Der Frühling

[298] Der malerische Lenz kann nichts so sinnreich bilden,

Als jene Gegenden von Hainen und Gefilden;

Der Anmuth Ueberfluß erquickt dort Aug' und Brust:

O Licht der weiten Felder!

O Nacht der stillen Wälder!

O Vaterland der ersten Lust!


Dort läßt sich wiederum, in grünenden Trophäen,

Des Winters Untergang, der Flor des Frühlings sehen;

Sein schmeichelnder Triumph beglücket jede Flur:

Die frohen Lerchen fliegen

Und singen von den Siegen

Der täglich schöneren Natur.


Der Bach, den Eis verschloß und Sonn' und West entsiegeln,

In dem sich Luft und Baum und Hirt' und Heerde spiegeln,

Befruchtet und erfrischt das aufgelebte Land.

Dort läßt sich alles sehen,

Was Flaccus in den Höhen

Des quellenreichen Tiburs fand.


Fast jeder Vogel singt; es schweigen Nord und Klage!

Wie schön verbinden sich, zum Muster guter Tage,

Die Hoffnung künft'ger Lust, der jetzige Genuß!

Ihr stolzen, güldnen Zeiten!

Sagt, ob, an Fröhlichkeiten,

Auch diese Zeit euch weichen muß.


An Reizung kann mir nichts den holden Stunden gleichen,

Da bei dem reinen Quell und in belaubten Sträuchen

Die alte Freundschaft scherzt, die junge Liebe lacht.

Am Morgen keimt die Wonne

Und steiget mit der Sonne

Und blüht auch in der kühlen Nacht.
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Es spielen Luft und Laub; es spielen Wind und Bäche;

Dort duften Blum' und Gras; hier grünen Berg und Fläche;

Das muntre Landvolk tanzt; der Schäfer singt und ruht:

Die sichern Schafe weiden,

Und allgemeine Freuden

Erweitern gleichfalls mir den Muth.


Es soll den Wald ein Lied von Phyllis Ruhm erfreuen;

Den Frühling will ich ihr und sie dem Frühling weihen.

Sie sind einander gleich, an Blüt' und Lieblichkeit.

Ihr frohnen meine Triebe,

Ihr schwör' ich meine Liebe,

Für's erste bis zur Sommerszeit.


Quelle:
Friedrich von Hagedorn: Sämmtliche poetische Werke, Leipzig o.J, S. 298-299.
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