Dreiunddreißigstes Kapitel.

Sklavengeschichten.

[128] Die beiden Mädchen schritten unterdessen durch den langen Gang bis an eine Thüre, hinter welcher sich eine Wendeltreppe befand.

Nanette, die hier genau Bescheid zu wissen schien, stieg voran, und ihre Gefährtin folgte ihr bei dem flackernden Scheine der Talgkerze abermals über einen langen Gang, dann wieder ein paar Stufen hinab, und so gelangten sie in Nummer vierundzwanzig.

Dies war ein ziemlich großes und kahles Gemach mit einem[128] schlechtem Tische und ein paar wackeligen Stühlen, einem Feldbett mit Strohsack und Wollenmatratze, über welche eine alte schwere Decke lag. Von Leintüchern war nichts zu sehen. Das Zimmer hatte zwei Fenster; in einem derselben fehlten mehrere Scheiben, der Wind sauste zuweilen herein, und Regen und Schnee hatten auf dem Boden eine artige Wasserlache gebildet.

»So, hier wären wir in unserm Appartement,« sagte Nanette; »sehr wohnlich sieht es gerade nicht aus, aber ich habe schon schlechter geschlafen. Du vielleicht auch?«

»Ich – – nicht,« entgegnete die Andere, indem sie ihre Guitarre auf den Boden niedergleiten ließ und einen trostlosen Blick in dem öden Gemach umher warf; »ich gewiß nicht. Doch wie Gott will!«

»Schätzchen!« lachte Nanette, »ich glaube fast, du bist eine verwunschene Prinzeß. Ich habe das gleich heute Abend gedacht, als du in der Scheune zu mir kamst. Es war mir das recht auffallend; aber du mußt gestehen: naseweis bin ich nicht, denn ich habe dich eigentlich noch gar nicht gefragt, woher du so plötzlich kamst, weßhalb du so ängstlich und erschrocken thatest?«

»Das ist wahr,« entgegnete das blonde Mädchen, »und ich danke Ihnen recht sehr dafür. Sie haben mich gerettet; – aber bin ich hier in diesem Hause in Sicherheit? – Dabei schüttelte sie den Kopf und warf einen trostlosen Blick umher.«

»Ehe ich sagen kann, ob du hier in Sicherheit bist,« versetzte Nanette, »muß ich zuerst wissen, was du zu fürchten hast. Als du heute zu mir kamst, da that mir dein Jammern weh, und glücklicherweise konnte ich dir helfen. Die blonde Agnes war mir mit der ganzen Baarschaft davon gelaufen, hatte mir aber ihre Guitarre und, was wichtiger ist, unsere Legitimationspapiere hier gelassen, unter deren Schutz wir vorderhand sicher reisen können. – Daß du nichts von Musik verstehst, habe ich schon gemerkt; dein Kleidchen da schaut auch nicht nach langem[129] Herumreisen aus; also denke ich, du bist irgendwo davon gelaufen.«

Die Andere nickte stumm mit dem Kopfe und ein Schauder überflog sie, vielleicht, weil sie an die Vergangenheit dachte, vielleicht auch, weil in diesem Augenblicke gerade der Wind wieder heftig durch das Fenster herein sauste.

»Dich friert,« sagte Nanette. »Weißt du was: lege dich in's Bett unter die Decke und wenn du warm geworden bist, so erzähle mir von deiner Sache, was du magst; ich höre gern allerlei Unglück; – und Gutes wirst du mir nicht viel zu berichten haben.«

»Können wir nicht die Thüre verschließen?« fragte ängstlich das junge Mädchen. »Ich sehe ja keinen Riegel.«

»Die gibt's hier nicht,« erwiderte Nanette achselzuckend; »das Verschließen ist gegen die Hausordnung und wird namentlich auf den Zimmern, die wir bekommen, nicht geduldet.«

Die Andere faltete die Hände und sah ihre Gefährtin mit einem trostlosen Blicke an. Dann ging sie seufzend nach dem Bette und legte sich, da sie wirklich heftig fror, mit den Kleidern auf die Matraze und unter die Decke.

