Dritter Auftritt

[109] Pausanias. Empedokles.


EMPEDOKLES.

Ich fühle nur des Tages Neige, Freund!

Und dunkel will es werden mir und kalt!

Es gehet rückwärts, lieber! nicht zur Ruh,

Wie wenn der beutefrohe Vogel sich

Das Haupt verhüllt zu frischer erwachendem

Zufriednem Schlummer, anders ists mit mir!

Erspare mir die Klage! laß es mir!

PAUSANIAS.

Sehr fremde bist du mir geworden,

Mein Empedokles! kennest du mich nicht?

Und kenn ich nimmer dich, du Herrlicher? –

Du konntst dich so verwandeln, konntest so

Zum Rätsel werden, edel Angesicht,

Und so zur Erde beugen darf der Gram

Die Lieblinge des Himmels? bist du denn

Es nicht? und sieh! wie danken dir es all,

Und so in goldner Freude mächtig war

Kein anderer, wie du, in seinem Volke.

EMPEDOKLES.

Sie ehren mich? o sag es ihnen doch,

Sie sollens lassen – Übel steht[109]

Der Schmuck mir an und welkt

Das grüne Laub doch auch

Dem ausgerißnen Stamme!

PAUSANIAS.

Noch stehst du ja, und frisch Gewässer spielt

Um deine Wurzel dir, es atmet mild

Die Luft um deine Gipfel, nicht von Vergänglichem

Gedeiht dein Herz; es walten über dir

Unsterblichere Kräfte.

EMPEDOKLES.

Du mahnest mich der Jugendtage, lieber!

PAUSANIAS.

Noch schöner dünkt des Lebens Mitte mir.

EMPEDOKLES.

Und gerne sehen, wenn es nun

Hinab sich neigen will, die Augen

Der Schnellhinschwindenden noch Einmal

Zurück, der Dankenden. O jene Zeit!

Ihr Liebeswonnen, da die Seele mir

Von Göttern, wie Endymion, geweckt,

Die kindlich schlummernde, sich öffnete,

Lebendig sie, die Immerjugendlichen,

Des Lebens große Genien

Erkannte – schöne Sonne! Menschen hatten mich

Es nicht gelehrt, mich trieb mein eigen Herz

Unsterblich liebend zu Unsterblichen,

Zu dir, zu dir, ich konnte Göttlichers

Nicht finden, stilles Licht! und so wie du

Das Leben nicht an deinem Tage sparst

Und sorgenfrei der goldnen Fülle dich[110]

Entledigest, so gönnt auch ich, der Deine,

Den Sterblichen die beste Seele gern

Und furchtlosoffen gab

Mein Herz, wie du, der ernsten Erde sich,

Der schicksalvollen; ihr in Jünglingsfreude

Das Leben so zu eignen bis zuletzt,

Ich sagt ihrs oft in trauter Stunde zu,

Band so den teuern Todesbund mit ihr.

Da rauscht' es anders, denn zuvor, im Hain,

Und zärtlich tönten ihrer Berge Quellen –

All deine Freuden, Erde! wahr, wie sie,

Und warm und voll, aus Müh und Liebe reifen,

Sie alle gabst du mir. Und wenn ich oft

Auf stiller Bergeshöhe saß und staunend

Der Menschen wechselnd Irrsal übersann,

Zu tief von deinen Wandlungen ergriffen,

Und nah mein eignes Welken ahndete,

Dann atmete der Aether, so wie dir,

Mir heilend um die liebeswunde Brust,

Und, wie Gewölk der Flamme, löseten

Im hohen Blau die Sorgen mir sich auf.

PAUSANIAS.

O Sohn des Himmels!

EMPEDOKLES.

Ich war es! ja! und möcht es nun erzählen,

Ich Armer! möcht es Einmal noch

Mir in die Seele rufen,

Das Wirken deiner Geniuskräfte

Der Herrlichen deren Genoß ich war, o Natur,

Daß mir die stumme todesöde Brust

Von deinen Tönen allen widerklänge,[111]

Bin ich es noch? o Leben! und rauschten sie mir

All deine geflügelten Melodien und hört

Ich deinen alten Einklang, große Natur?

Ach! ich der Einsame, lebt ich nicht

Mit dieser heilgen Erd und diesem Licht

Und dir, von dem die Seele nimmer läßt,

O Vater Aether, und mit allen Lebenden

Der Götter Freund im gegenwärtigen

Olymp? ich bin heraus geworfen, bin

Ganz einsam, und das Weh ist nun

Mein Tagsgefährt' und Schlafgenosse mir.

Bei mir ist nicht der Segen, geh!

Geh! frage nicht! denkst du, ich träum?

