigen Knaben zu behandeln. Eine Bürgschaft für den Bestand des Geschäfts konnte dem klugen Manne Piter's Alleinherrschaft nicht erscheinen. Letzterer ahnte das und besorgte Erklärungen, um so mehr als Nück schon lange ein Gegner dieser projectirten Gesellschaft war. In Sack und Asche sollten wir gehen, hatte er zu seiner Frau gesagt, und dieser Mensch thut den Neunmal-Weisen den Gefallen und will illuminiren lassen! … Seine Gattin hatte seit lange keine so wortreiche Unterhaltung mit ihm geführt. Sie[176] hätte schon um dieser seltenen Vertraulichkeit willen auf ihres Gatten Zorn über den »dummen Jungen«, wie Piter schon eine hübsche Reihe von Jahren bei ihm hieß, eingehen sollen; aber die Höhe ihrer Volants an einer wundervollen Rosatoilette nahm sie so in Anspruch, daß sie nur immer das Rauschen ihres Eintritts in den Salon hörte und den Moment bedachte, wo sie sich an dem festlichen Abend zum erstenmal niederlassen würde, nicht zu nahe am Ofen und nicht zu dicht unterm Kronenleuchter; denn die Arme litt bei solchen Abenden an einem krankhaften Echauffement und hatte dann vor Zorn über sich selbst und den Schöpfer, der sie ins Leben gerufen, schon manchen kostbaren Fächer zerknittert, dieser Röthe gedenkend, die ihr die Stirn, die Nase und besonders die Ohren mit einer unheimlichen Ziegelsteinfarbe überzog.

Die »Religion« war in der That einige Tage lang im Kattendyk'schen Hause suspendirt. Piter bekam in allen Punkten Recht, selbst wenn er seine Meinungen des Tages einigemal wechselte und sich selber widersprach. Auch ein ganz besonders maliciöser Antagonist gegen ihn fehlte glücklicherweise, der außerordentliche Professor Guido Goldfinger, Johannens Verlobter, der erst zu dem Gesellschaftsabend selbst ankommen wollte. Dieser junge Mann machte mit einer glänzenden Heirath sein Glück, war aber für dies Glück von seinem Vater, dem Medicinalrath, förmlich erzogen worden. Gerade die Sicherheit seines Benehmens gab ihm den außerordentlichen Vorsprung bei der Mutter und bei Johannen.[177] Auf der vielfach angedeuteten Universität lehrte er Naturwissenschaften vom rechtgläubigen Standpunkte. Er bewies wissenschaftlich, daß es Pflanzen gäbe, die die Marterwerkzeuge in ihrem Kelche schon von Anbeginn ebenso hätten tragen müssen, wie die Propheten bereits von allen Einzelheiten im künftigen Leben des Messias wußten. An einer »Heiligen Botanik«, schrieb er, in der alle in der Bibel vorkommenden Pflanzen in alphabetischer Reihenfolge behandelt wurden. Wenn sein kurzes, schneidendes Wesen in den Abendgesellschaften (von seinem von drei bis vier Zuhörern umsessenen Katheder kam er wöchentlich einmal herüber) Pitern gegenüber Stickstoff, Sauerstoff, Polarität und ähnliche schwierige Fragen zu sehr accentuirte und darüber Piter »unangenehm« wurde und vor solchen »Kindereien, die er sich schon in der Schule abgelaufen hätte«, sich nicht im mindesten zu ängstigen erklärte, falls der Professor ihn rundweg anfuhr: »Das verstehen Sie nicht!« so sagte der alte Sänger Ignaz Pötzl, indem er dann einmal von den Bologneserhündchen die alten magern, sie streichelnden Hände abließ, mit halblautem Seufzer: »O Ysop, Ysop! wann wirst du an die Reihe kommen!« Darunter verstand Pötzl, wie alle Anwesenden aus dem engern Familienkreise wußten, den letzten Artikel der »Heiligen Botanik«; denn erst mit dem Abschluß dieses großartigen Werks, das auf Kosten der Commerzienräthin gedruckt werden mußte, sollte die Hochzeit stattfinden. Leider stand der Professor erst bei der Wurzel Jesse, bei der er sich, wie er mit sardonischer Galanterie hinter seiner blauen Brille hervor Johannen zuflüsterte, deshalb[178] so lange aufhalten müsse, weil ihn zu sehr der Buchstabe I fesselte.

Am empfindlichsten war Pitern der Eindruck, den sein Bruch mit Delring auf Treudchen machte. Sie selbst hatte der Scene nicht beigewohnt, nach der sich ihre Herrschaft in den Beichtstuhl des »neuen Heiligen« Bonaventura von Asselyn flüchtete, aber sie erfuhr alles Geschehene, als sie von einem Einkaufsausgang nach Hause kam. Lucinde hatte ihr schon lange den Rath gegeben, Pitern etwas zu tyrannisiren. So oft er ihr nun seitdem auf der Treppe begegnete, wobei eine rasche Handbewegung, manchmal das Verlangen, ihm einen Knopf am hingehaltenen Hemdärmel sofort auf der Treppe anzunähen, schon zur Gewohnheit geworden war, zeigte sie ihr Schmollen. Piter hatte jetzt nur zu viel mit seinem »Programm« zu thun, sonst würde ihm dies Ausweichen unerträglich gewesen sein. Schon weckte er durch seine Leidenschaft Spott und »Hohngelächter« und Zweifel des Neides, besonders bei den stillen Charakteren Weigenand Maus und Aloys Effingh, die schon vor längerer Zeit über seine Entzückungen die harmlosen, aber bedeutsamen Worte fallen ließen: Nur nicht zu üppig, Kattendyk! …