Nanette nahm einen der Stühle, rückte ihn an das ärmliche Lager und setzte sich so, daß sie sich mit dem Oberkörper und dem Kopfe ebenfalls auf das Bett legen konnte, worauf sie einen Theil der Decke über ihren entblößten Busen zog. – »Also,« sagte sie, »wo kamst du her, das heißt, wenn du mir dein Geheimniß anvertrauen willst?«

»Es ist nur ein schreckliches Unglück, aber kein Geheimniß,« versetzte das junge Mädchen. »Ich kam aus dem Städtchen N., wo ich geboren und aufgezogen wurde.«

»Von deinen Eltern?«

»Nur bis zum zehnten Jahre, dann waren beide todt. Eine entfernte Verwandte nahm sich meiner an; sie hatte keine Kinder[130] und ich durfte bei ihr bleiben; sie lehrte mich stricken, nähen und dergleichen, und brachte mich so weit, daß ich mit sechszehn Jahren einen Dienst annehmen konnte.«

»Du nahmst also einen Dienst an?«

»Ja, bei einem jungen Kaufmanne, der eine ältliche Frau und ein einziges Kind hatte.«

»Das war von deiner Verwandten nicht klug gewählt.«

»O doch! Er stand in dem Ruf eines christlichen und frommen Mannes, es sprach Keiner so schön und gut wie er, und Niemand besuchte häufiger die Kirche.«

»Das sind oft die Schlimmsten!« sagte Nanette.

»Ja, ja, er war schlimm,« fuhr das junge Mädchen fort; »aber ich hatte ja keine Ahnung davon, ich wußte ja lange nicht, was er von mir wollte. Ach! sein Kind, das kleine Mädchen, hatte ich sehr lieb und es mich gleichfalls, und er schien es gern zu sehen, wenn ich mich so recht freundlich mit dem Kinde abgab. Die Frau war kränklich und reiste jeden Sommer in's Bad.«

»Dann warst du mit ihm allein im Hause?«

»Ja,« erwiderte die Andere mit leiser Stimme. Dann fuhr sie fort: »Anfänglich fiel mir nichts Böses dabei ein, daß er häufig lange dabei stand, wenn ich mit dem Kinde spielte oder es aus- und anzog, daß er auch wohl seine Hand auf die meinige legte, ja daß er mich zuweilen scherzend um den Leib faßte. Ich nahm das Alles ganz unbefangen auf, und umsomehr, da er gleich darauf wieder ernste und belehrende Worte zu mir sprach, von der Verdorbenheit der sündigen Welt, daß die Menschen im Allgemeinen so schlecht seien, voll Trug und Arglist, und daß sich namentlich ein junges Mädchen glücklich schätzen müsse, das in einem guten Hause ein Asyl gefunden und dem treue Freunde zur Seite ständen. – Auch – – – auch,« sagte sie mit stockender Stimme, »auch betete er oft mit mir und nahm mich alsdann bei der Hand und schien[131] so ergriffen zu sein, daß er mich am Ende zuweilen auf die Stirne küßte.«

»Schön gemacht!« rief lachend Nanette; »den möcht' ich kennen!«

»Ich lernte ihn kennen,« fuhr das junge Mädchen fort, indem ein Schauder über ihren Körper flog. »Aber erst, nachdem ich ein Jahr im Hause war und vor ein paar Tagen. Die Frau war auf kurze Zeit zu ihren Verwandten gereist, und da eines Abends, als ich in mein Zimmer gegangen war und –«

»Das Uebrige kann ich mir denken,« sagte Nanette, während sie mit einer Hand ein Stück von der Decke zusammen ballte; »du bist ein schwaches Geschöpf, du hattest nicht den Muth zu widerstehen, auch nicht die Kraft dazu –«

»O ja,« entgegnete die Andere, »ich hatte Kraft und Muth zum Widerstand. – Und das war vielleicht gerade mein Unglück. Gott im Himmel! als er mich mit geballten Fäusten verließ, da sagte er es mir vorher, gab mir auch noch eine halbe Stunde Bedenkzeit, mich seinem Willen zu fügen, sonst wolle er mich zertreten wie einen Wurm. Er sei der Herr und ich ein armes, wehrloses Geschöpf, – seine Sklavin, ich müsse mich glücklich schätzen, wenn er ein Wohlgefallen an mir fände. – Eine halbe Stunde gäbe er mir Bedenkzeit, und wenn ich ferner ein angenehmes und vergnügtes Leben führen wolle, so solle ich meine Zimmerthüre, die er offen stehen ließ, hörbar schließen und wieder öffnen. – Aber ich that es nicht; ich warf die Thüre in's Schloß und schob den Riegel vor.«

