Erste Auftritt

[3] Panthea. Delia.


PANTHEA.

Dies ist sein Garten! Dort im geheimen

Dunkel, wo die Quelle springt, dort stand er

jüngst, als ich vorüberging – du

hast ihn nie gesehn?

DELIA.

O Panthea! Bin ich doch erst seit gestern mit dem

Vater in Sicilien. Doch ehmals, da

ich noch ein Kind war, sah ich

ihn auf einem Kämpfer –

wagen bei den Spielen in Olympia.

Sie sprachen damals viel von ihm, und immer

ist sein Name mir geblieben.

PANTHEA.

Du mußt ihn jetzt sehn! jetzt!

Man sagt, die Pflanzen merkten auf

ihn, wo er wandre, und die Wasser unter der Erde

strebten herauf da, wo sein Stab den Boden berühre!

Das all mag wahr sein!

und wenn er bei Gewittern in den Himmel blicke,

teile die Wolke sich und hervorschimmre

der heitere Tag. –

Doch was sagts? du mußt ihn selbst sehn! einen[3]

Augenblick! und dann hinweg! ich meid ihn selbst –

ein furchtbar allverwandelnd Wesen ist in ihm. – –

DELIA.

Wie lebt er mit andern? Ich begreife nichts

von diesem Manne,

Hat er wie wir auch seine leeren Tage,

Wo man sich alt und unbedeutend dünkt?

Und gibt es auch ein menschlich Leid für ihn?

PANTHEA.

Ach! da ich ihn zum letztenmale dort

Im Schatten seiner Bäume sah, da hatt er wohl

Sein eigen tiefes Leid – der Göttliche.

Mit wunderbarem Sehnen, traurigforschend

Wie wenn er viel verloren, blickt' er bald

Zur Erd hinab, bald durch die Dämmerung

Des Hains hinauf, als wär ins ferne Blau

Das Leben ihm entflogen, und die Demut

Des königlichen Angesichts ergriff

Mein ringend Herz – auch du mußt untergehn,

Du schöner Stern! und lange währets nicht mehr.

Das ahnte mir –

DELIA.

Hast du mit ihm auch schon

Gesprochen, Panthea?

PANTHEA.

O daß du daran mich erinnerst! Es ist nicht lange,

daß ich todeskrank daniederlag. Schon dämmerte

der klare Tag vor mir und um die Sonne

wankte, wie ein seellos Schattenbild, die Welt.[4]

Da rief mein Vater, wenn er schon

ein arger Feind des hohen Mannes ist, am hoff-

nunglosen Tage den Vertrauten der Natur,

und als der Herrliche den Heiltrank mir

gereicht, da schmolz in zaubrischer Versöhnung

mir mein kämpfend Leben ineinander, und wie

zurückgekehrt in süße sinnenfreie

Kindheit schlief ich wachend viele Tage fort,

Und kaum bedurft ich eines Othemzugs – wie

nun in frischer Lust mein Wesen sich zum erstenmale

wieder der langentbehrten Welt entfaltete, mein

Auge sich in jugendlicher Neugier dem Tag er-

schloß, da stand er, Empedokles! o wie göttlich

und wie gegenwärtig mir! am Lächeln seiner Augen

blühte mir das Leben wieder auf! ach

wie ein Morgenwölkchen floß mein Herz dem

hohen süßen Licht entgegen und ich war der zarte

Widerschein von ihm.

DELIA.

O Panthea!

PANTHEA.

Der Ton aus seiner Brust! in jede Silbe

klangen alle Melodien! und der

Geist in seinem Wort! – zu seinen Füßen

möcht ich sitzen, stundenlang, als seine Schülerin,

sein Kind, in seinen Aether schaun, und

zu ihm auf frohlocken, bis in seines Himmels

Höhe sich mein Sinn verirrte.

DELIA.

Was würd er sagen, Liebe, wenn ers wüßte![5]

PANTHEA.

Er weiß es nicht. Der Unbedürftge wandelt

In seiner eignen Welt; in leiser Götterruhe geht

Er unter seinen Blumen, und es scheun

Die Lüfte sich, den Glücklichen zu stören,

Und aus sich selber wächst

In steigendem Vergnügen die Begeisterung

Ihm auf, bis aus der Nacht des schöpfrischen

Entzückens, wie ein Funke, der Gedanke springt,

Und heiter sich die Geister künftger Taten

In seiner Seele drängen, und die Welt,

Der Menschen gärend Leben und die größre

Natur um ihn erscheint – hier fühlt er, wie ein Gott

In seinen Elementen sich, und seine Lust

Ist himmlischer Gesang, dann tritt er auch

Heraus ins Volk, an Tagen, wo die Menge

Sich überbraust und eines Mächtigern

Der unentschlossene Tumult bedarf,

Da herrscht er dann, der herrliche Pilot

Und hilft hinaus und wenn sie dann erst recht

Genug ihn sehn, des immerfremden Manns sich

Gewöhnen möchten, ehe sie's gewahren,

Ist er hinweg, – ihn zieht in seine Schatten

Die stille Pflanzenwelt, wo er sich schöner findet,

Und ihr geheimnisvolles Leben, das vor ihm

In seinen Kräften allen gegenwärtig ist.

