Der alte Landmann an seinen Sohn

[197] Üb' immer Treu und Redlichkeit,

Bis an dein kühles Grab;

Und weiche keinen Fingerbreit

Von Gottes Wegen ab.

Dann wirst du, wie auf grünen Aun,

Durchs Pilgerleben gehn;

Dann kannst du, sonder Furcht und Graun,

Dem Tod' ins Auge sehn.


Dann wird die Sichel und der Pflug

In deiner Hand so leicht;

Dann singest du, beym Waßerkrug,

Als wär dir Wein gereicht.

Dem Bösewicht wird alles schwer,

Er thue was er thu!

Der Teufel treibt ihn hin und her,

Und läßt ihm keine Ruh!


Der schöne Frühling lacht ihm nicht,

Ihm lacht kein Ährenfeld;

Er ist auf Lug und Trug erpicht,

Und wünscht sich nichts als Geld.

Der Wind im Hayn, das Laub am Baum,

Sauft ihm Entsezen zu;

Er findet, nach des Lebens Traum,

Im Grabe keine Ruh.
[197]

Dann muß er, in der Geisterstund',

Aus seinem Grabe gehn;

Und oft, als schwarzer Kettenhund,

Vor seiner Hausthür stehn.

Die Spinnerinnen, die das Rad

Im Arm, nach Hause gehn,

Erzittern wie ein Espenblatt,

Wenn sie ihn liegen sehn.


Und jede Spinnestube spricht

Von diesem Abentheur,

Und wünscht den todten Bösewicht

Ins tiefste Höllenfeur.

Der alte Kunz war, bis ans Grab,

Ein rechter Höllenbrand;

Er pflügte seinem Nachbar ab,

Und stahl ihm vieles Land.


Nun pflügt er, als ein Feuermann,

Auf seines Nachbars Flur;

Und mißt das Feld, hinab hinan,

Mit einer glühnden Schnur.

Er brennet, wie ein Schober Stroh,

Dem glühnden Pfluge nach;

Und pflügt, und brennet lichterloh,

Bis an den hellen Tag.


Der Amtmann, der im Weine floß,

Die Bauren schlug halbkrum,

Trabt nun, auf einem glühnden Roß,

In jenem Wald herum.

Der Pfarrer, der aufs Tanzen schalt,

Und Filz und Wuchrer war,[198]

Steht nun, als schwarze Spukgestalt,

Am nächtlichen Altar.


Üb' immer Treu und Redlichkeit,

Bis an dein kühles Grab,

Und weiche keinen Fingerbreit

Von Gottes Wegen ab.

Dann suchen Enkel deine Gruft,

Und weinen Thränen drauf,

Und Sommerblumen, voll von Duft,

Blühn aus den Thränen auf.
[199]

Quelle:
Ludwig Christoph Heinrich Hölty: Sämtliche Werke. Band 1, Weimar 1914, S. 197-200.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Strindberg, August Johan

Inferno

Inferno

Strindbergs autobiografischer Roman beschreibt seine schwersten Jahre von 1894 bis 1896, die »Infernokrise«. Von seiner zweiten Frau, Frida Uhl, getrennt leidet der Autor in Paris unter Angstzuständen, Verfolgungswahn und hegt Selbstmordabsichten. Er unternimmt alchimistische Versuche und verfällt den mystischen Betrachtungen Emanuel Swedenborgs. Visionen und Hysterien wechseln sich ab und verwischen die Grenze zwischen Genie und Wahnsinn.

146 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon