An ein Ideal

[111] Du süßes Bild, das mir mit Feurentzücken

Die Seele füllt,

Wann werd ich dich an meinen Busen drücken,

Du süßes Bild?


Wenn mich am Bach, beym Wehn der Pappelweide,

Der Schlaf umwallt,

Erscheinst du mir, im weißen Abendkleide,

Du Traumgestalt.


Und flatterst oft, in früher Morgenstunde,

Durch mein Gemach,

Und küßest mich, mit deinem rothen Munde,

Vom Schlummer wach.


Lang glaub ich noch den Herzenskuß zu fühlen,

Der mich entzückt,

Und mit dem Strauß an deiner Brust zu spielen,

Der mir genickt.


So gaukelt mir, in tausend Phantaseyen,

Der Tag dahin.

Bald seh ich dich, im Schatten grüner Mayen,

Als Schäferin.


Und flugs darauf, im kleinen Blumengarten,

Wie Eva schön,

Des Rosenbaums, des Nelkenstrauchs zu warten,

Am Beete gehn.


Erblick ich dich, die ich vom Himmel bitte,

Erblick ich dich,

So komm, so komm in meine Halmenhütte,

Und tröste mich.
[111]

Ich will ein Dach von Rebenlaube wölben,

Dich zu erfreun,

Und deinen Weg mit rothen und mit gelben

Jesmin bestreun.


Ins Paradies, an deiner Brust, mich träumen,

Mein süßes Kind,

Und froher seyn, als unter Lebensbäumen

Die Engel sind.
[112]

Quelle:
Ludwig Christoph Heinrich Hölty: Sämtliche Werke. Band 1, Weimar 1914, S. 111-113.
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