10.

Ueber eine Hochzeit

[98] 1731.


Ein Kenner, dessen Einsicht ich mehr als der meinigen zutraue, hat mich bewogen, dieses verworfene Gedicht wieder hervorzusuchen. Andere erfahrene Richter hatten es zur Vergessenheit verurtheilt, und in eignen Dingen traut man billig einem fremden Geschmack mehr als dem seinigen. Die vornehmen Personen, die darin besungen werden, hatten allerdings in Ansehung der beiderseitigen Geburt und Verwandtschaft viele Vorzüge, und die scharfsinnige Klugheit des Bräutigams ist nachwärts in den Unglücksfällen, aus welchen ihn sein Verstand emporgehoben hat, in seinem Vaterlande jedermann bekannt worden.


Entweicht! ihr unberufnen Dichter,

Singt auf den Bänken Bauren vor!

Ist vor euch Lärmer dann kein Richter?

Sorgt niemand für ein kennend Ohr?

Die Gasse schnarrt von feilen Leiern,

Ganz Teutschland quillt mit nüchtren Schreiern,

Auch Frösche sind nicht so gemein.

Ihr Unterkäufler falscher Ehre,

Eh ich mich von euch rühmen höre,

Eh wollt ich noch gescholten sein!
[99]

Zwar Dichter sind sonst nicht zu höhnen,

Die Reime leiden auch Verstand,

Sie dienen Tugenden zu krönen,

Kein Witz ist besser angewandt:

Doch wann, noch matt vom Bücher-Schranke,

Nur ein erhascheter Gedanke

Durch die geflickten Reime hinkt,

Da wird sich billig jeder schämen,

Ein unächt Rauchwerk anzunehmen,

Wovon der beste Name stinkt.


Wie glücklich waren jene Zeiten,

Da Ruhm und Tugend stund im Bund!

Die Helden wurden groß im streiten,

Noch größer in der Dichter Mund.

Auf starker Geister Adler-Schwingen

Hub sich der Ruhm, den Thaten bringen,

Nach der verdienten Ewigkeit:

Viel fester als auf Marmor-Säulen

Trotzt, auf Homers geweihten Zeilen,

Achilles der Vergessenheit.


Vertrautes Paar! dem heut zur Liebe

Des Hymens holde Fackel brennt,

O daß für euch ein Dichter bliebe

Von jenen, die Apollo kennt!

Wär Thebens Sänger noch auf Erde,

Der oft den Ruhm geschwinder Pferde

Mit schlechtem Recht verewigt hat;

Die letzte Nachwelt würde lesen,

Daß ihr der euren Zier gewesen

Und die Verwundrung eurer Stadt.
[100]

Zwar sind die Dichter euch missgönnet,

So ists der wahre Nachruhm nicht:

Die Ehrfurcht jedes, der euch kennet,

Ist doch das beste Lob-Gedicht.

Ein armer Dichter zahlt mit Ruhme,

Der Tugend Sold und Eigenthume,

Den Zins von eignen Schulden ab.

Das Lob, das feile Lieder geben,

Hat niemals ein beredend Leben,

Wie das, das euer Volk euch gab.


Doch meine Freundschaft wird zur Plage,

Genuß und Wonne sind euch nah,

Lebt lang und wohl, der Himmel sage

Zu meinem Wunsch sein würkend Ja!

Ihr aber eilt, vertraute beide,

Zu der entzückten Art der Freude,

Die nur vergnügte Liebe giebt.

In eures Stammes edlen Gaben

Wird einst die Welt ein Abbild haben

Von dem, was wir in euch geliebt!

Quelle:
Albrecht von Haller: Gedichte, Frauenfeld 1882, S. 98-101.
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Versuch schweizerischer Gedichte: Nachdruck der elften vermehrten und verbesserten Auflage Bern 1777

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