Erstes Capitel
Die ersten Winterschauer

[2323] Der Vorwinter war da. An die Fenster desselben Eckzimmers im Schlosse Hohenberg, wo die uns bekannten Sommergäste ihre fröhlichen Abendgesellschaften gehalten hatten, schlug jetzt der Regen eines mürrischen, naßkalten Herbstes. Der Sturmwind rüttelte die schlechtverwahrten Jalousieen und machte sich pfeifend auch durch die Ritzen der Fenster Bahn, auf deren innerem Simse sogar sich die hellen Regentropfen sammelten. Der Blick in den Garten fand die Bäume entlaubt, die Wege unsauber, regenglatt. Hier und da krachte ein Zweig, der dem plötzlichen Stoße des Nordwest nicht widerstehen konnte. Der Blick, selbst am Tage, ging nur bis zum Dorfe Plessen hinunter, das mit seinem Kirchthurme wie im magischen Nebel schwamm. Von Wald, Berg und Flur waren selbst dem schärfsten Auge nur einige matte, graugrüne Umrisse ersichtlich.

Dennoch war es in dem hohen Eckzimmer, wo in der Mitte noch das Piano stand, auf dem Melanie damals die Tanzanklänge gespielt hatte, nicht ganz ungemüthlich. Ein alterthümlich geformter Ofen von Gußeisen, in Form[2323] einer Pyramide, verbreitete die Behaglichkeit der ersten winterlichen Zimmerwärme. Der alte Winkler trug das Holz herein, Brigitte warf es von der Mitte des Ofens hinunter gerade durch die mit einer Jahreszahl versehene eiserne Denktafel der Pyramide, die nur die Thür des Ofens war. Der Alte schleppte schon den zweiten Korb herein und packte ihn sorgsam in der Nähe des Ofens unter das Kanapé. Waren doch er und die alte Brigitte jetzt die einzigen Diener des Hauses, die einzigen Wächter des Schlosses, alt und müde, wie konnten sie zu oft diese Treppen steigen, zu oft durch diese Zimmer die schweren Trachten Holz schleppen! Da mußte eine Tracht für zwei Tage ausreichen. Freilich mochten sie gern in der Nähe ihrer Gäste sein. Sie hätten so gern gehört, wie es denn nun werden sollte in Zukunft mit den hochfürstlichen Besitzungen! Ob sich denn keine junge Fürstin einstellen und, da doch einmal das Alter geht und das Junge kommt, mit einem lustigen Gefolge hier im nächsten Sommer wohnen würde? Ob Sr. durchlauchtigsten Gnaden, von dem der diplomatische Herr von Zeisel nicht zu verbreiten wagte, daß er diesen Sommer im Incognito ihn in den Thurm gesperrt hatte, nicht einmal selbst kommen und das Erbe seiner Väter betrachten würde? Das zurückgekehrte Mobiliar der seligen Fürstin gab fast Hoffnung dazu. Das hatten Heunisch und Herr von Zeisel im Triumph heimbegleitet und mit einer Art Stolz blickten die Sessel, die Divans, die Gebetpulte, die Tische und Schränke wieder in den Zimmern um sich, die sie[2324] zu schmücken hatten. Aber die weiteren Schicksale, die ihnen und dem Schlosse bevorstanden, waren den beiden alten Leuten denn doch für die kurze Zeit ihres Lebens noch zu sehr verschleiert.

Nun freilich hatte sich das Seltsame ereignet, daß ein alter Mann und ein junger sich durch einen Brief des Fürsten als rechtmäßige Bewohner des Schlosses auswiesen und von dem Gerichtsdirektor Herrn von Zeisel mit großer Aufmerksamkeit empfangen wurden. Wer waren diese beiden neuen Ankömmlinge? Vornehme Gläubiger gewiß nicht! Sie gingen so einfach, so schlicht, daß Winkler manchmal das Grüßen vergaß, was wohl auch an den immer schwächer werdenden fünf Sinnen der alten Haut lag, die noch immer vergebens auf die Beförderung durch den vornehmen Herrn wartete, der einmal zu ihr so gnädig geäußert hatte: Gut geharkt! Schöner Strich! Kenne Das! Die Brigitte war sogar verstimmt, daß diese Herren, die nur der Alte und der Junge hießen, auch nicht einen einzigen Dienstboten mitgebracht hatten. Nicht wegen der Arbeit. Denn die Gäste waren sehr anspruchslos, sondern nur wegen der Nachfrage und der Unterhaltung. So lange die alte Brigitte denken konnte, daß hier in den Tagen des Glanzes auf Hohenberg Besuche ein- und ausgingen, hatte es eine reiche Chronik von Geschichten und unterhaltenden Thatsachen gegeben. Diese zwei Menschen aber kamen ganz nüchtern, ganz unbekannt, sprachen nichts, befahlen nichts, baten nur und nahmen mit der einfachsten Kost vorlieb.[2325]