Lucinden schonte Piter um Treudchens willen. Auch sprachen ja Benno von Asselyn und Thiebold de Jonge mit einer höchst respectvollen Scheu von der Gesellschafterin seiner Mutter. Benno war zu gewissenhaft, um die für Bonaventura's Lebensstellung nicht passende Leidenschaft Lucindens zu verrathen. Auch mußte er anerkennen, daß durch die fast schimpfliche Entfernung[179] aus der Dechanei Lucinde vollkommen berechtigt war, auch ihm gegenüber jenen Humor aufzugeben, dessen Ausbrüche ihn erst dämonisch abgestoßen, zuletzt gefesselt hatten. Die Wahrheit des einen Wortes, das Lucinde Benno beim ersten Begegnen am Theetisch der Frau Walpurga zugeflüstert hatte: »In Kocher am Fall hab' ich Bitteres erlebt!« durfte er nicht anzweifeln. Wohl bemerkte sein scharfes Auge, daß Lucinde auch hier schon mit dem ganzen Hause und den Schwächen desselben spielte; aber Koketterie war es nicht, als sie ihn eines Abends bat, sich ihres vernachlässigten Latein anzunehmen; sie wolle, sagte sie, die Bekenntnisse des Augustinus, die Geschichte seines Lebens-Trahimur, in der Ursprache lesen. Zu Thiebold's Erstaunen über dies »Zauberweib« kaufte ihr Benno ein Lexikon, verschaffte ihr Uebungsbücher und mußte sich gestehen, daß die Art, wie sie ihm dafür das Geld schickte und ihren Dank in einem Briefe bezeigte, einen graziösern Geist verrieth, als er ihrer Schroffheit zugetraut hatte. Das Geld kam auf der »Schreibstube« Nück's an und war dort in seiner Abwesenheit dem Principal übergeben worden. Als Nück die Veranlassung dieser Geldsendung aus dem Kattendyk'schen Hause erfuhr und mit eigenthümlich zwinkernden Augen auch den ihm von Benno dargereichten Brief gelesen hatte, erfuhr letzterer, daß die Wirkung, die Lucinde hervorbrachte, immer allgemeiner wurde. Wo man nur auf das Kattendyk'sche Haus zu sprechen kam, wurde nach Lucinden gefragt. Schön erschien sie allen, den Frauen etwas unheimlich. Auch Männer brauchten zuweilen den Ausdruck, sie hätte zu viel Geisterhaftes. Nur[180] über ihre beispiellose Frömmigkeit waren alle übereinstimmend. Eines Tages erfuhr Benno von Thiebold, daß Nück an dem seit einiger Zeit häufiger von ihm besuchten Theetisch seiner Schwiegermutter Lucinden halblaut ein Wort gesprochen hätte, das dieser die seit einiger Zeit immer nur bleichen Wangen purpurn überfärbte. Es war von einer schon zunehmenden Gewöhnung Lucindens an das Leben im Hause und in der Stadt die Rede und von ihrer frühern übergroßen Verschüchterung. »Sie sind eine Jerichorose!« hatte Nück geflüstert. Thiebold verstand diese Vergleichung nicht. Im Benno wollte er »nachschlagen«, was sie bedeute. Als ihm Benno die Erklärung gab: Eine Jerichorose ist ein rankenartiges Gewächs mit einer wunderbar gestalteten und duftenden Blume, die zeitweilig ganz ledern, welk und verkommen aussehen kann, legt man sie aber in heißes Wasser, so quellen ihre Blätter auf und sind, wenn sie auch seit Jahr und Tag vertrocknet schienen, plötzlich wieder so frisch, als wenn die Blume zum ersten mal blühte … da wetterte Thiebold über den Außerordentlichen, der gerade zugegen gewesen war und die Jerichorose nur »lateinisch«, d.h. gelehrt gefaßt und gesagt hätte: Die heilige Botanik hat es mit zweierlei Jerichorosen zu thun. Die eine ist die der Legende: Maria auf der Flucht nach Aegypten steigt von dem Esel und da, wo ihr Fuß den Wüstensand berührt, sprießt die Jerichorose auf. Die andern sind diejenigen Rosen von Jericho, die bei Sirach vorkommen in der für die heilige Botanik so classischen Stelle … Viel lieber hätte Thiebold gewünscht, man hätte verweilt bei der vollständigern Beziehung dieser Vergleichungen[181] auf ein Wesen, das für die ganze gebildete Gesellschaft der Stadt immermehr einen eigenthümlich verschleierten Reiz gewann.

Der verhängnißvolle Festtag erschien … Die Vorbereitungen zu dem Abend sistirten bei Pitern den ganzen geschäftlichen Ex- und Import. Heute galt es den Triumph seiner durchbrochenen Mauern, neugeschaffenen Kamine, portièrenverdeckten Thüren. Auch hatte er schon in der Dienerschaft seit lange manche Reformen angebahnt. Die alten hatte er zwar nicht entfernen können, aber sie für den einzuführenden bessern Ton »unschädlich gemacht«. Kathrine Fenchelmeyer behauptete sich in der Küche, trotzdem daß Thiebold eines Abends gesagt hatte: »Eigentlich mit Geist kochen kann nur ein Mann!« eine Behauptung, worüber ein fünfstündiger Streit unter den Freunden entstand, der für Pitern so interessant und anregend wurde, daß er sich das neue Buch »Geist der Kochkunst« kaufte. Ueberhaupt gab er viel Geld für diejenige Literatur aus, die ihm in schönen Einbänden hinter einem Glasschrank zu besitzen nöthig schien, um jenes gewisse Etwas eines der Kaufleute zu gewinnen, die so »merkwürdig beschlagen« sind in allem, was die Zahl der Stecknadeln anbetrifft, die eine birminghamer Maschine in einer Stunde hervorbringen kann. Auf jedes Buch, das für Delring's Bibliothek vom Buchhändler im Comptoir abgegeben wurde, setzte er ein anderes und nicht immer Werke über Cavalierperspective, »Diätetik der Seele«, Blumauer's »Aeneide«, die »Jobsiade« und ähnliche classische Schriften, die unter den Freunden bewundert wurden, auch Mac Culloch und[182] Reisebeschreibungen in Vorder- und Hinter-Asien. Kathrine hatte für den Abend einen Koch zu Hülfe genommen – Piter entließ sie nicht, weil unter den Freunden trotz aller Bewunderung vor den Speisen, die man in Paris bei Véry finden konnte, feststand, daß Sauerkraut, Erbsen und Dürrfleisch nirgends so »famos« zubereitet wurden, wie bei ihm. Auch über die richtige Art, den Wein einzuschenken, trug im kleinen Kreise Joseph Moppes manchmal förmliche Abhandlungen vor. Wehe den neuen Dienern oder den am Freitag zu Dienern avancirenden Hausknechten – auf die engagirten Lohnbediente war eher Verlaß – wenn sie beim Einschenken der Weine nicht der Theorie entsprachen, die Piter ihnen kurz vor Eröffnung der Flügelthüren noch einschärfen wollte. Ob ihn die Scrupel wegen der »trauernden Religion« nicht bestimmen sollten, daß die Diener sämmtlich schwarzbaumwollene Handschuhe statt weißer anzogen? In dem Austernkeller neulich hatte man diesen Piter'schen Gedanken erst bewundert, dann ihn aber doch fallen lassen. Weigenand Maus hatte sogar gesagt: »Wehe dem Kaufmann, der überhaupt Religion hat!« – »Sie meinen eine andere Religion, als die des ehrlichen Mannes?« polterte Thiebold auf, der an seine »vorhabende« Beichte dachte. Gebhard Schmitz, der Dialektkünstler, um etwaigem »Streite« vorzubeugen, fiel mit einem allgemeine Acclamation erweckenden Worte ein: »Meine Herren! Ich sage, wehe dem Kaufmann, der jetzt eine andere Religion hat, als die jüdische!«

