Trinklied

[175] Ein Leben wie im Paradies

Gewährt uns Vater Rhein;

Ich geb es zu, ein Kuß ist süß,

Doch süßer ist der Wein.

Ich bin so fröhlich wie ein Reh,

Das um die Quelle tanzt,

Wenn ich den lieben Schenktisch seh,

Und Gläser drauf gepflanzt.


Was kümmert mich die ganze Welt,

Wenns liebe Gläslein winkt,

Und Traubensaft, der mir gefällt,

An meiner Lippe blinkt?

Dann trink ich, wie ein Götterkind,

Die volle Flasche leer,

Daß Glut mir durch die Adern rinnt,

Und tauml', und fodre mehr.


Die Erde wär ein Jammerthal,

(Wie unser Pfarrer spricht)

Des Menschen Leben Müh und Quaal,

Hätt' er den Rheinwein nicht.

Der macht die kalte Seele warm;

Der allerkleinste Tropf

Vertreibt den ganzen Grillenschwarm

Dem Zecher aus dem Kopf.


Der ist die wahre Panace,

Der ist für alles gut;

Er heilet Hirn und Magenweh,

Und was er weiter thut.[175]

Drum lebe das gelobte Land,

Das uns den Wein erzog;

Der Winzer, der ihn pflanzt' und band,

Der Winzer lebe hoch!


Und jeder schönen Winzerin,

Die uns die Trauben las,

Weih ich, wie meiner Königin,

Ein volles Deckelglas.

Es lebe jeder deutsche Mann,

Der seinen Rheinwein trinkt,

So lang ers Kelchglas halten kann,

Und dann zu Boden sinkt.
[176]

Quelle:
Ludwig Christoph Heinrich Hölty: Sämtliche Werke. Band 1, Weimar 1914, S. 175-177.
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