»Du hattest einen Geliebten?« fragte Nanette, indem sie lächelnd den Kopf herum wandte; »gewiß, du hattest einen!«

»Woher können Sie das wissen?« fragte erschreckt das junge Mädchen. Dann verbarg sie verzweiflungsvoll ihr Gesicht in das grobe Kissen und versetzte: »Ja, ich hatte einen; aber ich habe ihn verloren, wie Alles auf dieser Welt.«[132]

»Das habe ich mir gedacht. – Aber nun weiter! obgleich ich mir denken kann, was erfolgte.«

Das Mädchen wischte ein paar Thränen aus ihren Augen, richtete sich in dem Bette empor und sagte mit leiser Stimme: »Nein, Sie können sich das Schreckliche nicht denken, was nun erfolgte. Ich wurde am andern Morgen aus dem Hause gejagt; – ich hätte gestohlen, sagte er. Was weiß ich, wie er es gemacht, aber als ich mit dem kleinen Kinde von der Straße herein kam, war er mit der Köchin auf meinem Zimmer; ich mußte meinen Koffer öffnen und da fanden sich allerlei Sachen, von denen nur der barmherzige Gott wissen kann, wie die hinein gekommen.«

Bei diesen Worten drehte sich die andere langsam herum und schaute ihre Gefährtin mit einem langen und prüfenden Blicke an. Dann warf sie die Oberlippe in die Höhe, schüttelte mit dem Kopfe und sagte: »Das war sehr dumm. – Und die Polizei –? Doch was brauche ich da zu fragen! Ich kenn' das ja; was sind wir arme niedergetretene Wesen, wenn so eine from me, christliche Seele Böses gegen uns aussagt, und wenn überdies noch der Schein gegen uns spricht! – O,« fuhr sie fort und ihre Augen schossen Blitze, »ich hatte eine Schwester, der es gerade so erging, eigentlich noch viel schlimmer, denn auch sie, ein junges unschuldiges Mädchen, sollte sich ihrem Herrn ergeben, und als sie sich weigerte, beschuldigte man sie allerhand schlimmer Sachen, worauf mein Vater Jenem volle Macht verlieh, die Widerspenstige zur Ordnung und Zucht zurück zu bringen. – Das wurde denn auch mit Hunger und Schlägen probirt, und nachdem sie das eine Zeitlang ertragen, kehrte sie denn freilich zur Ordnung zurück, aber die Zucht – war von der Stunde an beim Teufel. – Doch weiter! – Sie steckten dich ein?«

»Sie wollten es thun,« fuhr das junge Mädchen unter nieder strömenden[133] Thränen fort, »aber er hatte einen Buchhalter, der bat für mich.«

»Ah! der Buchhalter? –«

»Und darauf jagten sie mich einfach aus dem Hause mit der Weisung, nicht wieder zu kommen. O, das war von Allem der entsetzlichste Moment; ich mußte mir ein Bündel mit dem Nothwendigsten zusammen packen, und da ich vorn zur Hausthüre nicht hinaus wollte, – es waren da böse Leute, die von der Geschichte gehört hatten und auf mich warteten, – so öffnete mir der Buchhalter die Thüre des Gartens, die auf das freie Feld führte. Ich faßte in meiner Verzweiflung mit der Hand so heftig in die Dornenhecke, daß mein Blut heraussprang und auf den Schnee tropfte; dann sah ich hinauf an den grauen Winterhimmel und auf den weißen, weißen, einförmigen Schnee, der sich so weit und unabsehhar vor mir ausbreitete. Da war nichts Lebendes zu sehen als eine Schaar Raben, die schreiend über das Feld wegflogen. – Sehen Sie, Henriette, sagte der Buchhalter, da hinaus wenden Sie Ihren Weg, und wenn Sie auch schwer gefehlt haben, er, der die Raben auf dem Felde nährt und die Lilien kleidet, wird sich auch Ihrer erbarmen.«

»Er war fromm wie der Herr,« sagte höhnisch Nanette.