DELIA.

O Sprecherin! wie weißt du denn das alles?

PANTHEA.

Ich sinn ihm nach – wie viel ist über ihn

Mir noch zu sinnen? ach! und hab ich ihn[6]

Gefaßt; was ists? Er selbst zu sein, das ist

Das Leben und wir andern sind der Traum davon. –

Sein Freund Pausanias hat auch von ihm

Schon manches mir erzählt – der Jüngling sieht

Ihn Tag vor Tag, und Jovis Adler ist wohl

Nicht stolzer, denn Pausanias – ich glaub es!

DELIA.

Ich kann nicht tadeln, Liebe, was du sagst,

Doch trauert meine Seele wunderbar

Darüber und ich möchte sein, wie du,

Und möcht es wieder nicht. Seid ihr denn all

Auf dieser Insel so? Wir haben auch

An großen Männern unsre Lust, und Einer

Ist itzt die Sonne der Athenerinnen,

Sophokles! dem von allen Sterblichen

Zuerst der Jungfraun herrlichste Natur

Erschien und sich zu reinem Angedenken

In seine Seele gab –

jede wünscht sich, ein Gedanke.

Des Herrlichen zu sein, und möchte gern

Die immerschöne Jugend, eh sie welkt,

Hinüber in des Dichters Seele retten

Und frägt und sinnet, welche von den Jungfraun

Der Stadt die zärtlichernste Heroide sei,

Die er Antigonä genannt; und helle wirds

Um unsre Stirne, wenn der Götterfreund

Am heitern Festtag ins Theater tritt,

Doch kummerlos ist unser Wohlgefallen,

Und nie verliert das liebe Herz sich so

In schmerzlich fortgerißner Huldigung –

Du opferst dich – ich glaub es wohl, er ist[7]

Zu übergroß, um ruhig dich zu lassen,

Den unbegrenzten liebst du unbegrenzt,

Was hilft es ihm? dir selbst, dir ahndete

Sein Untergang, du gutes Kind und du

Sollst untergehn mit ihm?

PANTHEA.

O mache mich

Nicht stolz, und fürchte wie für ihn, für mich nicht!

Ich bin nicht er, und wenn er untergeht,

So kann sein Untergang der meinige

Nicht sein, denn groß ist auch der Tod der Großen


Was diesem Manne widerfährt.


Das, glaube mir, das widerfährt nur ihm,

Und hätt er gegen alle Götter sich

Versündiget und ihren Zorn auf sich

Geladen, und ich wollte sündigen,

Wie er, um gleiches Los mit ihm zu leiden,

So wärs, wie wenn ein Fremder in den Streit

Der Liebenden sich mischt, – was willst du? sprächen

Die Götter nur, du Törin kannst uns nicht

Beleidigen, wie er.

DELIA.

Du bist vielleicht

Ihm gleicher als du denkst, wie fändst du sonst

An ihm ein Wohlgefallen?

PANTHEA.

Liebes Herz!

Ich weiß es selber nicht, warum ich ihm

Gehöre – sähst du ihn! – Ich dacht, er käme

Vielleicht heraus,[8]

du hättest dann im Weggehn ihn

Gesehn – es war ein Wunsch! nicht wahr? ich sollte

Der Wünsche mich entwöhnen, denn es scheint,

Als liebten unser ungeduldiges

Gebet die Götter nicht, sie haben recht!

Ich will auch nimmer – aber hoffen muß

Ich doch, ihr guten Götter, und ich weiß

Nicht anderes, denn ihn –

Ich bäte gleich den Übrigen, von euch

Nur Sonnenlicht und Regen, könnt ich nur!

O ewiges Geheimnis, was wir sind

Und suchen, können wir nicht finden; was

Wir finden, sind wir nicht – wie viel ist wohl

Die Stunde, Delia?

DELIA.

Dort kommt dein Vater.

Ich weiß nicht, bleiben oder gehen wir –

PANTHEA.

Wie sagtest du? mein Vater? komm! hinweg!


Quelle:
Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 4, Stuttgart 1962, S. 3-9.
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