Piter stand nun wie Napoleon vor einer Schlacht. Er[183] hatte sich auf alles vorbereitet, sogar das Verdrießlichste, auf Absagebriefe. Sein lebhafter Geist sah sogar sämmtliche Lampen nicht brennen, hörte Cylinder zerspringen, hörte stockende Gespräche. Aber er suchte allem zu begegnen durch Reservevorräthe; sogar von Anekdoten hielt er sich ein kleines Lager in Bereitschaft. Aus dem »Demokritos« hatte er sich einige Bonmots gemerkt, manche feine Antwort memorirt, die er anbringen wollte, wenn es seinem rastlosen Ehrgeize gelang, irgendwo die ihr entsprechende Frage zu provociren. Die ganze Stadt wußte den Vorfall mit Delring. Wie hatte er da die Arme zu verschränken und sich hinzustellen als die sturmfeste Mitte eines großen Ganzen! Und diese mindestens in zwanzigfacher Anzahl kommenden jungen Mädchen, denen er zeigen wollte, was ein »Herr der Schöpfung« ist! Sein Bärtchen war allerliebst gefärbt, das dunkelblonde Haar unternehmend gebrannt, die Hemdauslage zeigte das kunstvollste Steppmuster. Sie hätte Thiebold entzücken müssen, der zu sagen pflegte: »Was bei den alten Griechen, wie Benno von Asselyn versichert, einst die Bäder gewesen sind, das ist bei uns die weiße Wäsche.« Nur Piter's Schneider ließ ihn mit einem fast auf dem Leib ihm angenähten Frack noch bis sechs Uhr warten. Fast war er das Atelier des Mannes geworden und seine Haut nahe daran, durch das gewissenhafte Probiren mit festgenäht zu werden. Aber um sechs Uhr konnte er »auf Ehre und Seligkeit« die Ankunft des Frackes gewärtigen. Das ganze Haus war geheizt, sogar die unten durch Glas verschlossenen, teppichbelegten, blumengeschmückten Treppen. Nur so auch konnte es[184] geschehen, daß Piter von drei Viertel auf sechs Uhr an in Hemdärmeln Trepp' auf Trepp' ab lief.

Berechnend, ob das zu frühe Anzünden der vielen Kronenleuchter und Wachskerzen nicht zu zeitig dürfte »Friedland's Nacht« eintreten lassen, durchschritt er die öden, fast gespenstischen Zimmer, leise verfolgt von einigen bereits gekommenen Lohnbedienten, die sich nützlich machen und Vertrauen erwecken wollten … Die Mutter, die Schwester waren noch tief in ihrer Toilette zurück … auch Fräulein Schwarz war nirgends sichtbar … Treudchen Ley's Erscheinen ließ sich in keiner Weise voraussetzen …

Wie fehlte ihm diese holde Ermunterung! Wie sehnte er sich nach einem Druck ihrer weichen Hand und ihrem gewöhnlichen: »Ach, Herr Piter –!« Wie erschöpft war er bereits von den Anstrengungen des Tages!

Guten Abend, Kattendyk! lautete es hinter ihm her, als er sich eben lässig in einen seiner neuen Fauteuils warf …

Es war Joseph Moppes … Bester! Haben Sie etwa Weiß aufgelegt? Sie sehen ja gottsjämmerlich aus! sagte der Freund und ging mit Noten rasch vorüber in die hintern Zimmer …

Finden Sie das? antwortete Piter hinter ihm her. Mit Apathie stand er auf und betrachtete sich beim Schein des Lichtes, mit dem er die Zimmer durchmusterte, in einem oberhalb eines seiner neugebauten und heute zum ersten mal probirten, leider etwas rauchenden Kamine angebrachten Spiegel …

Ich kenne das an solchen Abenden! Nehmen Sie doch einen kleinen Cognak! rief Moppes von hinterwärts her.[185] Moppes legte mit diesen Worten auf das Pianoforte die Noten zu dem projectirten »Bouquet« des Abends …

Piter gefiel sich außerordentlich im Spiegel. Er fand sein languish interessant und bewunderte seine weißseidene Cravatte, seine weißseidene geblümte Weste, die gesteppte Brustauslage mit blitzenden Brillanten … Aber wirklich er war zu blaß und zog deshalb an einem Schellenzuge und ließ sich einen kleinen Cognak kommen. Jedem andern würde er gesagt haben: Au contraire! Ein Glas Wasser wird mir gutthun! … Seinen Freunden trotzte er nicht. Ihnen nicht, die immer so recht das trafen, was dem Manne ein schmeichelhaftes Lustre gibt …

Sie haben Recht, Moppes! sprach er hinhauchend und immermehr beruhigt über die Epoche machende Wirkung dieses Abends …

Der kleine Cognak kam. Piter trank ihn. Moppes rückte und schob hinten am Pianoforte …

Auch der Frack kam. Der Schneider brachte ihn nicht selbst; der Arme ruhte erschöpft auf seinen schwer errungenen Lorbern. Aber der Frack saß vortrefflich. Jetzt gedachte Piter liebevoll auch seines Freundes, der im Dunkeln die Arrangements für die musikalischen Genüsse traf, und rief mit elegischer Gelassenheit:

Stoßen Sie sich doch nicht, Moppes! … Donnerwetter, brüllte er dann; steck' doch einer für drinnen Licht an!

