Sechstes Kapitel

[242] Es wäre gut, wenn die Hoffnung etwas seltner wäre im Gemüte des Menschen. Er waffnete sich dann zu rechter Zeit gegen die Zukunft.

Der Abend war nun wirklich da, wo ich sie wiedersehen sollte. Ich war auch kaum hinausgegangen, so ward ich die Reisenden in einiger Entfernung gewahr. Diotima grüßte mich auch freundlich, aber die Diotima, von der ich geträumt hatte, war sie doch nicht. Ihr reiner immertätiger Geist äußerte sich gegen mich, wie zuvor; aber es ward mir schwerer, als sonst, auf sie zu merken; ich war zerstreut, und hört oft Augenblicke lang kein Wort von allem, was sie sprach, und wenn ich lauschte, so war es, weil das arme Wesen trachtete, für seine sterblichen Wünsche ein erfreulich Wörtchen zu erhaschen. Oft, wenn sie während ihrer Rede meinen Namen nannte, war ich plötzlich mit meiner ganzen Seele gegenwärtig; aber mit Schmerzen fühlt ich bald, daß ihr Geist nur einen Augenblick mir nahe gewesen war.[242]

Ich ahndete nun allmählich trübe Tage. Es war jetzt oft, als warnte mich etwas, als ging' ich nicht auf rechtem Wege.

Sie war das einzige, woran mein Leben sich erhielt, mein Herz hatte sich nach und nach so gewöhnt, daß auch nicht der Schatte in mir war von einer Hoffnung, die ohne sie bestanden wäre, und sie schien sich doch mit jedem Tage mehr von mir zu entfernen. Ich fühlte den sterbenden Frühling meines Herzens. Der milde Himmel, der es umfangen hatte, und genährt, die stille Seligkeit, die ich gefunden hatte im sorglosen Anschaun der Grazie und Hoheit dieses seltnen Wesens, verschwand mit jedem Tage merklicher. Mit Todesangst konnt ich itzt jede Miene und jeden Laut von ihr befragen, ob sie mich verlassen würde; ihr Auge mochte gen Himmel sich wenden, oder zur Erde, ich folgt ihm, als wollte mir mein Leben entfliehn. Ich muß es nur geradezu sagen, ich war oft ärgerlich über alles Gute und Wahre, wovon sie sprach, weil sie mich darüber zu vergessen schien. O es ist mir sehr begreiflich geworden, wie der Mensch dahin geraten kann, daß er das beste, was wir haben, das edle freie Leben des Geistes zu morden strebt in dem Wesen, woran sein Herz hängt. Es geht mir durch die Seele, wenn ich mir die guten Kinder denke, die sich das Mein! und Dein! so unbedingt, mit solcher Entzückung sagen. Der Mißverstand ist so leicht. Und weh ihnen, wenn sie sich mißverstehn!

Solang ich bei ihr war, und ihr begeisterndes Wesen mich emporhub über alle Armut der Menschen, vergaß ich oft auch die Sorgen und Wünsche meines dürftigen Herzens. Aber das dauerte nicht lange. Sowie ich zu mir selbst kam, begann auch wieder meine Not, und je höher und heller ihr Geist über mir leuchtete, um so brennender fühlt ich meinen Jammer. Aber tief in mein Innerstes begrub ich ihn. Es ging mir, wie den Menschen, denen die Flamme ihre Kammern verzehrt, und die nicht um Hülfe rufen mögen, aus Scham und Scheue vor andern. Keine Stelle war mir sicher genug, um mich der Klage meines Herzens zu entlasten. Ich erinnere mich[243] nicht eines Worts, das ich über meinen Gram gesprochen hätte. Ich sah auch nicht, was es mir fruchten könnte, irgend ein Wesen um Hülfe anzusprechen; ich hatte ja schon einmal Trost in der Welt gesucht, und war ärmer zurückgekommen.

Ich verzehrte mich in verworrenem gewaltsamem Ringen nach ihr, und mein Wesen mattete sich um so schröcklicher ab, je mehr ich meine glühenden Wünsche verbarg.

So kam ich eines Tags zu Diotima. Ich war nicht lange da, so fing sie an: es hätte jemand einen Dank von ihr zu fordern, es wär ihr gestern eingefallen, daß sie ihrer Harfe so ganz vergäße, sie hätte sie hervorgeholt, ihren Mißklang, so gut sie könnte, zu mildern, und sie ganz wohllautend gefunden.