»Darauf wollte er durch den Garten zurück, aber ich schrie laut auf und versuchte, freilich etwas verworren und unklar, ihm den Verlauf des Ganzen zu erzählen. Aber er schüttelte den Kopf und sprach: Henriette, fügen Sie nicht zu dem, was Sie gethan, auch noch Verläumdung und Lüge. Ich kenne den Herrn, – das ehrbarste und beste Gemüth, und so gut, so gut, er könnte einem Kinde nichts zu Leide thun. – Da raffte ich mich zusammen, erhob die Hand und sagte: die Schande überlebe ich nicht, ich thue mir ein Leides an und mein Blut komme über ihn. Damit sprang ich in das Feld hinaus und erst, als ich schon ziemlich weit gelaufen war, blickte ich nochmals um. Da stand er noch immer an der schneebedeckten[134] Hecke und blickte auf die rothen Blutstropfen, die dort von meinen Fingern niedergefallen waren.«

»Das war eine Strafe für ihn!« rief Nanette. »Denn als er das Blut sah, fürchtete er sich und dachte an deine letzten Worte.«

»Ich that mir aber kein Leides an,« fuhr bitter lächelnd das arme Mädchen fort; »ich hatte nicht den Muth dazu, und als ich an einen Fluß kam, wo die Eisschollen neben und über einander hin schliffen, da schauderte mich und ich eilte wieder von dem Ufer hinweg. Ich lief, bis es Abend wurde, und dann kam ich an die offen stehende Scheune, wo ich Sie fand.«

»Das ist eigentlich eine ganz gewöhnliche Sklavengeschichte, wie sie zu Dutzenden vorkommen,« sagte das Harfenmädchen. – »Und wenn es dich interessirt, etwas von mir zu erfahren, so will ich dir gerne damit aufwarten. Eine Ehre ist der andern werth. Doch ist meine Geschichte ein Bischen anders. – Schau mich an,« fuhr sie fort, indem sie sich aufrichtete, »ich sehe nicht aus wie Jemand, der gern duldet und leidet, und damit habe ich mich auch in meinem Leben sehr wenig abgegeben. Wir waren unserer vier Geschwister, die, als der Vater starb und uns als Waisen zurück ließ, sich noch im Hause befanden, das heißt in zwei elenden Dachkammern, wo kein Nagel unser war. Die Schwester, von der ich vorhin sprach, rechne ich gar nicht mit, denn die war damals versorgt; später ist sie freilich im Spital gestorben. – Nun, wir vier, das kann ich dir versichern, wir waren gut aussehende hübsche Mädchen; ich kann das schon sagen, ohne mir zu schmeicheln, denn es ist ja schon ziemlich lange her. Nun hielten wir einen Familienrath, dem eine alte Tante beiwohnte, welche uns versicherte, es könne uns nicht fehlen, wenn wir arbeiten wollten und Lust hätten, uns ehrlich durchzuschlagen. Dabei sprach sie achselzuckend von der fünften Schwester und ermahnte uns, an der ein Exempel zu nehmen und meinte, wir sollen recht tugendhaft bleiben. Aber die Alte hatte gut reden! Die Tugend ist eine schöne Sache für vornehme und[135] reiche Mädchen; da leuchtet sie und glänzt, und wenn sie auch schon Schaden gelitten hat, das thut nichts, da wird sie doch als vollkommen unverletzt dargestellt und es wagt Niemand, öffentlich daran zu rühren. – Aber bei uns armen Geschöpfen, da glaubt Jeder, in dessen Klauen wir gerade fallen, wir seien für ein mageres Brod sein mit Leib und Seele, als hätte er uns auf dem Sklavenmarkte gekauft. – Ich versichere dich, anders sehen es die Meisten, bei denen wir um's Taglohn arbeiten, gar nicht an.«

»Ich kam denn auch gleich in die Hände eines solchen Herrn, eines Fabrikanten, der seine Arbeiterinnen ansah wie der Türke seinen Harem, und der uns mit einem Draufgeld, welches wir erhielten, förmlich von seinen Unterhändlern kaufte. Ich hatte Wind davon erhalten und wollte nicht zu ihm; aber ein altes Weib, das er zu mir schickte, und die er außerordentlich bezahlte, wußte mir die Sache recht lockend darzustellen. Ich ging also in die Fabrik, aber nicht in die Falle; und als nicht lange darauf der entscheidende Moment kam, erhielt mein Herr ein paar tüchtige Ohrfeigen, was meine sämmtlichen Kolleginnen in's höchste Erstaunen setzte, denn die und – Gott verzeih' es ihnen – auch viele ihrer Eltern, hatten sich oder die eigenen Kinder zu allen Diensten förmlich verkauft, und wenn so ein unglückliches Geschöpf sich wohl bisweilen gewaltig wehrte und um Schonung und Erbarmen flehte, so wurde sie meistens von den Anverwandten zur Pflicht zurück geführt. – Ha! ha! ha!« unterbrach sich das Mädchen mit einem lauten Gelächter, »ich versichere dich, es gibt keine größere Sklaverei, als die der tausend armen Mädchen, worunter auch wir gehören, mögen sie nun sein, was sie wollen. – Sklaverei in jeder Richtung; harte Arbeit, kaum das tägliche Brod, um nicht Hungers zu sterben, Mißhandlung aller Art, geistige und körperliche; – und zuletzt wirft man sie weg, nachdem nichts mehr an ihnen zu verderben ist. Und wenn man von Menschenhandel sprechen will, so lasse man nur Einige von uns ihre Geschichte erzählen, das gebe ein artiges Buch[136] zusammen, daß Jedem, der es lesen würde, die Haare zu Berge stehen könnten.«