Alles rannte …

Teufel! schrie er wieder. Nicht den Kronenleuchter!

Alles zitterte und nur eine Girandole von drei Kerzen wurde angesteckt …

Piter sah sich im Spiegel und äußerte:[186]

Joseph soll doch auch für Moppes – oder warum denn nicht lieber gleich – Joseph soll die ganze Cognakflasche schicken!

Inzwischen rief Moppes:

Bester Freund, das Feuer hier lassen Sie nur ausgehen! Denn erstens wird es schon von der Beleuchtung formidabel heiß und zweitens werden die Menschen eine Höllenhitze geben! Wir bedanken uns, in einer solchen Atmosphäre zu singen! Ohnehin muß ich heute verdammtermaßen Katarrh haben!

Piter hatte sich zwar sehr auf den malerischen Effect der Glut von den feinsten entschwefelten Candlekohlen etwas eingebildet – worauf bildete er sich nicht etwas ein! – doch goß er näher tretend ganz gern eine der nächststehenden Wassercaraffinen, die er hier und da mit einem Kranz von Gläsern hatte aufstellen lassen, geradezu in die Störung der berühmten Quartette hinein. Nun gab das freilich einen nicht angenehmen Dunst, der sich mit Entschiedenheit dem unzweifelhaft sehr rauchigen der Kamine anschloß. Moppes riß darüber voll Zorn die Fenster auf; aber Piter bat mit einem gewissen schmachtenden Ton um Verzeihung und lachte innerlich, er wußte nicht worüber. Er schenkte sich und dem Freunde von dem inzwischen gekommenen Cognakvorrath eine fernere Herzstärkung ein … Warum wollt ihr denn nicht hinten im Saal singen, ihr lieben Leute? fragte er mit einer träumerischen Gelassenheit und dabei hin- und herziehend an seinem Frack und sich am Knacken der Nähte erfreuend …

Ein Männerquartett bedarf eines engern Raumes! Wir singen ohnehin Schweizerecho! Hier etabliren wir uns![187]

Damit ordnete Moppes einen Tisch und legte viele andere schon vorausgeschickte Noten zurecht … Immer räuspernd und seinen Katarrh verwünschend lehnte er den Bescheid auf den ihm servirten Cognak ab, was Pitern nicht hinderte, sein zweites Glas zu nehmen und es zu leeren auf das classische Gelingen des von Moppes entworfenen musikalischen Programms … Auch kam eben ein großer Kasten an mit einer Ventiltrompete, die ein berühmter Künstler blasen sollte … Auch das Pianoforte, zur Begleitung der gegenwärtigen Primadonna des Stadttheaters, wurde von Moppes anders gerückt und gerade so, wie es heute früh Piter's Schwester, Johanna, die musikalisch war, für zweckmäßiger erachtet hatte. Ihr hatte Piter gesagt, daß sie sich erstens nicht lächerlich machen möchte und das Publikum ennuyiren mit ihren hundertmal gehörten Etuden, dann aber, daß sie den Flügel ruhig da stehen lassen sollte, wo er ihn hingerückt hätte, allen Widersprüchen über Schallwirkung und Resonanz mit brüderlicher Liebe ein einfaches: »Raisonnir' nicht!« entgegensetzend. Moppes aber bestätigte gerade das, was Johanna Kattendyk gesagt hatte. Still für sich hin empfand Piter eine Art Beschämung und mußte lächeln – nämlich über die Autorität, die er selbst in verkehrten Dingen hatte. Er war in der That ein Tyrann. Das schmeichelte ihm und befriedigt nahm er einen dritten Cognak.

Moppes plauderte viel Gutes über die Sängerin. Sie war eine jener Provinz-Malibrans, die niemand mehr zu würdigen wußte, als Löb Seligmann. Fünf Louisdor bekam sie für den Abend und Piter beschloß,[188] ihr sechs zu schicken. Die Sängerin war berühmt in der Kunst, bockgerechte Triller zu schlagen. Ihre Stimme gab man auf, aber man rühmte ihre »Schule«, besonders die Kunst, in einem Septett in die Untiefen eines spurlos verlorenen Ensembles mit einem einzigen muthig eingesetzten hohen Cis Hülfe und Rettung zu bringen. Ausdrücklich bedungen war die Arie: »Ocean, du Ungeheuer!« aus Weber's »Oberon«.