Der Himmel weiß, wie viel ich mir unter dem versprochenen Danke dachte.

Ich hätte sie gestimmt, rief ich, und wußte mir kaum zu helfen in meiner Freude, ich hätte nichts Besseres zu tun gewußt für meine Freundin, solange sie verreist gewesen wäre. Auch fiele mir eben ein, daß ich damals einiges für sie abgeschrieben hätte; ich wüßte nicht, wie es gekommen wäre, daß ich nicht eher daran gedacht hätte – ich lief sogleich fort, die Papiere zu holen; ich konnte kaum sie finden in meiner freudigen Eile; o einen Dank von dir, herrliches Wesen! rief ich, und segnete mit Tränen meine Schmerzenstage, um meiner neuen Hoffnung willen!

Sie bat mich, wie ich zurück war, ihr das Geschriebne vorzulesen, freute sich innig über die goldnen Stellen, und sprach darüber ungewöhnlich heiter und lebendig. Anfangs, solange noch die süße Erwartung sich in mir regte, stimmt ich mit allem Feuer des seligen Herzens in ihre frohen Töne ein, doch wie sie endlich so lange mit dem Danke zögerte, da verstummt ich freilich; es war etwas in meiner Betrübnis, wovon bisher keine Spur in mir erschienen war; ich möchte fast sagen, es sei Bitterkeit gewesen.

Mit einer sonderbaren Gelassenheit schied ich, als ich endlich zu[244] gehen genötigt war. Ich hörte kaum darauf, als sie mir noch nachrief, ich danke dir, Hyperion!

Ich kam nun immer seltner hin; blieb endlich ganz weg. Eine Totenstille, die ich kaum an mir begreife, war allmählich über mich gekommen. Ich lebte so hin, mit halbem Bewußtsein, ich suchte nichts mehr, ich half mir fort von einem Tage zum andern, so gut ich konnte; ich achtete nichts, war mir selbst nichts mehr, trachtete auch nicht, andern etwas zu sein.

Um diese Zeit begegnete mir, da ich so in meiner Finsternis draußen herumirrte, Notara mit seiner Mutter und einigen andern. Er beschwerte sich über meine Eingezogenheit; ich sagt ihm, daß ich sein Haus nicht hätte mit der bösen Laune plagen mögen, die mich seit einiger Zeit heimgesucht hätte, und wagt es, zu fragen, wo dann Diotima wäre? – Sie sei zu Hause, rief die Mutter, die fromme Tochter schreibe an ihren Vater.