O sieh mich an! und wundre des dich nicht,

Du Guter, daß ich daherab

Gekommen bin; des Himmels Söhnen ist,

Wenn überglücklich sie geworden sind,

Ein eigner Fluch beschieden.

PAUSANIAS.

Ich duld es nicht,

Weh! solche Reden! du? ich duld es nicht.

Du solltest so die Seele dir und mir

Nicht ängstigen. Ein böses Zeichen dünkt

Es mir, wenn so der Geist, der immerfrohe, sich

Der Mächtigen umwölket.

EMPEDOKLES.

Fühlst dus? Es deutet, daß er bald

Zur Erd hinab im Ungewitter muß.

PAUSANIAS.

O laß den Unmut, lieber!

O dieser, was tat er euch, dieser Reine,[112]

Daß ihm die Seele so verfinstert ist,

Ihr Todesgötter! haben die Sterblichen denn

Kein Eigenes nirgendswo, und reicht

Das Furchtbare denn ihnen bis ans Herz,

Und herrscht es in der Brust den Stärkeren noch

Das ewige Schicksal? Bändige den Gram

Und übe deine Macht, bist du es doch

Der mehr vermag, denn andere, o sieh

An meiner Liebe, wer du bist,

Und denke dein, und lebe!

EMPEDOKLES.

Du kennest mich und dich und Tod und Leben nicht.

PAUSANIAS.

Den Tod, ich kenn ihn wenig nur,

Denn wenig dacht ich seiner.

EMPEDOKLES.

Allein zu sein,

Und ohne Götter, ist der Tod.

PAUSANIAS.

Laß ihn, ich kenne dich, an deinen Taten

Erkannt ich dich, in seiner Macht

Erfuhr ich deinen Geist, und seine Welt,

Wenn oft ein Wort von dir

Im heilgen Augenblick

Das Leben vieler Jahre mir erschuf,

Daß eine neue große Zeit von da

Dem Jünglinge begann. Wie zahmen Hirschen,

Wenn ferne rauscht der Wald und sie

Der Heimat denken, schlug das Herz mir oft,

Wenn du vom Glück der alten Urwelt sprachst,[113]

Der reinen Tage kundig und dir lag

Das ganze Schicksal offen, zeichnetest

Du nicht der Zukunft große Linien

Mir vor das Auge, sichern Blicks, wie Künstler

Ein fehlend Glied zum ganzen Bilde reihn?

Und kennst du nicht die Kräfte der Natur,

Daß du vertraulich wie kein Sterblicher

Sie, wie du willst, in stiller Herrschaft lenkest?

EMPEDOKLES.

Recht! alles weiß ich, alles kann ich meistern.

Wie meiner Hände Werk, erkenn ich es

Durchaus, und lenke, wie ich will

Ein Herr der Geister, das Lebendige.

Mein ist die Welt, und untertan und dienstbar

Sind alle Kräfte mir,

zur Magd ist mir

Die herrnbedürftige Natur geworden.

Und hat sie Ehre noch, so ists von mir.

Was wäre denn der Himmel und das Meer

Und Inseln und Gestirn, und was vor Augen

Den Menschen alles liegt, was wär es,

Dies tote Saitenspiel, gäb ich ihm Ton

Und Sprach und Seele nicht? was sind

Die Götter und ihr Geist, wenn ich sie nicht

Verkündige? nun! sage, wer bin ich?

PAUSANIAS.

Verhöhne nur im Unmut dich und alles

Was Menschen herrlich macht,

Ihr Wirken und ihr Wort, verleide mir

Den Mut im Busen, schröcke mich zum Kinde[114]

Zurück. O sprich es nur heraus! du hassest dich

Und was dich liebt und was dir gleichen möcht;

Ein anders willst du, denn du bist, genügst dir

In deiner Ehre nicht und opferst dich an Fremdes.

Du willst nicht bleiben, willst

Zu Grunde gehen. Ach! in deiner Brust

Ist minder Ruhe, denn in mir.

EMPEDOKLES.

Unschuldiger!

PAUSANIAS.

Und dich verklagst du?

Was ist es denn? o mache mir dein Leiden

Zum Rätsel länger nicht! mich peinigets!

EMPEDOKLES.

Mit Ruhe wirken soll der Mensch,

Der sinnende, soll entfaltend

Das Leben um ihn fördern und heitern

Denn hoher Bedeutung voll,

Voll schweigender Kraft umfängt

Den ahnenden, daß er bilde die Welt,

Die große Natur,

Daß ihren Geist hervor er rufe, strebt

Tief wurzelnd

Das gewaltige Sehnen ihm auf.

Und viel vermag er und herrlich ist

Sein Wort, es wandelt die Welt

Und unter den Händen[115]

Quelle:
Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 4, Stuttgart 1962, S. 109-116.
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