Da saß der Eine auf dem Kanapé und ersuchte die alte Brigitte sehr höflich um Licht.

Und Ihr Abendbrot, Herr? fragte sie rasch.

Der Angeredete war schwarz gekleidet und hatte über dem einen Auge eine Binde von gleicher Farbe.

Höflich sagte er:

Wie gestern, liebes Mütterchen. Thee trink' ich und etwas Brot, wenn man es haben kann.

Aber die Frau Directorin läßt sich's nicht nehmen, Ihnen vorzusetzen, was Sie wünschen. Befehlen doch die Herrschaften etwas Braten, Schinken! Wir haben ja Alles oder wenn Sie's befehlen, muß es da sein.

Danke für mich, Mütterchen. Freilich mein junger Freund und Begleiter ...

Murray, denn er war es, sah eben auf den Alten, der das Holz unter das Ende des Kanapés packte, auf dem er saß. Er wollte helfen.

Brigitte litt es nicht und sprach von Schinken, Hammelkeulen und ähnlichen Mysterien ihrer Gnaden der Frau Gerichtsdirektorin von Zeisel ...

Murray, der das Feuer in der Ofenpyramide behaglich knistern hörte, brach ihre Mittheilungen ab mit den Worten:

Licht, Mütterchen! Und die Hammelskeule immerhin, wenn mein Reisegefährte kommt. Es ist dunkel. Ich hoffe, daß er bald da sein wird.

In der That ging es auf sechs Uhr und schon war es stichdunkel. Murray besann sich, wie lange er schon so[2326] gesessen und still vor sich hin geträumt hatte. Es war so finster, daß das offene Zugloch der großen Pyramide leuchten mußte. So schritt er, als seine Bedienung gegangen war, auf den Flügel zu, der in der Mitte des großen Zimmers stand. Er öffnete ihn und schlug die Tasten an.

Wir kennen diese Tasten. Es war ein altes, dünnes Instrument, das mehr wie eine Cither klang. Ohnehin war es verstimmt und was fehlte nicht an Saiten! Dennoch hatte sich Murray seit den drei Tagen, daß sie hier auf Hohenberg eingekehrt waren, schon oft an den nothdürftigen Tönen erfreut. Und da ein längerer Aufenthalt vorauszusehen war, hatte Murray sogar eine Stimmschraube sich in der Dorfschmiede wollen, wenn auch roh nur und plump, anfertigen lassen, um damit die Wirbel der Saiten fassen und sie besser anziehen zu können. Als man ihm freilich den Namen des Schmieds Zeck nannte, hatte er den Plan wieder aufgegeben. Der Name der Zeck's schien ihn zu sehr zu befremden. Er spielte nun auch so auf dem verstimmten Instrumente; auch so schien ihn zu erfreuen, Reminiscenzen an eine alte Kunstfertigkeit herauf zu beschwören, die freilich aus den steifgewordenen Fingern etwas verschwunden schien.

Brigitte brachte langsam und vorsichtig eine große Astrallampe mit einem Gazeschirm, die sie schon gestern ihren Gästen angekündigt hatte, als sie ihnen Lichter gab. Es war die Zimmerlampe der seligen Fürstin, lange nicht gebraucht und so altmodisch, daß ...

Sie ausgehen wird! bemerkte Murray.[2327]

Versuchen Sie's einmal damit, meinte die Alte. Wenn sie nicht brennen sollte, so liegt's am Docht ...

In dem die Motten sitzen werden? Seht, seht, da geht sie schon aus! sagte Murray geduldig lächelnd.