Es war traurig, wie die unschuldigen Worte mich aus meiner Dumpfheit weckten. Jetzt mußt du hin! rief es augenblicklich in mir, und Feuer und Schrecken wechselten in meinem verwilderten Herzen. Zitternd, gedankenlos ging ich vorüber an ihrem Fenster – nein! nein! du gehest nicht hinauf, dacht ich, und taumelte fort nach Hause, und schloß die Türe ab. Aber wo ich hinsah, war ihr Bild, und alle die freundlichen Worte, die ich einst gehört hatte von ihr, umtönten mich. – Was willst du von mir? rief ich vor mich hin; was störst du meine Ruhe? – Ich war, wie ein zürnender Geist, den die Stimme des Beschwörers aus seinem Grabe zwang. Verzeih es mir die Gute! ich fluchte der Stunde, wo ich sie fand, und rast' im Geiste gegen das himmlische Geschöpf, daß es mich nur darum ins Leben geweckt hätte, um mich wieder niederzudrücken mit seinem Stolze. Wie eine lange entsetzliche Wüste lag die Vergangenheit da vor mir, und wütend vertilgt ich jeden Rest von dem, was einst mein Herz gelabt hatte und erhoben. Ich muß dir danken, dacht ich, ich bettelte vor deiner Türe, und du nährtest mich mit Brosamen. Wer will[245] es dir verargen, daß du das Beste für dich behieltst? Was solltest du auch dich an ein Geschöpf verschwenden, das kaum des Rettens wert war? Nein! du hast keine Schuld auf dir. Ich war ja zertrümmert, zertreten von den andern, eh ich zu dir kam. Da war nichts mehr zu verderben, nichts mehr gut zu machen! – Aber es ist doch wahrlich auch ein grausames Erbarmen, das Wesen, das der langen Ruhe schon nah ist, mit einer Balsamtropfe zu wecken, daß es zwiefach stirbt! – Ich danke nun dafür; ich wollte, du hättest dich nie bemüht. Nein! sie hat nicht gut an mir gehandelt. Sie ist, wie alle. Die andern begannen, und sie hats vollendet – meisterlich! – Ich erschrak endlich doch über meine Lästerungen. Die reinen Melodien ihres Herzens, die sie mir oft auf Augenblicke mitgeteilt hatte durch Red und Miene, daß mirs ward, als wandelt ich wieder im verlassenen Paradiese der Kindheit, ihre fromme Scheue, nichts zu entweihen durch übermütigen Scherz oder Ernst, wenn es nur ferne verwandt war mit Schönem und Gutem, ihre absichtlose Güte, ihr Geist mit seinen hohen Idealen, woran ihre stille Liebe so einzig hing, daß sie nichts suchte, und nichts fürchtete in der Welt, alle die lieben seelenvollen Abende, die ich zugebracht hatte mit ihr, jeder Reiz ihrer Bewegung, die, wo sie stand und ging, nur sie – das edle, unbefangne, stille Gemüt – bezeichnete, das alles und mehr, ihr ganzes himmlisches Wesen, ging wieder auf mir, wie der Boge des Friedens nach Gewittern. – Und dieser Einzigen zürnst du? sagt ich mir; und warum? weil sie nicht verarmt ist, wie du, weil sie den Himmel noch im Herzen trägt, nicht eines andern Wesens, nicht fremden Reichtums bedarf, um die verödete Stelle auszufüllen, weil sie nicht unterzugehen fürchten kann, wie du, um sich mit dieser Todesangst an ein andres zu hängen; ach! gerade das Göttlichste an ihr, diese Ruhe, diese himmlische Genügsamkeit hast du gelästert, die Unschuld hast du um ihr Paradies beneidet; und mit einem so zerrütteten Geschöpfe sollte sie sich befassen? muß sie dich nicht fliehen? o warnt, ihr guten Geister! warnt sie vor diesem Gefallenen! –[246]

Ich hätte nun gerne alle Last des Lebens über mich genommen, um mein Unrecht gut zu machen. Nun war es mir nicht mehr um mich zu tun. Ich hätte nun keinen Dank begehrt, für die Tugend eines Halbgotts! Ich wollte nun ganz werden, wie sie, um ihretwillen! um ihr mit tausendfacher Freude zu vergüten, was ich ihr zu Leide getan!

Ich wollte mich überhaupt einmal herausarbeiten aus meiner Nichtigkeit. Ich sah mit Begeisterung hinaus auf mein künftig Leben. Es war mir, als hätte schon itzt ein heilig Feuer mich geläutert, und meine Schlacken weggetilgt auf ewig. O Diotima! Diotima! rief ich, wenn ich einst vor dir stehe, wie ein neuer Mensch, im Siegsgefühle, wenn es da ist, was ich einst als Knabe träumte – und es muß kommen, es muß, so wahr ein göttlich Wesen des Menschen Brust bewegt! – wenn du dann in deiner reinen Freude mich begrüßest, und denkst, es hätte doch ein guter Funke geschlummert in dem ärmlichen Geschöpfe – dann will ich dir ganz bekennen, wie klein, wie arm ich war, und du wirst nicht zürnen, daß der Schmerz zum Manne mich schmiedete.

Ich glaubte, nun endlich auf dem rechten Wege zu sein. Ich war es nicht. Indes brachte mich doch dieser neue Stoß wieder ins Leben. Ich war doch aus der trägen Resignation heraus, wo man nichts mehr will, und nichts mehr achtet, aus der Totenruhe, die bei allem Scheine von Weisheit, womit sie von den Feigen geprediget wird, gewiß das Nichtswürdigste ist, worein der Mensch geraten kann. Entschuldige sich keiner, ihn habe die Welt gemordet! Er selbst ists, der sich mordete! in jedem Falle! –

Nun erst fiel mir Diotimas Vater wieder ein. Ich schrieb ihm: Du hast meiner gedacht, edler Geist! ich denke deiner, jetzt,[247]

Quelle:
Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 3, Stuttgart 1958.
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