Piter nickte zu allem, lächelte, schlänkelte, auf einem Stuhle sitzend, mit den zierlichen Beinen und spielte mit dem Krystallstöpsel der schöngeschliffenen Cognakflasche … Die Sehnsucht nach der achten Stunde sprach sich in einem gewissen Blicke aus, der wie der eines Sehers in die Flammen eines inzwischen nun doch »zur Probe« angezündeten Kronenleuchters gerichtet war. Er gedachte vielleicht, als Moppes von jener Arie sprach, Pyrmonts und was sonst schon auch für ihn im Leben »ungeheuerer Ocean« gewesen war …

Moppes befand sich noch nicht in Toilette. Seine Hingebung an Piter's Abend war bewunderungswerth. Bekanntlich war der erste Küfer seines Hauses, Stephan Lengenich, als Unruhstifter eingezogen und nicht unwahrscheinlich hatte sich Joseph den Katarrh in den Kellern seines Hauses geholt. Ihn sich in der Hand mit dem Stechheber unter den Fässern zu denken, hinderte an dem ihm schuldigen Respect nicht das Mindeste. Sechs weiße Zwillichhandschuhe griffen gleichzeitig nach der Thür, um sie Herrn Moppes junior zu öffnen, als dieser ging. Er entschlüpfte einem ihm nachgerufenen sentimentalen: Komm nicht zu spät! und ließ nur noch[189] das Wort zurück, das er auszurichten fast vergessen hätte, Thiebold de Jonge würde nicht kommen, mit Benno von Asselyn wäre er heute früh abgereist …

Piter, auf Absagen vorbereitet, fand die Nichtachtung seines Abends gerade von dieser Seite doch »sonderbar« und erhob sich in gereizter Stimmung. Aufs neue einschenkend, wenn auch nicht trinkend, nahm er, um seinen Aerger zu verwinden, die Heerschau über seine Truppen ab. Er hätte eine Armee commandiren können, so mächtig rollte es durch seine Adern. Seine imperatorischen Anweisungen gingen auf die Beleuchtung, auf die Bedienung beim Thee, auf die Stille während der Musik, auf die Tische der Whistspieler in einem der hintersten Zimmer, auf das Arrangement der kleinen Gruppen, denen das Nachtmahl zu serviren war, und vorzugsweise auf die Vermeidung aller plumpen Formen des Einschenkens. Obgleich die Zuhörer zu allem, als wenn sein Gesagtes sich von selbst verstünde: Ja wohl, Herr Kattendyk! erwiderten, konnte er doch nicht umhin die Moppes'sche Theorie mit Feuer zu wiederholen:

Einschenken und einschenken ist ein Unterschied! rief er. Der Stand des Herrn und Dieners unterscheidet auch die Art, wie man die Flasche angreift! Beim Beginn eines Diners oder Soupers, aufgepaßt, greift der Herr, wie der Diener, die Flasche immer am untern Leibe an! Verstanden? Der Herr legt – alles das machte er an der etwas schwierigen Form der Krystallflasche nach – den Zeigefinger bis an die Taille der Flasche, das ist sein Vorrecht! Untersteh' sich das jedoch von euch Niemand! Verstanden? So darf Ich einschenken – tretet heran! – Ich als Herr! Ruhe![190] Mit dem Zeigefinger darf ich die Flasche drücken! Das bedeutet Nonchalance, »Gerngegeben« und eine gewisse Mäßigung, gleichsam als wollt' ich sagen: Es kommt weder mir noch meinen Gästen darauf an, ob sie Wasser oder Lafitte trinken! Ihr aber – Ihr habt den Zeigefinger an die andern drei Finger hinüberzulegen; sonst sieht's aus, als wenn ihr euch hier zu Hause fühlt … Das war früher so, Joseph, – laßt den Alten vor! Guten Abend, Joseph! –, früher, wenn Vater Gesellschaft gab! Verstanden? Diese Vertraulichkeit von Dienstboten: »Bitte, Herr Timpe oder bitte Herr Schmitz oder bitte Herr de Jonge, greifen Sie doch zu! Warten Sie, Herr Effingh, ich hole Ihnen noch ein Stück Rehrücken! Oder: Nehmen Sie das, Herr Maus, das ist ein hübsches Mittelstück!« Und dann so hineinlangen, Joseph, und wol gar Herrn Moppes selber etwas vorlegen! Joseph, Joseph, Joseph! Die Zeiten sind gewesen, Joseph! … Und den Hals einer Flasche greift ein Diener nie an! Nie! Nie!

Ja wohl, Herr Kattendyk! rief der Chor im stürmischen Einklang …

Alle diese Bemerkungen hatten, da sie durch energische Demonstrationen unterstützt werden mußten, naturgemäß das Leeren eines vierten der allerdings nur kleinen Gläser zu Wege gebracht …

Eben war Piter im Begriff, seine ihm inzwischen vogelleicht gewordene, wie mit Schwingen begabte luftige Gestalt noch einmal die hintere Wendeltreppe hinaufzuschnellen, als die Diener die Thüren aufrissen und einen Mann eintreten ließen, von dem allen bekannt war, daß[191] er in die vornehmsten Gesellschaften, auf Bälle, Diners und Soupers immer nur im grauen Ueberrock kam, Herrn Dominicus Nück.

Eine gedrungene, breitschulterige Gestalt war es, anfangs der Fünfziger, mit grauem, kraus verworrenem Haar, das in der Mitte eine kleine Glatze zeigte. Die starken Backenknochen, Schläfe, Kinn, alles bezeugte eine gewaltige Kraft, die durch eine scheinbare Lässigkeit gemildert wurde. Die dunkelbraunen Augen lagen in den von langen, fast zottigen und gleichfalls schon ergrauten Brauen beschatteten Höhlen mit einem unheimlich und tief versteckten Feuer. Die Haut des Antlitzes war von Blatternarben entstellt. Nück mußte sich jeden Morgen selbst rasiren; die Barbiere hatten eine zu gefährliche Operation, um mit ihrem Messer durch die vielen Hügel, Verhacke und Versenkungen seines Gesichtsterrains hindurchzukommen. Und doch gab es einige Zierlichkeiten an dem vielgefürchteten Manne. Kleine Füße, weiche Hände, ja sogar unter dem immer gleichen grauen Ueberrock mit silbernen Knöpfen nur weiße Westen und über diesen weiße Battisthalstücher, weit und bauschig um den Hals geschlungen, diesen Hals, der allerdings empfindlich sein durfte nach dem bekannten Verhältniß mit Hammaker.