In der That erlosch die Lampe mit unfreundlichem Duft. Murray wünschte die Leuchter von gestern. Brigitte schüttelte den Kopf, trat an die Thür, die nicht ganz geschlossen war, und sprach hinaus:

Na ja, Zeck! Die Lampe hier muß er auch in die Kur nehmen ...

Murray hörte kaum diese Worte, als er Brigitte festhielt, die Thür zuwarf und fragte:

Wer ist da draußen?

Der alte Zeck und der Junge, sagte Brigitte, die sich auf Alles verstehen, Pferde und Vieh und Öfen und Lampen.

Was sollen Die? sagte Murray in peinlichster Ungeduld und die Thür zuhaltend.

Der junge Herr hat sie ja bestellt wegen dem Klavier!

O, sagt den Leuten nur, daß es keine Noth damit hätte! Laßt sie nicht kommen! Nein! nein! Schickt die Leute fort! Holt den Leuchter, alles Andre, was ich nicht bestimmt bestelle, laßt gut sein. Hört Ihr, liebe Frau! Geht rasch, ich kann im Dunkeln bleiben.

Murray sprach diese Worte in einer Aufregung, als stünde ihm die unangenehmste, gefährlichste Begegnung bevor. Er drängte Brigitten von sich, protestirte jetzt lebhafter gegen den Duft der ausgegangenen Lampe und riegelte die Thür zu, als Brigitte brummend hinausging.[2328]

Murray überzeugte sich an schweren, plumpen Schritten, die er draußen hörte, daß die Zeck's sich gleichfalls entfernten und schob den Riegel nun wieder zurück und gab die Thür frei.

Erschöpft warf er sich auf das Kanapé. Tief holte er Athem, wie nach einer großen Anstrengung. So saß er nachdenklich, erschüttert, eine Weile. Dann ging er an eins der Fenster, die auf den Garten sehen ließen, und drückte die Stirn an die Scheiben. So bewegt schien er, daß er kaum merkte, wie die Tropfen von außen an das Glas schlugen und wie der Sturm die Bäume und Sträucher peitschte. Die Dorfhunde heulten in der Ferne. Es war doch einsam, schauerlich hier oben. Es sah nach den Sternen. Kein einz'ger war in dem dicken Nachtnebel sichtbar. Er suchte so lange, bis er erstaunt war, sich umsehend, die beiden Lichter schon anzutreffen, die ihm Brigitte, ohne daß er es merkte, hereingetragen hatte. Da er ihr den Rücken kehrte und auf ihr Räuspern und Fragen nicht antwortete, war sie wieder gegangen, umsomehr, als sie in das Amtsgebäude hinunter mußte, um sich von Frau von Zeisel, gebornen Nutzholz-Dünkerke, die bewußten animalischen Vorräthe auszubitten.

Murray wandte sich jetzt einem Tische zu, den er an einem andern Fenster des großen Zimmers für sich hergerichtet hatte. Hier lagen Papiere, Zeichnenmaterialien, feine kleine Instrumente durcheinander. Er setzte sich, nahm einen grünen Schirm, der auf dem Tische lag, noch über die Binde und setzte sich zur Arbeit, die keine andere[2329] war, als daß er auf eine Kupferplatte Buchstaben ätzte. Das Licht der beiden Talgkerzen war wol zu schwach für seine Arbeit. Einige kleine Gläser, die am Fenster standen, verriethen, daß Murray sonst mit allen Hülfsmitteln der Kupferstecherkunst ausgerüstet war. Er stellte die Lichter dicht vor die Platte, über die er sich mit seiner Ätznadel beugte; er wollte arbeiten. Doch mußt' er bald aufhören. Das Licht war zu flackernd, zu düster. Er schüttelte den Kopf und gab sein Werk, an dem er den Tag über gearbeitet hatte, für jetzt auf.

Indem hörte er kommen. Rasch warf er einen größeren Papierbogen über die Kupfertafel und erhob sich.

Ich bin es, Murray, rief draußen im Vorzimmer eine Stimme, die er sogleich als die Louis Armand's erkannte.

Da Louis nicht eintrat, ging ihm Murray mit Licht entgegen.

Hinausleuchtend begrüßte er den Ankömmling mit den Worten:

So spät? Und in diesem Wetter? Himmel, wie sind Sie durchnäßt!

