Dichtermut

[Erste Fassung]


Sind denn dir nicht verwandt alle Lebendigen?

Nährt zum Dienste denn nicht selber die Parze dich?

Drum! so wandle nur wehrlos

Fort durchs Leben und sorge nicht!


Was geschiehet, es sei alles gesegnet dir,

Sei zur Freude gewandt! oder was könnte denn

Dich beleidigen, Herz! was

Da begegnen, wohin du sollst?


Denn, wie still am Gestad, oder in silberner

Fernhintönender Flut, oder auf schweigenden

Wassertiefen der leichte

Schwimmer wandelt, so sind auch wir,


Wir, die Dichter des Volks, gerne, wo Lebendes

Um uns atmet und wallt, freudig, und jedem hold,

Jedem trauend; wie sängen

Sonst wir jedem den eignen Gott?


Wenn die Woge denn auch einen der Mutigen,

Wo er treulich getraut, schmeichlend hinunterzieht,

Und die Stimme des Sängers

Nun in blauender Halle schweigt,
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Freudig starb er und noch klagen die Einsamen,

Seine Haine, den Fall ihres Geliebtesten;

Öfters tönet der Jungfrau

Vom Gezweige sein freundlich Lied.


Wenn des Abends vorbei Einer der Unsern kömmt,

Wo der Bruder ihm sank, denket er manches wohl

An der warnenden Stelle,

Schweigt und gehet gerüsteter.

Quelle:
Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 2, Stuttgart 1953, S. 58-59,66-67.
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