Nück sah sich spähend um und erwartete wahrscheinlich seinen jungen Schwager noch nicht zu finden, der eben einige Körbe voll Wein von einem der in Livree gesteckten Hausknechte noch in die hintern Zimmer tragen lassen wollte, wo bereits die zahllosen Gläservorräthe aufgehäuft waren. Piter hatte sich nach dem Vorfall mit[192] Delring vor dem Wiedersehen des Schwagers gefürchtet. Da der Schwager aber auch gegen diesen Gesellschaftsabend gewesen war und dennoch eben in eigener Person erschien, faßte er Muth und begrüßte ihn mit einer schmunzelnden Vertraulichkeit … Nück, der ihn nicht erwartete, fuhr fast vor ihm zurück und sagte im Volksdialekt der Stadt: Guten Abend, Piterchen!

Nück's Cynismus ging bis zur Verachtung aller Bildung, durch deren Geringschätzung er viele Menschen um so zutraulicher machte. Selbst vor Gericht sprang er oft, zum Jubel der Zuhörer, in den Volksdialekt über, wo ihm der Sieg dann fast nie fehlschlug. »Wir Gelehrte« betonte er den Proceßführenden nie anders, als ob er damit sagen wollte: Wir Esel. Bei alledem vernachlässigte er nichts, was zur Bildung gehört. Er kaufte Bücher und las sie sogar. Er schrieb vortreffliche Broschüren über die gelehrtesten Fragen des Privat- und Lehnrechts und las Nachts oft bis zum frühesten Morgen – wer sollte es glauben – Romane. Dann schlief er bis elf Uhr und eilte in seine Termine. Eine Gewohnheit, die er vor längern Jahren einmal angenommen hatte, Tag in Nacht und Nacht in Tag zu verwandeln, konnte er nicht durchführen; zwei Jahre lang war das Mittagessen sein erstes Frühstück und das Nachtessen sein Mittagsmahl gewesen.

Sind das deine Reservebataillone? sprach er im gemüthlichsten Schlendrian und mit Belächeln der glänzenden Vorrichtungen und der nun schon immer vollständiger sich entwickelnden Beleuchtung …[193]

Piter, entzückt von der friedlichen Gesinnung des ihm zuweilen so aufsätzigen Schwagers, offerirte von diesen Bataillonen und schenkte vom feurigsten Burgunder eine vorläufige Vedette ein …

Nück bemerkte davon nichts … Er bürstete seinen Hut, der heute sogar ein neuer war, und sah nur nach rechts und links, horchte und spähte, ob außer Pitern und den Dienern nicht vielleicht sonst jemand in den glänzenden Zimmern war …

Dies Benehmen nahm Piter für aufrichtigste Zustimmung und offerirte die Gläser zum Anstoßen.

Jetzt aber nahm Nück doch eine feierliche Miene an und sagte mit einem nicht unangenehmen Organ:

Piter, Piter! Eine Schande! Freude und Jubel hier, wo die Welt in Trauer lebt!

Aber schon blätterte er dabei in den Noten und schien so abwesend, daß Piter diesen Gegenstand für abgemacht erklären konnte und dem Schwager wiederholt sein Glas Burgunder anbot …

Nück lehnte nicht ab. Er nippte ein wenig. Piter, glückselig, sich heute nicht als Knabe von dreizehn Jahren, sondern als Mann und vollkommen ebenbürtig behandelt zu sehen, schüttete sein ganzes Glas hinunter …

Mama noch bei der Toilette? fragte Nück forschend und bemerkte jetzt, daß Piter von einer eigenthümlichen Elasticität war. Piter hielt sich, da die Dinge dieser Erde ihm plötzlich etwas wirblich zu werden schienen, an einer Stuhllehne …

Recht, mein Sohn! sagte Nück, der jemand, den er offenbar zu suchen schien, nicht fand und sich entfernen[194] zu wollen die Miene machte; Recht, daß du in deinen Leiden dich tröstest!

Leiden? Wie so?

Verlierst oben die schöne Nachbarschaft!

Hahaha! … lachte Piter hell auf und schenkte wieder ein … Das ängstliche Kapitel wegen Delring behandelte ja der Schwager ganz harmlos …

Nück's Augen gingen wie Feuerräder. Beim kleinsten Geräusch sah er auf die Eingangsthür …

Da die Bediente nicht zu nahe waren, ließ er die Worte fallen:

Mit Delring … hör' mal … Das ist ja ein curioser Spaß von dir!

Von mir? Wie so? fragte Piter trotzig und griff mit der linken Hand in den Ausschnitt seiner Weste und mit der rechten zum Glase …

Nück schien sich nicht im mindesten ärgern zu wollen. Er machte sogar Miene schweigend wieder zu gehen. Dennoch konnte er nicht umhin, noch fallen zu lassen:

Delring – hm – austreten? Piterchen, Piterchen! Welche Garantieen gibst du denn deinen Geschwistern?

Garantieen?

Delring glaubst du, geht nach Bremen und wird da ein Geschäftchen mit Cigarren oder Europamüden etabliren? Ich meine, er bleibt doch wol hier, fängt ein eigen Geschäft an, nimmt unsere besten Verbindungen mit; Farbhölzer sind seine Lieblingsbranche; die Lederhändler von Malmedy besucht er persönlich – Wie gesagt, ich dächte, es wäre besser – es bliebe beim Alten[195] und die kleine allerliebste Blondine kochte dir nach wie vor Kamillenthee, wenn dir schlecht ist, Piterchen –

Spott verbitt' ich mir! rief Piter und griff zur Flasche, um einschenkend zu zeigen, daß der Schwager mit einem Manne sprach …

In der That! Ein gemüthlicher Junge warst du von je! fuhr Nück ohne Schonung fort. Und zum Berge Karmel ließ' ich das hübsche Ding an deiner Stelle doch auch nicht so oft gehen! Pfarrer Rother entdeckt so viel Sünden an ihr, daß er vorzieht, ihr jetzt die Beichte bei sich zu Hause abzunehmen!