Das bin ich! sagte Louis und schwenkte den nassen Hut im Vorzimmer und trat heftig mit den Füßen, sich schüttelnd, auf.

Sie müssen sich umkleiden, Freund!

Ich fühl' es wohl; ich bin naß bis auf die Haut. Ein Wetter wie in den Ardennen, wo ich einmal einen Vetter auf einem Eisenhammer besuchen wollte. Nur die Wölfe fehlen.[2330]

Die werden sich hier mit dem Schnee auch einstellen, sagte Murray. Aber kommen Sie doch an den Ofen! Trocknen Sie sich!

Ich will nur ein Hemd und Kleider aus meinem Koffer nehmen.

Murray leuchtete und geleitete seinen neuen jungen Freund an den warmen Ofen.

Darf ich, Papa? fragte Louis Armand und deutete auf seine Absicht hin, sich ganz frisch umzukleiden.

Ich helfe, versteht sich! antwortete Murray. Die Wäsche muß gewärmt sein. Geben Sie her, ich halte sie gegen diese Pyramide, die unser Heiligthum werden wird, als wären wir Ägyptier. Die hatten Kühlung von ihren Pyramiden, wir Wärme. Grund genug zur Verehrung.

Louis kleidete sich in wenig Augenblicken um und würde schon begonnen haben, Murray's Verlangen nach Mittheilung seiner Erlebnisse im Walde zu befriedigen, wenn nicht Brigitte jetzt in pünktlicher Aufmerksamkeit mit dem Thee und dem Zubehör erschienen wäre. Der alte Winkler trug das Kohlenbecken und die heiße Kanne, sie selbst die Theebüchse, Brot, Butter und zwar nicht den ganzen Hammelsbraten der Frau von Zeisel, wohl aber eine ansehnliche Anzahl von glatt ihr entschnittenen Scheiben.

O Das ist angenehm, sagte Louis, dem es ganz wohl und behaglich in seinen erwärmten Kleidern wurde und der sich sagen konnte, daß er im Auftrage des Fürsten hier[2331] fast wie in seinem Eigenthum wohnen durfte. Danke, danke, Mütterchen! Wie behaglich, wie gastfrei! Das soll uns gut schmecken.

Murray, der hier von Louis Armand's Flügeln geschützte Gast, würde freudig in dieses Lob mit eingestimmt haben, wenn nicht Brigitte mit einem Blick auf Louis wieder von den Zeck's angefangen hätte, die wegen dem eisernen Ding das er bestellt hätte, doch nun wieder draußen warteten ...

Ja, sagte Louis, die Stimmschraube glaubt der Alte liefern zu können.

Nein, nein, fuhr Murray wie vorhin auf, ich sagte's schon. Es ist gut so. Ich spiele zu wenig!

Murray gerieth wieder in Aufregung.

Der Alte meinte, er verstünde mich vollkommen. Ich mußt' es ihm handgreiflich beschreiben, da er blind ist; sagte Louis.

Ist er blind? fiel Murray mit einiger Bewegung ein.

Der Vater ist blind, antwortete Louis, und der Sohn taub.

Und nun lehnte Murray entschieden den Dienst ab.

Heute nicht! Genug von der Sache! Guten Abend, Frau Brigitte. Morgen! Morgen! Gebt ihm die Lampe! Laßt die von ihm repariren, er kann es, es ist ein Tausendkünstler oder – vielleicht kann er's. Guten Abend!

Damit drängte Murray die Alte hinaus und schob noch den Riegel vor. Dann knüpfte er, seine Aufregung zu verbergen, sogleich seine Bemerkungen an Louis' Appetit an[2332] und forderte ihn auf, Platz zu nehmen auf dem Kanapé neben ihm und zu erzählen, wie er nun im Forsthause Alles angetroffen.

Den Einen drängte es ebenso zu reden, wie den Andern zu hören. Das Feuer im Ofen prasselte, das Wasser in der Maschine zischte, draußen regnete es. Der Gegensatz weckte die gemüthlichste Behaglichkeit.[2333]

Quelle:
Karl Ferdinand Gutzkow: Die Ritter vom Geiste. [Band 1–3], Frankfurt a.M. 1998, S. 2323-2334.
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