»Natürlicherweise verließ ich am gleichen Tage, wo ich mich mit dem Herrn entzweit, die Fabrik. Ein junger Musiklehrer, den ich kennen lernte, fand, daß ich eine gute Stimme, auch hinreichendes Taktgefühl; er unterwies mich eine Zeit lang, und dann suchte und fand ich eine Anstellung als Choristin bei unserm Stadttheater.«

»Das war aber dieselbe Sklavenanstalt wie die Fabrik, das kann ich dich versichern, ja insofern noch viel schlimmer, weil es dort nur einen, hier aber viele Herren gab. Auch versteht es sich ja von selbst, daß so eine junge anfangende Choristin in nichts widersprechen darf, wenn sie nur die geringste Aussicht haben will, zu Etwas zu kommen, um gerade vom Hungertode bewahrt zu sein. Der Direktor selbst warf mir freundliche Blicke zu; sein Bruder, Regisseur und erster Tenorist, trug sich mir zum Lehrer an; er wolle meine Stimme ausbilden, sagte er, und nebenbei ein kleines Verhältniß mit mir eingehen. Ich wies das Alles anfänglich zurück und dachte, wenn ich recht fleißig sei, meine Schuldigkeit im Gesang thue, nie zu spät komme und dergleichen mehr, so könne man nichts weiter von mir verlangen. Ich wollte damals trotz der gemachten Erfahrungen noch nicht einsehen, daß wir eine Klasse von Geschöpfen sind, die sich einmal verkaufen müssen, um ihr tägliches Brod zu erwerben.«

»Da war aber auf jenem Theater eine alte würdige Frau, – sie spielte Anstandsdamen und souflirte zuweilen, – ein sehr praktisches Weib, ich sehe sie heute noch vor mir mit ihrem dicken rothkarrirten Shawl, einem großen Beutel am Arm, worin sie Bücher und Obst hatte, eine Brille auf der Nase und mit der Schnupftabaksdose, die sie beständig in der Hand hatte. Sie mochte mich wohl leiden, und eines Tags, als ich dem Bruder des Direktors eine recht schnippische Antwort gegeben und ihm geradezu[137] den Rücken gekehrt hatte, nahm sie mich in den dunkelsten Winkel hinter die Koulissen und sagte mit ihrer schnarrenden Stimme: Mein liebes Kind, mit der Sprödigkeit geht's nun leider einmal nicht in so vielen abhängigen Verhältnissen, namentlich nicht beim Theater, und je mehr man sich dagegen wehrt, um so größeres Herzeleid macht man sich selber. Tugendhaft sein, ist eine schöne Sache, aber es gehört Geld dazu, dann ist es sehr angenehm und leicht. Was sollen aber wir arme Geschöpfe machen? So ein Vorgesetzter, mag er nun heißen wie er will, peinigt dich bis auf's Blut, und wenn er dich am Ende fortschickt, so treibt dich der Hunger zu noch viel Schlimmerem. – Aber das ist ja mehr als Sklaverei! fuhr ich damals auf. Ich habe doch das Recht, zu thun und zu lassen was ich will; wer will mich zwingen? – Mit Gewalt Niemand, antwortete darauf die Alte, das geschieht nur höchst selten, und dann bist du ein armes Schlachtopfer. Aber nein! nein! du mußt Alles freiwillig hergeben und doch gezwungen; das ist die härteste Nuß bei der ganzen Geschichte. – Ich fühlte wohl, daß sie Recht hatte, aber da ich es so recht deutlich fühlte, ballte ich meine Hände zusammen und biß mir die Lippen blutig. Doch wollte ich lange, lange dieser Ermahnung nicht folgen. Aber sie plagten und mißhandelten mich auf alle Weise, sie quälten mich, daß es einen Stein hätte erbarmen sollen. Ich stand allein da, verlassen, und fühlte, daß ich so gar kein Recht gegen diese Behandlungen erlangen konnte, ich fühlte es, daß ich nichts sei als eine arme Sklavin, und wunderte mich nur über mich selbst, daß ich nicht schon gleich Anfangs dem Befehl des Direktors nachgekommen sei, als er mir sagte, ich solle in seine Wohnung kommen, er wolle mir eine kleine Solopartie übertragen und mit mir einstudiren. – Ein ganzes Jahr lang hatte ich ertragen, was ein Mädchen zu ertragen im Stande ist, wurde von meinen Kolleginnen verspottet, von den Männern beim Theater auf alle Weise geneckt und geplagt. –[138] Ja, ein ganzes Jahr hatte ich es ausgehalten, da – nahm ich die mir dargebotene Rolle an und sang eine kleine Solopartie.« –