Piter hätte sein gefülltes Glas jetzt nehmen und es vor Zorn über eine Thatsache, die ihm selbst schon lange höchst befremdlich war, an den Kamin werfen mögen …

Die Splitter und die schönen gelbseidenen neuen Sessel bedenkend, trank er es lieber aus, setzte es dann aber kräftiglich auf den Sims und stand wie ein Löwe …

Nück brach ab von diesem reizbaren Gegenstande und kam nur auf seine Besorgnisse wegen Delring's Austritt zurück …

Gib dem Hofrath ein gutes Wort! sagte er …

Nimmermehr! antwortete Piter, versöhnt durch ein Stichwort auf den Schwager …

Ich will es statt deiner thun! Du weißt, ich bin sonst kein Freund von dieser geleckten Sorte –

Ich verjag' ihn ja nicht!

Dir wär' es lieber, er lebte dir nahe genug, um dich immer bewundern zu können! Indessen – Piterchen – ich trau' dem Zeitgeist nicht –

Wie so?[196]

Unserm ganzen Jahrhundert nicht! Wenn ihr einmal alle so dasäßet, ihr altehrwürdigen Firmen, mit ein paar Commissionen und Speditionen und zuletzt trotz eurer Alongenperrüken nichts weiter hättet, als ein paar Feuerversicherungsagenturen –!

Hahaha! Kommt bei uns nicht vor! versicherte Piter und wurde immer sicherer durch die gemüthliche Sprache des Schwagers, der überhaupt in neuerer Zeit, schon seit der Gefangennehmung Hammaker's, vielfach verändert war und erst seit der Hinrichtung desselben wieder etwas aufthaute …

Weißt du, Söhnchen, sagte er, ohne darum aufzuhören nach der Thür zu lauschen; weißt du, ich habe immer eine fatale Ahnung von einer ungeheuer Weltverschwörung der Juden gegen die Christen! Pater Sebastus schrieb das einmal in seinen früheren Artikeln, die mir immer aus der Seele kamen! Jetzt ist der arme censurirte Chrysostomus nicht mehr wiederzuerkennen, falls die anonymen »Stufen-Briefe vom Kalvarienberge des Lebens« von ihm sind. Ahasver, siehst du, das ist, sagte er einmal – Rothschild! Der alte Kurfürst von Hessen nämlich, weißt du, Piter, der mit dem Zopf – Kerl, trink doch nicht so viel! … Piter hatte wieder eingeschenkt vor Behagen über eine so gelehrte Unterhaltung, deren er gewürdigt werden konnte … Jener Kurfürst, der sein durch amerikanischen Menschenhandel erworbenes Geld dazumal in Frankfurt am Main von dem alten Amschel und – ich glaube – einem Bäcker Binding auf der Fahrgasse hat vergraben lassen, als Napoleon so gern draus wieder Soldaten geschmolzen hätte – früher, verstehst[197] du, Piter, war umgekehrt das Geld aus Soldaten geschmolzen worden! – also – Hast doch »Kabale und Liebe« schon gesehen –? also der alte Stammhalter der morganatischsten aller Dynastieen sag' ich – Piter, was morganatisch ist, das mußt du doch wissen?

Piter war in vollkommener Harmonie mit dieser Behandlung, die ihm die Ehre wissenschaftlicher Erörterungen gönnte. Und da sich bei ihm jetzt Denken mit der Hitze der Beleuchtung von außen und der Erwärmung von innen verband, so stand er, wie eingeweiht in alle Geheimnisse der Erde und der Conversa tions-Lexika und nickte bejahend. Er war vollkommen jetzt der »große Charakter«, der er auch zu bleiben gedachte, auch wenn er wirklich von sich hätte eingestehen müssen, daß ihm als Ehegattin »ein Mädchen aus dem Volke« lieber wäre als eine dieser bleichsüchtigen, musikklimpernden, wespentailligen –

Bitte! unterbrach Nück seine derartigen Gedanken und zog Handschuhe an – er war ohne welche eingetreten – Bitte, wenn ich dir etwas Bekanntes sage! Frau Morgane war die wunderschönste Dame an König Artus' Hofe und von dieser Dame möcht' ich die morganatischen Ehen, die Ehen der Mesalliancen, verstehst du? lieber ableiten – Denn vielleicht war Frau Morgane ihrer Herkunft nach auch gleichsam aus Kocher am Fall – in diesem Fall, siehst du, darin liegt bereits die ganze Andeutung, Piter; nicht in deinem, sondern in dem kurfürstlich hessischen Fall, mein' ich! Und wenn andere dann glauben, morganatisch käme von dem alten gothischen Worte Morgan, welches, wie du weist, so viel heißt als: beschränken, nämlich z.B. ein[198] Morgen Acker, d.h. eine Schranke, ein Theil Ackers – Nicht etwa, versteh' mich recht, als wenn ich die Menschen beschränkt nennen wollte, die nicht den üblichen Vorurtheilen folgen, und als ob der Westfälische Friede Recht gehabt hätte, der schon Anno 1648 sagte: Alle alten Herkommen in der Ehe sollen bleiben, sublatis omibus quae bellicorum temporum injuria irrepserunt confusionibus – confusionibus! Verstehst du, Piter? Confusionibus!

Nück's Betonung dieses letzten Wortes in seiner ganzen verworrenen Spottrede war bedeutungsvoll. Denn eben jetzt hatte er keinen Zweifel mehr, daß Piter in höhern Sphären schwebte. Eben sah er die Cognakflasche wegräumen und bemerkte eine Verwirrung in des ihm im Geiste folgenden Schwagers Gesichtszügen, eine Verwirrung, die die Folge seiner eigenen anakoluthischen Rede sein konnte, aber auch die des auf Cognak gesetzten Burgunders – freilich aber auch die Folge eines plötzlichen heftigen Klingelns, mit dem sich bei Gesellschaften oder beim Ausfahrenwollen der wichtige Moment anzukündigen pflegte, wo Mutter und Schwester die allerletzte Hand an ihre Toilette legten. Dann war nur noch im Rückstand, daß über die bereits fertige Frisur, die bombenfesten Corsets, die steifen Unterröcke sanft und vorsichtig das elegante Hauptkleid herabgelassen wurde. Schon war es halb acht Uhr und durch dies Klingeln wurde regelmäßig der Moment bezeichnet, wo die Mutter und die Tochter sofort in die geschmückten Räume treten konnten, kühn, unternehmend, erwartungsvoll und sich dann nur verdrießlich umsehend, wenn nicht sogleich auch schon die Hausfreunde da waren und sie mit einem bewundernden Ah! empfingen …[199]

Pitern war das seit Jahren imprägnirt … Bei diesem Klingeln besann er sich auf die ungeheuere Aufgabe, die er heute zu lösen hatte. Repräsentant des Hauses! Eine Vision ging ihm auf aus dem Reich jener Erinnerungen, denen zufolge er schon an einem solchen Abend unter hundert Menschen gewesen war, ohne daß er sich auf das Mindeste, was andere und sogar, was er selbst gesprochen, hatte besinnen können … Und wie nun das Klingeln auch bei der Schwester wiederholt wurde, wie er die Bewegung um sich her zunehmen, das Laufen und Rennen bemerkte und im Augenblick nicht wußte, welche gelehrten Ansichten er soeben ausgesprochen hatte, da erinnerte er sich, wie er einst auf einem Dampfschiff aus dem ruhigen Spiegel der Themse plötzlich in die Hebungen und Senkungen des Meeres einfuhr und sich rasch in seine Koje erster Klasse zurückzog. Auch jetzt ging er »still und bewegt« und ohne ein Wort zu reden in die hintern Zimmer und suchte mit mancherlei ihn erschreckendem Tastenmüssen die Wendeltreppe, die ihn zu seinem at home führte, wo er beschloß, sich um Gottes und aller Heiligen willen vorher noch eine kleine kurze Rast und Sammlung zu gönnen.

Nück sprach zwar noch etwas von Delring, von einem Familienconvent und sogar von Knabenstreichen hinter ihm her, aber Piter vernahm nichts mehr; er ging auseinander wie eine Morgenluft witternde Nebelgestalt …

Nück begab sich an den Eingang zurück und vermied allein zu sein mit seiner Schwiegermutter, die er hier so unter vier Augen am wenigsten gesucht hatte. Die[200] Garderobe war im Parterre. Dort hatte er einen alten Mantel abgelegt, in dessen Umhüllung man, wenn er so an den Häusern dahinschlich, nicht einen Mann vermuthet hätte, der ein Vermögen leicht von einer Viertelmillion besaß und aus seiner eigenen Thätigkeit noch Jahreseinnahmen von zehntausend Thalern …

Auf dem Vorplatz blieb er einige Augenblicke und sah in einen kleinen Corridor hinaus, auf welchen drei bis vier Zimmer ausliefen. Eine Thür, die hinterste, führte zu der Gesellschafterin der Schwiegermutter, Lucinde Schwarz … Auf das Erstaunen des alten Joseph, der doch hoffte, daß er wiederkäme, sprach er kein Wort. Aber seine Augen waren Feuerzungen. Doch auf diese Sprache verstand sich Joseph nicht. Ein paar Schritte machte Nück auf den Corridor hinaus. Dann kehrte er um und hielt sich an dem Treppengeländer … Jetzt bellten die Bologneserhunde an einer der Thüren und kratzten, um hinauszukommen; denn unten hörte man schon den immer gemüthlichen Ton des alten Pötzl, der bereits von unten herauf mit den Hunden sich neckte. Auch der Medicinalrath kam und noch ehe sich Nück von dem biedern Händedruck Pötzl's freigemacht hatte, war auch der Kanonikus schon da, der trotz Kirchentrauer und Kaiser und Papst am Whisttische unter keiner Bedingung fehlte …

Nück sagte allen, er käme wieder und hätte nur seiner Frau zu Gefallen sämmtliche Kamine wollen auslöschen lassen … Er beruhigte die Ankommenden, daß »Lieb Mutterchen« – so nannte die Commerzienräthin Pötzl –; »Lieb Töchterchen« – so der Medicinalrath –; »Lieb[201] Schwesterchen« – so der Kanonikus; – noch nicht in den Zimmern wäre, und stieg die Treppe nieder, begleitet vom Joseph, dem er, als dieser dem Kutscher, der heute als Garderobier fungirte, beim Ueberwerfen des Mantels half, nur die einfache Frage vorlegte:

Kommt denn – ich meine die Mamsell oben – na die Gesellschafterin – kommt denn die nicht auch heute – in den Trubel?

Herr Oberprocurator! sagte Joseph und eine Miene, die er machte, deutete die Sehnsucht dieses Fräuleins nur zu überirdischen Dingen und ihre außerordentliche Frömmigkeit an …

Der Portier stand im Thorweg in einer Gala, wie wenn sein Stab mit dem goldenen Knopf heute Fürsten zu empfangen hätte.

Nück ging kopfschüttelnd und drückte sich an den Häusern entlang wie mit verstörtem, ruhelosem Gewissen …

Die Wagen, die die Gäste in sein schwiegerälterliches Haus führten, rasselten an ihm vorüber. Ihn konnte man oft an solchen Abenden, wo dort alles in Festesglanz strahlte, im düstersten Winkel einer kleinen Schenke sehen, wo er Rettiche verzehrte und ein Glas einfachen Biers trank …

Heute aber huschte er in eine alte finstere Kirche, wo beim Schein weniger Lichter eine Abendandacht gehalten wurde. Nicht weit vom Weihbecken erwartete ihn eine Dame, die ihn an eine Todtengruftkapelle zog und ihm im Dunkeln einige geheimnißvolle Worte flüsterte … Die Dame trug einen orangegelben Hut mit schwarzem[202] Sammetbesatz … Das Gespräch war nur kurz und schien ihn verdrießlich zu stimmen …

Als Nück allein war, ging er tiefer in die dunkle Kirche; dann setzte er sich, seinen Mantel weit um sich geschlagen und den Kopf auf ein Betpult niederlegend, in einen der leeren Stühle, tief brütend und versunken in vielleicht die frommsten Gedanken.

Quelle:
Karl Gutzkow: Der Zauberer von Rom. Roman in neun Büchern, Band 4, Leipzig 1859, S. 174-203.
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