»Warum blieben sie aber nicht beim Theater,« fragte die Andere; »namentlich wenn Sie Talent dazu hatten?«

»Ich hatte aber kein Talent,« entgegnete das Harfenmädchen finster; »Alle, die mir das gesagt, hatten mich belogen: ich hatte nichts als ein hübsches Gesicht und einen Körper in der Frische der ersten Jugend. Das verlor sich aber schnell, ich sang keine Solopartien mehr, und da die Truppe, bei der ich mich befand, bald aufgelöst wurde, so stand ich mit vielen Andern, die sich um mich so wenig bekümmerten wie ich mich um sie, auf der Straße. Glücklicherweise hatte ich von einem der Orchestermitglieder etwas Harfenspielen gelernt, mein altes Instrument, welches ich jetzt hier habe, wurde mit allem Uebrigen versteigert und ich erhielt es als Bezahlung, da ich einige Gegenansprüche zu machen hatte. – So bin ich jetzt reisende Virtuosin geworden,« setzte sie lachend hinzu, »und wenn ich in der ersten Zeit meiner Laufbahn Manches hinunter schlucken mußte, so habe ich mich jetzt an Vieles gewöhnt und lebe lustig und vergnügt in den Tag hinein, bis ich einstens – hinter einer Hecke sterbe.« –

Diese letzten Worte sprach sie so leise, daß sie ihre Gefährtin nicht verstehen konnte. Auch war diese in ein tiefes Nachdenken versunken, und schrak jetzt, als Nanette schwieg, aus ihren Träumereien auf.

»Aber was soll mit mir werden?« sagte sie und faltete ihre Hände. »Was bin ich schon geworden? – in welches Haus bin ich gerathen?«

»Das sind drei Fragen auf einmal,« entgegnete Nanette, »die schwer oder leicht zu beantworten sind, wie man will. – Was aus dir werden soll? – Nun, bleibe vorderhand was du bist, das heißt, behalte die Guitarre und singe mit mir herum. Du dauerst mich[139] und wenn ich dich jetzt fahren lasse, so bin ich überzeugt, daß du bald in schlechte Gesellschaft geräthst.«

Das junge Mädchen sah bei diesen Worten ihre Gefährtin mit einem sonderbaren Blicke an.

Darauf erwiderte diese lachend: »Ich weiß wohl, weßhalb du mich so komisch betrachtest; du meinst, die Gesellschaft, in der du dich gerade befindest, sei auch eben nicht die respektabelste. Doch glaube das nicht; ich bin reisende Künstlerin, und wenn ich will, kann ich mein Brod auf ganz ehrliche und unbescholtene Art verdienen. – Aber,« setzte sie leiser hinzu, »die Verführung ist so groß. – Deine andere Frage, was aus dir schon geworden sei, kannst du dir am besten selbst beantworten; und drittens endlich, was die Beschaffenheit des Hauses, in dem wir uns gerade befinden, betrifft, so heißt dasselbe der Fuchsbau, macht billige Zechen und gewährt hinlänglichen Schutz vor der Polizei mit ihrem Anhang. – Für tugendhafte Frauenzimmer,« fügte sie bei, indem sie ihren Kopf und Oberkörper auf die Decke zurückwarf und sich lange ausstreckte, »für tugendhafte Frauenzimmer ist das Haus freilich ein wenig gefährlich, denn es sind hier an den Thüren keine Riegel zum Verschließen. – Und du scheinst mir noch recht tugendhaft zu sein?«

»Ach mein Gott!« seufzte das Mädchen und verbarg eine Zeit lang ihr Gesicht, das auf's Neue von Thränen überströmt wurde, in beide Hände. – Welch' unsägliches Elend war nicht seit so kurzer Zeit über dies arme Geschöpf herein gebrochen! Vor ein paar Tagen noch war sie in einem vor der Welt anständigen Hause, in einer guten Stellung, freundlich behandelt, ja zu freundlich, mit der Aussicht auf eine ruhige und behagliche Zukunft. – Und nun aus Allem dem herausgerissen, in diese unheimliche Welt hinein geschleudert, sah sich das junge, bis jetzt noch unverdorbene Mädchen an die Gefährtin, die vor ihr saß, gewiesen, und mußte sich glücklich schätzen, daß das Harfenmädchen sich ihrer annahm[140] und ihr Schutz gewährte. Aus ihrem netten Stübchen, wo das Bett des kleinen Kindes stand, das sie so sehr liebte, befand sie sich jetzt mit einem Mal in dem öden Gemache des verrufenen Hauses, wo Wind und Schnee zu dem offenen Fenster herein jagte, und wo einmal über das andere Mal ein Schauder ihren Körper überflog und die Kälte ihre Glieder erschütterte. Auf Augenblicke hielt sie alles Das für einen Traum, sank in sich zu sammen und schloß die Augen fest, um vielleicht freundliche Bilder, die sie umgaukelten, festzuhalten. – Jetzt aber fuhr sie wieder empor, warf ihre Blicke auf die Gefährtin, die neben ihr ruhte, und fühlte alsdann, wie sich ihr Herz in tiefem Schmerz krampfhaft zusammen zog.

»Nun, antworte mir,« sagte Nanette; »du hast lange genug überlegt. Du behältst Guitarre und Papier der fortgelaufenen Agnes, ich bringe dir morgen ein paar Akkorde bei, lehre dich einige Lieder, und mit deinem Gesichte, mit den verschämt niedergeschlagenen Augen, können wir in den Gasthöfen gute Ernte machen. – Aber,« setzte sie nach einer Pause hinzu, »ich fürchte, du wirst zu vornehm thun, und was das anbetrifft, da muß ich wahrhaftig zu dir sprechen, wie seiner Zeit die alte Theaterprinzeß zu mir. – Reisende Musikantin zu sein ist an sich nicht so übel, aber du verkaufst dich dadurch der ganzen Welt: der Sechser, der in meinen Teller fällt, ist ja nicht für unser Spiel und Gesang, – er gilt meinem vollen Busen oder deinen sanften schmachtenden Augen, deinem schlanken Wuchse. Und darauf glaubt der, der ihn gespendet, sich ein Anrecht erworben zu haben.«

»O Gott! mein Gott!« jammerte das Mädchen.

»Aber man gewöhnt sich daran,« fuhr finster die Andere fort. »Es gibt freilich Leute, die das nicht glauben und die nicht begreifen wollen, warum so ein armes Harfenmädchen, das sich auf's Unverschämteste muß begaffen lassen, das jede freche Hand berühren darf, nicht lieber in's Wasser springt, um so seiner Schande und seinem Dasein ein Ende zu machen. Aber die das nicht begreifen,[141] kennen unsere Lage nicht, obgleich sie so gern aus ihrem warmen Zimmer, von ihrem guten Mittagessen hinweg achselzuckend über uns und unseres Gleichen urtheilen. – Aber entschließe dich! Es ist das Beste, was du ergreifen kannst; denke nicht, daß du nach Hause zurückkehren kannst: dein Herr ist gezwungen, die Klage gegen dich aufrecht zu erhalten. In den Augen der Leute dort bist und bleibst du eine Diebin.«

»O stille! stille!« bat das arme Mädchen, die sich in den heftigsten Seelenleiden auf dem Bette krümmte wie ein zertretener Wurm.

In diesem Augenblicke hörte man Etwas auf dem Gange schleichen und eine Hand, welche an der Thüre vorbei rutschend die Klinke suchte.

Quelle:
Friedrich Wilhelm Hackländer: Europäisches Sklavenleben, 5 Bände, Band 2, in: F.W.Hackländer’s Werke. Stuttgart 31875, S. 128-142.
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